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Verfahren zur Herstellung einer Lebendvaccine gegen Maul- und Klauenseuche
Gegenstand der Erfindung ist ein Verfahren zur Herstellung einer Lebendvaccine gegen
Maul- und Klauenseuche (=MKS). Es sind Verfahren bekannt, virulente MKS-Viren durch
Adaptation so zu modifizieren, daß sie bei Rindern nicht mehr zu einer Erkrankung
führen. So wurde das MKS-Virus durch Züchtung auf Hühnerembryonen und durch Passagen
in verschieden alten Mäusen und Kaninchen attenuiert. Dieses abgeschwächte Virus
hat sich jedoch für die Vaccineherstellung nicht bewährt; denn um mit Hühnerembryonen
oder Mäusen genügend große Antigenmengen zu gewinnen, wäre eine viel zu große Anzahl
von Eiern oder Mäusen einzusetzen, so daß ein solches Verfahren nicht wirtschaftlich
sein kann.
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Die im Kaninchen modifizierten Viren erweisen sich zum Teil noch als
pathogen, so daß ein bestimmter Prozentsatz der geimpften Tiere an MKS erkrankte.
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Neben dem wirtschaftlichen Faktor ist jedoch letztlich entscheidend
die Beobachtung, daß bisher bei allen Attenuierungsverfahren neben der Virulenz
auch die immunisierenden Eigenschaften so verändert wurden, daß ein solches Virus
als Grundlage für die Herstellung einer wirksamen Vaccine nicht befriedigen konnte.
Schließlich ist eine Lebendimpfstoffherstellung auf den oben geschilderten Grundlagen
bisher daran gescheitert, daß alle attenuierten Viren für das Schwein, das Schaf,
die Ziege und andere Klauentiere gefährlich blieben.
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Die zur Zeit im Handel befindlichen inaktivierten MKS-Vaccinen immunisieren
zwar Rinder, Schafe und Ziegen, doch ist ihre Schutzwirkung bei Schweinen, bei dem
die MKS insbesondere ein volkswirtschaftliches Problem darstellt, nicht zufriedenstellend.
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Es liegt daher ein dringendes Bedürfnis vor, einen MKS-Impfstoff zu
entwickeln, der auch Schweine einwandfrei immunisiert. Darüber hinaus steht zu erwarten,
daß ein auf ein attenuiertes Lebendvirus aufgebauter Lebendimpfstoff einen stärkeren
und vor allem einen länger andauernden Immunschutz bei den Impflingen hervorruft,
als es bei den zur Zeit angewandten Totimpfstoffen der Fall ist.
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Es wurde nun ein Verfahren zur Herstellung einer Lebendvaccine gegen
Maul- und Klauenseuche gefunden, das dadurch gekennzeichnet ist, daß man virulentes
MKS-Virus in vorzugsweise primären Zellkulturen so lange kontinuierlich Passagen
unterwirft und dadurch modifiziert, daß es sich nach parenteraler Injektion in Klauentieren
zwar noch vermehrt, aber keine klinisch erkennbare Erkrankung hervorruft. Unter
primären Kulturen versteht man Zellkulturen, die in bekannter Weise mit frisch aus
Organmaterial gewonnenen Zellen angelegt wurden.
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Zweckmäßig geht man so vor, daß man in bekannter Weise durch Trypsinandauung
gewonnene Zellkulturen, z. B. aus Nieren frisch getöteter Kälber, mit vorher durch
Kreuzneutralisationstesten auf ihr Antigenspektrum untersuchten und mit starken
antigenen und immunisatorischen Verwandschaftsbeziehungen zu den Varianten (Subtypen)
innerhalb des Typs ausgestatteten MKS-Viren infiziert, die Viren darin zur Vermehrung
bringt, sie auf eine neubereitete Zellkultur von z. B. Kälbernieren überträgt, fortlaufend
so lange von Kultur zu Kultur weiterimpft, bis die für die Herstellung der Vaccine
günstigste, durch Prüfung der Virulenz und des Immunisierungsvermögens am Rind,
Schwein, Schaf, Ziege und anderen Klauentieren ermittelte Attenuierung erreicht
ist und dann daraus - gegebenenfalls unter Zugabe eines Adjuvans, z. B. Aluminiumhydroxyd
- eine Vaccine zur Immunisierung von Rindern, Schweinen, Schafen, Ziegen und anderen
Klauentieren herstellt und diese gegebenenfalls lyophil trocknet.
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Es ist vorteilhaft, wenn man für die Herstellung der Rindervaccine
je nach dem Typ Virus von der 370. bis 500. Passage und für die Herstellung der
Schweinevaccine Virus ab der 550. Passage verwendet und wenn man für die Attenuierung
der virulenten MKS-Viren Zellen vom Rind, Schwein, Schaf, Ziege und anderen Klauentieren,
vorzugsweise Zellen aus Nieren, Hoden oder Ovarien, verwendet.
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Es ist insbesondere vorteilhaft, wenn man die erfindungsgemäß hergestellten
Impfviren vor der Verwendung zur Herstellung einer Lebendvaccine 8 Tage
bis
1 Jahr, vorzugsweise sechs Monate, bei + 10 bis 400 C, vorzugsweise bei 200 C, in
einem Nährmedium lagert.
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Offenbar wird also eine optimale Attenuierung des MKS-Virus für die
Impfstoffherstellung durch Passieren in solchen Zellsystemen erzielt, in denen einerseits
während der Passagen geeignete mutagene Vorgänge aufreten, andererseits die Selektierung
gezielt auf die gewünschte Mutation gelenkt wird.
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Es wurde im übrigen festgestellt, daß das originäre MKS-Virus durch
Passieren über Kälbernierenzellen seinen Dermotropismus weitgehend einbüßt, dafür
einen spezifischen Myotropismus annimmt, der durch die mutierende und selektierende
Wirkung der Passagen dann überraschenderweise wieder so weit abgeschwächt wird,
daß das attenuierte Virus nach intramuskulärer Verabreichung beim Rind zwar noch
eine geringgradige Vermehrung erfährt, die für die Ausbildung einer Immunität erforderlich
ist, aber nicht mehr eine krankmachende Wirkung ausübt.
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Es wurde ferner festgestellt, daß sich das Antigenspektrum des erfindungsgemäß
attenuierten Virus durch die fortlaufende Passierung in Zellkulturen, z. B. in Kälbernierenzellen,
verbreitert, wodurch bei der Verwendung als Impfstoff ein breiteres Wirksamkeitsspektrum
gegenüber Varianten der einzelnen MKS-Virus-Typen erhalten wird.
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Ein Vorzug des Verfahrens liegt darin, daß die Überimpfung von einer
Passage auf die andere durch Einfrieren auf 200 C ohne jeglichen Zusatz unterbrochen
werden kann. Vorteilhafterweise wird jede 10. Passage eingefroren und für spätere
Vergleichsuntersuchungen aufbewahrt. Latente Virusinfektionen in den Zellkulturen
traten nicht auf.
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Für eine erfolgreiche und wirksame Attenuierung ist es vorteilhaft
- wie oben bereits angegeben -, Primärkulturen zu verwenden. Primärkulturen stellen
eine Zellmischung dar, wodurch das geeignete »Filter« gegeben ist, da permanente
Zellstämme in der Regel einen entdifferenzierten Zelltyp enthalten.
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Ein besonderer Vorteil des erfindungsgemäß hergestellten MKS-Impfvirus
ist darin zu erblicken, daß damit geimpfte Tiere weder ungeimpfte Rinder noch ungeimpfte
Schweine, Schafe, Ziegen und andere Klauentiere durch Kontakt gefährden. Rückmutationen
des Impfvirus wurden nicht beobachtet. Die Typenspezifität ist während 700 Passagen
erhalten geblieben.
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Die Bestimmung des Virusgehaltes in den Kulturpassagen erfolgt in
homologen Kulturen. Der Titer wird nach Behrens und Kärber berechnet. Er wird auf
1 ml Kultufflüssigkeit bezogen. Die Intentität des passierten Virus wurde in der
Komplementbindungs- und Neutralisationsreaktion kontrolliert.
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Die Komplementbindungsreaktion wurde nach Traub und Möhlmann, die
Neutralisationsreaktion in der infantilen Maus nach dem bekannten Verfahren ausgeführt.
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Die Großtiere für die Virulenz-, Kontagiositäts-und Immunisierungsprüfungen
wurden aus seuchefreien Beständen ausgewählt. Die Rinder hatten ein Alter zwischen
8 und 16 Monaten, die Schweine wurden mit einem Gewicht von 15 bis 20 kg in die
Prüfungen einbezogen. Die infantilen Mäuse für die Virulenzprüfung stammten aus
einer Zucht der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen/N.
und wurden im Alter zwischen 5 und 7 Tagen verwendet.
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Bei den Virulenzprüfungen sind die Rinder kutan und intramuskulär
(i. m.), die Schweine intrakutan und i. m. und die infantilen Mäuse intraperitoneal
(i. p.) mit frischem Kulturvirus infiziert worden. Bei der kutanen Infektion der
Rinder wurde die gesamte Oberfläche der Zunge skarifiziert und 1,0 ml des unverdünnten
Kulturvirus mit der Pipette eingerieben.
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Bei der intramuskulären Injektion wurden dem Rind 10,0 ml unverdünntes
Virus und dem Schwein 4,0 ml verabfolgt. Die intrakutane Infektion der Schweine
erfolgt auf der Rüsselscheibe durch Injektion von 2,0 ml mit einer Tuberkulinspritze.
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Das Immunisierungsvermögen der attenuierten Viren wurde durch Verimpfung
beim späteren Impfling, dem Ring und dem Schwein, geprüft; pro Rind wurden 5 ml
unverdünntes Kulturvirus und pro Schwein 2,0 ml unverdünntes Kulturvirus intramuskulär
verimpft.
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Die Immunitätsprüfung (Belastungsinfektion) wurde allgemein 14 Tage
nach der Vaccination mit der Tuchinfektion (Einreiben des Infektionsvirus in die
Zungenschleimhaut mittels eines Tuches) mit virulentem homologem und hinsichtlich
der Varianten auch heterologem Rindernaturvirus ausgeführt. Bei den Kontagiositätsversuchen
wurden geimpfte und nicht geimpfte Tiere im gleichen Isolierstall zusammengebracht
und 2 Wochen lang beobachtet. Dabei wurde geprüft, ob die Kontakttiere erkrankten.
Die gesund gebliebenen Tiere wurden nach dieser Zeit mit virulentem Rindervirus
(Tuchinfektion) infiziert, um festzustellen, ob eine Aufnahme von Impfviren ohne
klinische Erscheinungen stattgefunden hatte, die zur Ausbildung der Immunität führte.
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Kontrollmethoden des Impfvirus
Bestimmung In der Gewebekultur |
des Virusgehaltes nach der Methode |
von Behrens und Kärber |
1 i durch Komplement- |
l bindungsreaktion |
Typenzugehörigkeit J 2. durch Neutralisations- |
reaktion in der Gewebe- |
kultur bzw. in der infan- |
tilen Maus |
1. am Rind |
durch cutane und intra- |
muskuläre Injektion bzw. |
Kontaktinfektion |
Virulenzprüfungen a am Schwein |
(Unschädlichkeit) l 2. am Schwem |
(wie Rind) |
3. an der infantilen Maus |
durch intraperitoneale In- |
jektion |
durch Bestimmung der neu- |
tralisierenden Serumanti- |
Immunisierungs- körper 14 Tage p. vacc. |
vermögen i 1. Rind |
2. Schwein |
durch Belastungsinfektion |
Immunitätsprüfung 14 Tage p. vacc. |
i 1. Rind |
2. Schwein |
Beispiel 1 Aus Nieren frisch getöteter Kälber werden in bekannter
Weise durch Trypsinandauung und Züchtung auf der Glasoberfläche von Kulturgefäßen
Zellkulturen hergestellt. Zur Anzüchtung der Zellkulturen wird die Zellsuspension
so verdünnt, daß sich etwa 200 000 Zellen in 1 ml befinden.
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Für die Züchtung des MKS-Virus wird die so vorbereitete Gewebekultur
mit einem 100/oigen Extrakt eines mit der Komplementbindungs- und Neutralisationsreaktion
ausgewählten Rinderaphthen-Naturvirus des Typs A4 beimpft. Das Medium wird 18 bis
24 Stunden post infectionem geerntet und von Kultur zu Kultur weiterverimpft. Die
in dieser Weise vorgenommenen Viruspassagen in den Zellkulturen werden laufend biologisch
und serologisch überprüft.
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Nach 370 Passagen ist das MKS-Virus Typ A4 so weit modifiziert, daß
eine wirksame und unschädliche Vaccine für das Rind hergestellt werden kann.
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Zur Produktion einer genügend großen Menge des Impfstoffes werden
dichte Rouxschalen-Zellkulturen mit 0,1 mol des attenuierten MKS-Virus Typs, beimpft
und 16 bis 22 Stunden bei 370 C bebrütet; hierauf wird das Kulturmedium geerntet
und nach einer sechsmonatigen Lagerung bei 200 C in bekannter Weise, z. B. mit Chloroform,
gereinigt. Die von bakteriellen, fungiösen und viralen Verunreinigungen freie Virussuspension
wird mit Phosphatpufferlösung bis zu einem bestimmten Virusgehalt verdünnt.
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Mit der erfindungsgemäß hergestellten Vaccine wurden sechs Rinder
intramuskulär geimpft. Die Impfdosis betrug 10 ml. Die Tiere zeigten keine klinisch
erkennbare Erkrankung. Eine Kontagiosität der geimpften Tiere für andere Rinder
und Schweine wurde nicht beobachtet. 14 Tage nach der Vaccination erfolgte eine
Belastungsinfektion mit homologem Rinder-Naturvirus (Tuchinfektion). Gleichzeitig
wurden vier nichtgeimpfte Kontrolltiere der gleichen Belastungsinfektion ausgesetzt,
die bei allen vier Kontrolltieren zu einer generalisierten Erkrankung führte.
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Dagegen blieben die geimpften Tiere gesund.
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Beispiel 2 In gleicher Weise, wie im Beispiel 1 angegeben, wurde
MKS-Virus von Kultur zu Kultur weiterverimpft und nach 418 Passagen zu einer Vaccine
verarbeitet.
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Zur Wirksamkeitsprüfung wurden sechs Rinder mit je 5 ml des erfindungsgemäß
hergestellten Impfstoffes intramuskulär vacciniert. Auch diese Rinder erwiesen sich
trotz der kleineren Impfdosis bei der 14 Tage nach der Vaccination erfolgenden Testinfektion
als völlig immun, die vier nichtgeimpften Kontrolltiere erkrankten dagegen generalisiert.
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Beispiel 3 Zur Herstellung einer Vaccine gegen das MKS-Virus Typ
O3 geht man wie im Beispiel 1 beschrieben vor und verimpft das Virus von Gewebekultur
zu Gewebekultur. Nach 464 Passagen ist der Typs, so weit abgeschwächt, daß er nach
den Angaben des Beispiels 1 zur Vaccine verarbeitet werden kann.
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Beispiel 4 Für die Herstellung eines Impfstoffes gegen das MKS-Virus
Typ C wird das Virus bis zur 500. Passage weitergeirnpft. Man erhält auf diese Weise
eine Virussuspension, aus der eine Vaccine gegen Typ C hergestellt wird.