-
Die vorliegende Erfindung betrifft ein Verfahren zur zugorientierten Sicherungslogik für Bahnsicherungsanlagen.
-
Die streckenseitigen Sicherungsanlagen (Stellwerk, RBC, zum Teil auch Leittechnik) müssen für den Bahnverkehr sowohl einen signaltechnisch sicheren als auch einen reibungslosen Betriebsablauf gewährleisten und die Betriebsprozesse optimal unterstützen. Die Ansprüche bzgl. Kapazität (Durchsatz) sind vor und seit der Einführung elektronischer Sicherungsanlagen gestiegen und werden aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung weiterhin ansteigen. Gleichzeitig steht die Forderung nach günstigeren und weniger komplexen Lösungen (Kostendruck seitens Infrastrukturbetreiber) dazu im Raum.
-
Zur Orientierung, in welchem Teil einer Bahnsicherungsanlage die hier vorgeschlagene Erfindung wirkt, ist ein Überblick über die heutige Struktur von Sicherungsanlagen und einer möglichen vereinfachten Struktur für die Zukunft in Figur 1 dargestellt. Die im Folgenden vorgeschlagenen Erfindungen zielen darauf ab, den SIL 4 Anteil einer Bahnsicherungsanlage unter Beibehaltung des Sicherheitsniveaus gemäss Stand der Technik signifikant zu verringern und die sich daraus ergebenden Chancen aufzuzeigen.
-
Bei den elektronischen, streckenseitigen Sicherungsanlagen gibt es mehrere Ausprägungen mehrerer Hersteller. Bezogen auf den Kunden SBB (Infrastrukturbetreiber mit einer der höchsten Zugdichten im Bahnverkehr Europas) sind das die Folgenden:
-
Diese Stellwerke basieren entweder auf dem ursprünglichen Spurplanprinzip (Simis® W CH) oder auf dem ursprünglichen Verschlussplanprinzip (Elektra II), wobei aufgrund der Möglichkeiten in den elektronischen Systemen und den Tools zu deren Bereitstellung die Umsetzung dieser Prinzipien nicht mehr in reiner Form erfolgt.
-
Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass jede mögliche Rangier- und Zugfahrt über Fahrstrasseninstanzen abgewickelt wird. Als Fahrstrasse wird dabei die geordnete Menge aller relevanten Instanzen von Weichen, Gleisabschnitten, etc. bezeichnet, welche den Fahrweg von einem möglichen Start bis zu einem nächstmöglichen Ziel bilden.
-
Dies gilt insbesondere für die Leittechnik und den zentralen Teil des Stellwerks (Komponente IIC/OMC bei Simis® W CH) bzw. für das gesamte Stellwerk (Elektra II). Die RBC beider Hersteller folgen eher dem Spurplanprinzip, stützen aber in jedem Fall auf zuverlässigen Informationen des jeweiligen Stellwerks ab, die wiederum auf der Basis der o.g. Fahrstrasseninstanzen ermittelt werden.
-
Die Anzahl der Fahrstrasseninstanzen und deren Kombinationen (mehrere aufeinanderfolgende Fahrstrassen) macht einen erheblichen Teil der Daten der Sicherungsanlage aus. Die Fahrweg-Daten von Fahrstrasseninstanzen müssen konsistent mit der zugrundeliegenden Aussenanlage sein, da sie die Stetigkeit und Unterbruchsfreiheit von Fahrwegen deklarieren und damit Sicherheitsverantwortung tragen (SIL 4). Sie müssen daher bei Umbauten und Erweiterungen - zusätzlich zu den einzelnen Elementen wie Weichen, etc. - in jedem Fall konsistent nachgepflegt und auf Vollständigkeit und Korrektheit geprüft werden.
-
Bei den bisherigen Kapazitätssteigerungen (sowohl mit ETCS L0 bzw. L1LS als auch mit ETCS L2) wurde dabei der Ansatz verfolgt noch mehr Fahrstrassenabschnitte durch die Unterteilung mit weiteren Start- und Ziel-Elementen (optische Signale oder ETCS-Haltsignale/ETCS-Standortsignale, kurz EHS/ESS) einzuführen. Dies bedingt eine ungleich höhere Zahl an Signalen und Fahrstrasseninstanzen und deren Kombinationen und wirkt sich negativ auf die Beherrschbarkeit dieser Daten aus.
-
Ideen für ETCS L3 gehen hier noch einen Schritt weiter und versuchen in einigen Ansätzen die optimale Länge dieser und noch mehr zusätzlicher Fahrstrasseninstanzen zu ermitteln (Virtual Subsectioning, Virtual Block). Allerdings wird in diesen Ansätzen oft als einziges Kriterium die Verbesserung des Headways zwischen zwei Zügen insbesondere bei höheren Geschwindigkeiten herangezogen. Moving Block wird in diesem Bereich vor dem Hintergrund des Fahrens im absoluten Bremswegabstand dabei kaum als Mehrwert betrachtet und für das Fahren im relativen Bremswegabstand bei hohen Geschwindigkeiten werden die Risiken noch immer als zu hoch beurteilt. Was in diesen Ansätzen jedoch zu kurz kommt, ist die Entwicklung und Bereitstellung von neuen Kriterien für einen optimalen Betrieb (sowohl Zugfolge, Fahrplan als auch Energieverbrauch) bei gemässigten Geschwindigkeiten in komplexen, dicht befahrenen Zonen.
-
Die Komplexität wurde zudem in den bestehenden elektronischen, streckenseitigen Sicherungsanlagen insofern erhöht, dass neue Fahrstrassentypen (Notzugfahrstrasse, Folgezugfahrstrasse, Gegenzugfahrstrasse, etc.) und weitere Funktionalitäten für ETCS L2 auf Anforderung des Infrastrukturbetreibers SBB hin eingeführt wurden. Zudem führt die Aufteilung von Stellwerk und RBC zu erhöhter Komplexität, da gerade diese neuen Funktionalitäten Querabhängigkeiten zwischen diesen beiden Teilsystemen verursachen.
-
Die SBB selbst als Infrastrukturbetreiber strebt aufgrund des o.g. Kostendrucks eine Eigenentwicklung an, welche unter dem Schlagwort "NextGen" bekannt geworden ist und u.A. einige o.g. Probleme der bestehenden Technik von Sicherungsanlagen adressiert. In diesem Zusammenhang wird dort als neuer Ansatz eine "risikobasierte, geometrische Sicherungslogik" vorgeschlagen. Dieser Ansatz beschäftigt sich sehr intensiv mit der Risikobewertungsfunktion basierend auf dem Konzept von Gefahrenbereichen, welche entweder aus dem für einen Zug benötigten Anteil der Topologie inkl. Schutzräume bestehen oder aus Bereichen, in denen nicht steuerbare Aktivitäten stattfinden oder Störungen vorliegen. Es wird jedoch kein instantiierbares Modell definiert, an dem man erkennen kann, wie diese Eigenschaften der Gefahrenbereiche und Risikobewertungsfunktion eingeordnet und zur Laufzeit abgearbeitet bzw. gewährleistet werden. Weiter werden die betrieblichen Sonderfälle (Notbedienungen, Umgehungen), die in den heutigen Betriebsprozessen verankert sind, noch nicht ausreichend berücksichtigt.
-
Der vorliegenden Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Sicherung der Fahrt eines Schienenfahrzeugs über einen Abschnitt eines Gleisnetzes anzugeben, mit dem ein hoher Sicherheitslevel nach SIL4 und gleichzeitig eine hohe Flexibilität in der Streckennutzung erzielt werden kann.
-
Diese Aufgabe wird erfindungsgemäss durch ein Verfahren zur Sicherung einer Fahrt eines Schienenfahrzeugs bzw. Schienenfahrzeugverbundes - nachfolgend allgemein als Schienenfahrzeug bezeichnet - über einen Abschnitt eines Gleisnetzes, bei dem:
- a) die aktuelle Position des Schienenfahrzeugs und die für das Schienenfahrzeug von einem Leitsystem vorgegebenen Fahrtkriterien ausgewertet werden und ein Schutzraum nach vorne bestimmt wird, und
- b) die im Abschnitt des Gleisnetzes angeordneten Fahrwegelemente in einem Spurplanprinzip abgebildet sind und ausgehend von der Position des Schienenfahrzeugs und den Fahrtkriterien jeweils immer das oder die nächsten Fahrwegelemente inkl. der den Schutzraum seitlich gewährenden Fahrwegelemente, die ausserhalb des bereits für die Fahrt reservierten Fahrwegs zuzüglich des Schutzraums nach vorne liegen, in der für die Fahrt erforderlichen Stellung und Ausdehnung eindeutig für die Identität dieses Schienenfahrzeuges reserviert und ggfs. eingestellt werden.
-
Auf diese Weise können die aus den heute bekannten Sicherungsverfahren bekannten Fahrstrasseninstanzen und die dafür erforderlichen Start-Ziel-Elementinstanzen komplett eliminiert werden, weil die Sicherungslogik nun zugorientiert und nicht mehr streckenorientiert arbeitet und Fahrwegelemente für die Zugfahrt nur in Bezug auf das oder die nächsten ausserhalb des ermittelten Schutzraums nach vorne gelegenen Fahrwegelemente für eine bestimmte Ausdehnung für die Befahrung reserviert (sperrt), wodurch die Reservierung auch nach Überfahrt bei vorliegender Gleisfreimeldung sofort wieder für andere Zugfahrten zur Verfügung gestellt werden kann. Damit müssen weder stellwerkseitig noch leitsystemseitig die Informationen über die gesamte Reservierung einer Fahrstrasse ausgetauscht und aktuell gehalten werden, was im Fahrbetrieb dazu führt, dass die einzelnen Fahrwegelemente weniger lange für eine bestimmte Zugfahrt reserviert (gesperrt) sein müssen und damit wesentlich früher bzw. länger für eine Reservierung durch andere Züge zur Verfügung stehen. Damit werden zum einen ein höherer Durchsatz auf der Strecke und zum anderen eine Verringerung der Komplexität der heutigen Stellwerk- und Leitsystemlogik herbeigeführt, was ganz besonders auch bei Umbauten der Strecke oder Neubauten von Streckenteilen in die bestehende Infrastruktur erheblich zur Einsparung von Engineering-Aufwendungen und notwendigen Aufwendungen für die Zulassung führt.
-
In einer vorteilhaften Weiterbildung der vorliegenden Erfindung kann es vorgesehen sein, dass die Reservierung für die von dem Schienenfahrzeug überfahrenen Fahrwegelemente bzw. für eine bestimmte Ausdehnung derer aufgehoben wird, wenn eine dem Fahrwegelement zugeordnete Gleisfreimeldung, sei es im Wege der Erhalts der Information der Position und Integrität seitens des Zuges und/oder sei es im Wege des von einem Achszählsystem und/oder Gleisstromkreis ermittelten Freizustandes, den Freizustand für den mit dem Fahrwegelement assoziierten Freimeldeabschnitt bzw. für eine bestimmte Ausdehnung dessen feststellt. Auf diese Weise können die Fahrwegelemente sehr schnell wieder für andere Reservierungen oder für eine Verlängerung der Reservierung für ein derselben Streckenverlauf nehmendes Schienenfahrzeug zur Verfügung gestellt werden.
-
Ein bezüglich einer möglichst dichten Zugfolge besonders sicherheitsrelevantes Kriterium ist die aktuelle Bremsweglänge eines Schienenfahrzeugs. Es ist daher sinnvoll, wenn in die Bestimmung der Länge des Schutzraums nach vorne die aktuelle Bremsweglänge einfliesst.
-
Fahrkriterien können für die Sicherung der Fahrt eines Schienenfahrzeugs zum Teil sehr unterschiedliche Sicherheitsregime hervorrufen. Daher ist es hinsichtlich der Flexibilität der zugorientierten Sicherungslogik sehr vorteilhaft, wenn als Fahrtkriterien eine oder mehrere Prozessgrössen, wie Sollgeschwindigkeit, Fahrplanstabilität und Abstandslänge, auswählbar sind.
-
Hinsichtlich der zugorientieren Sicherungslogik ist es besonders vorteilhaft, wenn aus der Position des Schienenfahrzeugs und der Identität der Onboard-Unit eine eindeutige leitsystemseitig adressierbare Zuginstanz gebildet wird. Auf diese Weise kann das mit dieser Zuginstanz verknüpfte Schienenfahrzeug gemäss den für das Schienenfahrzeug ausgewählten Fahrtkriterien zugorientiert gesichert werden. Der Zuginstanz werden daher die gesicherten Fahrwegelemente zugeordnet, was somit auch eine Fortschreibung bestehenden Reservierungen von Fahrwegelementen für nachfolgende Schienenfahrzeuge ermöglicht. Hierzu ist es besonders zweckmässig, wenn die Zuginstanzen aufeinanderfolgender Schienenfahrzeuge bei Beanspruchung derselben Fahrwegelemente in korrespondierender Lage und Orientierung verlinkt werden und diese Verlinkung bei beginnend nicht mehr korrespondierender Lage oder Orientierung gelöscht wird. Auf diese Weise lassen sich bestehende Reservierungen verlängern ohne dass Stellwerk- oder Leitsystem-seitig eine neue Prüfung der Lage der Fahrwegelemente erforderlich wäre.
-
Weitere vorteilhafte Ausgestaltungen der vorliegenden Erfindung sind den übrigen Unteransprüchen zu entnehmen.
-
Bevorzugte Ausführungsbeispiele der vorliegenden Erfindung werden anhand der anhängenden Zeichnungen näher erläutert. Dabei zeigen:
- Figur 1 in schematischer Darstellung die Struktur von heute bestehenden Bahnsicherungsanlagen und einer zukünftigen mit Zuginstanzen arbeitenden zugorientierten Sicherungslogik;
- Figur 2 in schematischer Darstellung eine Beispieltopologie für einen Teil eines Bahnnetzes mit einem Ausschnitt des Spurplans bezüglich eines auf diesem Teil verkehrenden Zuges;
- Figur 3 in schematischer Darstellung einen Ablauf zur Plausibilisierung und Reservierung für den Start des in Figur 2 dargestellten Zuges bezüglich seiner Startfreigabe und seinen Fahrweg sowie der erforderlichen Reservierung von Schutzräumen;
- Figur 4 in schematischer Darstellung eine Überwachung des Fahrwegs und der zugehörigen Schutzräume der in Figur 3 gezeigten Zugfahrt sowie das Verfahren zur Bildung der Fahrerlaubnis (Movement Authority MA);
- Figur 5 in schematischer Darstellung Auswirkungen bei einem Überwachungsentfall auf den Fahrweg und den Schutzraum sowie eine zugehörige Kürzung der Fahrerlaubnis (EoA = End of Authority); und
- Figur 6 in schematischer Darstellung einen Betriebsablauf mit einem Schwerpunkt auf Folgefahrten und die "Vererbung" von bereits erstellten Reservierungen für Fahrwegelemente zugunsten einer nachfolgenden Zugfahrt.
-
Bei der zugorientierten Streckensicherungslogik wird eine Reihe von grundlegenden Annahmen getroffen:
A - Grundlegendes Spurplanprinzip
-
Wie bisher bereits üblich, werden Fahrwegelementinstanzen von Fahrwegelementen, wie Weichen, Gleisabschnitte und Kreuzungen, von einer Sicherungslogikinstanz verwaltet. Diese Fahrwegelemente werden nach dem Spurplanprinzip in der Reihenfolge angeordnet und verknüpft, wie sie auch in der Aussenanlage liegen.
-
Bei den Gleisabschnitten werden möglichst nur die minimal erforderlichen Abschnitte verwaltet. Kriterien dafür sind:
- a) Eindeutigkeit des Fahrwegs zwischen zwei Weichen/Kreuzungen;
- b) maximale Zuglänge für Streckengleise;
- c) maximale Länge für Gleisfreimeldetechnik, sofern erforderlich; und
- d) Aufstellungsort von EHS/ESS in der Aussenanlage.
-
Damit wird auch die Anzahl der EHS/ESS auf das betrieblich notwendige Mass beschränkt. Start-Ziel-Element-Instanzen (Signale) mit Sicherungslogik-Funktionalität für in der Aussenanlage aufgestellte EHS/ESS werden in dem neuen Ansatz nicht mehr benötigt.
-
An den Schnittstellen zu Altstellwerken mit ETCS L0 bzw. L1LS werden eventuell Start-Ziel-Element-Instanzen (ebenfalls ohne Sicherungslogik-Funktionalität, nur mit Stell- und Überwachungslogik) noch benötigt, z.B. im Zusammenhang mit FAP oder Block. Sie sind jedoch auch gemäss Spurplanprinzip integrierbar.
-
Bahnübergänge bzw. deren Auswirkungen auf jedes Gleis, das im Einflussbereich des jeweiligen Bahnübergangs liegt, sind ebenfalls in einer adäquaten Repräsentation gemäss Spurplanprinzip integrierbar.
-
Die durch das Spurplanprinzip entstehenden Nachbarschaftsbeziehungen werden als Basis für die Kommunikation der Streckensicherungslogik genutzt (siehe auch die Nachbarports in Figur 2). Dabei werden konsequent nahe Abhängigkeiten zwischen direkten Nachbarfahrwegelementen ausgewertet und überwacht. Ferne Abhängigkeiten, sofern erforderlich, werden durch Rekursion bzw. Fortpflanzung entlang der Nachbarschaftsbeziehungen ausgewertet und überwacht. Zusätzlich zu den Nachbarschaftsbeziehungen haben die Fahrwegelemente Bezüge zur Leittechnik, zu Zügen und zu GFM-Informationen (siehe die weiteren Ports in Figur 2).
B - Zug-/Rangierinstanzen statt Fahrstrasseninstanzen
-
Statt Fahrstrasseninstanzen werden in der neuen Streckensicherungslogik nun Zug- bzw. Rangierinstanzen verwaltet. Die Grundlage dieser Instanzen sind die Identität des Fahrzeuggeräts (Onboard Unit ID-Nummer oder auch kurz OBU-ID) und die jeweils zugeordneten Zugnummern. Zuginstanzen können zusätzlich untereinander verlinkt werden, um Folgefahrten bzw. Gegenfahrten, sofern zulässig, zu koordinieren und zu überwachen. Um die Stetigkeit und Unterbruchsfreiheit von gültigen Fahrwegen dennoch gewährleisten zu können, wird als vollwertiger Ersatz ein Plausibilisierungsprinzip hergeleitet (siehe nachfolgender Punkt F).
C - Abstraktion der Art der Gleisfreimeldung/Positionsmeldung
-
Die Art der Gleisfreimeldung (herkömmlich mit Achszählern und Gleisstromkreisen oder mit ideal zuverlässigen, sicheren Positionsmeldungen aller möglichen sich in Gleisnähe befindlichen Objekte und Menschen) wird abstrahiert modelliert, so dass die neue Streckensicherungslogik entsprechend der vorliegenden Gleisfreimeldetechnik (lokal unterschiedlich, je nach Ausbauphase, Bedarf) konservativer oder progressiver handeln kann. Den Fahrwegelementinstanzen liegt die Information abstrahiert und normiert, also unabhängig von der konkreten Art der im Gleis realisierten Gleisfreimeldung, vor:
- a) Einfache Freimeldeinformation: {frei | belegt | gestört}
- b) Gerichtete Freimeldeinformation: {keine Information | Richtung1 | Richtung 2 | beide}
- c) Geometrische Freimeldeinformation: {keine Information | Belegte Länge ab Strang x | Belegte Länge bis Strang x} , je nach Fahrwegelement gibt es üblicherweise 2 bis 4 Stränge
-
Mit den herkömmlichen Mitteln kann z.B. nur die grundlegende Freimeldeinformation frei/belegt/gestört bereitgestellt werden, für die gerichtete und geometrische Freimeldeinformation gilt hier keine Information. Mit jeder vorliegenden höherwertigen Freimeldeinformation können die niederwertigen Freimeldeinformationen nachgebildet werden. Liegt eine höherwertige Freimeldeinformation nicht vor, so gilt für diese {keine Information}.
-
Je detaillierter Positionsmeldungen zuverlässig zur Verfügung stehen, desto feiner granular (optimaler bzgl. der Kapazität) kann die neue zugorientierte Streckensicherungslogik die Überwachung bearbeiten. Solange eine einfache Freimeldeinformation sicher vorliegt, wird diese v.a. beim Freimelden auch direkt genutzt, da sie je nach Häufigkeit der Positionsmeldungen eventuell früher vorliegen kann.
D - Nur eine Streckensicherungslogik
-
Die neue zugorientierte Streckensicherungslogik wird ohne eine Auftrennung in einen "Stellwerk"- und "RBC"-Teil realisiert. Die für die Interoperabilität erforderlichen Schnittstellen zu den On-Board-Units (OBUs) und damit zu den Zügen, d.h. das Protokoll Euroradio und die Telegramminhalte und Verfahren gemäss ETCS-Spezifikationen, werden kompatibel weiter geführt bzw. die Informationen der Züge über diese Schnittstelle werden konsequent genutzt.
-
Die für die Aussenanlagen erforderlichen Schnittstellen zu Weichen, Bahnübergängen, Gleisfreimeldetechniken (entweder Ader-Schnittstellen bei Altstellwerken ab Kabelabschlussgestell oder RaSTA mit standardisierten Schnittstellen-Protokollen bei elektronischen Stellwerken) werden kompatibel weiter geführt oder abwärtskompatibel ergänzt.
E - Reduktion des SIL 4 Anteils
-
Die Schnittstelle von und zur Leittechnik wird grundlegend verändert, da Fahrstrasseninstanzen nicht mehr existieren. Aufgaben, welche nur steuernden Charakter haben, werden an die Leittechnik ausgelagert, da sie alleine noch nicht sicherheitsrelevant sind.
-
In der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik werden nur diejenigen Anteile angeordnet, die zwingend SIL 4 sein müssen. Der Anteil SIL 4 wird alleine aus diesem Aspekt heraus bereits stark reduziert.
-
Die Anteile in der Leittechnik, welche in einem engen Zusammenhang mit sicherheitsrelevanten Funktionen in der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik stehen, werden weiterhin in etwa SIL 2 bezüglich der Verfahrenssicherheit erfüllen müssen. Auch dieser Anteil kann aber kompakt gestaltet und reduziert werden. Eine Entflechtung von SIL2 und SIL0 Anteilen kann hierbei erzielt werden. Insgesamt ist dies schematisch in Figur 1 veranschaulicht.
F - Stark vereinfachte Streckensicherungslogik
-
Die modellierten Fahrwegelemente erhalten ihre Reservierungsaufträge mit den erforderlichen Parametern Zugnummer, OBU ID, Orientierung (Richtung 1, 2), Lage (links, rechts) bei Weichen, Kreuzungen, reservierte Länge (ab/bis Position), Sollgeschwindigkeit, ggf. weitere Parameter, direkt von der Leittechnik.
-
In Figur 3 wird basierend darauf der grundsätzliche Ablauf für Reservierungsaufträge und für die Plausibilisierung des Starts bzw. eines weiteren Fahrwegelements während einer bereits bestehenden Fahrt dargestellt. Weitere Fahrwegverlängerungen gehen aus der Rekursion der anschliessend hergeleiteten Prinzipien für die Plausibilisierung und die Schutzräume hervor.
-
Voraussetzung für das in Figur 3 dargestellte Szenario sind die folgenden Punkte:
- a) Anmeldung des betreffenden Zuges via interoperable ETCS-Schnittstelle von der OBU in der zugorientierten Streckensicherungslogik und Zuordnung zu einer entsprechenden Zuginstanz
- b) Meldungen der Zuginstanz in der zugorientierten Streckensicherungslogik an die Leittechnik über die Anmeldung inkl. Movement Authority-Request, kurz MA-Request
- c) Ermittlung des Sollfahrweges und ggf. der Sollgeschwindigkeit aus dem fortwährend optimierten Fahrplan (Produktionsplanung) und weiteren allgemeinen und der momentanen Situation entsprechenden dispositiven Kriterien und sowie aus der Kenntnis der Topologie der Station/Strecke heraus.
-
Eine Reservierung eines Fahrwegelements wird primär dann als gültig angesehen, wenn zum Zeitpunkt dieser keinerlei andere Reservierung des betrachteten Fahrwegelements besteht oder mit anderen Worten keinerlei andere Reservierung von der zugorientierten Streckensicherungslogik verwaltet wird. Ausnahmeregeln zu dieser Grundregel können für Spezialfälle definiert werden.
-
Für die Plausibilisierung des Fahrwegs werden die Zugnummer (kann bei identischen OBU ID wechseln), OBU ID, Orientierung, Lage und Länge (ab/bis Position) benötigt. Die Regeln und das Ergebnis der Plausibilisierung in allgemeiner Form sind aus der Entscheidungstabelle in Tabelle 1 ersichtlich.
Tabelle 1: Entscheidungstabelle Plausibilisierung Fahrweg; R steht für Regel Bedingungen B | R 1 | R 2 | R 3 | R 4 | R 5 | R 6 | R 7 |
B1: Fahrwegelement <UUID_FWE> ist in Richtung <Ri_FWE> und Lage <La_FWE> gültig reserviert | N | J | J | J | J | J | J |
B2: Länge der Reservierung in dieser Richtung <Ri_FWE> und Lage <La_FWE> gilt bis ans Ende dieses Fahrwegelements | - | N | J | J | J | J | J |
B3: In Richtung <Ri_FWE> existiert ein Nachbarfahrwegelement <UUID_NFWE> | - | - | N | J | J | J | J |
B4: Dieses Nachbarfahrwegelement <UUID_NFWE> ist in einer zum Fahrwegelement passenden Richtung <Ri_NFWE> und passenden Lage <La_NFWE> gültig reserviert | - | - | - | N | J | J | J |
B5: Länge der Reservierung in dieser Richtung <Ri_NFWE> und Lage <La_NFWE> gilt vom Anfang dieses Nachbarfahrwegelements an | - | - | - | - | N | J | J |
B6: Zugnummer und OBU ID sind für dieses Fahrwegelement und dieses Nachbarfahrwegelement identisch | - | - | - | - | - N | N | J |
Ergebnis | | | | | | | |
A1: Fahrweg im Fahrwegelement <UUID_FWE> ist nicht gültig | x | | | | | | |
A2: Fahrweg ist nur innerhalb des Fahrwegelements <UUID_FWE> gültig | | x | x | x | x | x | |
A3: Fahrweg ist vom Fahrwegelement <UUID_FWE> zum Nachbarfahrwegelement <UUID_NFWE> gültig | | | | | | | x |
Legende zu Tabelle 1: - FWE: Fahrwegelement
- NFWE: Nachbarfahrwegelement
- <UUID_FWE>, <UUID_NFWE>: universell eindeutige Identifikationsnummer
- <Ri_FWE>, <Ri_NFWE>: Richtung {Ri1 = typischerweise nach rechts, Ri2 = typischerweise nach links}
- <La_FWE>, <La_NFWE>: Lage {nicht relevant, links, rechts} |
-
Hinweis zu Bedingung B4: <Ri_FWE> und <Ri_NFWE> müssen im Allgemeinen identisch sein. Es ist jedoch aufgrund von einer Gleisschleife oder einem Gleisdreieck (z.B. Zürich Hardbrücke) an bestimmten Stellen in einem Schienennetz mit einem Richtungssprung zu rechnen. Daher müssen die beiden Richtungen passend zueinander sein, aber nicht in jedem Fall identisch. Richtungssprünge müssen im Spurplan hinterlegt werden. Ähnliches gilt für Sprünge in der Kilometrierung. Erst wenn alle Bedingungen B1 bis B6 und damit die Regel R7 erfüllt sind, kann es zum Ergebnis A3 kommen, welches die Gültigkeit des Fahrwegs vom aktuellen Fahrwegelement bis zum Nachbarfahrwegelement bejaht.
-
In Tabelle 2 wird eine FMEA bzgl. der zu betrachtenden Einzelfehlern in den Reservierungsaufträgen durchgeführt. Die Kombinationen mehrerer Einzelfehler führen ebenfalls zur Offenbarung von Unstimmigkeiten.
Tabelle 2: FMEA für Plausibilisierung Fahrweg bzgl. Einzelfehler Reservierung Fahrwegelement | Reservierung Nachbarfahrwegelement | Ergebnis | Regel | Bemerkung |
G3 (Zug A, OBU ID A, Ri1, bis Ende) | W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, links, ab Anfang) | A3 | R7 | Ok |
W9 (Zug A, OBU ID C, Ri1, | A2 | R6 | Falsche OBU ID |
| links, ab Anfang) | | | übertragen |
W9 (Zug F, OBU ID A, Ri1, links, ab Anfang) | A2 | R6 | Falsche Zugnummer übertragen |
W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, links, ab 50m nach Anfang) | A2 | R5 | Position um 50m versetzt übertragen, Lücke, daher nicht plausibel |
W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, links, vor Anfang) | A2 | R5 | Position ausserhalb von Nachbarfahrwegelement, Überlappung, trotzdem nicht plausibel |
W9 (Zug A, OBU ID A, Ri2, links, ab Anfang) | A2 | R4 | Falsche Richtung übertragen |
W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, rechts, ab Anfang) | A2 | R4 | Falsche Lage übertragen |
G11 (Zug A, OBU ID A, Ri2, bis Ende) | beliebig | A2 | R3 | Ende der Topologie |
G3 (Zug A, OBU ID A, Ri1, bis 50m vor Ende) | W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, links, ab Anfang) | A2 | R2 | Position um 50m versetzt übertragen, Lücke, daher nicht plausibel |
G3 (Zug A, OBU ID A, Ri1, nach Ende) | W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, links, ab Anfang) | A2 | R2 | Position ausserhalb von Fahrwegelement, Überlappung, trotzdem nicht plausibel |
keine Reservierung G3 | beliebig | A1 | R1 | Fahrwegelement wurde nicht oder es wurde ein ganz anderes Fahrwegelement reserviert |
-
Mit dem in Tabelle 1 hergeleiteten Prinzip und den Erkenntnissen aus Tabelle 2 ist grundsätzlich eine "sichere" Plausibilisierung gültiger Fahrwege möglich (SIL 4 Aufgabe). Dies erhält umso mehr Bedeutung, da die Steueraufgabe, wann und wo ein Zug/eine Rangierbewegung durchfahren soll, aus der Streckensicherungslogik ausgelagert wird (SIL 0 Aufgabe). "Sicher" formulierte Fahrstrasseninstanzen gemäss dem Stand der Technik sind damit nicht mehr erforderlich.
-
Für den Start wird zusätzlich noch eine weitere Plausibilisierung ausgewertet, welche jedoch von der Qualität der Gleisfreimeldeinformation und einer gültigen Positionsmeldung abhängt (siehe auch Punkt C). Die Regeln und das Ergebnis der Plausibilisierung in allgemeiner Form sind aus der Entscheidungstabelle in Tabelle 3 ersichtlich.
Tabelle 3: Entscheidungstabelle Plausibilisierung Start; R steht für Regel Bedingungen | R 1 | R 2 | R 3 | R 4 | R 5 | R 6 | R 7 |
B1: Fahrwegelement <UUID_FWE> ist in Richtung <Ri_FWE> und Lage <La_FWE> gültig reserviert | N | J | J | J | J | J | J |
B2: Für dieses Fahrwegelement als Nachbarfahrwegelement sind die Bedingungen gemäss "Wahrheitstabelle Plausibilisierung Fahrweg" Regel R7 nicht erfüllt | - | N | J | J | J | J | J |
B3: Für dieses Fahrwegelement ist die Einfache Freimeldeinformation gleich {belegt, gestört} | - | - | N | J | J | J | J |
B4: Für dieses Fahrwegelement ist die Geometrische Freimeldeinformation ungleich {keine Information} | - | - | - | N | J | J | J |
B5: Zugnummer und OBU ID für dieses Fahrwegelement sind auch die Quelle der Geometrischen Freimeldeinformation (Positionsmeldung des Zuges) | - | - | - | - | N | J | J |
B6: Geometrische Freimeldeinformation enthält die Position des Zuges mit Zugnummer und OBU ID in der führenden Position für <Ri_FWE> | - | - | - | - | - | N | J |
Ergebnis | | | | | | | |
A1: Fahrwegelement <UUID_FWE> ist als Start nicht gültig | x | x | x | | | | |
A2: Fahrwegelement <UUID_FWE> ist als Start im Mode SR gültig (TAF) | | | | x | x | x | |
A3: Fahrwegelement <UUID_FWE> ist als Start im Mode OS/FS gültig | | | | | | | x |
-
Die gerichtete Freimeldeinformation ist für die Plausibilisierung Start nicht relevant, da hier alle Werte möglich sind, insbesondere auch wenn der Richtungs-Wert der Richtung <Ri_FWE> nicht entspricht (Wendefahrt).
-
Die Positionsmeldung des Zuges geht nur dann in die geometrische Freimeldeinformation ein, wenn diese Positionsmeldung hinreichenden Kriterien genügt.
-
Für den optimalen Schutzraum wird primär der Parameter Sollgeschwindigkeit benötigt. Kann der Schutzraum seitlich nicht den zugrundeliegenden Regeln (Risikofunktion, ggf. Formeln, etc.) entsprechend erzielt werden, wird die Geschwindigkeit reduziert. Kann der Schutzraum vorne nicht den Regeln (Risikofunktion, ggf. Formeln, etc.) entsprechend erzielt werden, wird die Geschwindigkeit reduziert oder die fehlende Länge von der reservierten Fahrweglänge abgezogen.
-
Diese Regeln können nach dem Ansatz einer herkömmlichen Sicherungslogik wie auch durch den Ansatz einer möglichen "risikobasierten, geometrischen" Sicherungslogik formuliert werden. Gemeinsam soll diesen Ansätzen sein, dass sie wesentlich einfacher und möglichst ohne Sonderfälle gegenüber den heutigen Sicherungslogiken (technisch bedingte Abhängigkeiten, gewachsene und nicht bereinigte Vorschriften und Regelwerke, etc.) formuliert werden.
-
In Figur 4 wird basierend auf dem Ablauf aus Figur 3 der grundsätzliche weitere Ablauf bis zur Bildung einer gültigen Fahrerlaubnis dargestellt.
-
In Figur 5 wird basierend auf dem Ablauf aus Figur 4 die Auswirkung jeweils eines Überwachungsentfalls im Fahrweg und in einem Schutzraum aufgezeigt.
Weitere Eigenschaften und entsprechendes Verhalten in der zugorientieren Streckensicherungslogik
-
- a) Der Zug fährt gemäss der erteilten MA (und ggf. weiterer Optimierungen ATO, etc.), deren Status und Ausdehnung auch der Leittechnik gemeldet wird, und aktualisiert regelmässig und ggf. balisenbezogen seine Position/Geschwindigkeit/Zugintegrität der zugehörigen Zuginstanz in der Streckensicherungslogik und auch der Leittechnik.
- b) Die Zuginstanz liefert damit auch einen wesentlichen Beitrag zur abstrahierten Gleisfreimeldeinformation.
- c) Die Streckensicherungslogik kann damit nach Passieren des Zugschlusses die entsprechende Reservierung der Fahrwegelemente entweder als Ganzes wieder freigeben oder kontinuierlich für nachfolgende Zuginstanzen freigeben (je nach Qualität der Gleisfreimeldung und Zugintegrität der vorausfahrenden Zuginstanz). Diese Zustandswechsel werden unverzüglich auch der Leittechnik übermittelt, sodass diese laufend neue Entscheidungen treffen kann.
- d) Insbesondere dienen die Positionsmeldungen der Zuginstanzen aus der Streckensicherungslogik und die zugehörige MA somit als neue Grundlage für die Zugnummernfortschaltung, welche aktuell noch auf Belegungen von Fahrwegelementinstanzen und Haltstellungen von Signalinstanzen beruht.
- e) Steuert die Leittechnik für einen Folgezug Fahrwegelemente an, welche durch den vorausfahrenden Zug belegt sind oder für diesen in derselben Richtung und Lage überwacht werden, so verlinkt die Streckensicherungslogik die Zuginstanz des Folgezuges mit der Zuginstanz der vorausfahrenden Zuginstanz. Eine kontinuierliche Überwachung des Abstandes wird je nach Qualität der Gleisfreimeldeinformation, Positions- und Geschwindigkeitsmeldung und der Zugintegrität realisiert.
- f) Steuert die Leittechnik für einen bereits verlinkten Folgezug Fahrwegelemente in einer anderen Lage an, so wird dieser Folgelink aufgelöst. Eine Überwachung für den Folgezug ist möglich, sobald das stellbare Fahrwegelement die neue Lage einnimmt.
- g) Steuert die Leittechnik (aus dispositiven Gründen, z.B. Vereinigen) für einen Zug Fahrwegelemente an, welche durch einen entgegenkommenden Zug belegt sind oder für diesen in der entgegengesetzten Richtung, aber derselben Lage überwacht werden, so verlinkt die Streckensicherungslogik die Zuginstanz des Gegenzuges mit der Zuginstanz der gegengerichteten Zuginstanz (als Gegenlink). Eine kontinuierliche Überwachung des Abstandes wird je nach Qualität der Gleisfreimeldeinformation, Positions- und Geschwindigkeitsmeldung realisiert.
G - Mischbetrieb ETCS L2 / L3
-
Durch den in den Punkten A, B, C, D, E und F formulierten Ansatz ist ein Mischbetrieb ETCS L2 und L3 realisierbar. Solange ein vorausfahrender Zug seine Zugintegrität sicher übermittelt und die Art der Gleisfreimeldung ausreichende Qualität aufweist, kann der Folgezug im ETCS L3 und ggfs. im relativen Bremswegabstand folgen.
H - Betriebliche Ausnahmesituationen, Notbedienungen, etc.
-
Auch in einem in Zukunft weiter automatisierten, digitalisierten und optimierten Betrieb sind betriebliche Ausnahmesituationen und Notbedienungen nicht restlos auszuschliessen. Folgende Merkmale sind dafür vorgesehen.
- a) Langsamfahrstellen (TSRs) und Sperren, diese sollten jedoch möglichst ähnlich (Abstraktion als kategorisierte Belegung von differenzierter Qualität) gehandhabt werden, um unterschiedliche Spezialfunktionen zu vermeiden.
- b) Notbedienungen auf einzelne Fahrwegelemente (Umgehung einer Weiche bzw. deren Flankenschutzes, eines Gleisabschnittes, etc.). Diese gelten nach heutigen Risikoakzeptanzkriterien jeweils nur für eine Zug-/Rangierfahrt. Durch derartige Notbedienungen können Besetzte Einfahrten oder Notzugfahrten gehandhabt werden, wobei auch hier eine Abstraktion im o.g. Sinne anzustreben ist.
- c) Vereinigen/Trennen/Wenden ist ohne weitere Bedienungen mittels punktgenauer Bestimmung von Movement Authorities im Mode FS (ETCS Full Supervision) möglich.
I - Beispiel für das neuartige Zusammenwirken von
Fahrwegelement- und Zuginstanzen in einem Betriebsablauf
-
In der folgenden Figur 6 ist ein Ausschnitt eines Betriebsablaufes mit Schwerpunkt Folgefahrten ersichtlich. Es wird aufgezeigt, wie die unter A bis F aufgezeigten Merkmale in der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik wirken.
-
Zug A hat einen gültigen Fahrweg Richtung Gleis 400 und Schutzräume und fährt weiter.
Zug B hat einen gültigen Fahrweg bis Weiche 7 (Fahrweg und zusätzlicher Schutzraum vorne) und hat gerade angehalten.
Zug C folgte ursprünglich Zug B (mit Folgelink), bis die Leittechnik die Weiche 3 in der anderen Lage (links) ansteuern wollte. In diesem Moment wurde der Folgelink Zug C auf Zug B gelöscht. Nachdem Zug B die Weiche 3 freigegeben hatte, konnte diese in den Fahrweg für Zug C aufgenommen und der Fahrweg inkl. der notwendigen Schutzräume weiter verlängert werden. Bei der Verlängerung auf Gleis 3 wird dieses nun für dieselbe Richtung angesteuert. Dadurch wird der Folgelink Zug C auf Zug A gesetzt. Die kontinuierliche Abstandskontrolle kommt zum Tragen, da Zug A volle Zugintegrität meldet. Zug C kann Zug A im relativen Bremswegabstand folgen. Die Leittechnik wird für Zug C auch in Folge Weiche 9 und Weiche 10 ansteuern und aufgrund derselben Lage und Richtung wird der Folgelink zu Zug A erhalten bleiben. Wenn Zug A das Gleis 3 endgültig frei gibt, wird der Link der Zuginstanz A zum Gleis 3 unterbruchsfrei von der Zuginstanz C übernommen.
Zug D hat nur einen gültigen Fahrweg inkl. zusätzlichen Schutzraums vorne bis und mit Weiche 4. Trotz angeforderter Weiche 5 (auch wenn die Linkslage schon vorhanden wäre) wird die Überwachung dort verweigert, da Zug D ansonsten in den für Zug C überwachten seitlichen Schutzraum in der Flanke eindringen würde. Auch Weiche 6 ist angefordert, kann aber zusätzlich aufgrund der aktuellen Lage, welche nicht der angeforderten Lage entspricht, noch gar nicht für Zug D überwacht werden.
-
Der zusätzliche Schutzraum hinten wird durch das Min Safe Front End, die Zuglänge, die Zugintegrität und allenfalls einen Sicherheitszuschlag (damit ergibt sich ein Min Safe Rear End) definiert, dargestellt für Zug A, C und D. Bei fehlender bzw. entfallener Zugintegrität wird der zusätzliche Schutzraum hinten bis zur nächsten Gleisfreimeldegrenze als Rückfallebene ausgedehnt, dargestellt für Zug B.
Vorteile Umsetzbarkeit, Migration
-
Durch den Wegfall von Signalinstanzen und Fahrstrasseninstanzen im Stellwerk und in der Leittechnik werden unnötige Datenhaltungen, welche konsistent sein müssen, vermieden und müssen daher auch nicht geprüft werden und bei Umbauten/Erweiterungen nicht nachgepflegt und gewartet werden. Der Vergleich der Mengengerüste an einem Beispiel einer Sicherungsanlage (Sion - Sierre, mit Levelgrenzen zu L0 bzw. L1/LS an beiden Stellwerkgrenzen) in Tabelle 4 zeigt dies eindrücklich auf.
-
Neben diesen Vorteilen in der Sicherungsanlage selbst kann die Sicherungsanlage zudem vom Infrastrukturbetreiber viel effizienter und einfacher geplant werden (z.B. Planungsaufwände bei Sicherungsanlagen der SBB bis zum Prozessschritt SIOP-A). Die damit einhergehende Komplexität entfällt also.
-
Erfahrungsgemäss gibt es nämlich oft viele Abklärungen und Korrekturrunden, bis Signalpläne stabil sind.
-
Beide Effekte führen unmittelbar zu direkten Kosteneinsparungen im Engineering der Sicherungsanlagen und damit auch zu Einsparungen von Folgekosten, die sich durch Verzögerungen, welche durch diese Arbeiten verursacht werden, ergeben.
-
Die in Tabelle 4 in der letzten Spalte aufgeführten EHS und ESS in der Aussenanlage erfüllen nur noch die Funktion, dass der Lokführer einen definierten Haltepunkt bzw. Standpunkt erkennt (v.a. im Modus SR bzw. im Störungsfall). In der zugorientierten Streckensicherungslogik spielt dieser keine essentielle Rolle bezüglich der Sicherungslogik-Funktionalität mehr bzw. es wird lediglich die Position verwaltet.
Tabelle 4:Vergleich Mengengerüst am Beispiel der Sicherungsanlage Sion - Sierre; SA steht für Sicherungsanlage Elementart | SA bisher L0 bzw. L1/LS | SA bisher L2 | SA neu L3, virtuelle Abschnitte | SA L2/L3 mit neuer zugorientierter Streckensicherungslogik |
Gleisabschnitt | 129 (Stellwerk) | 139 (Stellwerk)
139 (RBC) | 146 (Stellwerk)
146 (RBC) | 139 |
Kreuzung | 1 (Stellwerk) | 1 (Stellwerk)
2 (RBC) | 1 (Stellwerk)
2 (RBC) | 1 |
Weiche / Entgleisungsvorrichtung | 109 (Stellwerk) | 109 (Stellwerk)
109 (RBC) | 109 (Stellwerk)
109 (RBC) | 109 |
Freimeldeabschnitt | 176 | 186 | 186 | 186 |
Block | 4 | 4 | 4 | 4 |
Zwergsignal (ZS) / ETCS-Rangiersignal (ERS) | 142 | 142 | 142 | 0 |
Hauptsignale optisch | 100 | 8 | 8 | 8 |
ETCS-Haltsignal (EHS) bzw. ETCS-Standortsignal (ESS) in der Aussenanlage | 0 | 113 | 155 | 113 |
Start-Ziel-Elemente (Signal, Block) in der Sicherungsanlage | 193 (Stellwerk) | 214 (Stellwerk)
214 (RBC) | 256 (Stellwerk)
256 (RBC) | 8 |
Rangierfahrstrassen (inkl. Kombinationen, ohne Umwege) | 1339 | 1339 | 1339 | 0 |
Zugfahrstrassen (inkl. Kombinationen, ohne Umwege) | 1397 | 2047 | ca. 3500 | 0 |
Hinweis:
-
Bei der Anzahl der Zugfahrstrassen liegt die Annahme zugrunde, dass es pro elementare Start-Ziel-Kombination nur eine einzige Fahrstrasseninstanz gibt. Diese Annahme ist beim Stellwerktyp Simis® W CH erfüllt. Bei anderen Stellwerktypen ist die Anzahl höher, da ggf. für jeden erforderlichen Zugfahrstrassentyp eine separate Fahrstrasseninstanz benötigt wird. Umwegfahrten sind in Tabelle 4 nicht berücksichtigt, da diese nicht über separate Fahrstrasseninstanzen gehandhabt werden.
-
In der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik wird die Komplexität durch den Wegfall der Fahrstrasseninstanzen, der damit verbundenen fernen Abhängigkeiten und durch die Auslagerung des steuernden Anteils und Minimierung des Anteils SIL 4 stark verringert. Dies hat unmittelbar positive Auswirkungen auf die Entwicklung einer derartigen Streckensicherungslogik inkl. aller dazu notwendigen Arbeitsbereiche.
-
Dadurch, dass Funktionalitäten von Stellwerk und RBC nur mehr in einer einzigen Streckensicherungslogik betrieben werden, entfällt die doppelte Haltung von Daten bzgl. der Gleistopologie (Fahrwegelemente, Signale) und der Abgleich von Elementinstanzen für den Datenaustausch über die Schnittstelle. Gleichfalls wird dadurch die Komplexität von Funktionen, welche eine enge Zusammenarbeit beider Systeme bedingt haben, stark reduziert.
Vorteile Effektivität, Leistung, Kapazität
-
Die Streckenausrüstung bzgl. der Qualität der Gleisfreimeldeinformation kann geografisch selektiv gebaut werden. In Zonen von verdichtetem Verkehr kann eine höhere Qualität verbaut werden, als in Zonen mit geringem Verkehrsaufkommen. Genauso kann die für eine präzisere Positionsmeldung auf den Fahrzeugen verbaute Ausrüstung selektiv verbaut werden. Bei S-Bahn-Verkehr in dicht befahrenen Zonen werden z.B. alle Züge mit Überwachung der Zugintegrität und Ausrüstung für präzisere Positionsmeldung ausgerüstet.
-
Durch die abstrahierte Gleisfreimeldeinformation mit hoher Qualität und durch den Wegfall der fixen Fahrstrassenabschnitte aufgrund der Signale kann ein Betrieb im ETCS L3 bis hin zum Fahren im relativen Bremswegabstand realisiert werden. Dadurch kann der Durchsatz an neuralgischen Punkten entscheidend erhöht werden. Fahren unter Full Supervision (FS) in ein noch besetztes Gleis durch einen bereits ausfahrenden Zug wird damit ermöglicht. Im Vergleich dazu kann mit einem Betrieb im L2 in der heutigen Ausprägung eine derartige Fahrt ausschliesslich unter On-Sight (OS) durchgeführt werden, was unweigerlich zu unerwünschten Verzögerungen führt. Selbst mit optischer Signalisierung war das bereits effizient, jedoch mit mehr Restrisiko, mittels einer Besetzten Folgefahrt möglich.
-
Darüber hinaus wird die Effektivität für jeden Betriebsfall erreicht. Im Gegensatz zu einem Streckenlayout mit "geplant optimierten" Fahrstrassenabschnitten, bei dem unweigerlich in der Realität Abweichungen gegenüber dem Plan entstehen (unerwartetes Beschleunigungs- oder Bremsverhalten, betrieblich wechselnde Verhältnisse), welche nicht mehr oder nur schlecht ausgeglichen werden können, kann in jeder Situation dynamisch reagiert werden und das dafür mögliche Optimum herausgeholt werden.
-
Es kann nämlich bereits bei jeder Positionsmeldung reagiert werden und nicht erst dann, wenn eine Positionsmeldung derart gemeldet wird, dass damit ein örtlich festgelegter Fahrstrassenabschnitt (real oder virtuell) als wieder frei bewertet wird. Die zeitliche Diskretisierung der Positionsmeldung und eine damit nicht korrespondierende örtliche Diskretisierung führen nämlich bisher zu zusätzlichen Verzögerungen im gesamten Steuerungsablauf. Durch die Eliminierung der örtlichen Diskretisierung in Fahrstrassenabschnitte entfallen derartige Verzögerungen ersatzlos.
Vorteile Umsetzbarkeit, Migration
-
Die Einführung der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik wird von der Einführung von neuen (streckenseitigen) Lokalisierungstechniken und von der Aufrüstung der Fahrzeuge für die L3-Fähigkeit (Zugintegrität, fahrzeugseitige Lokalisierungstechniken) entkoppelt. Durch die Beschränkung des Lösungsansatzes auf die Streckensicherungslogik und die Leittechnik ist eine interoperable Migration mit diversen Fahrzeugen, welche zumindest L2-fähig sind, möglich. Dies ist zum Beispiel in der Schweiz auf dem Schienennetz der SBB gegeben.
-
Eine spätere Aufrüstung präziserer Lokalisierungstechniken sowie Fahrzeugausrüstungen bedingt keine Anpassungen an der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik. Sie wirkt dann ggfs. einfach effektiver.
-
Durch die Abstraktion der Gleisfreimeldeinformationen ist der Zeitpunkt der Umsetzung einer Lösung der zugorientierten Streckensicherungslogik unabhängig von der Entwicklung von intelligenteren Gleisfreimeldetechniken bzw. präziserer Positionsmeldungen. Wenn diese dann zur Verfügung stehen, können sie durch die optimalere Ausnutzung zu weiteren Kapazitätssteigerungen genutzt werden.
Abgrenzung zu Alternativen
-
Alternativ könnten die Züge selbst noch autarker mit Steuerungsgeräten auf der Strecke kommunizieren, damit der streckenseitige Anteil der Sicherungsanlage weiter verringert wird. Die Leittechnik müsste dazu aber streckenseitige Informationen auf die Züge übermitteln. Dies bedingt aber neue Schnittstellen zu den OBUs, wodurch die Interoperabilität, insbesondere mit ETCS, gefährdet ist. Ausserdem ist es dann problematisch eine Plausibilisierung des Fahrwegs sicher durchzuführen, womit ein erfolgreicher Sicherheitsnachweis fraglich ist.
-
Im Nahverkehr wäre das eine gangbare Alternative, in dem z.B. die Streckenkenntnis statisch auf den Fahrzeugen hinterlegt ist, da es sich jeweils um eine bekannte Topologie und eine begrenzte, einheitliche und beherrschbare Anzahl von Fahrzeugen in einem geschlossenen System handelt. Im Fernverkehr treffen jedoch diese Randbedingungen nicht zu.