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Verfahren zur schonenden Gewinnung löslicher Voliantigene aus Mikroorganismen
Die bisherigen Bemühungen, durch Einwirkung chemischer Agentien lösliche Vollantigene
aus Mikroorganismen, wie z. B. B.akterien, zu gewinnen, haben bisher nicht zu befriedigenden
Ergebnissen geführt, weil die äußerst labilen Zellantigene durch chemische Eingriffe
entweder zerstört oder derart modifiziert werden, daß sie sich für eine aktive Immunisierung
leblender Individuen gegen natürliche Bakterieninfektionen nicht mehr eignen. Auch
die häufig benutzten rein physikalischen Aufschließnngsverfahren von Bakterienzellen
haben für die Freilegung der Vollantigene nicht in dem Maße zu Erfolgen geführt
wie bei der Isolierung anderer ebenfalls empfindlicher Wirkstoffe; denn es hat sich
gezeigt, daß die Vollantigene sehr hochmolekulare Zellbestandteile sind, die im
Gegensatz zu Substanzen geringerer Molekülgröße schon allein durch mechanische Be,
an spruchung oder durch Änderungen der Milieubedingungen infolge Verkrackung und
Depolymerisation an Wirksamkeit verlieren.
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Wie nun gefunden wurde, kann man durch Einwirkung von chemisch indifferenten
wäßrigen Lösungen besonderer Zusammensetzung, die zur Herstellung wäßriger Lösungen
von Lipoiden und vor allem von Wachsen geeignet sind, sehr wirksame Vollantigene
aus Bakterien gewinnen. Die Bereitung der in Frage kommenden Wachslösungsmittel
geschieht in der Weisle, daß man in mehrprozentigen Lösungen von Polyäthylenglykoläthern
höherer Fettalkohole oder von Polyäthylenglykolestern höherer Fettsäuren organische
Fettlösungsmittel, wie Chloroform, Methylenchlorid, höhere Fettalkohole, Kohlenwasserstoffe
usw., unter Erwärmen auflöst. Hierdurch werden klare wäßrige Lösungen der Fettlösungsmittel
erhalten, die bei Einwirkung. auf frisch isolierte
Bakteriensuspensionen
diese oft schon in der Kälte in wenigen Minuten auflösen. In manchen Fällen ist
es zweckmäßig, die Mikroorganismen während des Lösungsvorg ; an$es bei einer Wasserstoffionenkonzentration
von pH 8,0 zu halten. Durch Anwendung des Verfahrens in der Wärme, bei etwa 37°,
gelingt es selbst bei Tuberkelbazillen, die hier sehr beträchtlichen intermicellaren
Kohäsionskräfte zu überwinden und durch mehrtägige Einwirkung der Bakterien in Lösung
zu bringen.
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Für besondere Zwecke kann es ratsam sein, die Temperatur noch weiter,
beispielsweise auf 80 bis 100°, ZU steigern Oft ist es zweckmäßig, die vollständige
Auflösung der Mikroorganismen nicht abzuwarten, sondern den noch ungelösten Anteil
abzuscheiden und evtl. nochmals mit dem Lösungsmittelgemisch zu behandeln.
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Ein besonderer Vorteil des Verfahrens liegt darin, daß die Bakterien
bei der Behandlung mit dem Lösungsmittel ihre Lebens. und Keimfähigkeit verlieren,
so daß ein Zusatz von Desinfektionsmitteln, der leicht zu D enaturierungen führt,
vermieden und anderseits auch störende Einflüsse durch unerwünschte Stoffwechselreaktionen
ausgeschlossen werden können.
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Es hat sich weiter als vorteilhaft erwiesen, die gelösten Beakterienantigene
aus dem Lösungsgemisch zur Abscheidung zu bringen und in ein physiologisches Milieu
zu überführen. Dies gelingt in besonders schonender Weise dadurch, daß man die Bakterienlösung
mit organischen wasserlöslichen Flüssigkeiten, z. B. Äthylalkohol oder Aceton, oder
mit Neutralsalzen, z. B. Ammoniumsulfat, und zwar in solchen Mengen versetzt, daß
die Ausfällungsgrenze nahezu erreicht, aber nicht überschritten wird, und dann durch
Einleiten von Kohlensäure oder durch einen geringen Säurezusatz die Vollantigene
zur Ausfällung bringt.
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Die hierbei entstehenden grobflockigen, oft zu langen Fäden zusammengeballten
Niederschläge werden durch Zentrifugieren isoliert und mit physiologischen Lösungsmitteln
bei PH 7 bis 8 in Lösung gebracht. Es werden je nach der Konzentration, an gelösten
Stoffen opaleszentie bis wasserklare Lösungen erhalten, die imstande sind, brei
parenteraler Einverleibung die Bildung von spezifischen Antikörpern gegen VollbaktSerien
hervorzurufen. Es gelingt z. B., schon mit wenigen Milligramm und oft mit Bruchteilen
eines Milligramms des ge-Iösten Vollantigens agglutinierende Antikörper gegen Vollbakterien
zu erzeugen; die im Immunserum selbst in Verdünnungen bis 1 : 10000 noch deutlich
nachzuweisen sind.
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Gegenüber der Behandlung mit abgetöteten Vollkulturen besitzen die
nach dem Verfahren gewonnenen löslichen Bakterienantigene den Vorteil, daß sie besonders
bei intravenöser Applikation weit besser vertragen werden, aber auch für die zur
aktiven Immunisierung gegen pathogene Mikroorganismen meist angewandte Methode der
intramuskulären oder subkutanen Verabreichung bedeuten die gelösten Vollantigene
einen erheblichen Fortschritt, weil es gelingt, sie an geeignete Trägersubstanzen,
wie z. B. Aluminiumhydroxyd, zu binden und hierdurch eine weit bessere Depotwirkung
zu erzielen, als sie bei entsprechender Immunisierung mit abgetöteten Bakterienleibern
zustande kommen kann.
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Die gelösten Vollantigene lassen sich auch für diagnostische Zwecke
verwenden, da sie mit Immunseren sowohl spezifische Präcipitinwie SomplemEentbindungsreaktionerl
geben.
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Bei Aufarbeitung solcher Mikroorganismen, die bei ihrer Züchtung
auf flüssigen Nährböden spontan Bestandteile ihrer Leibessubstanzen in die Nährflüssigkeit
abgeben, kann -man Vollantigene in der Weise gewinnen, daß man die Mikroorganismen
zunächst eine Zeitlang auf flüssigen Nährböden kultiviert und dann eine Lösung des
Zellantigens nach der hier beschriebenen Weise herstellt und dieser Lösung die filtrierte
Nährflüssigkeit als solche oder nach geeigneter Verarbeitung hinzufügt.
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Beispiele I. Eine eintägige Kultur von Gonokokken auf Aseites-Agar
wird mit physiologischer Kochsalzlösung abgeschwemmt, gewaschen und auf 50 C abgekühlt.
Versetzt man 10 ccm der Suspension mit 200 ccm einer eiskalten klaren Lösung von
2,7 0/0 Nonylalkohol und 10 10 % Polyäthylenglykolrizinolsäureester, so entsteht
nach wenigen Minuten eine vollständige Auflösung der Bakterien. Die erhaltene Lösung
wird mit 150 ccm Aceton versetzt, wobei sie stärker opaleszent wird, aber keine
Ausfällung entsteht. Sänert man nun mit einigen Tropfen Essigsäure etwa auf PH 5,0
an, so bilden sich reichliche Mengen eines farblosen, fadenziehenden Niederschlages,
der durch Zentrifugieren abgeschieden und mit Wasser, Na Cl und etwas verdünnter
Natronlauge in eine blutisotonische Lösung von PH 7,0 überführt wird. Das erhaltene
Präparat enthält 0,25% gelöste Bakterienb, estandt, eile. Es gibt eine starke Präcipitinreaktion
sowohl mit dem Serum von Versuchstieren, die mit Vollbakterien, wie von solchen,
die mit Idem gelösten Bakterienpräparat selbst immunisiert worden waren.
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2. Eine Abschwemmung von Coli- oder Typhusbazillen von einem Agarnährboden
wird wie bei Beispiel 1 mit einer Lösung von 2 % CH Cl3 in 10 % Polyäthylenglykololeyläther
versetzt und mit wenigen Tropfen verdünnten Alkalis oder mit etwas sekundärem
Kaliumphosphat
auf ein pH 8, o eingestellt.
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Das Gemisch wird 24 Stunden im Eisschrank stehengelassen. Der gelöste
Bakterienanteil wird sodann durch Zentrifugieren isoliert und mit 4/5 Volumenanteilen
Alkohol oder mit 1% Volumenanteil gesättigter Ammonsulfatlösung versetzt. Durch
den Zusatz wird eine Ausfällung nicht erzeugt. Wird nun Kohlensäure in die Lösung
eingeleitet, so entsteht bei PH 6,9 ein grobflockiger Niederschlag, der nach dem
Abzentrifugieren nach Beispiel 1 in eine physiologische Lösung überführt wird.
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Der ungelöste Bakterienanteil kann nochmals mit dem Lösungsgemisch
behandelt und die nunmehr in Lösung gegangenen Bestandteile in entsprechender Weise
aufgearbeitet werden.
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Die erhaltenen gelösten Vollantigene zeigen im Tierversuch bei guter
Verträglichkeit eine sehr starke, antigene Wirkung. Bei Kaninchen wird durch eine
an mehreren Tagen erfolgende intravenöse Injektion von insgesamt 3,5 mg gelöstes
Typhusantigen ein Agglutinationstiter des Serums von über 1 : 10 000 hervorgerufen.
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Mit Coliantigen gelingt es mit der gleichen Menge spezifische Agglutinine
gegen Colibakterien zu erhalten. Die gelösten Antigene eignen sich auch zu einer
aktiven spezifischen Immunisierung von Lebewesen gegen Infektionen durch Typhus-
bzw. pathogene Colibazillen.
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3. Dysenterieshigahazillen werden mehrere Tage bei 370 auf Peptonbouillon
gezüchtet.
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Die Bakterien werden abzentrifugiert und nach Beispiel 2 in Lösung
gebracht. Durch einmalige Behandlung mit dem Lösungsgemisch gehen etwa 80% der angewandten
Bakterienmenge in Lösung. Der gelöste anteil wird nach Beispiel 1 in ein physiologisches
Milieu überführt. Auch in diesem Falle erweist sich das gelöste Bakterienantigen
von guter antigener Wirksamkeit für die Erzeugung antibakterieller Antikörper. Für
die intramuskuläre Verabreichung hat sich eine Adsorption des Antigens an Aluminium-Hydroxyd
als besonders vorteilhaft erwiesen.
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Die Nährflüssigkeit kann der Lösung des Zellantigens entweder nach
bloßem Filtrieren zugegeben oder vor dem Hinzufügen noch weiter aufgearbeitet werden.
Hierzu wird das von Bakterien befreite klare Filtrat oder Zentrifugat zweckmäßigerweise
zunächst so lange mit 0>5 0/0 Formaldehyd bei 370 erwärmt, bis eine Probe keine
Giftwirkung im Tierversuch mehr aufweist. Sodann wird die entgiftet Lösung mit 3/5
Volumen Aceton versetzt, wodurch sie oplaeszent wird. Ausfällungen entstehen jedoch
nicht. Beim Ansäuern mit verdünnter Salzsäure auf ein PH von 5,5 entsteht jedoch
eine beträchtliche Menge Niederschlag, die nach dem Abzentrifugieren und Auflösen
in schwach alkalischer physiologischer Na Cl-Lösung ebenfalls von starker antigener
Wirksamkeit ist.
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Durch Vereinen der aus den lebenden Dysenteriebazillen mit der aus
der Kulturflüssigkeit gewonnenen Antigenlösung wird ein äußerst wirkungsvolles Vollantigen
gewonnen, das sich als Impfstoff zur aktiven Immunisierung gegen Dysenterieinfektionen
gut eignet. Die Wirksamkeit kann durch Adsorption an Ahimini'umhydi-oxyd noch verbessert
werden.