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Verfahren zur Herstellung eines neuen Glykosides aus der roten Meerzwiebel
Die rote Form der Meerzwiebel (Seilla maritima) ist schon lange als giftig für Nagetiere,
insbesondere für Ratten und Mäuse, biekannt. Die rote Meerzwiebel ist zur Bekämpfung
.der schädlichen Nagetiere deshalb von besonderem Interesse, weil der Wirkstoff
für andere Tiere in den zur Anwendung gelangenden Konzentrationen praktisch unschädlich
ist. Da der Gehalt der Droge an dem für die Ratte giftigen Prinzip sehr unterschiedlich
ist und von vielen Faktoren (Provenienz, Vegetationsperiode, Lagerung usw.) abhängt,
so ist die Verwendung von rohen Auszügen oder von Zwiebeltrockenpräparaten unsicher
in der Wirkung.
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Es sind auch schon verschiedene Verfahren zur Anreicherung des Rattengiftes
vorgeschlagen worden, die aber nicht zu einheitlichen Erzeugnissen führten. So wurde
das wirksame Prinzip zusammen mit anderen Ballaststoffen aus .der Droge mit Aceton
oder mit essigsäurehaltigem Alkohol oder mit Wasser, wässerigem Alkohol und Methanol
extrahiert. D. Mann (Seifensieder-Zeitung 1937, Seite 255) erwähnt, daß das
wirksame Prinzip der roten Meerzwiebel ein Glykosid der Formel C15 H20 O6 sei. Zu
dieser Formel führten die Untersuchungen von F. H. J. Picar.d (Dissertation, Referat
in Ph arm. Ahstracts Bd.3, 1937, S. i22). Picard gewann seine Präparate folgendermaßen:
Drogenaüszüge wurden einer Behandlung mit Bleisalzen unterzogen. Durch Erhitzen
der Trockenpräparate auf 105 bis iio° wurden die Herzglykoside zerstört und
hierauf die toxische Substanz an Tierkohle absorbiert. Der Rückstand des Eluates
wurde aus Essig ester-Äther umgefällt. Nach einer Analyse
und Malekulargewichtsbestimmung
dieses nicht kristallisierenden Präparates schloß P i c a r d auf die Formel Cis
H., O6. Angaben über Schmelzpunkt und Drehung wurden nicht gemacht. Nach einer anderen
Arbeitsweise wird gepulverte Meerzwiebel mit 8o °1oigem Alkohol extrahiert und ,der
Wirkstoff aus wässeriger Lösung an Tierkohle adsorbiert.
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Es wurde nun gefunden, daß man aus der roten -Meerzwiebel ein bis
jetzt unbekanntes und als sehr starkes Nagetiergift wirkendes kristallisiertes Glykosid
isolieren kann, wenn man die nach bekannten Verfahren aus der roten Meerzwiebel
gewonnenen wasserhaltigen Auszüge, die das Glykosid in unversehrter Form enthalten
müssen und gegebenenfalls einer Reinigung mit Schwermetallsalzen unterworfen worden
sind, mittels organischer, mit Wasser nicht mischbarer Lösungsmittel oder mit deren
Gemischen unter Zusatz eines Alkohols mit mindestens q. C-Atomen extrahiert und
vorzugsweise nach Eindampfen des ersten Extraktes und Aufnehmen des Rückstandes
mit Wasser diese Extraktion mit dem Lösungsmittelgemisch nochmals wiederholt.
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Das neue technisch rationelle Verfahren beruht auf der Beobachtung,
@daß das Rattengift durch mit Wasser nicht mischbare organische Lösungsmittel nur
wenig aus der wässerigen. Lösung ausgeschüttelt werden kann, dagegen leicht und
quantitativ, wenn man einen Alkohol mit mindestens d. CAtomen, wovon selbst geringe
Mengen genügen, zusetzt.
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Nach diesem Verfahren gelingt es, aus der roten Meerzwiebel das bisher
unbekannte krystallisierte Glykosid zu isolieren, welches das für Ratten und andere
Nagetiere spezifisch toxische Prinzip der Droge darstellt. Dadurch wird es möglich,
Präparate zu bereiten, ,die das Gift in der gewünschten Menge und mit Zusätzen,
auf welche die l\Tager besonders ansprechen, enthalten.
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Zur Extralotion, mit der :das Rattengift möglichst erschöpfend und
mit wenig Ballaststoffen aus der Droge herausgelöst wird, sind besonders hochprozentige
Alkohole, wie z. B. Äthyl- oder Methylalkohol, geeignet. Die Extraktion kann sowohl
in der Wärme als auch in der Kälte durchgeführt werden. So gewonnene Meerzwiebelextrakte
enthalten viel Farbstoff und noch Verunreinigungen, die bei der weiteren Verarbeitung
auf kristallisiertes Rattengift störend wirken.
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Die nach Einengen .der Extrakte erhaltenen intensiv rot gefärbten
Rückstände werden daher vorteilhafterweise in Wasser gelöst und nach den üblichen
Verfahren einer Behandlung mit Schwermetallsalzen unterworfen, wodurch die Farbstoffe
niedergeschlagen werden. Aus dem Filtrat wird das Nagetiergift durch Extraktion
mit organischen Lösungsmitteln, die mit Wasser nicht mischbar sind, unter Zusatz.
eines Alkohols ma mindestens ,4 C-Atomen gewonnen. Diese I?xtraktion mit dem Lösungsmittelgemisch
kann nach Eindampfen des ersten Extraktes und Aufnehmen des Rückstandes in Wasser
wiederholt werden. Für die Ausschüttelungen mit dem erwähnten Lösungsmittelgemisch
kann man auch wässerige Lösungen solcher Präparate verwenden, die durch Extraktion
des konzentrierten wässerigen Drogenextraktes mit einem mit Wasser nicht mischbaren
Alkohol mit mindestens ¢ C-Atomen gewonnen werden.
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Als mit Wasser nicht mischbare Lösungsmittel kommen acyclische, cyclische
und arornatische Kohlenwasserstoffe und deren halogenierte und nitrierte Derivate,
ferner Äther und Ester und Alkohole, die mindestens .I C-Atome enthalten, in Frage.
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Als besonders geeignet für die Ausschüttelung des Rattengiftes aus
wässeriger Lösung erwiesen sich die halogenierten Kohlenwasserstoffe, wie Chloroform,
3fethylenchlorid oder Tetrachlorkohlenstoff, und als Alkohole, welche die Extraktion
wesentlich begünstigen, Butylalkohole, Amylalkohole, Hexylalkohole, Benzylalkohol,
Cyclohexanol u. a., wobei die niedrigsiedenden den Vorzug verdienen.
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Für diese Ausschüttelungen ist eine Vorreinigung durch Schwermetallfällung
nicht unbedingt notwendig. Gegebenenfalls werden Verunreinigungen, wie Fette, Öle,
gelbe Zersetzungsprodukte, die in Fettlösungsmitteln allein schon löslich sind,
mit Chloroform, Äther oder Petroläther vorgängig entfernt.
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Schüttelt man eine wässerige, aus roter Meerzwiebel bereitete, das
Rattengift enthaltende Lösung mit Chloroform, dem man z. B. i 5 bis 2o'/, oder noch
mehr Butylalkohol zusetzt, aus, so geht das Rattengift mit den herzwirksamen MeerzwiebelgIvkosiden,
.die durch die Liebermannsche Farbreaktion gekennzeichnet sind, quantitativ in das
Chloroform über. Der Eindampfrückstand der Chloroform-Butylalkoholausschüttelungen
enthält das Rattengift zwar bereits stark angereichert. Im allgemeinen läßt es sich
aus diesemSubstanzgemisch jedoch noch nicht kristallisieren. Es ist dafür eine weitere
selektive Ausschüttelung, die es von den anwesenden Herzglykosiden abtrennt, nötig.
Man löst oder suspendiert eben den Rückstand in Wasser und schüttelt das Rattengift
mit einem mit Wasser nicht mischbaren Lösungsmittel, vorzugsweise Chloroform, dem
man bis 511/0 eines mit Wasser nicht mischbaren
Alkohols, z. B.
Butylalkohol, zugesetzt hat, aus. Die Begleitstoffe bleiben in der wässerigen Lösung
zurück. Das Rattengift ist nun so weit angereichert und von kristallisationshemmenden
Beimengungen befreit, daß es aus dem Eindampfrückstand durch Anreiben mit wenig
Methylalkohol und etwas Wasser kristallisiert.
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Eine für die Kristallisation ausreichende Abtrennung von Begleitstoffen
wird -auch erzielt, wenn man :die ursprüngliche wässerige Rohlösung' mit Chloroform,
dem man bis zu 5% Butylalkohol zusetzt, direkt ausschüttelt. Die so erhaltenen Präparate
sind @dan.n aber nicht so rein und die Ausbeute nicht so gut.
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Ausschüttelungen der wässerigen Lösung mit organischen, mit Wasser
nicht mischbaren Lösungsmitteln unter Zusatz von mit Wasser mischbaren Alkoholen
haben nicht den gleichen trennenden Effekt. Es findet aus rohen Lösungen auch eine
gewisse Anreicherung des Rattengiftes in der nichtwässerigen Phase statt, aber die
Abtrennung ist sehr unvollständig.
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Das Rattengift kann aus den ersten Rohkristallisaten durch Umkristallisieren,
z. B. aus Methylalkohol-Wasser, rein erhalten -,verden.
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Das neue Glykosid kristallisiert aus Methylalkohol-Wasser (i :2) in
dachförmig abgeschrägten Prismen. Es ist leicht löslich in den niederem Alkoholen,
schwerer in Aceton, schwer in den übrigen Lösungsmitteln. Bei der Liebermannschen
Farbreaktion, d. h. beim Versetzen einer Lösung der Substanz in Essigsäureanhydrid
mit einigen Tropfen konzentrierter Schwefelsäure, tritt ein Farbübergang von violett
über blau nach blaugrün ein. Die Legalsche Probe mit Nitroprussidnatrium ist negativ.
Die hochv akuumtrocken.eSubstanz schmilzt unter Zersetzung und Gelbfärbung bei 168
bis i7o° (korr.). In methylalkoholischer Lösung dreht das neue Glykosid die Ebene
des polarisierten Lichtes nach links: (a) p = -59° (c = i). Es enthält als Zuckerkomponente
i Mol. Glucose. Aus der Elementaranalyse, der Äquivalentgewichtsbesti.mmung durch
alkalische Titration unter Öffnung des Lactonringes und Abspaltung einer Acylgruppe
und aus dem Zuckergehalt leitet sich die Zusammensetzung C32 H40 O12 ab. Bei der
erschöpfenden Acetylierung werden 4 Acetylgruppen aufgenommen, und es entsteht eine
kristallisierte Verbindung der Zusammensetzung C4pHg4010. Diese Acetylverbindung
schmilzt scharf bei i99° (korr.) ohne Zersetzung und zeigt in methylalkohol,ischer
Lösung einen Drehwert von [a] p = -49°
(c = i).
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Die absolute letale Dosis für Ratten, d. h. diejenige Dosis, bei der
alle Versuchstiere sterben, beträgt für männliche Tiere i,6mg/kg und für weibliche
Tiere o,5 mg/kg. Für die Acetylverbindung liegen die Werte höher, nämlich für männliche
Tiere bei 5 mgjkg, für weibliche bei 2,5 mgfkg. Das neue Glykosid soll als stark
wirkendes Gift gegen Nagetiere (Ratten, Mäuse usw.) Verwendung finden.
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Das folgende Beispiel veranschaulicht die Herstellung des neuen Glykosids:
ioo lcg frische, rote Meerzwiebeln werden in Scheiben geschnitten, im heißen Luftstrom
bei etwa 6o° getrocknet und dann fein gemahlen. Das trockene Pulver (etwa 2o kg)
wird dreimal mit je 5o 1 abs. Alkohol durch längeres Rühren extrahiert. Die
vereinigten tief rot gefärbten Extrakte werden im Vakuum bei niederer Temperatur
zur Trockne verdampft. Der Rückstand, der etwa z,2 kg wiegt, wird in 5o 1 Wasser
aufgenommen -und mit einer Suspension von frisch hergestelltem und neutral gewaschenem
Bleihydroxyd. (etwa 40o bis 5oo g) versetzt. Nach dem Filtrieren wird die klare,
wenig gefärbte, wässerige Lösung im Vakuum bei niederer Temperatur auf 5 bis i o
1 eingedampft und fünfmal mit je 2 1 Chloroform, dem 2oo%n-Butylalkohol zugesetzt
wurden, ausgeschüttelt. Der durch Eindampfen im Vakuum erhaltene Rückstand der vereinigten
Ausschüttelungen wiegt 5o bis 8o g. Das Präparat ist hellgelb gefärbt und gibt eine
starke blaugrüne Liebermannsche Farbreaktion. Es wird in 2 1 Wasser aufgenommen,
wobei oft ein Teil der Substanz suspendiert bleibt. Durch Ausschütteln mit i 1 Chloroform
werden gelbe, schmierige Substanzen entfernt, die verworfen werden, während andererseits
durch die Sättigung der wässerigen Lösung mit Chloroform ein großer Teil der anfangs
gelösten Substanz wieder ausgefällt wird. Dessen ungeachtet wird die wässerige Lösung
nun' acht- bis. 'zehnmal mit je i 1 Chloroform, dem 5% Butylalkohol zugesetzt
sind, ausgeschüttelt. Das Rattengift geht dabei vollständig in die Chloroform-Butylalkohol-Lösung
über, die Herzglykoside bleiben größtenteils in der wässerigen Lösung zurück.
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Der im Vakuum erhaltene Abdampfrückstand der vereinigten Chloroform-Butylalkohol-Fraktionen
wiegt je nach dem Glykosidgehalt des Ausgangsmaterials io bis 5o g. Er wird in möglichst
wenig Methylalkohol aufgenommen und dann vorsichtig mit Wasser bis zur noch nicht
beginnenden Trübung versetzt. Nach einigem Stehen beginnt die Kristallisation des
neuen Glykosids, dessen Ausbeute je nach dem Ausgangsmaterial
von
3 bis 2o,- wechselt. Die Substanz wird durch Umkristallisi.eren aus Methylalkohol-Wasser
gereinigt und besitzt dann die oben beschriebenen Eigenschaften.