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Bekannte Verfahren zur Lösungspolymerisation des Acrylnitrils ermöglichen
wichtige Qualitätsverbesserungen, wie die Herstellung völlig homogener Polymerisate
(sowohl Acrylnitril als auch Vinylidenchlorid sind in Dimethylformamid gut löslich)
und gelfreier Spinnlösungen, und bieten weiterhin die Möglichkeit, erhöhte Lösungskonzentrationen
zu erreichen. Diese Eigenschaften wirken sich auf die Spinntechnik (leichtere Filtration,
günstigere Spinnbedingungen) besonders vorteilhaft aus.
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Das Lösungspolymerisationsverfahren ist jedoch mit Schwierigkeiten
verbunden, die die großtechnische Verwendung dieses Verfahrens lange hinausgezögert
haben: 1. Es hat sich gezeigt, daß technisch brauchbare Produkte nur mit Hilfe von
radikalischen Polymerisationskatalysatoren hergestellt werden können. Die geeigneten
organischen Lösungsmittel, wie z. B. Dimethylformamid, Dimethylsulfoxid, Äthylen-Carbonat,
y-Butyrolacton, zeigten aber ein hohes Ketten.-übertragungsvermögen bei der radikalischen
Kettenreaktion. Auf Grund der hohen übertragungskonstanten der Lösungsmittel konnten
also bei höheren Reaktionsgeschwindigkeiten Produkte nur mit niedrigen Molekulargewichten
hergestellt werden; oder, anders formuliert, für Faserzwecke erforderliche verhältnismäßig
hohe Molekulargewichte (K-Wert über 75, H. F i k e n t s ch e r, Cellulosechemie,
13 [1952] S.60) konnten nur bei niedrigen Reaktionsgeschwindigkeiten erzielt werden.
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2. Eine weitere Unannehmlichkeit resultiert aus der starken Vergilbungsneigung
der Polyacrylnitril-Lösungen. Lange Reaktionszeiten, aber vor allem Reaktionstemperaturen
können zu technisch unbrauchbaren bzw. minderwertigen Produkten führen.
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3. Es können weiterhin nur Reagenzien verwendet werden, die im Reaktionsmedium
vollkommen löslich sind und auch im Laufe der Polymerisation in Lösung bleiben.
Zum Beispiel ungelöste Katalysatorreste oder ausgefallene Salze erhöhen die Gelierungsneigung,
vermindern die Qualität der Spinnlösung und erschweren die weitere Verarbeitung.
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4. Die während der Polymerisation nicht umgesetzten Katalysatorreste
können nach Beendigung bzw. nach Abbruch der Polymerisation nicht mehr entfernt
werden. Diese können daher bei der weiteren Verarbeitung der Lösung unerwünschte
Reaktionen (Entstehen niedermolekularer Polymerisate, Verfärbung) hervorrufen.
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Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Wirksamkeit und die sonstigen
Eigenschaften der verwendeten Katalysatoren - die auch die Reaktionsbedingungen
maßgeblich bestimmen - auf die verfahrenstechnischen Faktoren und auf die Güte der
Spinnlösungen einen großen Einfluß haben und daher die Brauchbarkeit und praktischen
Wert des Verfahrens weitgehend bestimmen.
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Um die obenerwähnten Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen bzw. zu
vermindern, sollten also Katalysaytoren verwendet werden, die im Reaktionsmedium
gut löslich und schon in geringen Konzentrationen so wirksam sind, daß die Polymerisation
bei niedrigen Temperaturen mit verhältnismäßig hoher Geschwindigkeit reproduzierbar
durchgeführt werden kann. Dabei müssen die gebildeten Spinnlösungen hell, klar,
gelfrei und stabil gegen Verfärbung und Gelierung sein.
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Bei bekannten Verfahren konnten alle diese Forderungen keineswegs
gleichzeitig und vollkommen erfüllt werden. Als Katalysatoren zur Durchführung der
Lösungspolymerisation des Acrylnitrils in organischen Lösungsmitteln wurden Bortrifluorid,
Azoverbindungen, anorganische und organische Peroxide bzw. Toluolsulfinsäure-Natriumsalz
eingesetzt. Es hat sich hierbei gezeigt, daß entweder die Ausbeuten an Polymeren
und die erreichten Molekulargewichte nicht ausreichend hoch waren (Bortrifluorid)
oder hohe Reaktionstemperaturen bzw. lange Reaktionszeiten nötig waren (Azoverbindungen
und Peroxide allein), um technisch brauchbare Produkte erzielen zu können. Die hohen
Reaktionstemperaturen riefen bei Peroxiden - insbesondere in Dimethylformamid-Lösung
- besonders leicht unerwünschte Verfärbungen der Lösungen hervor. Bei der Verwendung
von anorganischen Peroxiden bzw. von Alkalisalzen der Sulfinsäuren sind außerdem
noch besonders unangenehm die niedrige Löslichkeit dieser Verbindungen im Reaktionsmedium
und die Tatsache, daß bei Ansetzen und während der Polymerisation beträchtliche
Salzausscheidungen auftreten, die entweder gar nicht oder nur bei sehr hohen Temperaturen
gelöst werden können. Dadurch wird die Spinnfähigkeit und Haltbarkeit der Spinnlösungen
wesentlich herabgesetzt. Bei Alleinverwendung von Sulfinsäure-Alkalisalzen ist außerdem
die Anwesenheit von bestimmten Mengen an Luftsauerstoff notwendig, wodurch die Reproduzierbarkeit
des Verfahrens, besonders im technischen Maßstab, beträchtlich erschwert wird. Bei
Verwendung von Azo-Katalysatoren muß der Luftsauerstoff dagegen wegen seiner inhibierenden
Wirkung völlig ausgeschlossen werden, und aus dem gleichen Grund können auch Polymerisationsstabilisatoren
(Inhibitoren) enthaltende Monomere nicht direkt verwendet werden; sie müssen vorher
- meistens durch Destillation - entfernt werden.
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Es ist weiterhin ein Verfahren zur Herstellung von Acrylnitrilpolymerisaten
bekannt, bei dem Acrylnitril zusammen mit anderen Monomeren in einem organischen
Lösungsmittel unter Verwendung von bestimmten organischen Peroxyden als Katalysatoren
polymerisiert werden. Als Inhibitor wird bei diesem bekannten Verfahren ein Hydroxylaminsalz
zusammen mit Schwefelsäure eingesetzt, wobei als Lösungsmittel zur Durchführung
der Polymerisation Dimethylsulfoxyd oder Äthylencarbonat verwendet wird. In diesen
Lösungsmitteln verläuft die Lösungspolymerisation des Acrylnitrils wesentlich schneller
als in Dimethylformamid, so daß die Lösungspolymerisation mit den normalen Katalysatoren
bzw. Katalysatorsystem durchgeführt werden kann.
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Es wurde nun ein Verfahren zur Herstellung von verspinnbaren Lösungen
von Acrylnitril-Vinylidenchlorid-Copolymerisaten durch Copolymerisation von 70'%
Acrylnitril mit Vinylidenchlorid in organischen Lösungsmitteln bei Temperaturen
zwischen 30 und 60° C in Gegenwart von a) einem organischen Peroxyd, b) einem Salz
einer organischen Base und c) einer starken Mineralsäure gefunden, das dadurch gekennzeichnet
ist, daß in Dimethylformamid in Gegenwart eines Redoxkatalysatorsystems bestehend
aus a) Lauroylperoxyd, tert.-Butylpermaleinat oder Methyläthylketonperoxyd, b) dem
Morpholin- oder Diäthylaminsalz der p-Chlorbenzolsulfinsäure oder Toloulsulfinsäure
und c) Schwefelsäure copolymerisiert wird.
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Hierbei werden helle. klare und gelfreie Spinnlösungen
erhalten,
die stabil gegen Verfärbung und Gelierung sind.
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Der im Reaktionsmedium gelöste Luftsauerstoff stört die Polymerisation
nicht. es muß aber verhindert werden, daß während der Reaktion weitere Sauerstoffmengen
Zutritt finden. Des weiteren können auch Monomeren, die Stabilisatoren - wie Thiosemicarbazid,
Ammoniak oder Hydrochinon oder deren Derivate - enthalten, ohne Reinigung eingesetzt
werden.
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Das Reaktionsgemisch, das zur Polymerisation eingesetzt wird, enthält
in der Regel 50 bis 70 Gewichtsteile, vorzugsweise 55 bis 65 Gewichtsteile, Dimethylformamid,
30 bis 50 Gewichtsteile, vorzugsweise 35 bis 45 Gewichtsteile, der Monomeren und
jeweils 0,05 bis 0,5 Gewichtsteile Oxydationsmittel, Reduktionsmittel und konzentrierte
Schwefelsäure. Das Mengenverhältnis von Oxydationsmittel zu Reduktionsmittel kann
im Bereich von 1:0,5 bis 1:4 liegen. Die Schwefelsäure soll hierbei in einem 1,2-
bis 4fachen molaren überschuß zum Reduktionsmittel eingesetzt werden. Bei Reaktionstemperaturen
zwischen 30 und 60° C, vorzugsweise bei 35 bis 45° C, benötigt man 15 bis 35 Stunden
Reaktionszeit, um einen Umsatz der Monomeren zum Polymeren von 45 bis 80% zu erreichen.
Dabei entstehen Polymerisate mit einer relativen Viskosität (17",) von 1,75 bis
2,0 gemessen in einer 0,5%igen DMF-Lösung bei 20° C (K-Werte nach Fikentscher: 75
bis 85).
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Nach Beendigung der Polymerisation wird ein bekannter Polymerisationsinhibitor
in die Lösung eingeführt. Dadurch kann vermieden werden, daß während der weiteren
Verarbeitung der Lösung niedermolekulare Polymerisate entstehen. Anschließend wird
die Lösung direkt oder nach Entfernung der nichtumgesetzten Monomeren - z. B. in
einem Dünnschichtverdampfer - nach bekannten Trocken- oder Naßspinnverfahren versponnen.
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Die nach dem erfindungsgemäßen Verfahren hergestellten Spinnlösungen
aus Acrylnitril-Vinylidenchlorid-Copolymerisaten sind klar, gelfrei und haben einen
sehr hellen gelblichen Farbton. Sie können nach Entfernung der Monomoren monatelang
gelagert werden, ohne daß die Viskosität der Lösungen sich wesentlich verändert.
Die gesponnenen Fäden haben einen hohen Weißgrad, gute Thermostabilität und ausgezeichnete
Textilwerte. Beispiel 1 bis 5 Als Reaktionsgefäß dienten bei jedem dieser Beispiele
dickwandige, aus zwei Teilen bestehende, eiförmige Glasautoklaven mit etwa 200 ml
Inhalt. (Die beiden Teile des Gefäßes sind durch einen Planschliff zusammenfügbar
und mit Hilfe von zwei Metallringen und vier Schrauben druckfest schließbar. Zwischen
den Planschliffflächen befindet sich ein Dichtungsring.) Das Reaktionsgemisch wurde
in den unteren, größeren Teil des Gefäßes eingefüllt, und nach Ausblasen mit Stickstoff
wurde der Autoklav geschlossen. Die Temperung erfolgte in einem Wasserbad bei 45°
C und dauerte 16 Stunden lang. Danach wurde das Polymerisat in Methanol ausgefällt,
im Vakuum bei 65 bis 70°C getrocknet. Die relative Viskosität der 0,5%igen Polymerisatlösung
in DMF- wurde in einem Ubbelohde-Viskosimeter bei 20° C bestimmt (y)rel).
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Es wurden fünf Versuche mit verschiedenen Redoxsystemen unter den
beschriebenen Bedingungen durchgeführt. Die Zusammensetzung des Reaktionsgemisches
war in allen Fällen wie folgt: 55 g Dimethylformamid, 31,5 g Acrylnitril und 13,5
g Vinylidenchlorid. Die eingesetzten Peroxyde, die Sulfinsäuresalze, die Menge Schwefelsäure,
weiterhin die Ausbeuten nach 16 Stunden Reaktionszeit (U), die relativen Viskositäten
(ii",) und die daraus berechneten K-Werte (KW) nach Fikentscher sind in der nachfolgenden
Tabelle zusammengefaßt.
Versuch |
Farbe |
Peroxyd Sulfinsäuresalz ccm s7re1 KW der Lösung Nr. |
H2S04 (/o) |
g |
1 Lauroylperoxyd: 0,2g p-Chlorbenzolsulfinsäure- 0,15 g 43
1,89 81,4 Schwach- |
Morpholinsalz: 0,2 g gelblich |
2 tert.-Butylpermaleinat: 0,2 g p-Chlorbenzolsulfinsäure- 0,15
g 47 2,05 86,2 Schwach- |
Morpholinsalz: 0,2 g gelblich |
3 Methyläthyl- p-Chlorbenzolsulfinsäure- 0,15 g 54
1,78 77,0 Schwach- |
ketonperoxyd: 0,2 g Morpholinsalz: 0,2 g gelblich |
4 Lauroylperoxyd: 0,2 g p-Toluolsulfinsäure- 0,15 g 46 1,86
80,3 Schwach- |
Morpholinsalz: 0,2 g gelblich |
5 tert: Butylpermaleinat: 0,25 g p-Chlorbenzolsulfinsäure-
0,20 g 51 1,82 78,7 Hellgelb |
Diäthylaminsalz: 0,25- |
Beispiel 6 In einem mit Rührer, Thermometer, Vakuum- und Stickstoffanschluß ausgestatteten
25-1-V 4-A-Autoklav wurde die Polymerisation durchgeführt. Nach Einfüllen der Reaktionskomponenten
wurde der Autoklav kurz evakuiert und danach ein Stickstoffschutzdruck von 0,2 atü
eingestellt. Das Reaktionsgemisch bestand aus 11 kg Dimethylformamid, 6,3 kg Acrylnitril,
2,7 kg Vinylidenchlorid, 30 g tert.-Butylpermaleinat (500/ oige Lösung in Dimethylphthalat),
30 g Toloulsulfinsäure-Morpholinsalz und 25 g konzentrierter Schwefelsäure. Bei
einer Reaktionstemperatur von 46 bis 48° C wurde das Gemisch 32 Stunden lang langsam
gerührt. Danach wurde die Polymerisation durch Zugabe eines Inhibitors abgebrochen.
Die hellgelbe, klare, viskose Lösung enthielt 31,5% Polymerisat, was einem Umsatz
von rund 70'% der eingesetzten Monomeren entspricht. Der K-Wert des Polymerisates
war 76 (0"1= 1,76). Nach Beendigung der Polymerisation wurde die 31,5%ige Lösung
durch Zugabe von Dimethylformamid auf 27 % verdünnt und mit dem Ziel, die nicht
umgesetzten Monomeren zu entfernen, durch einen Dünnschichtverdampfer geschickt.
Nach
der Destillation war die Lösung 37%ig. (Zusammen mit den Monomeren wurde auch ein
Teil des DMFs abdestilliert.) Die hochkonzentrierte Lösung konnte nach dem bekannten
Trockenspinnverfahren einwandfrei versponnen werden.