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Die Erfindung betrifft ein Verfahren für ein präventiv wirkendes Schutzsystem in einem Kraftfahrzeug gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1.
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Schutzsysteme, die bereits vor einer möglichen Kollision präventiv wirksam sind und eine so genannte Pre-Crash-Phase, d. h. einen Zeitraum ab Erkennen einer hohen Kollisionswahrscheinlichkeit durch entsprechende Detektionssysteme in dem Fahrzeug bis zum eigentlichen Aufprall dazu nutzen, den Insassenschutz durch zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zu erweitern und so die Unfallschwere zu mindern, werden als präventiv wirkende Schutzsysteme oder so genannte PRE-SAFETM-Systeme bezeichnet. Präventiv wirkende Schutzsysteme nutzen zur Erkennung möglicher Unfallsituationen Informationen, die von verschiedenen Sensoreinrichtungen des Kraftfahrzeuges bereitgestellt werden. Die Sensoreinrichtungen können dabei auch Bestandteil eines elektronischen Fahrstabilisierungsprogramms und/oder Bestandteil eines Abstandssensorsystems sein. In Abhängigkeit von der erkannten Situation werden dann Rückschlüsse auf eine mögliche Verunfallung gezogen und entsprechende Maßnahmen zur Konditionierung des Fahrzeugs, von Rückhaltesystemen für Insassen und gegebenenfalls von Schutzeinrichtungen für Unfallpartner wie Fußgänger auf die bevorstehende Verunfallung hin eingeleitet.
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In der
DE 101 21 386 C1 ist beispielhaft ein solches Verfahren zum Ansteuern eines reversiblen Insassenschutzmittels in einem Kraftfahrzeug beschrieben. Das Kraftfahrzeug weist hier ein reversibles Insassenschutzsystem auf, das vor einem Kollisionszeitpunkt aktiviert und dadurch in Wirkstellung gebracht werden kann. Hierfür werden mittels einer Sensorik Fahrzustandsdaten erfasst, die hinsichtlich einer etwaigen Notbremsung, eines etwaigen Übersteuerns und eines etwaigen Untersteuerns überwacht werden. Wenn eine Notbremsung, ein Übersteuern und/oder ein Untersteuern erkannt wird, erfolgt eine Aktivierung des Insassenschutzsystems, wobei noch weitere Bedingungen für die Auslösungen vorgesehen sein können. Die Sensorik zur Erfassung der Fahrzustandsdaten kann einen Lenkwinkelsensor, einen Pedalwegsensor, einen Bremsdrucksensor, einen Raddrehzahlsensor, einen Beschleunigungssensor und einen Gierratensensor umfassen.
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Eine Notbremsung liegt vor, falls ein Bremsvorgang mit mindestens einem Merkmal erfolgt, das auf eine Gefahren- oder Notsituation hindeutet. Der Zustand Notbremsung wird ermittelt, indem mindestens einer der Parameter Bremsdruck, Geschwindigkeit der Bremspedalbetätigung und Geschwindigkeit der Rücknahme des Gaspedals zur Bewertung des Bremsvorgangs herangezogen wird. Alternativ zu einer Notbremsung, welche vom Fahrer bewirkt wird (Fahrerreaktion), kann eine Notbremsung basierend auf einer Umgebungserfassung herbeigeführt werden.
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Gemäß der eingangs genannten Schrift kann der Zustand Notbremsung anhand eines Eingriffs eines Bremsassistenzsystems in die Fahrdynamik erkannt werden, indem z. B. ein Informationssignal, welches vom Bremsassistenzsystem auf einen Datenbus gesandt wird, zur Erkennung des Zustands Notbremsung herangezogen wird. Eine Auslösung der Sicherheitseinrichtungen des Schutzsystems ist dann an den Algorithmus des Bremsassistenzsystems gekoppelt. Auch kann das ebenfalls auf dem Datenbus des Fahrzeugs bereitgestellte Signal des Bremslichtschalters zur Bestätigung (Plausibilisierung) der Erkennung des Zustandes Notbremsung herangezogen werden. Mit dieser Redundanz bei der Erkennung einer Notbremsung wird die Entscheidungssicherheit bei einer Auslösung des Schutzsystems erhöht.
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Ein weiteres präventiv wirkendes Schutzsystem ist in der
DE 100 29 061 A1 offenbart. Zur Erkennung eines Zustandes Notbremsung wird der zeitliche Gradient, welcher der zeitlichen Ableitung entspricht, des vom Bremspedal erzeugten Bremsdruckes ausgewertet, wobei eine Schwellenüberschreitung durch den Bremsdruckgradienten für einen Notbremszustand indikativ ist. Stellvertretend für den gemessenen Bremsdruck kann auch der Pedalweg oder die Pedalkraft gemessen werden. Zur Plausibilisierung der Entscheidung wird parallel zum Bremsdruckgradienten auch der Bremsdruck einer Bewertung unterzogen, indem der Bremsdruck mit einem Bremsdruckschwellwert verglichen wird und die Zeitdauer der Schwellenüberschreitung des gemessenen Bremsdruckes mit einer vorgegebenen Zeitdauer verglichen wird. Damit sollen Kurzbremssituationen ausgesondert werden, bei denen der Bremsdruckgradient zwar über der Bremsdruckgradientenschwelle liegt, der Bremswunsch aber nicht lange genug mit einer oberschwelligen Intensität ansteht.
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Daneben wird gemäß der
DE 100 29 061 A1 in einem separaten Entscheidungskanal auch die Längsverzögerung (Längsbremsmesswert) des Fahrzeugs und der Zustand eines Antiblockiersystems (ABS) hinsichtlich des Vorliegens einer Bremsschlupfregelung überwacht. Eine potentielle Unfallsituation wird dann festgestellt, wenn die Längsverzögerung im Verlauf der Bremsschlupfregelung einen Schwellwert während einer bestimmten Zeit überschreitet.
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Aus der
DE 10 2004 018 394 A1 ist es bekannt, eine zur Vermeidung einer Kollision notwendige Bremsverzögerung und eine von einem Fahrer initiierte Bremsverzögerung zu ermitteln und zu vergleichen, wobei ein Insassenschutzmittel angesteuert bzw. aktiviert wird, wenn die Differenz der Bremsverzögerungen über einen vorgegebenen zweiten Schwellenwert liegt.
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Aufgabe der Erfindung ist es, ein verbessertes Verfahren für ein präventiv wirkendes Schutzsystem der einleitend genannten Art anzugeben.
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Diese Aufgabe wird bei einem Verfahren der eingangs genannten Art mit den Merkmalen des Patentanspruches 1 gelöst.
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Mit den erfindungsgemäßen Verfahren kann besser auf reale Fahrzustände reagieren werden, indem die Auslösung der Sicherheitseinrichtungen zusätzlich davon abhängig gemacht wird, dass die durch den Bremseingriff verursachte Längsverzögerung des Fahrzeugs noch nicht weit fortgeschritten ist. Damit wird eine Auslösung der Sicherheitseinrichtung unterdrückt, sobald durch den Bremseingriff eine spürbare Längsverzögerung eintritt, die zum Einen anzeigt, dass das Fahrzeug auf eine durch den Fahrer angeforderte Bremsmomentanforderung in ausreichender Weise reagiert (kontrollierte Bremsung) und zum anderen verhindert, dass bei schon eingetretener Längsverzögerung und Vorverlagerung des Insassen eine nicht mehr sinnvolle Vorstraffung eines Sicherheitsgurtes vorgenommen würde. Zu diesem Zeitpunkt wäre die Vorverlagung des Insassen nämlich bereits so weit fortgeschritten, dass sie durch die Vorstraffung nicht mehr rechtzeitig vor dem Aufprall zurückgenommen werden könnte.
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Die Abfrage der Längsverzögerung ermöglicht Auslöseszenarien für ein erweitertes Spektrum an längsdynamisch kritischen Fahrsituationen vorzusehen. Es können auch solche Bremssituationen dem Zustand Notbremsung zugeordnet werden, welche auch auf eine Gefahren- oder Notsituation hindeuten aber durch die bekannten Verfahren bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden: Tritt der Fahrer langsam aber sehr stark auf das Bremspedal, ergibt sich ebenfalls eine hohe Kritikalität, wenn das Fahrzeug nicht entsprechend auf die Bremsmomentanforderung reagiert (Panikbremsung), sei es weil die Bremsen versagen oder weil die Reifen nicht genügend an der Fahrbahn haften, also ein geringer Reibwert vorliegt. Dies betrifft insbesondere notfallartige Bremsvorgänge auf glatter Fahrbahn (z. B. durch Schnee, Eis, Laubbedeckung) oder bei Aquaplaning. Solche Bremsvorgänge werden von den bekannten Verfahren, welche die Erkennung des Zustandes Notbremsung an die Bremspedalbetätigungsgeschwindigkeit, den Bremsdruckgradienten oder an den Bremsassistenten knüpfen, nicht als kritisch erkannt.
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In einer vorteilhaften Weiterbildung wird daher auf einen Zustand Notbremsung geschlossen, wenn die Bremsmomentanforderung eine Anforderungsschwelle überschreitet. Zu einer Aktivierung von Sicherheitseinrichtungen kommt es jedoch nur, wenn gleichzeitig die Längsverzögerung des Fahrzeugs eine Schwelle nicht überschreitet.
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Ergänzend oder alternativ wird die Bremsmomentanforderungsgeschwindigkeit hinsichtlich einer Schwellenüberschreitung beobachtet, um die Anforderung einer Notbremsung zu erkennen, wobei in einer vorteilhaften Weiterbildung diese Schwelle von der Bremsdruckanforderung abhängig gesteuert werden kann. Indem die Anforderungsgeschwindigkeitsschwelle mit zunehmender Bremsanforderung abnimmt, kann eine rasche Bremspedalbetätigung in Nachgang zu einer normalen Bremsung als Notbremsung erkannt werden, obwohl der zur Verfügung stehende Betätigungsweg reduziert ist.
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Die Schwellen für die Bremsmomentanforderung oder die Bremsmomentanforderungsgeschwindigkeit können von Fahrzustandsdaten beeinflusst werden. Insbesondere können die Schwellen bei niedrigen Fahrgeschwindigkeiten unterhalb von ca. 30 km/h angehoben werden, um in diesem Geschwindigkeitsbereich Fehlauslösungen oder unerwünschte Auslösung wirksam zu unterdrücken. Bei Geschwindigkeiten oberhalb von ca. 80 km/h können die Schwellen abgesenkt werden, weil bei höheren Geschwindigkeiten erfahrungsgemäß der Fahrer sensibler auf die Bremse tritt. Eine Schwellenbeeinflussung in Abhängigkeit von der Querbeschleunigung ist auch denkbar. Insbesondere könnten die Schwellen in einem mittleren Querbeschleunigungsbereich abgesenkt sein.
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In vielen Fällen wird das Signal für die Bremsanforderungsgeschwindigkeit durch zeitliche Ableitung des Bremsanforderungssignals gebildet. Wie im Folgenden erläutert wird, kann es jedoch von Vorteil sein, zur Bildung der Bremsanforderungsgeschwindigkeit und Bremsanforderungssignal auf unterschiedliche, die Bremsmomentanforderung des Fahrers repräsentierende Messgrößen zurückzugreifen.
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Grundsätzlich kann zur Erfassung der Bremsmomentanforderung der Bremsdruck im Hauptbremszylinder als grundlegende Messgröße herangezogen werden, um eine Notbremsanforderung durch den Fahrer zu erkennen. Der Bremsdruck im Hauptbremszylinder reagiert jedoch recht träge auf eine plötzliche Bremsmomentanforderung durch den Fahrer, ist daher weniger geeignet schnelle Änderungen des Fahrerwunsches zu erfassen.
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Bei einem konventionellen hydraulischen Bremssystem erfasst ein Membranwegsensor sowohl die Pedalbewegung als auch die Membranbewegung des Bremskraftverstärkers. Der Membranwegsensor reagiert damit viel direkter auf den Pedalweg als der Bremsdruck im Hauptbremszylinder. Bei einem elektrohydraulischen Bremssystem (Brake-By-Wire-System) nimmt ein Pedalwegsensor direkt die Betätigung des Bremspedals auf. Soweit vorhanden, können daher alternativ oder ergänzend auch ein Membranwegsensor oder Pedalwegsensor zu Erfassung der Bremsmomentanforderung herangezogen werden.
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Gemäß einer vorteilhaften Ausgestaltung der Erfindung wird das Signal eines Pedalwegsensors oder Membranwegsensors herangezogen, um aus der zeitlichen Ableitung des Signals die Bremsmomentanforderungsgeschwindigkeit zu erhalten. Die Heranziehung dieser Messgrößen hat den Vorteil, dass der Pedalweg im Antritt störungsfrei und direkt den Fahrerwunsch wiedergibt, weil aufgrund einer verzögerten Rückwirkung des Staudruckes im Bremssystem auf die Bremsbetätigung noch nicht gegen einen hohen Widerstand angetreten werden muss. Erst im späteren Verlauf der Betätigung setzt eine Rückwirkung des Bremssystems auf die Pedalkraft ein. Auch ist das Signal eines Pedalwegsensors oder Membranwegsensors während eines ABS-Regeleingriffs aufgrund der pulsierenden Rückwirkung auf das Bremspedal möglicherweise unbrauchbar. Eine Pedalwegmessung oder Membranwegmessung ist also vor allem zu einer frühzeitigen Erfassung einer schnellen Bremsmomentanforderung durch den Fahrer geeignet.
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Für die Auswertung einer langsamen und nachhaltigen Bremsmomentanforderung ist jedoch der Druck im Hauptbremszylinder eine sehr geeignete Größe, weil dieser mit einer gewissen Trägheit der Bremspedalbetätigung folgt und somit manche Kurzbremssituationen bereits ausgesondert werden, weil kein ausreichender Bremsdruck erzeugt wird.
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Demnach ist ein Kombination von Vorteil, bei der sich die Bewertung von langsamen und nachhaltigen Bremsmomentanforderungen auf den Bremsdruck im Hauptbremsdruckzylinder stützt, während die Bremsmomentanforderungsgeschwindigkeit aus der zeitlichen Ableitung eines Signals des Pedalweg- oder Membranwegsensors gewonnen wird.
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Sofern ein reproduzierbarer Zusammenhang zwischen dem Pedalweg und einer Pedal-Rückstellkraft besteht, kann ein Pedalkraftsensor anstelle eines Pedalwegsensors eingesetzt werden. Kommt jedoch die Rückstellkraft des Bremspedals aufgrund einer Rückwirkung des Staudrucks im Bremssystems zustande, so ist der Zusammenhang nicht mehr eindeutig. In diesem Fall entspricht die Pedalkraft mehr dem Bremsdruck im Hauptbremszylinder.
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Neben den bekannten, vorbeugend auslösbaren Sicherheitseinrichtungen wie der reversible Gurtstraffer eines Sicherheitsgurtes gibt es eine Reihe weiterer ansteuerbarer Insassenschutzmittel, welche eine Rückhaltewirkung oder eine Energie absorbierende Wirkung zum Schutze eines Insassen bei einer Kollision entfalten. Beispiele für solche Insassenschutzmittel sind verfahrbare Prallkörper, Kissen und Kopfstützen, welche mittels einer Ansteuerung in Größe, Härte, Form und Lage verändert werden können. Neben diesen Insassenschutzmitteln können zur Verminderung der Unfallschwere weitere ansteuerbare Sicherheitseinrichtungen vorgesehen werden, welche die Unfallfolgen für einen Fahrzeuginsassen vermindern, indem ursprünglich zu Komfortzwecken vorgesehene, elektrisch verstellbare Aggregate angesteuert werden, z. B. elektrische Sitzverstellvorrichtung oder eine elektrische Verstellvorrichtung von Fahrzeugöffnungen (Fensterheber, Schiebedachschließung) oder Türverriegelungen.
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In Kraftfahrzeugen können zur Milderung von Unfallfolgen auch ansteuerbare Sicherheitseinrichtungen vorgesehen werden, welche auch dem Schutz von Kollisionspartnern, insbesondere dem Schutz von Fußgängern und Radfahrern dienen. Beispiele hierfür sind verstellbare Motorhauben, verfahrbare Stoßfänger und härteverstellbare Prallelemente an der Fahrzeugaußenhaut. Weitere ansteuerbare Schutzmittel sind die Niveauregulierung und das Brems- und Lenksystem mittels derer ein Aufprall in Richtung geringerer Verletzungsschwere der Insassen und/oder der Kollisionspartner optimiert werden kann. Auch diese Schutzmittel sind im Folgenden als Sicherheitseinrichtungen im Sinne der vorliegenden Erfindung zu verstehen.
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Die einzige Figur zeigt beispielhaft ein Blockschaltbild eines präventiv wirkenden Schutzsystems in einem Kraftfahrzeug zur Ausführung einer vorteilhaften Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens.
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Zur Ansteuerung der vorzugsweise reversiblen Sicherheitseinrichtungen 1 werden die mittels der Fahrzustandssensorik 2, insbesondere einer Bremsmomentanforderungserfassung 2.1 und einer Längsbeschleunigungserfassung 2.2 aufgenommenen Fahrzustandsdaten hinsichtlich einer von dem den Fahrer vorgegebenen Bremsmomentanforderung B und der Fahrzeuglängsbeschleunigung a_x überwacht.
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Die Fahrzeuglängsbeschleunigung a_x kann direkt mittels eines Längsbeschleunigungssensors gemessen werden, welcher zu andren Zwecken auch zur Steigungserkennung im Stillstand herangezogen werden kann. Die Fahrzeuglängsbeschleunigung a_x kann auch aus Raddrehzahlen und/oder mittels eines dynamischen Fahrzeugmodells berechnet werden, bei dem aus Motor- und/oder Getriebemoment auf die Längsbeschleunigung des Fahrzeugs geschlossen wird. Die Schwelle für die Längsverzögerung liegt in der Größenordnung von 0,3 g. Dies ist auch die Größenordnung bei welcher die gesetzlich vorgeschriebene Verriegelung des Sicherheitsgurtes einsetzt. Die Schwelle für die Längsverzögerung kann aber auch höher angesetzt werden, weil eine Straffung auch bei einem verriegelten Sicherheitsgurt noch möglich ist.
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In einer Bremswunschbewertung 3 wird aus der Bremsmomentanforderung B auf eine eventuell angeforderte Notbremsung NB geschlossen. Parallel werden die Fahrzustandsdaten in einer Längsverzögerungsbewertung 4 daraufhin überwacht, ob die Längsverzögerung, welche betragsmäßig der Längsbeschleunigung entspricht, eine Längsverzögerungsschwelle S_LV unterschreitet oder, anders ausgedrückt, nicht überschreitet.
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In einer Kritikalitätsbewertung 5 für die Längsdynamik werden die Signale aus der Bremswunschbewertung 3 und der Längsverzögerungsbewertung 4 zusammengeführt. In einer einfachen Ausführung werden ein logisches Signal für eine angeforderte Notbremsung NB und ein logisches Signal für die Unterschreitung der Längsverzögerungsschwelle S_LV in einer UND-Verknüpfung (AND) logisch miteinander verknüpft. Die Kritikalitätsbewertung 5 gibt ein logisches Signal (Bit-Information) für eine kritische Längsdynamik LD = 1 aus, wenn sowohl eine Notbremsung angefordert wird, d. h. NB = 1, als auch die Längsverzögerung den Grenzwert S_LV unterschreitet. Liegt keine Notbremsung vor, d. h. NB = 0, oder wird die Schwelle für die Längsverzögerung überschritten, so gibt die Kritikalitätsbewertung ein logische Signal LD = 0 aus.
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Mit dem logischen Signal LD der Kritikalitätsbewertung 5 wird die Sicherheitseinrichtung 1 in der Weise angesteuert, dass bei Vorliegen einer kritischen Längsdynamik, welche durch einen logischen Zustand LD = 1 angezeigt wird, mindestens eine der Sicherheitseinrichtungen 1, insbesondere ein reversibler Gurtstraffer aktiviert wird.
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Es sind mehrere Ausgestaltungen für die Bremsbewertung 5 denkbar, welche aus einer vom Fahrer vorgegebenen Bremsmomentanforderung B auf eine angeforderte Notbremsung schließen lassen.
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In einer ersten Ausgestaltung wird aus der über das Bremspedal angeforderten Bremsmomentanforderung B in einer Auswertung 3.1 aus der zeitliche Ableitung dB/dt die Bremsmomentanforderungsgeschwindigkeit berechnet und diese in einer Abfrage 3.2 mit einer Schwelle S_AG für die Geschwindigkeit der Bremsmomentanforderung verglichen und bei Überschreitung der Schwelle auf eine Notbremsung geschlossen. Damit wird erreicht, dass wenn der Fahrer schnell auf das Bremspedal tritt, aufgrund des hohen Gradienten (zeitliche Ableitung) in der Bremsmomentanforderung B auf eine hohe Kritikalität (Notbremsung) geschlossen und eine Sicherheitseinrichtung 1 ausgelöst wird. Erfindungsgemäß wird die Auslösung der Sicherheitseinrichtung 1 unterdrückt, wenn aus der Längsverzögerungsbewertung 4 hervorgeht, dass bereits eine oberschwellige Längsverzögerung vorliegt. Dies hat den Vorteil, dass für den Fall, dass bereits eine durch einen einleitenden Bremsvorgang bedingte Vorverlagerung der Insassen vorliegt, eine Aktivierung eines reversiblen Gurtstraffers unterbleibt, weil dieser keine volle Wirkung mehr entfalten kann. Für den typischen Fall einer plötzlichen, d. h. ohne Vorbremsung einsetzende Notbremsung ergibt sich die aus dem Stand der Technik bekannte Aktivierung der präventiven Sicherheitseinrichtungen, insbesondere des Gurtstraffers.
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In einer Weiterbildung kann die Schwelle S_AG für die Bremsmomentanforderungsgeschwindigkeit dB/dt in Abhängigkeit von der Bremsmomentanforderung B abgesenkt werden. Damit kann das System sensibilisiert werden, um auch noch bei einem bereits angeforderten normalen Bremsvorgang und noch nicht eingetretener Längsverzögerung, für den Fall eines schnellen Nachtretens der Bremse die für die Notbremsung vorgesehenen Maßnahmen auslösen zu können. Dies ist z. B. von Vorteil, wenn auf glatter Strasse zunächst das Bremspedal normal betätigt wird aber bei Ausbleiben der Verzögerungswirkung (aufgrund des geringen Reibwertes) der Fahrer das Bremspedal rasch nachtritt, um eine Notbremsung anzufordern. Mit der Sensibilisierung der Auslösschwelle durch das Signal der Bremsmomentanforderung B ist die Schwelle S_AG in der Abfrage 3.2 bereits abgesenkt, wenn die rasche Bremspedalbetätigung durch Fahrer erfolgt, so dass auf eine Notbremsung geschlossen wird. Ohne die Absenkung würde es nicht zu einem Erkennen einer Notbremssituation kommen, weil die Bremsbetätigung auf dem verbleibenden Pedalweg nicht mehr zu einer ausreichend schnellen Betätigungsgeschwindigkeit führen könnte, um die Schwelle S_AG zu überschreiten.
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In einer alternativen oder ergänzenden Ausgestaltung wird in der Bremswunschbewertung 3 direkt die Bremsmomentanforderung B bewertet, indem sie in einer Abfrage 3.3 mit einer Schwelle S_A verglichen wird. Mit diesem Auslösekanal werden Bremsvorgänge, bei denen der Fahrer langsam aber zunehmend stark auf das Bremspedal tritt (Panikbremsung) auch als Notbremssituation mit hoher Kritikalität erkannt, welche zu den für eine Notbremsung vorgesehen Auslösungen von Sicherheitseinrichtungen 1 führen kann, sofern noch keine ausreichende Längsverzögerung eingesetzt hat. Damit können langsam eingeleitete Panikbremsungen auf glatter Straße, bei denen der Fahrer immer weiter das Bremspedal tritt, um einer aufgrund des niedrigen Reibwertes ausbleibenden Verzögerungswirkung beizukommen, berücksichtigt werden. Für den Fall, dass ein Fahrzeug auf glatter Straße auf ein Hindernis sich zu bewegt, ohne dass das Fahrzeug einem vom Fahrer angeforderten starken Bremswunsch nachkommen kann, wird eine Notsituation erkannt, welche zu einer Auslösung der für eine Notbremsung vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen führt. Andererseits unterbindet die Abfrage 4 nach der Längsverzögerung eine Auslösung von Sicherheitsmaßnahmen jedes Mal, wenn bei normalen Straßenverhältnissen stark gebremst wird und die Bremswirkung auch tatsächlich eintritt.
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In einer Ausgestaltung bei denen sowohl die Bremsmomentanforderung B als auch deren zeitliche Ableitung dB/dt oder die Bremsmomentanforderungsgeschwindigkeit herangezogen werden, können die Ergebnisse der Schwellenabfragen 3.2, 3.3 in einer ODER-Verknüpfung (OR) 3.4 zusammengeführt werden. Ein Notbremssignal NB wird dann ausgegeben, wenn auf einem der beiden Bewertungskanäle auf eine kritische Notbremsanforderung erkannt wird.
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Es ist denkbar eine erste Gruppe von Sicherheitseinrichtungen 1, darunter der reversible Gurtstraffer, wie beschrieben zu aktivieren, wenn ein Signal LD für eine kritische Längsdynamik vorliegt, während andere Sicherheitseinrichtungen einer zweiten Gruppe bereits aktiviert werden, wenn eine Notbremsung erkannt wird, ohne dass es auf die Längsverzögerung des Fahrzeug ankommt. Dies sind insbesondere Sicherheitseinrichtungen, deren Schutzwirkung nicht durch eine Vorverlagerung eines Insassen beeinträchtigt wird. Dabei ist es auch möglich innerhalb dieser zweiten Gruppe eine Untergruppe von Sicherheitseinrichtungen vorzusehen, die ausgelöst werden, wenn eine hohe Bremsmomentanforderung anliegt, ohne dass es auf eine hohe Bremsmomentanforderungsgeschwindigkeit oder geringe Längsverzögerung ankommt. Dies sind Sicherheitseinrichtungen, die bereits bei normalen aber starken Bremseingriffen in Wirkstellung gehen sollen. Geeignet wären Sicherheitseinrichtungen, die frühzeitig ausgelöst werden müssen, um in Wirkstellung zu kommen, wie z. B. die Lehnaufstellung oder das Schließen von Fahrzeugöffnungen, oder eine aktive Kopfstütze.
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Die erweiterte Logik schafft Spielraum für erweiterte Auslöseszenarien bei längsdynamisch kritischen Fahrsituationen. Tritt der Fahrer schnell auf das Bremspedal, ergibt sich ein hoher Gradient der Bremsmomentanforderung B und es wird auf Notbremsung erkannt. Tritt der Fahrer im (leicht) gebremsten Zustand (< 0,3 g) schnell nach, ergibt sich ein erhöhter Gradient der Bremsmomentanforderung B, welcher aufgrund der abgesenkten Schwelle ebenfalls als Notbremssituation bewertet wird (Notbremsung im Nachtreten). Tritt der Fahrer langsam aber sehr stark auf das Bremspedal (Panikbremsung), ergibt sich ebenfalls eine hohe Kritikalität und es wird auf Notbremsung erkannt, sofern noch keine Längsverzögerung vorliegt.
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Wenn eine kritische Situation unfallfrei passiert wurde und die Bremsmomentanforderung zurückgeht, werden die Schwellen S_AG und S_A wieder unterschritten. Es kann eine Hysterese vorgesehen sein, indem eine Rückstellung des Notbremssignals NB und damit der reversiblen Sicherheitseinrichtungen erst dann erfolgt, wenn Schwellen unterschritten werden, die unterhalb der Schwellen S_AG und S_A gewählt sind.
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Anstelle von logischen Verknüpfungen der Ergebnisse der verschiedenen Bewertungen oder Abfragen kann ein vergleichbares Verhalten des Schutzsystems erreicht werden, indem in an sich bekannter Weise die binäre Logik durch eine Fuzzy-Logik ersetzt wird. Beispielsweise kann eine von den Fahrzeugdaten multifaktoriell abhängige Gesamtkritikalität für die Längsdynamik gebildet werden, welche einen Wert zwischen 0...1 annimmt und eine feste Schwelle bei z. B. 0,8 zu überwinden hat, damit eine Sicherheitseinrichtung ausgelöst wird.
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In dem Ausführungsbeispiel wurde als Schwelle für die Längsverzögerung ein Wert von 0,3 g angegeben. Dies ist nur als ungefährer Richtwert zu verstehen. In der Praxis hat sich ein Wert zwischen 0,3 g und 0,5 g bewährt.