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Tasteninstrument, Orgel o. dgl. Bei Tasteninstrumenten mit Pfeifen
oder Zungen ist die Höhe des Tons, wie allgemein auf akustischem Gebiete, von der
Länge des schwingenden Körpers abhängig. Farbe und Stärke des Klanges dagegen sind
bei jeder einzelnen Pfeife oder Zunge bedingt durch r. Bau, als Labial- oder Zungenpfeifen
(mit oder ohne Schallbecher), 2. Mensur, d. h. Verhältnis von Pfeifenlänge zum Durchmesser,
3. Intonation, entsprechend den sonstigen
technischen Formen und
Einzelheiten, q.. einfache oder chorische Besetzung der einzelnen Tonkanzellen (letztere
besonders bei Mixturen bekannt), 5. Stimmung, temperierte (wie allgemein), schwebende
(Voix celeste), natürliche (künstliche Obertöne von Quinten, Terzen, Septimen, akustische
Kombinationstöne).
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In der bisherigen Bauart stimmen Pfeifen-oder Zungenreihen vom untersten
bis zum obersten Ton ihres Umfanges in Punkt = bis '5 völlig überein. Nur die Tonhöhe
wechselt entsprechend den Tastennamen in gleichmäßigem Anstieg. Diese Tonreihen
bisheriger Bauart sind bekannt als »Stimmen« oder »Register« bei der Orgel und als
in »Baß-« und »Diskanthälften« zerfallendes »Spiel« beim Harmonium. Ob derartige
Unterteilungrn vorhanden oder nicht vorhanden sind, hat mit dem einheitlichen Klangmaterial
einer solchen Reihe nichts zu tun, ebensowenig die Zahl der Töne, aus denen die
Reihe besteht, auf welcher Taste sie einsetzt oder ob ein Register durch sogenannte
Oktavkupplung aus der Grundreihe gewonnen ist, usw.
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Abb. i veranschaulicht eine Windlade mit einer Tonreihe bisheriger
Art. Als Beispiel ist ein Ausschnitt mit den Pfeifen einer Flöte von f-gis' angenommen.
Zwischen den Bohrungen der Pfeifen h-c' ist in der Registerkanzelle eine Trennung
x in Baß und Diskant eingesetzt. Dennoch fallen beide Teile unter den Einheitsbegriff
einer Flötenreihe, denn sie gleichen einander betreffs aller Punkte von i bis 5,
und eine Hälfte setzt anschließend die andere fort.
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Nun sei z. B. ferner mittels der Rohrleitung l eine Kupplung von Pfeife
g mit Pfeife g', also eine Oktavkupplung angeordnet, so daß beide Töne auf derselben
Klaviatur spielbar sind. Die Einrichtung von Oktavkupplungen ist im Orgelbau bekannt
und hier in der Zeichnung nicht weiter dargestellt. Ebenso ist die Windzufuhr von
der Taste aus durch die Metallröhre zu den betreffenden Pfeifen als bekannt vorausgesetzt;
z. B. gelten die dargestellten einzelnen Rohrleitungen für f, fis, g, gis als Verbindungen
zwischen Tastenventil und Windlade. Wird nun z. B. Taste g angeschlagen und die
Kupplung allein angezogen, so erklingt nicht die Pfeife g, sondern die Pfeife g1,
da der Ton g' durch die Rohrleitung l betätigt wird. Dieses ist orgelbaumäßig seit
langem eingeführt. Werden Grundregister und Kupplung zugleich gezogen und wird die
Taste g der Klaviatur gedrückt, so ertönen zugleich die Pfeifen g und 9l der Flötenreihe.
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Durch Ertönen dieser beiden Pfeifen entsteht also nur eine Oktavverdopplung,
aber keine andere Klangfarbe oder Klangstärke. Was und wo man immer auch zerlegen
oder kuppeln mag, so wird bei einer Tonreihe bisheriger Bauart niemals etwas anderes
möglich sein als solche Oktavverdopplungen in gleichem Toncharakter, aber keinerlei
neue Mischung.
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Das gilt auch scheinbaren Ausnahmen des bisherigen Instrumentenbaues
gegenüber i. daß die obersten Töne von Orgelzungenregistern mit Labialpfeifen ausgeführt
werden. Dieses geschieht gerade aus dem Wunsche heraus, die gleiche Wirkung des
Zungenklanges auch da aufrechtzuerhalten, wo Zungen technisch durch Labialpfeifen
ersetzt werden miissen, um ein Register bis zu bestimmter Tonhöhe durchzuführen;
2. daß in der tiefsten Lage der Voix celeste auf die zur schwebenden Stimmung nötige
zweite Pfeifenreihe verzichtet wird. Dies liegt in der Unerträglichkeit dieser Schwebungen;
3. Mixturen werden gerade deshalb in tiefer, mittlerer und hoher Lage verschieden
stark besetzt, damit ihr Klangwert unten, in der Mitte und oben gleich groß erscheint;
q.. die obersten Lagen der Mixturen werden deshalb allmählich schwächer besetzt,
weil die Pfeifen nach oben hin immer kleiner werden und schließlich nur noch ein
musikalisch nicht mehr unterscheidbares Piepsen ohne irgendwelche Unterschiede der
Klangfarbe oder -stärke möglich wird. Daher hat man sich auch bisher mit dem sogenannten
»Repetieren« beholfen.
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Kurz, man kannte bisher nur Pfeifen- oder Zungenreihen, welche bei
gleichbleibender Klangfarbe und Klangstärke geradlinig emporstiegen und dann, wenn
eine geradlinige Fortsetzung dieser Gleichheit nicht mehr möglich war, aufhörten.
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Neu ist der Gedanke, auf Gleichheit und geradlinigen Emporstieg zu
verzichten und statt dessen eine Gesamtreihe in allmählichen »Klangwendungen« emporzuführen,
d. h. von Ton zu Nachbarton kaum merkliche Verschiebungen eintreten zu lassen, also
ein Ändern bald der Klangfarbe, bald der Klangstärke, ja auch der Klanghöhe.
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So, wie die Klarinette oder das Horn seine stumpfere und seine glänzendere
Lage hat, so, wie leergestrichene, in Lagen gespielte und Flageolettöne einer Violine
verschieden klingen, aber dennoch alles die Klangeinheit »Violine« bildet, ähnlich
soll sich eine klangwendende (änderbare) Tonreihe aus Pfeifen oder Zungen bilden,
gleichsam regenbogenartig, mit allmählichen Farbenübergängen vom Ton zum Nachbarton
spiralförmig ansteigend, bald heller, bald dunkler, oder stärker und dann wieder
schwächer, oder von Grundtönigkeit zu Obertönigkeit so weit »klangwendend«, daß
sich sogar die Übereinstimmung zwischen Tastenname und Klanghöhe verlieren kann
daß
man z. B. auf Taste cis3 noch Tonhöhe cis3, aber auf Taste cis`' nicht mehr die
genau entsprechende Tonhöhe cis4 hat, sondern vielleicht die Tonhöhe von g3 oder
von e4, oder beides zugleich.
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Um nun solche Klangwendungen mittels Pfeifen oder Zungen zu erreichen,
ist ein freier Wechsel der vorgenannten technischen Mittel i bis 5 (Labialpfeifen
oder Zungen, Mensur, Intonation, Besetzung, Stimmung) erforderlich. Der Bau der
Windlade muß entsprechend vorgenommen werden. Daher wird der Anblick einer klangwendenden
Tonreihe von bisherigen grundverschieden sein. Trotzdem können in ein und demselben
Instrument beiderlei Bauarten nebeneinander vertreten sein.
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Abb. 2 veranschaulicht als Beispiel einen Ausschnitt aus einer klangwendenden
Tonreihe, welcher sich vom Ton G-g' erstreckt. Es ist auf ihr zu erkennen, daß die
Töne von G-H aus Zungen mit Schallbechern vom Orgel-Fagott-Charakterbestehen, aber
die Fortsetzung von Ton c-gis aus Zungen mit Vox-humana-Schallbechern. Ton c-gis
klingt also ähnlich, jedoch nicht gleich an Farbe und ist auch schwächer an Tonstärke.
Von a-d' folgen Labialpfeifen, welche z. B. als Geigenprinzipal, d. h. in einem
der Vox humana verwandten Klangcharakter intoniert sind. Zwischen dis' und g' verengert
sich deren die Mensur so weit, daß eine intensiv streichende Gamba mit wiederum
allmählich wachsender Tonstärke entsteht.
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Als erster Punkt steht also fest: durch das neue Verfahren der Klangwendung
läßt sich eine einzige Tonkanzellenreihe mit mehrerlei Pfeifen oder Zungen besetzen,
indem deren unterschiedliche Klangfarben, Klangstärken und, wie später zu zeigen;
auch Klanghöhen allmählich ineinander übergehen.
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Ferner befindet sich auf Abb. 2 zwischen den Bohrungen der Geigenprinzipalpfeife
'h und c' in der Registerkanzelle gleichfalls eine Trennung x, so daß Baß- und Diskanthalbierung
der Gesamtreihe bewirkt wird, ebenso wie in Abb. i.
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Jede der beiden Hälften ist für sich spielbar. Beide Hälften ergänzen
sich zu einer einzigen Gesamtreihe. Der Ort der Teilung kann ebensogut an irgendeiner
anderen Stelle sein. Die Teilung braucht nicht, kann jedoch nach Belieben mit irgendeiner
Klangwendung zusammenfallen. Für das neue Verfahren ist ein Vorhandensein oder Fehlen
überhaupt nicht von Belang. Es soll aber darauf hingewiesen werden, daß einer klangwendenden
Tonreihe das Recht auf solche Unterteilungen, auch Kupplungen aller Art, ebenso
zusteht, wie den Reihen bisheriger Bauart.
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Nun seien auch in der Beispielsreihe von Abb. 2 z. B. die Tonkanzellen
g und g' miteinander gekuppelt, indem z. B. ebenso wie in Abb. i Grundreihe und
Kupplung zugleich gezogen und die Taste g niedergedrückt ist. Dann müssen zugleich
erklingen: Vox-humana-Ton - g und Gamba-Ton - g'. Folglich findet keine bloße Oktavverdopplung
statt wie in Abb. i, sondern es steht als zweiter Punkt des Verfahrens fest: mittels
einer einzigen Taste sind verschiedenerlei, in einer einzigen Grundreihe enthaltene
Klangfarben bzw. Klangstärken spielbar zu machen.
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Die Tonhöhe der durch beliebige Spielhilfen zu kuppelnden Klangfarben
oder Klangstärken wird meistens um eine Oktave verschieden sein. Doch auch in dieser
Beziehung ermöglicht die neue Einrichtung der Klangwendung etwas Neues. Denn es
benötigt nur klangliche Weiterführung einer Reihe von Ton zu Nachbarton und von
einer Taste zur nächsten. Aber es ist nicht an genaue Übereinstimmung zwischen Tastenname
und Klanghöhe gebunden (vgl. oben). An einem Ausführungsbeispiel 3 einer klangwendenden
Gesamtreihe dürfte dies klar werden: Man könnte z. B. eine von Taste C fortschreitende
Tonkanzellenreil`ie wie folgt »klangwechseln« i. Einerseits betreffend Tonstärke:
C-h = abnehmend. C'-f3 - anwachsend. fis3-d4 = wieder abnehmend. dis4-f4 - wieder
zunehmend.
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2. Anderseits betreffend Klangfarbe und Klanghöhe. Zunächst, so wie
schon-in Abb. --
angenommen, nämlich. C-H = Orgel-Fagott-Charakter. c-gis
- Vox-humana-Zungen. a-d' - Labialpfeifen, nämlich Geigenprinzipal. dis'-g' - enger
werdende Mensur bis zu einer stark streichenden Gainba.
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Nun betrachte man Abb. 3 als Fortsetzung derselben einen Grundreihe.
Da möge sein Abschnitt »A«: gis'-h' - schwächer werdender »Strich«, also
Übergang zu Quintatön. Abschnitt »B«: c2-e2 = überblasende Flöte, d. h., an Stelle
des bei Quintatön hervortretenden Obertons der Duodezime treten jetzt der q.-Fuß-
und der 2-Fußoberton hervor.
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Abschnitt »C«: f2-d3 = Gedeckt, d. h. immer weniger Obertonbeiklang,
sich mehr grundtönig verdunkelnd.
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Abschnitt »D«: dis'-9' - ebenfalls Gedeckt, aber gleichzeitig,
also auf gleicher Bohrung stehend, und beide durch eine gemeinsame einzige Leitung
mit der Taste verbunden, eine Quinte 5'/3, so daß die Tasten hier chorisch besetzt
sind, und die Gedeckt-Klangfarbe durch Bildung eines leisen sechzehnfüßigen Kombinationstones
Zwischen beiden Arten von Pfeifen noch dunkler erscheint.
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Abschnitt »E«: gis3-c4 = Eintritt einer auf die Klanghöhe bezüglichen
»Klangwendung«, in dem Gedeckt 8' auf Quint io2h' und die bisherige Quint 5'/3'
auf Terz 62
»herabsinkt«. Folglich ertönt ab Taste gis3-c4 überhaupt
keine grundtönige Pfeife, sondern ein gemischter Klang, welcher nebenbei bemerkt
in diesem Falle der »Sesquialtera«-Mixtur bisheriger Orgeln gleicht. Hier verliert
sich also die bisher in der Beispielsreihe vorhandene Übereinstimmung zwischen Tastenname
und Klanghöhe. Es bleibt aber das für eine Gesamtreihe neuer Art überhaupt zu fordernde
Merkmal ihrer klanglichen Weiterführung von Ton zu Nachbarton und von einer Taste
zur nächsten. Es ist auch das Merkmal des allmählichen Überganges vorhanden. Denn
bei einstimmigem Spiel kommt die Herabsenkung, besonders, wenn sie wie hier in höheren
Tonlagen erfolgt, akustisch kaum zum Bewußtsein, während sie bei mehrstimmigen Griffen
innerhalb der Tonreihe ein Plus an Farbe, Glanz und Beweglichkeit hervorruft. In
ähnlicher `-eise folgen nun bei Abschnitt »F«: cis4-f4: Eintritt einer weiteren
auf die Klangwirkung bezüglichen Klangwendung, indem die vorige Sesquialtera fortgesetzt
wird, aber sich allmählich abschwächt, dagegen als neu zugleich hinzutritt (zunächst
schwach, aber allmählich ihrerseits stärker werdend): Gamba 16' plus dazu schwebend
gestimmter voix celeste i6'.
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Dann klänge z. B. der Grundton der Taste Cis4, weil er r6füßig ist,
ebenso hoch wie der Grundton der Taste cis3 (in Abschnitt »C«), weil dieser wiederum
8füßig ist. Trotzdem kann diese erneute Klangsenkung nicht als eine Repetition derart,
wie sie im bisherigen Instrumentenbau geübtwird, bezeichnet werden. Denn wiederum
ist die Gesamtgrundreihe von Ton zu Nachbarton und von einer Taste zur nächsten
in allmählichem Ausgleich weitergeführt. Und erst durch wiederholte Klangsenkungen
ist auf zwei verschiedenen Tastenoktaven die gleiche Klanghöhe zustande gekommen.
Es sind aber bei gleicher Tonhöhe verschiedenerlei Klangfarben oder -stärken vorhanden,
in diesem Beispiel: Taste cis3 -stärkerer Gedecktklang, Taste Cis4 - Voixceleste-Klang.
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Wenn also z. B. ebenso wie in Abb. x die Grundreihe und ihre Kupplung
der höheren Oktave zugleich gezogen und die Taste cis' niedergedrückt ist, dann
ist damit - Punkt 2 ergänzend - bewiesen, das mittels einer einzigen Taste verschiedenerlei
in einer einzigen Grundreihe enthaltene Klangfarben oder Klangstärken, sogar solche
von gleicher Tonhöhe, spielbar zu machen sind.
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Ferner ist als dritter Punkt aus diesem Sonderfall des Wechselns der
Klanghöhe zu folgern Ebenso wie sich mittels gelegentlicher »Senkung« zu neuen Grundtonfarben
hin »wechseln« oder »wenden« ließe, könnte auch eine anfangs irgendwo als künstlicher
Teilton eingeführte Quint oder Terz oder Septime allmählich selbst als neuer Grundton
betrachtet werden, so daß die ganze Reihe gegenüber den Tastennamen gerade um eine
Quint oder Terz oder Septime höher oder tiefer sich gewendet hätte. Kurzum, durch
verschiedenartiges und mehrfaches Klangwenden der Klanghöhen ließe sich jede außerdem
auch betreffs Klangfarbe und Klangstärke klangwendende Reihe unendlich weit fortsetzen
und in bezug auf Klangfarbe, Klangstärke und Klanghöhe durch beliebige Kupplungen
immer weiter mischen. Denn sie kann ja beliebig oft (entsprechend der erwähnten
Baßdiskanthalbierung) untergeteilt werden; es können aus ihr beliebige Kupplungen
entwickelt werden. Die so entstehenden Klangzüge können in gleicher Weise wie bisherige
Register oder Spiele allen erdenklichen Vorrichtungen eines Spieltisches, wie Tastaturen,
Pedal, Schaltvorrichtungen, unterworfen werden.