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Verfahren zur Gewinnung textiler Rohfasern aus Pflanzenstengeln Die
Erfindung bezieht sich auf die Behandlung von Pflanzenstengeln, insbesondere von
Stengeln des spanischen Ginsters (Spartium junceum) oder etwa Flachs, Hanf, Ramie
usw., um daraus textile Rohfasern zu gewinnen. Für diesen Zweck wird ein neues Verfahren
vorgeschlagen, mittels dessen bei einer Behandlung von wesentlich kürzerer Dauer
als bisher eine vollständige Trennung der textilen Rohfaser von den Stengeln bzw.
aus dem Bast oder der Rinde und gleichzeitig die Beseitigung der in den Zellen enthaltenen
Inkrusten erreicht wird, wobei auch die Ablösung der Fasern leichter als bisher
möglich ist.
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Man hat bereits vorgeschlagen, spröde Pflanzenhaare oder Pflanzenseiden
(Samenhaare von Kapok o. dgl.) dadurch weich zu machen, daß man sie mit einer Leimlösung
oder Glyzerinlösung behandelt. Dabei ist für vereinzelte Fälle auch ein geringfügiger
Alkalizusatz empfohlen worden. Sogar in der Wärme, bei Temperaturen bis ioo° C,
läßt sich jedoch mittels einer wässerigen Leim- oder Glycerinlösung eine wirkliche
Aufbereitung von Pflänzenstengeln im Sinne der Erfindung auch dann nicht erreichen,
wenn man der Lösung eine geringe Menge Alkali zusetzt. Das ältere Verfahren eignet
sich nur zu dem Zweck, für den es geschaffen ist, nämlich zum Weichmachen von Pflanzenfasern,
die nicht mehr erst zu isolieren sind, sondern ein an sich schon in Faserform vorliegendes
Spinngut bilden. Sie lassen sich nur deshalb nicht unmittelbar verspinnen, weil
sie im natürlichen Zustande glatt und spröde sind, und durch das ältere Verfahren
werden sie lediglich rauh und weich gemacht, wozu häufig schon die Behandlung mit
reinem Wasser im warmen oder kochenden Zustande ausreicht.
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Demgegenüber bezieht sich die Erfindung auf ein Verfahren, welches
aus den harten unbiegsamen Pflanzenstengeln erst die textilen Rohfasern erzeugen
will, die in der Stengelrinde enthalten und durch die Rinde auch mit dem holzigen
Stengelkern verbunden sind. Die Aufgabe der Erfindung ist es also, drei verschiedene
Arbeiten zu leisten. Zunächst soll die Stengelrinde vom holzigen Stengelkern getrennt
werden. Sodann wird die Rinde zerfasert, d. h. die in der Rinde enthaltenen Textilfasern
werden von den Zellen der Epidermis, des Parenchym und des Collenchym befreit, so
daß nunmehr die wirkliche textile Rohfaser isoliert ist. Schließlich wird dann aus
dem Zelleninneren der isolierten Textilfaser der Proteingehalt entfernt.
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Um diesen Erfolg zu erzielen, schlägt die Erfindung vor, die Pflanzenstengel
in einer verdünnten Lauge zu kochen, welche etwa 3 bis 5 0/Q Alkalihydroxyd und
eine geringe Menge, etwa 0,05 bis 0,15°/o, Aminosäure enthält. Weiterhin schlägt
dann die Erfindung noch vor, die Bildung der Aminosäure oder Aminosäuren dadurch
zu bewerkstelligen, daß man eine Zugabe von Proteinen in das Laugenbad macht.
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Von dem oben beschriebenen älteren Verfahren unterscheidet sich das
neue Verfahren durch wesentliche Abweichungen in den Mengenverhältnissen der Badbestandteile.
Diese sollen nicht mehr eine lediglich erweichende Wirkung
ausüben
(hoher Gehalt an Leim oder Glycerin und nur in Einzelfällen eingeringfügiger Alkalizusatz),
sondern ein alkalisches Bad mit etwa 3 bis 5°/a Alkalihydroxyd greift jetzt das
Rohgut kräftig an, und der geringe Zusatz an Aminosäure (oder Protein zur Bildung
von Aminosäure) dient dabei als Beschleuniger. Auf der Beschleunigungswirkung der
sehr geringen Menge Aminosäure, deren erstmalige Erkenntnis und Verwertung das Verdienst
der Erfindung ist, beruht der Erfolg, daß die textilen Rohfasern vollkommener und
in kürzerer Behandlungszeit als bisher aus den Pflanzenfasern gewonnen werden.
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Auch die vorliegende Erfindungsaufgabe hat man schon zu lösen versucht.
Ein Vorschlag zur Gewinnung textiler Rohfasern aus Pflanzenstengeln geht dahin,
die Stengel in einem Bade zu kochen, das nur aus Wasser und einer Zuckerart unter
Ausschluß von Alkali besteht. Dieses Verfahren hat aber lediglich eine physikalische,
nämlich eine allein lösende Wirkung, ohne daß eine chemische Veränderung der Stoffe
eintritt. Die Dauer der Behandlung ist unbedingt .eine sehr große, und ein guter
Erfolg in bezug auf die 'Isolierung der Textilfasern kann innerhalb einer für die
Praxis brauchbaren Zeit nicht eintreten.
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Andererseits hat man bereits vorgeschlagen, die Stengel in Wasser
von etwa 30' C einzuweichen, sie dann mehrere Stunden hindurch in einem alkalischen
Bade zu kochen und schließlich unter gleichzeitiger mechanischer Einwirkung auszuwaschen.
Schon aus der mehrstündigen Dauer der Behandlung ergibt sich, daß ein lediglich
alkalisches Bad nicht den gleichen Erfolg wie das neue Verfahren hat. An die Stelle
mehrerer Stunden tritt beim Erfindungsgegenstande eine Behandlungsdauer von etwa
45 bis 6o Minuten. Infolge der Beschleunigerwirkung des geringfügigen Gehaltes an
Aminosäure im alkalischen Bade wird in der erheblich kürzeren Arbeitszeit durch
das neue Verfahren eine Aufbereitung der Pflanzenstengel erreicht, bei welcher ein
mechanisches Abkämmen o. dgl. der textilen Rohfaser nicht erforderlich ist.
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Ein weiterer bekannter Vorschlag geht dahin, zur Behandlung der Pflanzenstengel
ein Bad zu benutzen, welches entweder aus Wasser, Alkalien und Glycerin (oder Milchsäureester)
oder sogar nur aus Wasser und Glycerin (oder Milchsäureester) besteht. Aminosäure
ist bei diesen Bädern also in keinem Falle vorhanden. Ein gleicher Erfolg bei gleich
kurzer Behandlungsdauer, wie er bei dem neuen Verfahren vorliegt, kann infolgedessen
überhaupt nicht eintreten.
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Sodann hat man folgendes vorgeschlagen. Die Pflanzenstengel sollen
in einem Bade gekocht werden, -,@#elches entweder besonders stark alkalisch sein
soll und mineralische Öle und Fette ohne ein Lösungs- oder Emulgierungsmittel enthält
oder aber eine Natronlauge von etwa 5 bis 6 ° B6 mit einem Zusatz von i bis 1,50/0
wasserlöslichen oder emulgierten Fetten oder Ölen und einem Löslichmachungs- oder
Eznulgierungsmittel ist. Das zuerst genannte Bad enthält keine Aminosäure, und in
dem zweiten Bade findet binnen weniger Minuten eine vollständige Verseifung der
Öle oder Fette statt, zumal das Kochen unter sehr hohem Überdruck erfolgt.
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Es wird nämlich mit einer Kochdauer von 4.1/2 bis 5 Stunden bei 8
atü gearbeitet, und der Zweck des Verfahrens ist weniger die Gewinnung von Textilfasern
als die Herstellung von Papierstoff. Selbst wenn nun beim zweiten Bade mit Seife,
sulfonierten Ölen oder Fetten oder aber mit Leim, Kasein oder Eiweißkörpern als
Lösungs- oder Emulgierungsmittel sich (bei Leim o. dgl.) eine Aminosäure bilden
könnte, wird deren Beschleunigungswirkung durch die Verzögerungswirkung der verseiften
Öle oder Fette vernichtet. Übrigens erscheint bei dem hohen Druck und der unumgänglichen
Verseifung die Bildung von Aminosäure mindestens als außerordentlich zweifelhaft.
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Schließlich geht ein älterer Vorschlag dahin, die Pflanzenstengel
in einem Bade so zu kochen, daß der Bast nur gelockert, sein Schlauch- oder Bandcharakter
aber nicht zerstört wird, damit man den ganzen Bast schlauch- oder bandartig abstreifen
kann. Das Bad soll entweder lediglich aus Wasser oder aus Wasser und Alkalien oder
aber aus Wasser und Zuckerarten bestehen. Aminosäure ist nicht vorhanden, denn eine
Zusammenwirkung von Alkalien und Zuckerarten ist nicht vorgesehen. Auch hier liegt
also außer sehr wichtigen Unterschieden im Verfahren selbst eine grundsätzlich andere
Aufgabe vor.
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Allen bekannten Verfahren gegenüber zeichnet sich der Erfindungsgegenstand
durch seine neuartige Zusammenwirkung von Alkali und Aminosäure oder mit anderen
Worten durch die Beschleunigung der Wirkung eines alkalischen Bades mittels einer
geringen Menge Aminosäure aus. Die Behandlung hat zwei Reaktionen zur Folge. Durch
die Einwirkung des kaustischen Alkalis im Bade wird die Lösung und Hydrolyse der
Hemicellulose, d. h. der Inkrusten, herbeigeführt, während die Cellulose selbst
praktisch unverändert bleibt. Dieser Aufschließungsvorgang wird nun zweitens durch
die Aminosäure oder Aminosäuren (Glykokol, Leucin, Glutamin usw.) derart beschleunigt,
daß in einer ganz erheblich kürzeren Zeit als bisher eine überlegen vollkommene
Aufschließung der Rinde in textile Rohfaser erfolgt.
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Infolge der Gegenwart von Aminosäuren im Behandlungsbade findet ferner
eine Umwandlung der in den Zellen der Pflanzenstengel enthaltenen
Proteine
statt. Sie werden unter der Einwirkung des verdünnten und heißen alkalischen Bades
hydrolysiert, und es entstehen Aminosäuren der bereits erwähnten Art. Die Behandlung
findet also in einem Bade statt, welches schon dieselben Stoffe in Lösung enthält,
die auch bei der Befreiung des Zelleninneren von seinen Inkrusten gebildet werden.
Hierauf dürfte, wenn man von außerdem möglichen katalytischen Wirkungen absieht,
die Schnelligkeit der Reaktion sehr wesentlich beruhen. Die Aminosäuren werden zweckmäßig
auch bei Beginn im Bade selbst erzeugt, indem man diesem eine Proteinsubstanz (Leim,
Gelatine tierischer Provenienz o. dgl.) zusetzt. Ein LTberschuß ist nicht schädlich,
verbessert aber die Aufschließung auch nicht.
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Nachstehendes Beispiel erläutert das neue Verfahren näher in seinen
Einzelheiten.
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Eine gewogene Menge ausgetrockneter Ginsterstengel wurde in einen
Kupferkessel eingelegt, der eine Ätznatronlauge von 5 ° B6 (Konzentration 3,350/,)
in so großer Menge enthielt, daß die Stengel vollständig eintauchten. Gewöhnlicher
Leim war in einer Menge von 0,r50/, der alkalischen Lösung zugesetzt, und die Flüssigkeit
war zum Sieden gebracht worden. Schon nach einer Viertelstunde zeigte sich, daß
die Aufschließung der Stengelrinde beachtlich vorgeschritten war. Das Kochen wurde
noch eine weitere halbe Stunde fortgesetzt, dauerte also im ganzen 45 Minuten. Die
Stengel wurden herausgenommen und einem starken Wasserstrahl ausgesetzt. Die Fasern
trennten sich mit der größten Leichtigkeit und praktisch vollkommen von dem holzigen
Kern. Die an der Luft getrockneten Fasern waren weich und widerstandsfähig. Der
holzige Stengelkern glich einem glatten weichen Strohhalm, der nicht schleimig oder
sonst ungünstig verändert war. Die Faserausbeute betrug etwa 1o °/, des Rohgutes.
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An Stelle von Ätznatron kann man auch ein äquivalentes Alkali benutzen.
Zum Vergleich wurde ein Versuchmii dem oben beschriebenen älteren Verfahren durchgeführt,
nach welchem die Pflanzenstengel in einem Bade aus Wasser und einer Zuckerart gekocht
werden sollen.
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Die gleiche Menge Ginsterstengel wie im obigen Beispiel wurde in demselben
Kessel in einer ro°/,igen Zuckerlösung gekocht. Der Zuckergehalt erschien hoch genug,
zumal er wegen der Wasserverdampfung während der Versuchsdauer noch erheblich zunimmt.
Nach einstündiger Kochung war noch nicht einmal der Beginn einer Lockerung der Stengel
oder ihrer Rinde erkennbar. Eine Abtrennung von Fasern war nicht möglich. Nach einer
weiteren Stunde, also nach im ganzen 2 stündiger Kochung, wurden die Stengel herausgenommen.
Jetzt konnte man zwar die Rinde als dünne Haut abnehmen, aber sie war nicht zu textilen
Rohfasern aufgeschlossen. Der holzige Stengelkern war völlig unverändert.
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Bei unmittelbarem Zusatz von Aminosäure gemäß Erfindung kann man z.
B. ein Bad aus einer wässerigen 5 °/,igen Ätznatronlösung herstellen, in das man
ungefähr o,10/, Glykokol hineingibt. Arbeitet man damit in der im obigen Beispiel
angegebenen Weise, so erzielt man denselben günstigen Erfolg.