Verfahren zur Herstellung eines inaktivierten Pockenimpfstoffes
Die postvaccinale Encephalitis nach Pockenschutzimpfung ist eine seltene, aber schwere Impfkomplikation, die oft letal ausgeht oder in der überwiegenden Zahl dauernde cerebrale Schäden hinterlässt. Sie tritt vor allem bei Erstimpflingen auf, kann aber auch bei Wiederimpflingen vorkommen, bei denen zur Erstimpfung ein zeitliches Intervall von 20 und mehr Jahren besteht.
Ein vermehrtes Auftreten der postvaccinalen Encephalitis ist besonders nach dem 3. Lebensjahr festzustellen, so dass man sogar von der Impfung dieser Erstimpflinge in verschiedenen Ländern von Gesetzes wegen absieht.
Die Impfung dieses Personenkreises ist insofern wichtig, da diese Gruppe keinen immunologischen Schutz bei einem Einschleppen der Pocken besitzt. Im Falle einer Epidemie bildet die Impfung gerade dieser Impflinge ein besonderes Problem, da mit einem gehäuften Auftreten von postvaccinalen Encephalitisfällen gerechnet werden muss. Das gleiche Problem stellt für diese Personen die vorgeschriebene Pockenschutzimpfung für bestimmte Auslandsreisen dar.
Das Vorhandensein einer Immunität gegenüber dem Vaccinevirus schützt in den meisten Fällen vor dem Auftreten einer postvaccinalen Encephalitis. Zur Erreichung dieses Zustandes wurde vorgeschlagen, die überalterten Erstimpflinge und späten Wiederimpflinge mit Antivaccine-gamma-Globulin bzw. mit formaldehydinaktivierten Vaccinevirussuspensionen zu immunisieren.
Nur das erstere Verfahren hat sich bewährt.
Es hat sich gezeigt, dass der mit Formaldehyd inaktivierte Impfstoff Nachteile aufweist, welche die praktische Verwendung einschränken. Dies ist überraschend, da bis heute Formaldehyd für die Inaktivierung von Viren das bevorzugte Verfahren darstellt.
So hat beispielsweise Beunders (Arch. Ges. Virusf.
X/3,382, 1960) festgestellt, dass bereits nach etwa 2wöchiger Lagerung der flüssigen formalininaktivierten Vaccinevirussuspension keine Antigenität im Tierversuch mehr nachzuweisen war.
Der Pockenimpfstoff ist nun gerade infolge seiner vergleichsweise heterogenen Zusammensetzung im flüssigen Zustand wenig stabil und erfordert zwingend eine Gefriertrocknung, damit er längere Zeit lagerungsfähig ist. Es hat sich gezeigt, dass die Lyophilisation in Gegenwart auch kleinster Mengen Formaldehyds nicht möglich ist, da dabei gewöhnlich die Antigenität durch die Einwirkung des während der Trocknung mitkonzentrierten Formaldehyds vernichtet wird. Es besteht daher die Notwendigkeit für die Auffindung eines lyophilisierbaren, lagerbeständigen in aktivierten Vaccinevirusstoffes.
Es wurde nun überraschend gefunden, dass eine beständige, inaktivierte Vaccinevirussuspension für die gefahrlose Vorimpfung der überalterten Erstimpflinge und späten Wiederimpflinge zum Zwecke der Verhütung der postvaccinalen Encephalitis möglich ist, indem man eine Vaccinevirussuspension mit ss-Propiolacton behandelt.
Der Lactonring des ss-Propiolactons wird in wässriger Lösung (Halbwertszeit bei 370 C etwa 30 Minuten) gespalten und verliert die inaktivierenden Eigenschaften. Damit ist erstmals dem Arzt ein über Monate stabiles Mittel in die Hand gegeben, der postvaccinalen Encephalitis vorzubeugen. Es ist ein besonderes Kennzeichen des erfinderischen Verfahrens, dass mit dem so erhaltenen Präparat reproduzierbare klinische Ergebnisse möglich sind.
Praktisch erfolgt die Inaktivierung mit ss-Propiolacton in der Weise, dass man ss-Propiolacton wiederholt auf die Vaccinevirussuspension einwirken lässt. Das ss-Propiolacton wird in Ponzentrationen von 0,0002 bis 0,005 g pro ml Vaccinevirussuspension angewandt. Dabei wird darauf geachtet, dass das pH der Lösung nicht unter 6,5 abfällt. Diese Bedingung wird erreicht, indem man in Gegenwart einer Pufferlösung, beispielsweise Zitronensäure-Phosphatpuffer mit genügender Kapazität, arbeitet.
Die Inaktivierung der Vaccinevirussuspension durch ss-Propiolacton erfolgt auf chemischem Wege.
ss-Propiolacton wirkt sowohl als Alkylierungs- wie auch als Acylierungsmittel und reagiert demgemäss leicht mit Hydroxyl-, Carboxyl-, Amino- und Phenolgruppen. Diese Gruppen kommen alle in Proteinen vor.
Die meisten Viren bestehen aus dem Nucleinsäurekern und einer Proteinhülle. Auf der Virusoberfläche befindet sich daher eine grosse Anzahl von zugänglichen Reaktionsstellen, die mit ss-Propiolacton reagieren können. Dabei werden neue Determinanten eingeführt, und die chemische und immunologische Spezifität des Virus wird dementsprechend verändert. Diese qualitativen Änderungen haben quantitative Anderungen zur Folge, die sich in Form andersartiger Antigeneigenschaften äussern.
Die Einwirkung von ss-Propiolacton auf Viren führt auch zu einem Verlust der Infektivität. Die Substanz hat stark viricide Eigenschaften auf eine grosse Anzahl verschiedener Viren. Diese Wirkung h hängt mit den alkylierenden Eigenschaften der Verbindung zusammen, die auch in Gegenwart grosser Mengen andersartiger Proteine bestehen. Unter geeigneten Bedingungen werden Viren daher rasch und vollständig inaktiviert. Innerhalb des Bereichs von pH 4,9 bis 9,2 ist die viricide Wirkung vom pH weitgehend unabhängig.
Beispiel
Mit Vaccinevirus infizierte Zellen, z. B. Gewebekulturzellen, Schaf- oder Kaninchenhaut, werden mit der etwa 5- bis lOfachen Menge eines Zitronensäure-Phosphatpuffers Molarität 0,004 aufgeschwemmt und anschliessend in üblicher Weise homogenisiert. Nach Zusatz von 10 Vol. % von CCl2F-CClF2 wird nochmals homogenisiert und anschliessend 5 Minuten mit 1000 g zentrifugiert. Der Überstand wird von dem sedimentierten Zelldetritus und dem halogenierten Kohlenwasserstoff mit dem damit ausgefällten Eiweiss abgetrennt.
Der Überstand wird mit 10000 g eine halbe Stunde zentrifugiert, wobei die Vaccineviren in das Sediment übergehen. Die Resuspension des Sediments erfolgt wiederum in Zitronensäure-Phosphatpuffer, welcher nun in einer molaren Konzentration von 0,1 und in einer Menge angewendet wird, dass die Suspension mindestens 5 X 108 pfu/ml enthält. Eine Filtration mittels einer Membranschicht, Porengrösse 500 mjt (Filterschicht der Membranfiltergesellschaft Göttingen Typ M 3) ist angezeigt. Die so erhaltene Suspension wird in thermostatisch geregeltem Wasserbad auf 300 C gehalten und der Zusatz von B-Propiolacton vorgenommen, wobei 0,25 mg pro ml zugegeben werden. Weitere Zusätze in gleicher Konzentration erfolgen 10, 20, 30 und 40 Minuten nach dem ersten Zusatz.
Vor jedem Zusatz wird eine Probe für die Viruskonzentrationsbestimmung entnommen. Die Tabelle zeigt die Ergebnisse.
Reduktion der
Viruskonzentration Zelt log Vo log Wo xt = 5 Minuten 0,5 x2 = 20 Minuten 3,6 X3 = 40 Minuten 5,9 ss-Propiolacton-Zugabe nach 0, 10, 20 und 30 Minuten
Nach einer Verweildauer von etwa 4 Stunden wird eine Probe von 1000 ml entnommen und diese auf Freisein von vermehrungsfähigen Vaccineviren geprüft, das Material selbst jedoch bei + 40 C bis zum Vorliegen der Prüfergebnisse aufbewahrt.
Ein gleiches Volumen einer sterilen, 1% eigen wässrigen Lösung von Gelatine (chemisch nicht behandelt) wird der Suspension zugesetzt, anschliessend die Suspension in Kolbenampullen zu 1 ml abgefüllt, bei 700 C im Block eingefroren und darauf dem Gefriertrocknungsprozess unterworfen.
Der auf diese Weise hergestellte Impfstoff hat bei entsprechender Lagerung mindestens folgende Haltbarkeit: unter 0 C 2 Jahre + 40 C 1 Jahr
Zimmertemperatur 6 Monate + 370 C 4 Wochen
Die Anwendung erfolgt z. B. in der Weise, dass man den nach obigem Beispiel erhaltenen Impfstoff dem Impfling injiziert und ihn nach 8 Tagen zur Pockenschutzimpfung mit dem üblichen Impfstoff bestellt. Für die Nachimpfung wird vorteilhafterweise ein lyophilisierter Pockenimpfstoff verwendet, der auf das Vorimpfungsverfahren eingestellt ist, um eine einwandfreie Wirkung sicherzustellen.