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Kunstseidene Textilwaren. Bei der Herstellung von Textilwaren aus
Kunstseide, gleichgültig, ob dieselben auf dein Webstuhl, Bandstuhl, Wirkstuhl,
Tüllwebstuhl oder auf der Flecht-, Häkel- oder Strickmaschine oder auch auf anderen
Maschinen erzeugt «-erden, war bisher der Kreis der techiüschen Möglichkeiten sehr
beengt .durch gewisse Eigentümlichkeiten, die in der che-:iiischen und physikalischen
\atur der Kunsteide liegen. Alle Kunstseiden, die heute in cler Textilindustrie
eine Rolle spielen, bestehen aus Zellulose, wie beispielsweise auch das Holz oder
das Papier, dem sie in allen Eigenschaften sehr nahe kommen. Man bemüht sich jedoch
beim Spinnen der Kunstseide, Fäden von einer so- außerordentlichen Feinheit herzustellen,
wie wir sie beispielsweise an dem chemisch gleichartigen Holz oder Papier nicht
kennen. Diese Feinheit bedingt eine Reihe von physikalischen Eigenschaften, die
nur der Kunstseide eigentümlich sind und von denjenigen aller anderen Zelluloseprodukte
ganz erheblich abweichen. Hierzu gehört vor allein eine große Weichheit und Geschineidi-keit
des Fadens, die durch nachträgliche heliaiidlung der fertigen Kunstseide finit Seife
oder anderen weichmachenden Mitteln oder auch durch mechanische Behandlung, wie
l.hevellieren usw., noch bedeutend verstärkt werden kann Auf diese Weise entsteht
zwar ein Textilfabrikat von bedeutendem technischen Wert, Glas aber die spezitischen,
chemischen und physikalischen Eigenschaften. die allen Zellu-Io;eprodukten anliafien,
zum Teil noch aufweist. Gerade diese Eigenschaften behindern aber die @-erwen dang
cler Kunstseide für textile Zwecke der verschiedensten Art, und sie laben es vor
allein unmöglich Beinacht, die echte Seide auf den Textilgebieten. zu verriräii,#en,
zvo ein solcher Ersatz infolge der sonstigen schönen Eigenschaften der Kunst-5cicle
ei.--entlich sehr wohl möglich sein sollte. 1:s ist daher in der Kunstseide wohl
ein wertvoller und schöner neuer Textilfaden zewonnen; -er bildet jedoch nicht in
allen Fällen einen wirklichen Ersatz für echte Seide.
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Prüft man näher, worin die Gründe dieser Mängel der Kunstseide gegenüber
der echten Seide liegen, so zeigen sich dem Fachmann vor allein ganz außerordentliche
Schwierigkeiten in der mechanischen Verarbeitung -der hunstscide, gleichviel, auf
welchen Textilinaschinen diese Verarbeitung vorgenommen wird. Die auf der Kunstseidemaschine
gewonnene l#-uiistsei:de stellt sich als ein Fadenbündel aus ganz außerordentlich
feinen Kapil--larfäclen dar, welch letztere infolge ihrer zelhilosear tigen clicmischen
Natur eine sehr geringe Festigkeit und Haltbarkeit besitzen. Es war deshalb unmöglich,
auf einem Web- oder Wirkstuhl oder auf Flecht-, Strick- oder Hä kelniaschineü diese
angedrehte, ungezwirnte liunstseide zu verarbeiten, weil die feinen I@apillarfi@len
stets so viele stellen finden, daß dieselben sofort durch-Cle,cheuert werden. Sind
aber erst einmal einzelne Kapillarfaden gerissen, so besitzen bald auch die übrigen
keine <,enii,-encle Haltbarkeit mehr und der ganze Faden reißt. Beispielsweise
verdient
.hierbei ganz besonders die Verarbeitung auf dem Webstuhl hervorgehoben zu werden.
wo die feinen Kapillarfäden durch die Bewegung des h#leteS und durch die Reihung
in den I<ämnien, im Harnisch, in den Schäften und sonstigen Geschirrteilen sofort
zerschnitten und zerstört «-erden, so daß man nicht in der Lage ist, ordnungsmäßig
zu arbeiten und immer eine fehlerhafte Ware erhält. Ganz besonders würde sich dies
bei Herstellung dicht gewebter, viel Kette und viel Schoß enthaltender Ware, wie
sie den meisten Waren aus echter Seide entsprechen würde, zeigen. Infolge der beim
Öffnen und Schließen des Faches entstehenden Reibung reißen immer einzelne der Kapillarfäden,
und es kann sich deshalb niemals ein reines Fach bilden, weil die abgelösten Fäden
stets die Kettenfäden vom Oberfach zum Unterfach ziehen und umgekehrt. Ähnliches
tritt ein bei Verwendung der von der Kunstseidenmaschine gelieferten Fadenbündel
im Schoß. indem auch hier einzelne Fädchen beim Abzug von Spulen reißen und zurückbleiben.
Es reißen dann mehr und mehr Kapillarfädchen und endlich reißt der ganze Faden.
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Bei den Flecht-, Häkel-, Strick- und Wirkinaschinen liegen die Verhältnisse
noch viel ungünstiger. da der Kunstfaden in den sehr zahlreichen Augen, Ösen usw.
dieser Maschinen noch weit mehr Reibestellen passiert und durch Klöppelgewichte
und andere Spannvorrichtungen noch stärker beansprucht wird als auf dem Wehstuhl.
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Man hat nun diese Übelstände bisher dadurch zu beseitigen und .die
Kunstseide da-.durch auf den verschiedenen Textilmaschinen verarbeitungsfähig zu
machen gesucht, daß man die auf den Kunstseideninaschinen -ewonnenen Kunstseidefäden
zwirnte. Es sind demgemäß alle bisher auf den Markt gekommenen kunstseidenen Textilwaren
aus gez,uvirnter Kunstseide gearbeitet. Durch die Zwirnung wird .der Kunstfaden
fester und seine Verarbeitung leichter, gleichzeitig wird er aber auch starrer und
erhält dadurch gerade diejenige Eigenschaft, die ihn der echten Seide gegenüber
minderwertig macht. Dies ist uni so mehr der Fall, da die Drehung hei der Zwirnung
eine verhältnismäßig feste sein muß, um der Kunstseide die zur Verarbeitung erforderliche
Festigkeit zu gehen. Endlich verteuert die Zwirnur g die Kunstseide und damit auch
die daraus hergestellten Waren ganz wesentlich, ila dazu die von den T@tinstseiclenmaschinen
gelieferten hun@t@ci@lrn zunächst gespult. dann gezwirnt und endlich wieder zur
Erzielung der Strähnenforni geliaspelt werden müssen.
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Die Erfindung hat nun neue kunstseidene Textilwaren jeglicher Herstellungsart
zum Gelgenstand, bei denen die vorerwähnten 3längel vufl und ganz vermieden sind.
Die rrfindun- besteht darin, claß für die Herstelhing (lieser neuen kunstseidenen
Textilwaren ganz oder teilweise Fadenbündel aus unmittelbar von den Maschinen gelieferten
Fäden verwendet sind, also Fäden, die nicht gezwirnt sind, die aber durch ein Appreturmittel
zusaininengehalten «-erden.
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Die Appretur kann in an sich bekannter Weise, z. B. nach folgendem
Verfahren, ausgeführt werden: io kg trockene, urgedrehte Kunstfäden werden bei
30 his 4o° C durch eine Lösung von a kg bestem Lederleim, il/, kg löslicher
Stärke und a kg guter Kernseife gezogen, wobei die Flüssigkeitsmenge i5o 1 nicht
übersteigen soll.
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Nach dein Umziehen wird die Ware ausgewrungen, geschleudert und getrocknet.
Nach dein Trocknen oder auch noch in luftfeuchtem Zustand können die Kunstfäden
nach Bedarf etwas gestreckt, chevelliert und in möglichst ausgebreitetem Zustand
völlig getrocknet werden.
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Die Herstellung der Textilwaren selbst bietet keine Schwierigkeit,
gleichviel auf welcher Maschine sie erfolgt, da die Fadenbündel infolge rler Appretur
eine für -die Verarbeitung -eiiügende Härte und Haltbarkeit besitzen. Bei sehr starker
Beanspruchung der l#Zettfäden reißen wohl bisweilen einzelne Kapillarfädchen, aber
sie brechen dann glatt ab, ohne den weiteren Fadendurchgang aufzuhalten und die
weiteren Fäden vor dem Geschirr aufzustauen und ein Reißen des ganzen Fadens zu
veranlassen. Dieselben Vorteile ergehen sich beim Durchgang der sehr zahlreichen
Ösen und Reibungsstellen anderer Tettilniaschinen, so daß sich in allen Fällen eine
tadellose U-are ergibt..
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Dabei besitzen diese neuen Textilwaren, was keineswegs für den Fachmann
vorauszusehen war. eine ganze Reihe von Eigenschaften, die sie den aus Naturseide
gefertigten Waren viel näher bringen, als dies bisher der Fall war. Sie besitzen
einen ganz ähnlichen Glanz und eine ebensolche Weichheit, da das aus Fadenbündeln
bestehendegeschlichtete Garn seinen Glanz und seine Weichheit, also gerade die wertvollsten
Eigenschaften der Kunsteide. in überraschender Weise behält. Ferner lassen die neuen
Waren sich viel dichter Tierstellen als die bisherigen, und sie bleiben voll tinrl
offen. Die Seidenähnlichkeit kann flahei dadurch noch erhöht werden, daß man die
Appretur aus der fertigen Ware wieder entfernt. Die einzelnen Kapillarfäden vermögen
sich dann nach jeder Richtung hin auszubreiten, dichter noch aneinander und ineinander
zu legen, wodurch nian eine sehr
volle, kräftige und besonders seidenähnliche
Ware erhält.
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Außerdem ergeben sich hei diesen neuen Waren ganz außerordentliche
Ersparnisse infolge der wesentlichen Vereinfachung des ganzen Arbeitsganges, da
die kostspielige: Operationen des Verzwirnens ganz in Wegfall kommen und die an
deren Stelle tretende Appretur der Fadenbündel nur wenig Arbeit und Kosten erfordert.
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Bemerkt sei noch, daß diese neuen kunstseidenen Waren auch teils aus
anderen Textilfasern, wie Baumwolle, Seide usw., hergestellt sein können. -