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Verfähren zur Förderung des Zerrieselns dicalciumsilicathaltiger Brennprodukte
Bekanntlich haben dicalciumsilicathaltige Sinter- und Schmelzprodukte, die durch
Reaktion von Kalk mit Silicaten hergestellt werden, die Eigenschaft, beim Abkühlen
in mehr oder minder. starkem Maße zu zerrieseln. Diese Erscheinung ist nach dem
heutigen Stande unseres Wissens dadurch bedingt, daß das Dicalciumsilicat verschiedene'
Modifikationen von teilweise verschiedener Raumbeanspruchung besitzt und daß beim
Abkühlen auf Temperaturen unter 675° aus der ß-Modifikation kleinerer Raumbeanspruchung
die )i-Modifikation derselben Verbindung mit größerer Raumbeanspruchung entsteht
(vgl. folgende Tabelle).
Solche Zerrieselungserscheinungen sind in besonderem Maße in der Zementindustrie
bekanntgeworden. Sie, sind hier gefürchtet, weil sich herausgestellt hat, daß die
zerrieselten Zemente infolge ihres hohen Gehaltes an Dicalciumsilicat schlechtere
hydraulische
Eigenschaften haben als die nicht zerricselten, tricalciumsilicatreichen
Klinker, die dann allerdings einem Mahlprozeß unterworfen werden müssen.
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Man hat die Erfahrung gemacht, daß man die Neigung der Klinker zum
Zerfall dadurch unterdrücken kann, daß man sie rasch mit kalter Luft abschreckt.
Der Erfolg dieser Maßnahme wird verständlich, wenn man bedenkt, daß rasches Abschrecken
ein Einfrieren der ß-Hochteinperaturniodifikation des Dicalciumsilicates, langsames
Abkühlen hingegen den Umwandlungspunkt der ß- in die ;-Modifikation hinweg eine
Förderung des Modifikationsumschlages zur Folge haben muß.
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Auf Grund der Tatsache, daß das Zerrieseln stets eine unerwünschte
Erscheinung war, ist es verständlich, daß man bisher im wesentlichen bestrebt war,
Mittel und Wege zu finden, die das Zerrieseln heininen.
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In neuerer Zeit sind jedoch auch Verfahren bekanntgeworden, bei denen
das Zerrieseln bewußt herbeigeführt und technisch ausgewertet wird in der Absicht,
dadurch einen Mahlvorgang zu ersparen. Es ist schon ein Verfahren beschrieben worden,
bei dem Portlandzementklinker unmittelbar nach ihrer Fertigstellung in hocherhitztem
Zustand mit hochgespanntem Dampf in geschlossenen Behältern behandelt werden, so
daß sie zerkleinert oder so brüchig werden, daß sie leicht gemahlen werden können.
Ein Nachteil dieses Verfahrens ist es, daß Kalk und Magnesia leicht hydratisiert
werden, was naturgemäß bei der Zementherstellung unerwünscht ist. Im übrigen ist
das Verfahren technisch schwer durchführbar.
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Mit besonderem Vorteil - macht man sich das Zerrieseln zunutze, wenn
man alumilliumsilicathaltige Rohstoffe durch Aufschlußbrand mit Kalk auf Tonerde
und Zement verarbeiten will. Bei diesem Auf schluß werden durch Erhitzen des Aluminiumsilicates
finit Kalk auf etwa 1äoo@ Klinker hergestellt, die außer Dicalciumsilicat hauptsächlich
noch C alciumaluniinat und Calciumaluminatferrit enthalten. Aus diesen Klinkern
kann durch Umsatz mit Wasser, Alkalicarbonat und anderen Lösungen-Tonerde ausgelaugt
werden, während der Rückstand in einen Zement überführbar .lest. Da die Klinker
für die Laugung möglichst feinkörnig sein sollen, müßten sie all sich weitgehend
gemahlen werden. Diese Mahlung wäre aber in Anbetracht der Härte der Klinker sehr
kostspielig. Sie läßt sich in vielen Fällen -dadurch ersparen, daß die Klinker bei
richtiger Wahl -der Zusammensetzung von selbst zer rieseln.
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In zahlreichen Versuchen mit verschiedensten Ausgangsmaterialien hat
sich nun gezeigt, dafi das Zerrieseln teilweise sehr unvollständig erfolgen kann,
so daß ein mehr oder weniger großer Teil des Stoffs nachträglich noch gemahlen werden
muß. Zudem vollzieht sich der Vorgang oft sehr langsam; er kann sich über Stunden,
ja Tage erstrecken.
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Es wurde nun überraschenderweise gefunden, claß man diese Nachteile
dadurch beheben kann und ein vollkommenes Zerrieseln erreicht, daß man das erhitzte
Gut nach der Erhitzung bei Temperaturen oberhalb iioo° tempert; zweckmäßig läßt
man hierbei die Temperatur langsam bis mindestens iioo° sinken. Die Wirkung dieser
Arbeitsweise ist umso überraschender, als der Temperaturbereich, in dem die Nachtemperung
zweckmäßig v orgenoinmen wird, ganz abseits von derjenigen Temperatur liegt, bei
der die für die Zerrieselung verantwortliche f-;r-Umwandlung des Dicalciumsilicates
erfolgt.
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Die Nachteinperung im Bereich bis i ioo° wird vorteilhaft unmittelbar
an den Brand angeschlossen und dauert zweckmäßig mehrere Stunden. Die Art der Abkühlung
voll 11063 all abwärts ist gleichgültig; es kann rasch oder langsam abgekühlt werden.
Zur Abkürzung des Verfahrens wird inarf eine rasche Abkühlung vorziehen.
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Zur technischen Durchführung der 1 achtemperung kann man sich selbstverständlich
der veschiedenartigsten Anordnungen bedienen. Beim Arbeiten in Drehrohren nach dem
Gegenstromverfahren läßt sich die gewünschte Telnperung ohne besondere Vorsichtsmaßregeln
schlecht erreichen, weil das die Brennzone verlassende Gut meist zu rasch auf niedrige
Temperaturen kommt. Mit besonderem Vorteil arbeitet man dagegen in Drehrohren nach
dem Gleichstromverfahren, wobei das Brenngut nach Verlassen der heißen Ofenzone
bei langsam fallender Temperatur sehr gleichmäßig nachgetempert wird. Durch Veränderung
der Länge des Ofens, der Umdrehungszahl usf. läßt sich die Temperungsdauer in sehr
einfacher Weise regeln.
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Der Erfolg der Arbeitsweise gibt sich besonders darin kund, daß die
Zerrieselung sonst unvollständig zerrieselnder Klinker sehr vollständig abläuft.
Es gelingt beispielsweise, gebrannte dicalciumsilicathaltige -lassen, die bei rascher
Abkühlung bis zu d0 °/a Rückstand ergaben, bis zu 99 % zur Zerrieselung zu bringen.
Sie äußert sich ferner darin, daß eine erhebliche Abkürzung der Zerfallsdauer der
Klinker erreicht wird.
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Beispiel Aus einem Tonschiefer und einem Kalkstein wurde nach Fe inmahlung
der Rohstoffe eine innige Mischung hergestellt, die (glühverlustfrei berechnet)
die folgende Zusammensetzung
hatte: 23,3 °% Si 02, 14,0 °/a A12
Os, 2,8 °% Fee Os, 57,1 °% Ca O. Diese Mischung wurde i Stunde auf 135o°
erhitzt und dadurch zu einem Klinker gebrannt, der etwa 67 °/o Dicalciumsilicat
neben im wesentlichen Calciumaluminat enthielt. Der Klinker wurde unmittelbar nach
beendeter Erhitzung i. aus dem Ofen genommen und rasch abkühlen gelassen; 2. bis
laoo° in 1/2 Stunde abgekühlt und dann aus dem Ofen entfernt; 3. i1,/2 Stunde bei
langsam bis looo° fallender Temperatur im Ofen gelassen und dann dem Ofen entnommen.
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Im ersten Falle betrug der Siebrückstand auf den3 goo-Maschensieb
65 °/o, im zweiten Falle 13,3% und im dritten nur i,7%.
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Die gleiche Mischung wurde einmal im Drehofen nach dem Gegenstromprinzip
verarbeitet, wobei das Material kurze Zeit nach Verlassen der Sinterzone in eine
Kühltrommel fiel, zum anderen in einem Drehrohr im Gleichstrom gebrannt, wobei das
Material nach Verlassen der heißesten Zone noch etwa 2 Stunden im Ofen verweilte.
Der nicht zerfallene Anteil betrug im ersteren Falle zwischen 1o bis ¢o °/o, im
zweiten Falle ergaben sich in mehrtägiger Versuchsdauer gleichmäßig geringe, unter
i bis höchstens etwa 3 °/o betragende Siebrückstände. -