-
Verfahren zur Herstellung von Alkohol aus raffinosehaltigen oder melibiosehaltigen
Lösungen durch Gärung Die Herstellung von Alkohol durch Vergärung des Trisaccharids
Raffinose ist bekanntlich mit einigen Problemen recht spezieller Natur verbunden.
Es hat sich nämlich gezeigt, daß viele Hefearten, die, wenn es sich um Gärung von
z. B. Rohrzucker handelt, ein großes Vermögen zu schneller und quantitativer Vergärung
des Guckers haben, versagen, wenn es sich um Vergärung von Raffinose handelt; bestimmter
angegeben, vergären diese Hefearten nur etwa ein Drittel der Raffinose und lassen
die zwei Drittel der Raffinose unberührt. Andere Hefearten dagegen, und hierunter
besonders mehrere Arten untergäriger Bierhefe, vergären die Raffinose vollständig.
-
Das hier erwähnte Verhältnis erklärt sich, wie aus der Enzymliteratur
bekannt, folgendermaßen: Rafficiose, die, wie gesagt, ein Trisaccharid ist, ist
aus drei Monosacchariden, Galaktose, Glukose und Fruktose, aufgebaut:
Da man nun damit rechnen muß, daß nur Monosaccharide unmittelbar vergärbar sind,
ist die Bedingung dafür, daß eine Hefeart Raffinose vollständig vergären kann, die,
daB die betreffende Hefeart Enzyme enthält, die sowohl die Bindung I als auch die
Bindung II spalten können, und hier ist der Punkt, wo viele Hefearten zu kurz kommen,
da
sie nur Enzyme, die die Bindung 1I spalten können, jedoch keine
Enzyme; die die Bindung I spalten können, enthalten. Wenn solche Hefearten einer
Raff noselösung hinzugesetzt werden, wird das Ergebnis also sein, daß nur die Fruktose,
die durch die Aufhebung der Bindung 1I abgespalten wird, in Gärung übergeht und
in Alkohol und Kohlen= säure umgebildet wird, während der Rest des Raffinosemoleküls,
d. h. das Disaccharid Galaktoseglukose, das auch Melibiose benannt wird, ungespalten
und also auch unvergoren verbleibt.
-
Andere Hefearten, wie z. B. die meisten Arten untergäriger Bierhefe,
besitzen außer Enzymen, die die Bindung II spalten können, auch Enzyme, die die
Bindung I spalten können, und diese Hefearten können folglich die Raffinose vollständig
vergären. Enzympräparate, die imstande sind, ein Melibiosemolekül in zwei Moleküle
Monosaccharid zu spalten, oder die, im ganzen genommen, imstande sind, ein Raffinosemolekül
zu spalten, so daß die Bindung I gebrochen wird, werden im folgenden als DIelibiasepräparate
bezeichnet.
-
Diese eigentümlichen Probleme, die sich an die Frage einer vollständigen
Vergärung der Raffinose knüpfen, spielen eine nicht geringe Rolle in der Gärungstechnik,
z. B. wenn es sich um die Herstellung von Alkohol durch Gärung von aus der Herstellung
von Rübenzucker stammender Melasse handelt. Zuckerrüben haben nämlich einen nicht
ganz geringen, von Ernte zu Ernte schwankenden Raffinosegehalt, der in der Regel
in der Melasse endet. Wenn es sich daher darum handelt, Alkohol durch Vergärung
solcher Melasse herzustellen, gilt es, die Räffinose vollständig vergoren zu erhalten,
und in den hierher gehörenden Handbüchern wird die Anwendung von untergäriger Bierhefe
bei Vergärung von Melasse empfohlen, was ja auch nach den oben angegebenen theoretischen
Erklärungen als richtig und rationell angenommen werden muß.
-
Endessen zeigt es sich oft, daß man im praktischen Betrieb von Spiritusfabriken
durch Einführung von Arten melibiasehaltiger, untergäriger Bierhefe keine deutliche
Erhöhung der Alkoholausbeute -im Vergleich mit der Verwendung von z. B. Preßhefe,
die melibiasefrei ist ünd nur ein Drittel der Raffinose vergärt, erhält. Die Ursache
dafür, daß die Einführung melibiasehaltiger Hefearten bei der Gärung im Fabrikbetrieb
nicht immer zu höheren Alkoholausbeuten führt, muß wahrscheinlich darin gesucht
werden, daß diese Hefearten während ihrer Propagierung in den Melassespiritusfabriken
sehr geneigt sind, ihre ursprüngliche Melibiasewirkung zu verlieren.
-
Die vorliegende Erfindung betrifft ein geändertes, Verfahren bei der
Herstellung von Alkohol aus raffinosehaltigen Lösungen durch Gärung. Das Verfahren
nach der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, daß die Spaltung der Melibiose in
2 Moleküle Monosaccharid oder der Raffinose in r Molekül Galaktose + i Molekül Glukosefruktose
dadurch effektuiert wird, daß der Maische vor oder zu einem beliebigen Zeitpunkt
während der Gärung Präparate, vorzugsweise Aufschlemmungen oder Lösungen des Enzyms
Melibiäse, hinzugesetzt werden. Nachdem diese Melibiasepräparate, bei geeigneter
Temperatur und ph, die Raffinoselösung beeinflußt haben und bzw. oder während sie
die Lösung beeinflussen, setzt inan der Lösucig liefe hinzu. Man kann natürlich
auch zuerst eine raffinosehaltige Lösung in üblicher Weise vergären, so daß Melibiose
zurückbleibt, und dann der melibiosehaltigen Lösung Melibiase und gegebenenfalls
weitere Hefemengen hinzusetzen. Die verwendete Hefe braucht in allen diesen Fällen
nicht melibiasehaltig zu sein, sondern kann nach ganz anderen Gesichtspunkten gewählt
werden, z. I3. nach ihrem Vermögen zu schneller Vergärung oder ihrem Vermögen zum
Ertragen hoher Alkoholkonzentrationen usw. Man erreicht durch das Verfahren nach
der " Erfindung mit größerer Sicherheit eine vollständige Ausnutzung von Raffinose
bei der Herstellung von Alkohol als durch die bisher bekannten Methoden.
-
Die zu verwendenden \-lelil>iaseprodukte können in an sich bekannter
Weise hergestellt werden, z. B. aus Schimmelpilzen oder Hefe, ein Verfahren ist
beispielsweise in Emil F i sch e r und F. L i n d n e r , Her. dtsch. chem. Ges.
28, 3034 (r895), beschrieben.
-
Als Melibiasepräparate kann man oft vorteilhaft solche Rohpräparate
der Enzyme Emulsin oder Invertin verwenden, die bei einer vorherigen Untersuchung
sich als inelibiasehaltig erwiesen haben. Rohemulsinpräparate und Rohinvertinpräparate,
beispielsweise hergestellt aus Mandeln oder Pflaumenkernen bzw. Bierabfallhefe,
enthalten in der Regel viele verschiedene Enzyme und unter diesen oft Melibiase.
Die erwähnte vorherige Untersuchung, ob ein Präparat melibiaselialtig ist, kann
z. B. in einfacher Weise dadurch vorgenommen werden, daß man einer Lösung reiner
Melibiose eine Hefeart, z. B. gewöhnliche Preßhefe, die keine Melibiase enthält,
hinzusetzt. Diese Zuckerlösung wird dann nicht in Gärung gehen. Das Präparat, dessen
etwaiger Melibiasegehalt untersucht werden soll, wird nun dieser Lösung hinzugesetzt.
Kommt die Lösung hierdurch in Gärung, hat das Präparat Melibiase enthalten.
-
Das Melibiasepräparat kann entweder der raffinoselialtigenoder melibiosehaltigen
Lösung für sich hinzugesetzt werden, oder es kann beliebigen beim Gärprozeß verwendeten
Zusiitzen, wie z. B. Nährsalzen oder gegebenenfalls Hefe (Trockenhefe), beigemischt
werden, so daß es in dieser Form verkauft und bei Gebrauch zusammen mit den betreffenden
Zusätzen in die Lösung eingebracht wird.
-
Im folgenden Ausführungsbeispiel ist als Melibiasepräparat ein Rohinvertinl>rä1>arat
verwendet. Im Ausführungsbeispiel ist ein Kontrollversuch enthalten, so daß der
Vorteil bei Behandlung der Maische nach der vorliegenden Erfindung deutlich hervortritt.
Ausführungsbeispiel ioog Raffinose (das Ilandelspräparat C1ßH32016, 5 1120) wurde
in einem Gemisch von i,5 1 Wasser
und '/2 1 des dänischen Handelspräparats
Invertan, ein Rohinvertinpräparat, das bei vorheriger Untersuchung einen Gehalt
großer Mengen Melibiase zeigte, gelöst. Der Lösung wurden 40 g einer Hefequalität,
die erfahrungsgemäß zum Ertragen von Alkohol und zu schneller Vergärung gewöhnlicher
Zuckerlösungen vorzüglich geeignet ist, die jedoch von Lösungen von Raffinose in
Wasser nur etwa ein Drittel der Raffinose umzusetzen vermag, da diese I--lefeart
keine Melibiase enthält, hinzugesetzt. Die Lösung mit der Hefe wurde nun bei etwa
30° C etwa .IS Stunden heiseitegestellt. Darauf war die I_üsi,ng vergoren, und die
Spiritusausbeute wurde bestimmt. I?s waren 54,1 cm3 Alkohol, gemessen als iooo/ciger
Alkohol bei 15° C, gebildet worden.
-
Genau der gleiche Versuch wurde wiederholt, nur sollte dieser Versuch
als Kontrollversuch dienen, und <las verwendete halbe Liter des Präparats Invertan
war daher im voraus während einiger Minuten auf 7,5" C erwärmt worden, wodurch der
@1eiil>iasegehalt zerstört wird. Auch hier war die Lösung nach 48 Stunden bei etwa
30° C vergoren, die @lko>holausheute war indessen jetzt nur 17,9 cm3 (iooo/oiger
Alkohol bei 15° C).
-
Der LTtiterscllied zwischen den beiden erwähnten Alkoholausbeuten
5,4,1 und 17,9 cm3 = 36,2 cm3 repräsentiert die beträchtliche Erhöhung der Alkoholausbeute,
die nach der vorliegenden Erfindung erreicht ist, und diese Erhöhung ist durch Verwendung
einer der für die Spiritusfabrikation so wohlgeeigneten melibiasefreien Hefearten
erreicht.