-
Verfahren zur Abtötung von Milzbrandsporen o. dgl. Bakteriendauerformen
in tierischen Eiweißstoffen Die wirksame und praktisch durchführbare Desinfektion
von Häuten, Fellen, Borsten, Haaren, Därmen u. dgl. im allgemeinen und insbesondere
gegen Milzbrand oder andere Bakteriendauerformen ist ein noch ungelöstes Problem.
Welche außerordentliche Widerstandsfähigkeit einzelne Bakteriendauerformen, z. B.
die Milzbrandsporen, besitzen, geht aus der von Prof. Dr. D. OttO-lenghi (»Desinfektion«,
Jg. z, 29o8, S. 216) gefundenen Tatsache hervor, daß bei dem von ihm angewendeten
Untersuchungsverfahren »Milzbrandsporen von gar nicht außergewöhnlicher Widerstandsfähigkeit
die Wirkung von konzentrierten <)uecksilberchloridlösungen gut ertragen, und
zwar zu 5,4 Prozent, wenn sie trocken, und zu 1,3 Prozent, wenn sie feucht sind,
auch wenn sie bei einer Temperatur von 25° und durch 2q. Stunden lang einer solchen
Wirkung ausgesetzt werden«.
-
Vielfach wird bei der Bekämpfung des Milzbrandes in der Lederindustrie
das sogenannte Pickelverfahren verwendet, d. h: die kombinierte Anwendung von Salzsäure
und Kochsalz.
-
Bei einer vergleichenden Untersuchung verschiedener Säuren auf ihre
Desinfektionskraft gegenüber verschiedenen Bakteriendauerformen stellte sich nun
heraus, daß deren Einwirkung auf diese eine ganz wesentlich geringere ist, als nach
ihrem Verhalten gegenüber anderen Bakterien hätte erwartet werden sollen. Verdünnte
Schwefelsäure, welche z. B. gegenüber Bacterium coli eine erhebliche desinfizierende
Wirkung aufweist, übt auf Milzbrandsporen nur eine, etwa fünfhundertmal geringere
Wirkung aus. Auffallend ist auch die geringe Wirkung der Trichloressigsäure auf
Milzbrandsporen. Obwohl verdünnte Trichloressigsäure eine etwa viermal so starke
bakterizide Wirkung wie verdünnte Schwefelsäure auf Bacterium coli hat, ist z. B.
ihre abtötende Wirkung auf Milzbrandsporen bei einer Einwirkungsdauer von r Stunde
etwa tausendmal geringer als auf Colibakterien bei der gleichen Einwirkungsdauer.
-
Es wurde nun gefunden, daß Rhodänwasserstoffsäure, welche in ihrer
keimtötenden Wirkung gegenüber verschiedenen Bakterienarten, wie z. B. Bakterium
coli und Staphylococc. pyog. aur., der Trichloressigsäure gleichkommt und wie diese
hierbei die Mehrzahl der anderen Säuren weit übertrifft, allgemein auch in bezug
auf ihr Verhalten gegenüber Bakteriendauerformen eine überraschend hohe sporizide
Wirkung besitzt; z. B. ist die abtötende Wirkung der Rhodanwasserstoffsäure auf
Milzbrandsporen etwa sechzehnmal so groß wie die der Trichloressigsäute.
In
der folgenden Tabelle wird diese besondere Wirkung' der Rhodänwasserstoffsäure auf
die als Beispiel herangezogenen Milzbrandsporen veranschaulicht. Setzt man.z.$:
den Desinfektionswirkungsgrad der Salzsäü:re.-in allen Fällen gleich i (DWG/HCI
= Y);:-sö-: ergeben sich für die Desinfektionsdauer vd i Stunde die in nachstehender
Tabelle zusammengestellten DWG-Werte für die keimtötende Wirkung gegenüber Bacterium
coli einerseits und Milzbrandsporen andererseits:
Bacterium Milzbrand- |
` coli sporen |
Salzsäure ... . . .. . . . . . i i' |
Schwefelsäure ........ 4 /4 |
Trichloressigsäure .... 16 < i |
Rhodan- |
wasserstoffsäure .... i(i 8 |
In der Rhodanwasserstoffsäure wurde also eine gegen Dauerformen von Bakterien besonders
wirksame keimtötende Säure ermittelt, welche deshalb zur Desinfektion von Materialien,
die Bakteriendauerformen enthalten, wie Felle, Häute, Borsten, Haare, Därme usw.,
besonders geeignet ist. Anstatt Rhodanwasserstoffsäure als solche anzuwenden, lassen
sich auch solche Rhodanverbindungen oder Mischungen von Rhodanverbindungen mit anderen
Stoffen, welche'in Gegenwart von Wasser freie Rhodanwasserstoffsäure abspalten,
z. B. saure rhodanwasserstoffsaure Salze oder Mischungen von Rhodaniden mit Säuren
oder sauren Salzen, verwenden. Also allgemein ausgedrückt, sind solche- Stoffe verwendbar,
in deren Lösungen gleichzeitig Rhodanionen einerseits und Wasserstoffionen andererseits
auftreten.
-
Zur Durchführung des Verfahrens kann man sich der bekannten Mittel
bedienen, wie sie bei der Desinfektion allgemein üblich sind. Lösungen mit einem
Gehalt von etwa 3°/0- Rhodanwasserstoffsäure vermögen z. B. bereits innerhalb eines
Zeitraumes von 4 Stunden die Abtötung von Milzbrandsporen an organischen Stoffen,
wie Haaren) Borsten usw., zu vollziehen; dabei übt die Rhodanwasserstoffsäure in
den die Sporen vernichtenden Konzentrationen keine schädigende Wirkung auf die zu
behandelnden Stoffe aus. Die Einwirkung kann bei gewöhnlicher oder erhöhter Temperatur
stattfinden.
-
Es versteht sich von selbst, daß bei dieser hochwirksamen Keimtötung
andere Mikroorganismen . von gleicher oder geringerer Widerstandsfähigkeit, wie
sie massenhaft auf den tierischen Häuten = o. dgl. vorkommen, ebenfalls vernichtet
werden, so daß der Gebrauch des Desinfektionsmittels bei tierischen Stoffen nicht
nur eine Schutzmaßnahme gegen die in denselben etwa vorhandenen Milzbrandsporen
oder anderen Bakteriendauerformen darstellt, sondern auch eine besondere Desinfektion
zur Abtötung anderer -,,Mikroorganismen überflüssig macht.
-
_','Die freie Rhodanwasserstoffsäure oder die rlödanwasserstoffsauren
Verbindungen, aus denen gemäß vorliegender Erfindung freie Rhodanwasserstoffsäure
abgespalten wird, können auch mit anderen Neutralsalzen, wie z. B. Kochsalz, kombiniert
werden. Man kann z. B. Gemische von Kochsalz, rhodanwasserstoffsauren Salzen und
sauren Salzen, wie Kaliumbisulfat, oder Säuren, wie z. B. Oxalsäure, verwenden,
wobei dieselben mit der natürlichen Feuchtigkeit oder später hinzuzusetzendem Wasser
auf dem zu desinfizierenden Material in den gelösten Zustand übergehen. Anstatt
Lösungen zu verwenden, kann man die Rhodanwasserstoffsäure auch in gasförmigem Zustande
auf die zu desinfizierenden Stoffe einwirken lassen.
-
Es ist zwar ein Verfahren zum Weichen von Häuten und Fellen bekanntgeworden,
bei welchem Rhodansalze angewendet werden. Da aber das vorliegende Verfahren zur
Desinfektion von Bakterieridauerformen enthaltenden Materialien auf der bisher unbekannten
Tatsache beruht, daß ausschließlich den Säuren oder sauren Stoffen in ihrer gemeinsamen
Wirkung mit Rhodanverbindungen, nicht aber den neutralen Rhodaniden als solchen
die sporizide Wirkung zukommt, unterscheidet es sich demnach grundsätzlich von den
bereits bekannten Verfahren zum Weichen von Häuten und Fellen mit Rhodansalzen,
die in alkalischer oder neutraler Lösung angewendet werden und in dieser Anwendungsart
für den vorliegenden Zweck gar nicht in Betracht kommen.
-
Aus der großen Reihe von Modifikationen, die sich bei der praktischen
Anwendung des Verfahrens gemäß vorliegender Erfindung hinsichtlich Zusammensetzung
der Lösungen und der Einwirkungsdauer ergeben, werden im folgenden einige Beispiele
gewählt, wobei jedoch bemerkt wird, daß das Verfahren keineswegs auf die hier nur
beispielsweise angegebenen Konzentrationen und Einwirkungszeiten beschränkt sein
soll.
-
Ausführungsbeispiele i. Wäßrige Rhodanwasserstoffsäure mit einem Gehalt
von 3% H S C N tötet Bakteriendauerformen, die an tierischen Stoffen haften,
binnen 4 Stunden ab.
-
a. Durch Lösen von 5o g Kaliumrhodanid und 70 g Kaliumbisulfat
in Wasser zu einem Liter erhält man eine Desinfektionslösung, die Bakteriendauerformen,
an tierischen Stoffen haftend; binnen 4 Stunden abtötet.
3. 25 g
Kaliumrhodanid werden in etwa '/21 Wasser gelöst; nach Zusatz von 6o ccm roher Salzsäure
(30°/0) wird das Gemisch mit Wasser auf i 1 aufgefüllt. Diese Lösung tötet Bakteriendauerformen
an tierischen Stoffen innerhalb 24 Stunden ab.
-
4. 25 g Kaliumrhodanid; 30 g Kaliumbisulfat und io g Natriumchlorid
werden in Wasser zu einem Liter gelöst. Diese Lösung tötet Baktersendauerformen
an tierischen Stoffen binnen 24 Stunden ab.
-
5. Mit Milzbrandsporen und anderen Mikroorganismen behaftete Kalbsfelle
werden in eine wäßrige Lösung, welche o,gi°/o Salzsäure und 2,4/, Rhodankalium enthält,
7 Stunden lang eingehängt oder eingelegt. Dieselben sind nach der Behandlung frei
von Milzbrandsporen und anderen Mikroorganismen.
-
6. Eine mit Milzbrandsporen behaftete Ochsenhaut von 35 kg Rohgewicht
wird mit 2,5 kg Kochsalz, welches 549 Kaliumrhodanid enthält, auf der Fleischseite
bestreut, alsdann werden weitere 2,5 kg Kochsalz, gemischt mit 76 g Natriumbisulfat,
zugestreut, wobei dafür Sorge getragen wird, daß sämtliche Fleischteile der Aasseite
gleichmäßig mit der SaIzmischung beschickt sind.