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Das Rechnen im Zahlenraum 20 (in der ersten Grundschulklasse) und im Zahlenraum 100 (in der zweiten Grundschulklasse) stellt für viele Grundschüler eine Herausforderung dar, insbesondere für jene, die eine Rechenschwäche (Dyskalkulie) aufweisen. Eine wichtige Grundfertigkeit für das Erlernen mathematischer Fähigkeiten besteht darin, Zahlen als Repräsentanten von Mengen zu verstehen (Kardinalzahlaspekt). Währenddessen interpretieren Kinder mit Rechenproblemen Zahlen meist als Rangplatz in der Zahlenfolge (Ordinalzahlaspekt). Diese Kinder entwickeln keine zutreffende Vorstellung von den Mengenmächtigkeiten, mit denen in den Grundrechenarten operiert wird. Die Bedeutung der erzielten Rechenergebnisse bleibt somit unverstanden.
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Rechenunsichere Schüler eignen sich als kompensatorische Fähigkeit das serielle Zählen mit Hilfe der Finger an, jedoch gelingt ihnen weder die Simultanerfassung kleiner Mengen (bis zu vier Teile) noch die Bündelung in Fünfer- und Zehnereinheiten. Auch die Zehnerüberschreitung und eine Unterscheidung der Stellenwerte in Einer, Zehner und Hunderter können nicht nachvollzogen werden.
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Den bislang verwendeten Anschauungsmaterialien zur visuellen Vermittlung von Mengenvorstellungen bei Rechenoperationen in den Zahlenräumen 20 bzw. 100 gelingt es nicht ausreichend, die Zusammenhänge von konkretem Handeln, bildlicher Darstellung und numerisch-abstrakter Symbolisierung herzustellen.
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Zum Stand der Technik
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Das älteste und grundlegendste Rechenhilfsmittel zur Abbildung und Durchführung von Rechenoperationen stellt der Abakus dar, der vermutlich um 1100 v. Chr. im indo-chinesischen Kulturraum erfunden wurde. Obwohl der Abakus komplizierte Operationen weit über den Zahlenraum 100 hinaus ermöglicht, ergibt sich die – anschauliche – Schwierigkeit, dass die verwendeten Rechenelemente (Holzkugeln oder Ähnliches) unterschiedliche Stellenwerte repräsentieren und somit rechenunsicheren Schülern keine verlässliche Orientierung bieten bezüglich der Mächtigkeit von Mengen.
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Der Rechenrahmen mit 20 bzw. 100 Perlen, dekadisch geordnet, ermöglicht zwar die Bündelung in Teilmengen durch horizontales Verschieben, doch stellt es sich als nachteilig heraus, dass kleine Teilmengen nur sukzessive und zählend zusammengestellt werden können. Auch leidet die Anschaulichkeit der durchgeführten Rechenoperationen darunter, dass keine klare Abgrenzung zwischen relevanten und nicht-relevanten Mengen dargeboten wird. Da Lücken verwendet werden zur Abgrenzung von Mengen leidet die Übersichtlichkeit mit der Folge visueller Irritation.
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Nachteil des Zahlenstrahls ist es, dass Kinder eine Tendenz entwickeln, durch Zählen zur Lösung zu kommen. Eine flächenhaft-geometrische Abbildung von Mengen ist nicht möglich. Der Ordinalzahlaspekt dominiert gegenüber dem Kardinalzahlaspekt.
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Die Kieler Zahlenbilder weisen keine Fünferbündelung auf. Die Farbenvielfalt kann visuell irritieren. Bei der Addition müssen Elemente umverteilt werden, so dass die Struktur der Mengenbilder verloren geht.
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Bei den farbigen Cuisenaire-Stäben wird die Mächtigkeit der Zahlen von 1 bis 10 anhand unterschiedlicher Längen veranschaulicht. Die dekadische Struktur des Zahlenraums lässt sich nicht darstellen. Zur Zehnerüberschreitung müssen die Stäbe ausgetauscht werden. Die Farbenvielfalt der Holzstäbchen kann verwirren.
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Rechenketten werden bei der Abbildung von Quanten im Zahlenraum 100 unübersichtlich und sind kompliziert in der Handhabung. Der Zahlenraum ist nicht vorstrukturiert.
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Hundertertafeln heben den Ordinalzahlaspekt hervor, Rechenoperationen werden eher schematisch als anschaulich vollzogen, Mengen können schlecht bebildert und gegeneinander abgegrenzt werden.
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Die Dienes- oder Mehrsystemblöcke eignen sich zwar gut zur Veranschaulichung auch großer Mengen, doch sind die Teile eher umständlich und zeitaufwendig zu handhaben, da es sich um loses Material handelt. Das Umtauschen von Einheiten stellt eine Schwierigkeit dar.
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Der Schwerpunkt des Zahlen-Struktur-Materials besteht in der Darstellung von Stellenwerten im Zahlenraum bis 10000. Ähnlich wie beim Abakus können Mengen nur abstrahiert abgebildet werden, nicht als Summe von gleichartigen Grundelementen.
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Die Wasserglasmethode nach Angelika Schlotmann arbeitet zur Mengendarstellung mit zylindrischen Gläsern, in die „schluckweise” gefärbtes Wasser eingefüllt wird. Einerseits erscheint die gewählte Form der Veranschaulichung aufwendig, andererseits bleibt ein zählendes Rechnen erhalten. Statt einer Simultanerfassung kleiner Mengen muss oft geschätzt werden.
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Schließlich ist noch das Rechnen mit Legosteinen nach Miriam Stiehler zu erwähnen. Obwohl diese Methode gut handhabbar und auch anschaulich ist, fehlen sowohl die Fünfer- wie auch die Zehner-Bündelung, im Zahlenraum 100 kann nur mit großem Aufwand operiert werden.
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Zugrunde liegendes Problem und Lösung
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Viele Grundschüler benötigen zur Einübung der Grundrechenarten die Möglichkeit einer visuellen Vergewisserung mathematisch-abstrakter Operationen. Insbesondere dort, wo Zahlen in ihrer Eigenschaft als Stellvertreter von Mengen nicht erkannt werden, kommt es zur Verunsicherung. Ungünstigerweise werden Zahlen lediglich als Platzhalter in einer festgelegten Zahlenreihe verstanden. Es entwickelt sich die Methode des zählenden Addierens und Subtrahierens, meist mit Hilfe der Finger.
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Zur Ablösung des zählenden Rechnens und zur anschaulichen Darstellung von Rechenmengen wurde die Mengenabbildende Rechentafel zur Darstellung der Grundrechenarten in den Zahlenräumen 20 und 100 entwickelt. Mittels zweier Folienstreifen, die sich vor dem Hintergrund des verwendeten Zahlenraumes bewegen lassen, können die Mächtigkeiten der Operanden versinnbildlicht werden. Die für eine Rechenoperation jeweils relevanten Mengen werden hervorgehoben und begrenzt. Der nicht relevanten Restmenge wird eine periphere Rolle zugewiesen, indem sie mit einem eingetrübten Folienstreifen überdeckt wird. Da nur ein einziges Bedienungselement der Rechentafel farblich hervorgehoben ist (der obere Folienstreifen), wird einer visuellen Reizüberflutung vorgebeugt.
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Durch das beidhändige horizontale und vertikale Bewegen der Folienstreifen werden basale taktil-kinästhetische Wahrnehmungsleistungen trainiert, ebenso wie die visuomotorische Koordination. Die Handhabung der Mengenabbildenden Rechentafel ist einfach. Rechenoperationen können innerhalb kurzer Zeit vollzogen werden. Ergebnisse lassen sich auf unterschiedlichen Lösungswegen herbeiführen. Da sich die Folienstreifen ineinander fügen lassen, ist die Null abbildbar.
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Die Stufenbildung der Folienstreifen ermöglicht eine Simultanerfassung kleiner Mengen, so dass die Fähigkeit zur schnellen visuellen Erfassung einer begrenzten Anzahl von Objekten geschult wird. Zählende Strategien werden überflüssig. Die Stufenbildung der Folienstreifen erlaubt auch eine Veranschaulichung der Stellenwerte (Einer befinden sich zu beiden Seiten der Stufe). Durch vertikales Bewegen der Folienstreifen sind dekadische Transferleistungen (Analogiebildungen) unkompliziert abzubilden.
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Zehner- und Zwanziger-Zerlegungen können visuell unmittelbar veranschaulicht werden. Auch lassen sich Umkehraufgaben und Wechsel zwischen den Rechenarten gut darstellen. Die grafische Gliederung der Zahlenräume 20 bzw. 100 entspricht dem Bündelungsprinzip in Fünfer-, und Zehner-Mengen. Mit dem Verzicht auf einen der beiden Folienstreifen wird ein sukzessiver Übergang zum abstrakten Rechnen ohne Zuhilfenahme von Anschauungsmaterial ermöglicht. Die Mengenabbildende Rechentafel für den Zahlenraum 20 ist strukturgleich mit derjenigen für den Zahlenraum 100, so dass ein Methodenwechsel zwischen erster und zweiter Klasse nicht erforderlich ist.
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Ausführungsbeispiel
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Zeichnung A zeigt eine Draufsicht der Mengenabbildenden Rechentafel, welche beim Rechnen entweder in den Händen gehalten wird oder mit Hilfe eines abgewinkelten rückwärtigen Fußes, schräg geneigt auf der Tischfläche steht. Die seitlichen Kanten der Grundplatte sind im Querschnitt halbkreisförmig ausgeführt, damit sich die beiden Folienstreifen sowohl horizontal wie auch vertikal leicht verschieben lassen. Zur Griffigkeit und taktilen Stimulation weisen die Folienstreifen eine aufgeraute Oberfläche auf.
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Die Grundplatte (aus Holz oder Kunststoff) hat für den Zahlenraum 100 etwa die Größe DIN A5 (beim Zahlenraum 20 etwa die Größe DIN A6) und eine Dicke von ein bis zwei Zentimeter. Auf der Grundplatte fixiert ist eine grafische Abbildung des Zahlenraums 100 (bzw. des Zahlenraums 20). Die Zahlenräume weisen sowohl eine Fünfer-, wie auch eine Zehner-Bündelung auf. Beim Zahlenraum 100 ergibt sich zusätzlich eine Fünfundzwanziger-Bündelung.
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Zur Darstellung von Addition und Subtraktion (Zeichnung A):
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Der obere, umlaufend transparente Farbfolienstreifen (1) – vorzugsweise in gelber Tönung – dient der Abbildung und Definition des ersten Summanden bei der Addition und der Differenz bei der Subtraktion. Die untere Trennungslinie weist eine Stufe auf (2). Der untere, ebenfalls umlaufend transparente Folienstreifen (3) – vorzugsweise in Grau oder milchig-trüb – deckt diejenige Restmenge ab, die bei einer Rechenoperation nicht relevant ist. Dieser Folienstreifen weist an der oberen Trennungslinie ebenfalls eine Stufe auf (4). Die zwischen beiden Folienstreifen entstehende Lücke bildet den Mengenumfang des zweiten Operanden ab (5).
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Beide Folienstreifen sind horizontal wie vertikal verschiebbar (6). Zur Miteinbeziehung von Mengenanteilen, die von den Folienstreifen nicht erfasst werden (7), weisen diese einen oberen bzw. unteren Abschluss in Form einer Wellenlinie auf (8). Durch passgenaues Ineinanderfügen von oberem und unterem Folienstreifen kann die Null abgebildet werden.
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Zur Darstellung von Multiplikation und Division (Zeichnung B):
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Die erste Möglichkeit besteht in der Darstellung der Multiplikation als mehrfache Addition gleichgroßer Summanden. Der Muliplikand wird hierbei mit dem gelben Folienstreifen überdeckt und somit definiert. Entsprechend der Größe des Multiplikators, wird nun der untere Folienstreifen abschnittsweise weiterbewegt, das Produkt kann unmittelbar abgelesen werden.
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Eine zweite Möglichkeit (nur für den Zahlenraum 100) ergibt sich, wenn der schräg nach links unten zeigende Pfeil (1) des oberen Folienstreifens (2) nach rechts bewegt wird, bis er auf den jeweiligen Multiplikator zeigt. Nun wird der untere Folienstreifen (3) nach unten verschoben, zur Definition des Multiplikanden. Das Produkt ergibt sich als diejenige Menge, die links-unterhalb des Pfeils abgebildet ist.
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Die Rechenschritte zur Ausführung der Divisionen erfolgen in Umkehrung der Vorgehensweise bei der Multiplikation.