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Die Erfindung betrifft ein Mittel zur Reduktion des Körpergewichts. Das erfindungsgemäße
Mittel enthält beta-MSH(Melanozyten-stimulierendes Hormon)-Peptid, ein Genprodukt des
POMC(Pro-Opio-Melanocortin)-Gens.
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Die Adipositas (= deutliches Übergewicht mit erhöhtem Risiko von Folgeschäden wie
Gefäßerkrankungen und Diabetes) stellt in postindustriellen Gesellschaften eines der
häufigsten Krankheitsbilder dar und führt zu einer enormen Belastung der
Gesundheitssysteme. Auf Grund der massiven Zunahme der Adipositas im relativ kurzen
Zeitraum von zwei Jahrzehnten liegen nicht-genomische Einflüsse als Auslöser nahe,
insbesondere das veränderte Ess- und Bewegungsverhalten. Dessen ungeachtet zeigten
Zwillings- und Adoptionsstudien einen starken genetischen Einfluss auf die individuelle
Gewichtsentwicklung, so dass bei der Beurteilung der Ursachen der Adipositas von einem
engen Zusammenspiel der Umwelt und einer individuellen genetischen Prädisposition
ausgegangen werden kann.
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Bei der Suche nach der genetischen Grundlage der Adipositas gelang bisher lediglich der
Nachweis von Mutationen, die zu sehr seltenen, schweren und zum Teil syndromalen
Adipositasformen führen. Alle bisher beschriebenen monogenen Defekte betreffen das
Leptin-Melanocortin-System, das bei der Gewichtsregulation des Menschen eine zentrale
Rolle zu spielen scheint.
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Bisherige Versuche, das Adipositasproblem durch eine Verhaltensänderung in verschiedenen
Diätprogrammen zu behandeln, sind generell fehl geschlagen. Trotz massiver Versuche, durch
verhaltenstherapeutische Ansätze eine Gewichtsreduktion zu erreichen, stellen wir eine
enorme Zunahme der Inzidenz der Adipositas fest. Daher liegt es nahe, dass erst eine gezielte
pharmakologische Beeinflussung der genetischen Steuerung des Körpergewichts zu einer
erfolgreichen Therapie der Adipositas führen wird. Die Beschreibung der genetischen
Veranlagung, die in der veränderten Umwelt zu einer Adipositas führt, wird den Weg für eine
solche gezielte pharmakologische Behandlung der Adipositas ermöglichen. Hierfür scheint
das Verständnis der Mechanismen, die in der Gewichts-Steuerungszentrale des zentralen
Nervensystems, dem Hypothalamus, wirken, von entscheidender Bedeutung zu sein. Mit der
Entdeckung der entscheidenden Wirksubstanzen des Hypothalamus, mit denen der Körper das
Gewicht reguliert, werden erst pharmakologisch einsetzbare Substanzen entdeckt werden.
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Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, die Nachteile der bekannten Lösungen der
Behandlung der Adipositas zu beseitigen und neue Behandlungsmöglichkeiten für Patienten
mit Fettleibigkeit bereitzustellen.
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Die Aufgabe wurde dadurch gelöst, dass ein Mittel bereitgestellt wurde, welches als wirksame
Substanz beta-MSH-Peptid bzw. deren Derivate enthält. Unter Derivaten des beta-MSH-
Peptids werden Substanzen verstanden, die Substitutionen an den im beta-MSH-Peptid
enthaltenen Aminosäuren aufweisen, z. B. acetylierte Aminosäuren.
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Die zur Erfindung führenden Untersuchungen basierten auf der Suche nach genetischen
Veränderungen in adipösen Patienten. Das Ziel war, das Verständnis der genetischen Ursache
der Adipositas weiter zu entwickeln. Hierfür wurde das POMC-Gen, das eine wichtige Rolle
in der hypothalamischen Steuerung des Körpergewichts des Menschen spielt, untersucht.
Bereits 1998 hatten unsere Arbeiten ergeben, dass der Verlust des gesamten POMC-
Genprodukts zu einer sehr schweren Form der Fettleibigkeit führt. Allerdings wird das
POMC-Eiweiß im Hypothalamus zu mehreren kleinen Teilstücken weiterverarbeitet, die alle
unterschiedliche Strukturen aufweisen. Bisher war nicht sicher, welches der POMC-
Teilprodukte den Effekt auf das Körpergewicht vermittelt. Bei der Suche nach genetischen
Veränderungen im POMC-Gen wurde überraschenderweise ein Fehler (Mutation) im Anteil
des POMC-Gens, das für das sogenannte beta-MSH-Teilprodukt kodiert, gefunden. Bisher
hatten die meisten Arbeiten sich auf die Funktion des alpha-MSH-Teilproduktes konzentriert.
Eine Funktion des beta-MSH war bisher noch in keinem Falle bekannt. Die von uns
gefundene Mutation im Bereich des beta-MSH bei übergewichtigen Patienten legte nahe, dass
die genetische Veränderung zu einem Funktionsverlust führt. Dementsprechend konnte in
weitergehenden Experimenten mit dem isolierten beta-MSH nachgewiesen werden, dass der
genetische Fehler zu einem Funktionsverlust führt. Daraus konnte geschlossen werden, dass
das intakte beta-MSH für die Regulation des Körpergewichts des Menschen eine
entscheidende Bedeutung hat und der Verlust der beta-MSH-Funktion zu einer Adipositas
führt. Damit wurde erstmals eine Funktion des beta-MSH beschrieben und erstmals die
Bedeutung des beta-MSH für die Gewichtsregulation des Menschen nachgewiesen. Diese
Erfindung ermöglicht daher erstmals die Anwendung von beta-MSH zur Gewichtsreduktion
bei Adipositas.
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Die Verabreichung der erfindungsgemäßen Mittels erfolgt gemäß einer bevorzugten
Ausführungsform der Erfindung subkutan. Auch die nasale Verabreichungsform ist möglich.
Das erfindungsgemäße Mittel kann neben dem beta-MSH-Peptid noch weitere Stoffe
enthalten.
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Das Wesen der Erfindung besteht in der neuen Funktion des beta-MSH-Peptids für die
Regulation des Körpergewichts, die hier erstmals beschrieben wurde.
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Das Wesen der Erfindung liegt somit in der Verwendung eines bekannten Mittels zu einem
neuen Zweck und in einer Kombination bekannter Elemente - des beta-MSH-Peptids - und
einer neuen Wirkung - dessen Einsatz als Mittel zur Reduktion des Körpergewichts - die in
ihrer neuen Gesamtwirkung einen Gebrauchsvorteil und den erstrebten Erfolg ergeben, der
darin liegt, dass nunmehr das bislang nicht mit dem Körpergewicht in Verbindung gebrachte
beta-MSH-Peptid nunmehr als Mittel zur Reduktion des Körpergewichts zur Verfügung steht.
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Die Erfindung soll anhand von Ausführungsbeispielen erläutert werden, ohne auf diese
Beispiele beschränkt zu sein.
Ausführungsbeispiele
METHODEN
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Genomische DNA wurde mittels eines kommerziell verfügbaren Kits (Qiagen, Hilden,
Germany) aus Lymphozyten des Blutes extrahiert.
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Anschließend wurden die Exons 2 und 3 des POMC-Gens mit einer PCR amplifiziert und
mittels der sogenannten BigDye Terminator Cycle Sequencing Ready Reaction Methode
(Perkin Elmer, Weiterstadt, Germany) auf einem automatischen Sequenziergerät sequenziert
(ABI 373, Applied Biosystems, Foster City, CA, USA). Die Primer für die PCR Reaktion
sind in der Literaturstelle: Krude et al. 1998 Nature Genetics beschrieben worden (Forward-
Primer 5'ATGGCTGTGCAGGGATCCCAGAG3', Reverse-Primer 5'
AGGTCACCAGGAGCATGTCAGCACCTC3').
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Für die funktionelle Charakterisierung der mutierten β-MSH CHO-K1-Zellen wurden Zellen
mit dem MC4-R tranfiziert. Ein Zell-Klon mit hohem Expressionsniveau von MC4-R wurde
für die funktionelle Charakterisierung ausgewählt. Die Zellen wurden mit 3H-Adenin
inkubiert und 24 h mit steigenden Konzentrationen von α-, β-, und mutiertem β-MSH
weiterinkubiert. Die intrazelluläre cAMP-Bildung wurde entsprechend der Literaturstelle:
Biebermann et al. 1997, FASEBJ, gemessen.
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Für Bindungsuntersuchungen an Zell-Oberflächen wurden transfizierte CHO-Zellen in 48-
Well-Platten gezüchtet. Zwei Tage später wurden die Zellen mit steigenden Konzentrationen
von α-, β- und mutiertem β-MSH und 125I-markiertem NDP-α-MSH über Nacht bei 4°C
inkubiert. Nach dreimaligem Waschen wurde die spezifische Bande 125IND-α-MSH
gemessen.
RESULTATE
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In einer Gruppe von schwer übergewichtigen Kindern konnten bei einem Mädchen eine
heterozygote Mutation in dem beta-MSH kodierenden Anteil des POMC Gens nachgewiesen
werden. Diese Mutation ändert die Aminosäure Tyr an Position 5 in ein Cys. Das zweite Allel
der Patientin war nicht betroffen (Hetrozygotie).
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Bisher war eine Funktion des beta-MSH beim Menschen nicht bekannt. In Nagern wurden
Daten erhoben, die dafür sprechen, dass beta-MSH bei der hypothalamischen
Gewichtsregulation über die Bindung an MC4- und MC3-Rezeptoren eine Rolle spielt.
Aufgrund der Befunde in der Patientin mit der Tyr5Cys beta-MSH Mutation wird vermutet,
dass die Adipositas durch den Mangel an beta-MSH Funktion zustande kommt. Daher wurden
weitere Familienmitglieder, die ebenfalls übergewichtig waren, untersucht. Es wurde die
gleiche Mutation bei dem Bruder, dem Vater und der Großmutter der Patientin gefunden.
Darüber hinaus wurde nachgewiesen, dass das mutierte Peptid in einem cAMP
Generationsassay durch den Austausch der Position 5 in ein Cys einen kompletten
Funktionsverlust erfährt. Somit kann man davon ausgehen, dass die Mutation des beta-MSH
in der beschriebenen Familie zu Übergewicht führt und dass somit beta-MSH eine Rolle in
der Gewichtsregulation des Menschen spielt.
Legende zu den Figuren
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Fig. 1. Funktionsverlust-Mutationen des POMC Gens.
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Für Familie 4 wurden die Mutationen des beta-MSH Peptids (Genposition 7362 und
Peptidposition 5) gezeigt. Auch sind zusätzliche Veränderungen in dem sogenannten MC1
Rezeptorgen gezeigt worden, die die Haarfarbe der Patienten betreffen, aber keine Relevanz
für das Körpergewicht haben. Zusätzlich wurden die beta-MSH Peptide verschiedener
Tierspezies miteinander verglichen und nachgewiesen, dass die Position 5 immer von einem
Tyr eingenommen wird. Das deutet darauf hin, dass diese Stelle des Peptids in der Evolution
konserviert wurde und somit funktionell relevant zu sein scheint.
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Die Kurvendiagramme zeigen die Ergebnisse der funktionellen Studien des mutierten beta-
MSH Peptids. Das Verschieben der Dosis-Wirkungskurven nach rechts zeigt den
Funktionsverlust an.