DE19530556C1 - Verfahren zum Kultivieren von Zellen des menschlichen oder tierischen Körpers - Google Patents
Verfahren zum Kultivieren von Zellen des menschlichen oder tierischen KörpersInfo
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Description
Die Erfindung bezieht sich auf ein Verfahren gemäß Oberbegriff Patentanspruch 1.
Die Kultivierung, d. h. bisher die Vermehrung von Zellen auf einer Zellunterlage oder
einem Zellträger ist bekannt. Bekannt ist hierbei insbesondere auch die beispielsweise in
einer Kulturschale auf einem Zellträger vermehrten Zellen zusammen mit dem Zellträger
in der Kammer eines Behandlungsgefäßes einzubringen, so daß die Kammer in zwei
Teilkammern oder Teilräume unterteilt wird, die dann jeweils auch mit einem
unterschiedlichem Medium durchströmt werden können, um hierdurch ein möglichst
natürliches Milieu für die genierten Zellen zu schaffen.
Es hat sich aber gezeigt, daß trotz optimaler Vermehrung der Zellen auf dem Zellträger
diese vielfach ihre natürliche Funktion nicht aufweisen und/oder der auf dem Zellträger
gebildete Zellverband über längere Zeit nicht stabil ist, d. h. insbesondere auch keinen
dichten Zellverband bildet.
Aufgabe der Erfindung ist es, ein Verfahren aufzuzeigen, welches diese Nachteile
vermeidet.
Zur Lösung dieser Aufgabe ist ein Verfahren erfindungsgemäß entsprechend dem
kennzeichnenden Teil des Patentanspruches 1 ausgeführt.
Bei dem erfindungsgemäßen Verfahren erfolgt die Kultivierung der Zellen in zwei Stufen
mit zwei unterschiedlichen Kulturmedien. In der ersten Stufe oder Phase, die nachstehend
als "Vermehrungsphase" bezeichnet wird, werden die Zellen, die vorzugsweise
Organzellen sind mit einem ersten Kulturmedium beaufschlagt. Durch dieses erste
Kulturmedium werden die Zellen angeregt, sich möglichst schnell und damit auch so oft
wie möglich zu teilen, d. h. durch dieses erste Kulturmedium wirken permanent mitogen
wirkende Stimuli auf die Zellen ein. Die Elektrolytenkonzentration in dem in der
Funktionsphase verwendeten zweiten Kulturmedium ist so eingestellt, daß der mitogene
Streß auf die Zellen unterdrückt wird, die Zellen dann in eine postmitotische Funktions-
oder Differenzierungsphase gelangen, in der sie ihr organtypisches Verhalten aufweisen.
Beide Kulturmedien enthalten auch Nährstoffe, die dem Fachmann bekannt sind.
Der Erfindung, die sich auf ein Verfahren zur Zellvermehrung und organtypischen
Kontaktinhibierung bezieht, liegt somit auch die Erkenntnis zugrunde, daß Zellteilung
und Zelldifferenzierung nacheinander und nicht parallel ablaufende Schritte sind.
Weiterbildungen der Erfindung sind Gegenstand der Unteransprüche.
Die Erfindung wird im Folgenden anhand der Figur, die in vereinfachter Darstellung einen
Schnitt durch eine Vorrichtung zum Vermehren und Erhalten von Zellen zeigt, näher
erläutert.
In der Figur ist 1 ein Gehäuse, welches aus zwei scheibenartigen Gehäuseteilen 2 und 3
besteht, die bei geschlossenem Gehäuse 1 eine nach außen hin geschlossene Kammer 4
bilden. In der Kammer 4 ist ein ringartiger Halter 5 eingesetzt, der mit seiner Ringachse
achsgleich mit der Achse der Kammer 4 liegt. Der Halter 5 besitzt im Schnitt ein
winkelförmiges Profil. In den Halter 5 ist ein geeigneter Zellträger 6 eingelegt, der aus
einem Zuschnitt eines geeigneten Zellunterlagenmaterials, beispielsweise aus einem
Zuschnitt einer Filtermembrane, eines Netzes, eine Gewebes oder eines Vlieses
hergestellt ist. Der ebenfalls scheibenförmige Zellträger 6 ist am Halter 5 durch einen
zusätzlichen Haltering 7 gehalten, und zwar derart, daß der Zellträger 6 oben an dem
radialen Schenkel des Profils des Halters 5 anliegt und unten gegen den Haltering 7.
Durch eine Dichtung 8 ist der Zwischenraum zwischen dem Zellträger 7 und der
Wandung der Kammer 4 abgedichtet, so daß letztere durch den Zellträger 6 in zwei
Teilkammern unterteilt ist, und zwar in die obere Teilkammer 4′ und die untere
Teilkammer 4′′. Für jede Teilkammer sind gesonderte Einlässe 11 und gesonderte
Auslässe 11′ für ein die Teilkammern durchströmendes Medium vorgesehen.
Der jeweilige Zellträger 6 ist so ausgewählt, daß die zunächst in einer Vermehrungsphase
vermehrten und später in einer Funktionsphase im Zustand der Zelldifferenzierung
gehaltenen Zellen 10 sich am Zellträger 6 sich optimal vermehren und verankern können
und in der Lage sind, in der Funktionsphase im Zellverband ihre natürliche Funktion zu
übernehmen.
Sind die Zellen 10 Epihtelzellen, wie sie in allen Organen des
menschlichen oder tierischen Körpers vorkommen, so bedeutet dies, daß diese Zellen
nach Abschluß der Vermehrungsphase auf dem Zellträger 6 einen dichten Zellverband
bilden und dann in der Funktionsphase entsprechend den Epithelzellen im menschlichen
oder tierischen Körper eine Barriere zwischen den beiden mit unterschiedlichen Medien
durchströmten Teilräumen 4′ und 4′′ bilden und hierbei in natürlicher Weise
unterscheiden, ob und/oder welche Stoffe zwischen den Teilräumen ausgetauscht
werden.
Die Zellen 10 können weiterhin Nervenzellen oder aber auch Zellen von
menschlichen oder tierischen Organen sein, beispielsweise Leberzellen, Nierenzellen
usw.
Nachfolgend wird als Beispiel das erfindungsgemäße Verfahren unter Verwendung von
Nierenzellen aus neugeborenen Kaninchen beschrieben, wobei es für den Fachmann aber
ersichtlich ist, daß dieses Verfahren auch bei anderen Organ-Zellen des tierischen sowie
des menschlichen Körpers angewandt werden kann.
Am Beginn der Vermehrungsphase wird bei geöffnetem Gehäuse 1 auf bzw. in den
Zellträger 6 Nierenzellen aus neugeborenen Kaninchen aufgebracht bzw. eingebracht.
Unter Verwendung eines die Kammer 4 bzw. die beiden Teilräume 4′ durchströmenden
Kulturmedium erfolgt zunächst in der Vermehrungsphase das Vermehren dieser
Nierenzellen in der Weise, daß sie auf den Zellträger einen dichten Zellenverband
bilden. Als Kulturmedium wird ein erstes Medium verwendet, welches z. B. im Handel
unter der Bezeichnung "IMDM" erhältlich ist und welches ein besonders wachstums- und
teilungsfreundliches Milieu für die Vermehrungsphase schafft, wobei dieses Milieu
hauptsächlich durch folgende Parameter bestimmt ist:
pH, pCO₂, pO₂, Na⁺, K⁺, Cl⁻, Ca2+, Osmolarität
Die Zusammensetzung dieses Serums und insbesondere auch der Anteil an den
Elektrolyt-Parametern Cl⁻, Na⁺ in der wäßrigen Lösung und die Größe des
Osmolaritätswertes Osm sind in der Fig. 2 wiedergegeben. Das Kulturmedium enthält
zudem auch Nährstoffe.
Es hat sich nun gezeigt, daß mit diesem für die Vermehrungsphase günstigen ersten
Kulturmedium die natürliche Funktion der Nierenzellen nicht erreichen läßt, d. h. der
gezüchtete Zellverband nicht in eine nierentypische Funktionsphase gebracht werden
kann. Zur Einleitung der Funktionsphase und zur Aufrechterhaltung dieser Funktionsphase
bzw. der Zellen 10 ist es vielmehr erforderlich, den Anteil an Cl und Na im
Kulturmedium wesentlich zu erhöhen. Dies erfolgt beispielsweise in zwei Schritten, und
zwar zunächst durch Zugabe von 12 mMol NaCl zu 75 mMol des Kulturmediums IMDM,
womit bereits eine Erhöhung des Anteils an Cl auf 89,8 mMol/l und Na auf 124 mMol/l
erreicht wird (Fig. 3). Anschließend wird diesem modifizierten Kulturmedium noch 17
mMol Na-Glukonat zugegeben, womit die in der Fig. 4 wiedergegebene
Zusammensetzung eines geänderten zweiten Kulturmediums erreicht wird, in welchem
der Anteil an Cl 98,5 mMol/l und der Anteil an Na 136,9 mMol/l betragen und der
Osmolaritätswert
289 mOsm beträgt.
Die Einstellung der Elektrolyten-Zusammensetzung des geänderten zweiten
Kulturmediums kann mit geeigneten Analyse-Geräte erfolgen bzw. überwacht werden. Es
eignet sich hierfür beispielsweise ein Blutgasanalysator, der von der Firma Nova
Biomedical, Rödermark unter der Bezeichnung "Stat Profile 9 Plus" angeboten wird.
Mit der Beaufschlagung der Teilräume 4′ und/oder 4′′ mit diesem zweiten Kulturmedium
wird die Funktionsphase eingeleitet, in der die vermehrten Zellen 10 in ihrer Inter- oder
Differenzierungsphase verweilen, in welcher sich die Zellen nicht ständig teilen, sondern
in einer Kontaktinhibierung verweilen, die Monate oder Jahre andauern kann, wie dies
z. B. bei Nervenzellen, Leberzellen, bei Zellen des Bindegewebes sowie bei den als
Beispiel gewählten Nierenzellen der Fall ist.
Erst in dieser Interphase stehen die typischen Organfunktionen der Zelle zur Verfügung,
d. h. die als Beispiel gewählten Nierenzellen 10 weisen in dieser Inter- oder
Funktionsphase dann die typischen Funktionen einer Nierenzelle auf und ermöglichen
das Ausscheiden von Stoffen beispielsweise aus der Teilkammer 4′′ in die Teilkammer 4′,
wobei dann die Versorgung der Zellen 10 über das die Teilkammer 4′′ durchströmende
Kulturmedium erfolgt und die ausgeschiedenen Stoffe mit einem die Teilkammer 4′
durchströmenden Medium abgeführt werden.
Das erfindungsgemäße Verfahren basiert also darauf, durch Entzug oder Zugabe von
mitogenen Stimuli, d. h. durch entsprechende Änderung der Elektrolytzusammensetzung
und der Osmolarität das Gleichgewicht zwischen Proliferation und Differenzierung der
Zellen in der Zellkultur dem jeweiligen natürlichen Proliferationszyklus in der
Funktionsphase anzupassen, und zwar durch entsprechenden Entzug und/oder
entsprechende Zugabe von mitogenen Stimuli, insbesondere durch Erhöhung des Cl- und
Na-Gehaltes und Reduzierung des K-Gehaltes im Kulturmedium.
Das erfindungsgemäße Verfahren eröffnet völlig neue Möglichkeiten für ein organ
typisches Tissueengineering, wie beispielsweise den Bau einer künstlichen Leber oder
einer künstlichen Niere, und/oder für Untersuchungen zur chronischen Intoxikation.
So ist es beispielsweise mit dem erfindungsgemäßen Verfahren möglich, ein klar
definiertes Epithel aus dem Sammelrohrepithel der Säugetiere mit den unterschiedlichen
Zelltypen zu genieren und in der organtypischen Kontaktinhibierung über Wochen und
Monate zu halten. Hiermit werden z. B. erstmals Versuche zum chronischen
Nierenversagen unter Kulturbedingungen möglich. Weiterhin ist es möglich,
profilierendes mikrovaskuläres Endothel der Säugetiere unter Kulturbedingungen am
Leben zu erhalten. Dadurch können wachstumsfördernde bzw. wachstumshemmende
Einflüsse bei der Entstehung des renalen Gefäßsystems in vitro und unter organtypischen
Bedingungen untersucht werden.
Im zahntechnischen Bereich kann mit dem erfindungsgemäßen Verfahren z. B.
Mundschleimhaut vor einer geplanten großflächigen Operation entnommen, vermehrt
sowie unter Perfusionskulturbedingungen konserviert werden. Die in der Perfusionskultur
konservierte Schleimhaut kann dann zum eigentlichen Operationstermin zur zusätzlichen
Abdeckung von Wundflächen implantiert werden.
Weiterhin ist es im Zahnbereich möglich, in der Kammer 4 realitätsnahe Untersuchungen
zur Verträglichkeit von Medikamenten in der Zahnbehandlung durchzuführen. Hierzu
werden jeweils auf einer Seite eines von einer Dentinscheibe gebildeten Zellträgers
Mesenchymzellen kultiviert, und zwar in der Wachstums- oder Vermehrungsphase. In der
Funktionsphase werden dann auf der anderen Seite des Zellträgers zu untersuchende
Behandlungs- und Füllmaterialien aufgetragen. Sterben die Mesenchymzellen ab, so hat
die jeweilige Testsubstanz die Bioverträglichkeitsprüfung nicht bestanden.
Weiterhin ist es mit dem erfindungsgemäßen Verfahren auch möglich, gewebetypisches
Bindegewebe, gewebetypische Knorpel oder Knochen für chirurgische
Implantationszwecke zu genieren und in der Funktionsphase am Leben zu erhalten bzw.
zu konservieren, bis dieser gewebetypische Knorpel oder Knochen verwendet wird.
Zum Beispiel besteht dabei aus dem Patienten isolierte und in dem Verfahren
genierte Knorpelgewebe aus den typischen Chondronen und extrazellulären
Matrixproteinen, z. B. dem unveränderten Kollagen Typ II. Da bei all diesen Verfahren
patienteneigene Zellen verwendet werden, sind Abstoßungs- und Entzündungsvorgänge
nach Implantation auf ein Minimum reduziert.
Bezugszeichenliste
1 Kulturgefäß
2, 3 Gehäuseteil
4 Kammer
4, 4′ Teilkammer
5 Halter
6 Zellträger
7 Fixierring
8 Dichtung
10 Zelle
11 Einlaß
11′ Auslaß
2, 3 Gehäuseteil
4 Kammer
4, 4′ Teilkammer
5 Halter
6 Zellträger
7 Fixierring
8 Dichtung
10 Zelle
11 Einlaß
11′ Auslaß
Claims (5)
1. Verfahren zur Kultivierung von Epithelzellen, Nervenzellen, Organzellen oder von
gewebetypischen Bindegewebe, gewebetypischen Knochen oder Knorpel des
menschlichen oder tierischen Körpers, wobei die Zellen unter Verwendung eines
ersten flüssigen Kulturmediums, welches durch den Anteil zumindest an Cl⁻ und
Na⁺ in wäßriger Lösung sowie durch seine Osmolarität ein für die Vermehrung
optimales Milieu bildet, dadurch gekennzeichnet, daß die Zellen (10) nach der
Vermehrung in der Vermehrungsphase in einer anschließenden Funktionsphase zur
Einleitung und/oder Aufrechterhaltung von Organfunktionen mit einem zweiten
Kulturmedium als Funktionsmedium versorgt werden, bei dem der Anteil an Cl⁻ und
Na⁺ in der wäßrigen Lösung höher liegt als der entsprechende Anteil bei dem
ersten Kulturmedium.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die
Elektrolytenkonzentration von Cl und Na des zweiten Kulturmediums durch Zugabe
von NaCl zum ersten Kulturmedium eingestellt wird.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß die
Elektrolytenkonzentration von Cl und Na im zweiten Kulturmedium durch Zugabe
von Na-Glukonat zum ersten Kulturmedium eingestellt wird.
4. Verfahren nach einem der Ansprüche 1-3, dadurch gekennzeichnet, daß das erste
Kulturmedium Ca, K, Cl, Na in folgender Zusammensetzung aufweist:
Ca2+ 1,0 mMol/l
K⁺ 4,25 mMol/l
Cl⁻ 88,5 mMol/l
Na⁺ 112 mMol/l
K⁺ 4,25 mMol/l
Cl⁻ 88,5 mMol/l
Na⁺ 112 mMol/l
5. Verfahren nach einem der Ansprüche 1-4, dadurch gekennzeichnet, daß das zweite
Kulturmedium die Komponenten Ca, K, Cl, Na in folgender Zusammensetzung aufweist:
Ca2+ 0,98-1,66 mMol/l
K⁺ 4,24-6,06 mMol/l
Cl⁻ 89,5-99 mMol/l
Na⁺ 136-137 mMol/l.
K⁺ 4,24-6,06 mMol/l
Cl⁻ 89,5-99 mMol/l
Na⁺ 136-137 mMol/l.
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