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Technisches Gebiet
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Die Erfindung betrifft ein Verfahren und eine dabei einsetzbare Vorrichtung für den Anfahrvorgang eines Zuges. Sie betrifft dabei vorrangig das technische Gebiet von Güterzügen, insbesondere beim Halt eines solchen Güterzuges in einer Steigungsstrecke und dem anschließenden Wiederanfahrvorgang. Verfahren und Vorrichtung können jedoch prinzipiell auch auf Personenzüge und/oder Strecken in der Ebene angewendet werden.
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Stand der Technik
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Lange und schwere Güterzüge erfordern sehr hohe Zugkräfte von den vorgespannten Lokomotiven, um diese Züge zunächst aus dem Stillstand zu beschleunigen und dann in Fahrt zu halten. Die von einer der heute üblichen, vierachsigen Güterzuglokomotive mit ca. 85 t Eigengewicht maximal aufbringbare Zugkraft wird in der Regel seitens der Hersteller auf einen Wert von 300 kN begrenzt. Dieser Zugkraftwert kann aber auch nur unter günstigen Witterungs- und Schienenbedingungen erreicht werden, da sich ansonsten der Reibungswert zwischen Antriebsrad und Schiene von den optimalen 0,36 bei trockenen Schienen auf teilweise < 0,10 bei nassen, vereisten Schienen verringert und die maximal übertragbare Zugkraft dann auf < 100 kN absinkt.
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Um einen in der Ebene haltenden Güterzug aus dem Stillstand auf seine vorgesehene Reisegeschwindigkeit zu befördern, müssen für den Anfahrvorgang von der Zugkraft der Lokomotive folgende Widerstände überwunden werden:
- • Anfahrwiderstand W1
- • Rollwiderstand W2
- • Beschleunigungswiderstand W3
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Der Anfahrwiderstand W1 besteht im Wesentlichen aus der Lagerreibung. Diese kann je nach Neigung der Strecke einen Betrag von ca. 70 - 170 Newton pro Tonne Waggongewicht ausmachen (70 - 170 N/t).
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Der Rollwiderstand W2 der Räder der Waggons auf den Schienen liegt in der Größenordnung von ca. 20 N/t.
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Der Beschleunigungswiderstand W3 für schwere Güterzüge berechnet sich bei geringen Beschleunigungswerten (z.B. 0,02 m/s2) zu ca. 20 N/t.
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Ist der Zug sehr straff ohne jede Lose zwischen den Waggons gekuppelt (d.h. er kann idealisiert als ein Waggon betrachtet werden), dann muss die Lokomotive im Anfahrmoment den Anfahrwiderstand W1 des gesamten Zuges überwinden, bevor der wesentlich niedrigere Rollwiderstand W2 zum Tragen kommt.
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Bei sehr schweren Zügen kann man deshalb mitunter beobachten, dass erfahrene Lokomotivführer vor dem Losfahren die Lokomotive ein kleines Stück rückwärts fahren lassen, wodurch die Waggons des Zuges „zusammengeschoben“ werden. Dadurch entsteht zwischen jedem Waggonpaar etwas Lose in der Kupplung (z.B. je ca. 10 cm, d.h. bei z.B. 40 Waggons ca. 4 m), sodass während des unmittelbar anschließenden Anfahrens in Vorwärtsrichtung der Anfahrwiderstand W1 nur jeweils eines einzelnen Waggons überwunden werden muss, während die vor diesem Waggon befindlichen Waggons bereits in den zugkrafttechnisch günstigeren Zustand des Rollwiderstands W2 übergegangen sind und die hinter diesem Waggon befindlichen Waggons noch stehen. Auch die erforderliche Beschleunigungskraft zur Überwindung des Beschleunigungswiderstands W3 wird dann nur für die bereits rollenden Einheiten benötigt.
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Diese Verfahrensweise zur Aufteilung der hohen Anfahrwiderstände lassen sich jedoch nur in der Ebene oder bei sehr schwachen Neigungen von sehr erfahrenen Lokomotivführern und teilweise unter Ausblendung geltender Vorschriften (Rückwärtsfahrt) realisieren. Muss ein Zug in einer Steigungstrecke anhalten (z.B. vor einem Haltesignal), so ist es nicht möglich, die oben beschriebene Lose zwischen den Waggons zu erreichen, da nach dem Lösen der Zugbremse die Waggons sofort von der Hangabtriebskraft (Gefälle) „gestreckt“ werden und die Waggons des Zuges hinsichtlich des Anfahrwiderstands W1 dann praktisch wieder wie ein einzelner Waggon zu betrachten sind. Die beschriebene Hangabtriebskraft wird nachfolgend als
bezeichnet. Der Steigungswiderstand richtet sich nach der Stärke der Streckenneigung und liegt in einem Bereich von ca. 50 N/t - 250 N/t. Bei einer Steigung von z.B. 12,5 Promille beträgt W4 etwa bei 125 N/t.
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Für einen realistischen Beispielzug bestehend aus einer Lokomotive mit 85 t Gewicht und 26 Waggons mit jeweils 60 t Gewicht (d.h. 1.645 t Gesamtgewicht) werden im ungünstigen Fall (d.h. ohne Lose zwischen den Waggons) in der Ebene maximal ca. 197 kN Lokomotivzugkraft erforderlich. Diese setzen sich wie folgt zusammen (gerundete Werte):
- • W1 = 100 N/t * 1.645 t = 164 kN
- • W3 = 20 N/t * 1.645 t = 33 kN
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Kann die Lose zwischen den Waggons optimal genutzt werden, reduziert sich dieser Wert auf maximal ca. 69 kN. Diese setzen sich wie folgt zusammen (gerundete Werte):
- • W1 = 100 N/t * 60 t = 6 kN (für den letzten Waggon)
- • W2 = 20 N/t * 1.585 t = 31 kN (gesamter Zug ohne den letzten Waggon)
- • W3 = 20 N/t * 1.585 t = 32 kN (gesamter Zug ohne den letzten Waggon)
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Damit würde eine der üblichen Lokomotiven diesen Beispielzug problemlos befördern können, selbst wenn aufgrund der Witterungsbedingungen der Reibungswert zwischen Antriebsrädern und Schiene auf einen Betrag von < 0,15 absinken würde.
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In einer Steigungsstrecke ergeben sich aber gänzlich andere Bedingungen. Hier tritt zusätzlich zu den oben genannten Widerständen noch der Steigungswiderstand W4 auf. Dieser Steigungswiderstand richtet sich nach der Stärke der Streckenneigung und liegt für die Haupttrassen in Deutschland in einem Bereich zwischen ca. 50 N/t und ca. 250 N/t.
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Bei den heutigen Bremsvorrichtungen in Waggons werden mit dem Lösen der Lokomotivbremse automatisch auch die Bremsen in allen Waggons (mit minimaler zeitlicher Verzögerung) gelöst. Dadurch streckt sich der Zug in einer Steigungsstrecke und es tritt dann zwingend der gesamte Anfahrwiderstand W1 auf. Hinzu kommen dann noch der Beschleunigungswiderstand W3 und der Steigungswiderstand W4.
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Für den oben beschriebenen Beispielzug von ca. 1.645 t Gewicht werden beim Anfahren in einem Steigungsbereich von 12,5 Promille im ungünstigen Fall (d.h. ohne Lose zwischen den Waggons) maximal ca. 400 kN Lokomotivzugkraft erforderlich. Diese setzen sich wie folgt zusammen (gerundete Werte):
- • W1 = 100 N/t * 1.645 t = 165 kN (gesamter Zug)
- • W3 = 20 N/t * 1.645 t = 33 kN (gesamter Zug)
- • W4 = 125 N/t * 1.645 t = 202 kN (gesamter Zug)
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Diese Zugkraft kann von einer der üblichen Güterzuglokomotiven nicht mehr aufgebracht werden und der Zug muss solange an der Steigung warten, bis eine weitere Lokomotive (i.d.R. eine Schublokomotive) den Anfahrvorgang unterstützt. Neben dem logistischen Aufwand führt dies auch immer zu einer Störung des ordentlichen Betriebsablaufs auf der betroffenen Strecke.
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Ein grundsätzliches Anfahrproblem besteht aber auch in der Ebene für schwere Züge, wenn z.B. der Reibungswert aufgrund schlechter Witterung nur 0,20 beträgt und ein Zusammenschieben des Zuges durch Rückwärtsfahren technisch oder regulatorisch nicht möglich ist. Bei einem Zuggewicht von z.B. 1.645 t würde dann wiederum eine Anfahrzugkraft von ca. 197 kN erforderlich werden (s.o.), die Lokomotive könnte unter den beschriebenen Umständen aber nur eine maximale Anfahrzugkraft von ca. 167 kN aufbringen. Demzufolge wäre auch in dieser Situation der Einsatz einer Hilfslokomotive mit den beschriebenen Auswirkungen auf den normalen Bahnbetrieb erforderlich. Nachdem der Anfahrwiderstand überwunden ist, werden für diesen Zug nur noch ca. 91 kN Zugkraft erforderlich. Diese könnten dann wieder von der regulären Lokomotive auch unter den schwierigen Schienenbedingungen alleine aufgebracht werden.
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Nachteile des Stands der Technik
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Mit den heute üblichen Verfahren und Vorrichtungen zum Anfahren schwerer Züge unter schwierigen Bedingungen reichen die Zugkräfte einer üblichen Lokomotive mitunter nicht aus, um den Zug ohne zusätzliche Unterstützung durch eine weitere Lokomotive anzufahren. Dies hat entsprechend negative Auswirkungen auf den regulären Bahnbetrieb in der betroffenen Strecke und ist außerdem mit wirtschaftlichen Nachteilen verbunden.
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Technische Aufgabe
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Ziel der vorliegenden Erfindung ist es, ein einfaches und kostengünstiges Verfahren und dabei einsetzbare Vorrichtungen zur Steuerung der Bremsen eines Eisenbahnwaggons bereitzustellen, mit deren Hilfe das Anfahren schwerer Züge auch unter schwierigen Bedingungen alleine durch eine für normale Anfahrvorgänge ausreichend dimensionierte Lokomotive gelingen kann.
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Lösung der technischen Aufgabe
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Gelöst wird die beschriebene technische Aufgabe durch eine Vorrichtung, die im Wesentlichen aus den drei Bauteilen „steuerbare Schiebereinheit“, „Energie- und Datenkabel“ und „Sensor- und Steuereinheit“ besteht und diese Vorrichtung mittels eines zugehörigen Verfahrens eingesetzt wird.
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Die steuerbare Schiebereinheit wird vorzugsweise zwischen dem vorletzten und dem letzten Waggon eines Zuges an der dortigen Koppelungsstelle der Hauptluftleitung eingebaut. Dazu weist dieses Bauteil auf der einen („vorderen“) Seite einen Normanschluss zur Verbindung mit der vom vorletzten Waggon kommenden Hauptluftleitung auf und weist auf der anderen („hinteren“) Seite einen Normanschluss zur Verbindung mit der vom letzten Waggon kommenden Hauptluftleitung auf. Zwischen diesen beiden Normanschlüssen befinden sich der eigentliche Schieber sowie ein Drucksensor.
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Der Schieber wird vorzugsweise elektromagnetisch betätigt und weist die zwei Stellungen „offen“ und „geschlossen“ auf. In der offenen Stellung ist die steuerbare Schiebereinheit praktisch ohne Wirkung auf das Bremssystem des letzten Waggons, da jede Druckänderung in der Hauptluftleitung wie bisher auch direkt an das Bremssystem des letzten Waggons weitergeleitet wird (d.h. sowohl Druckminderungen zum Bremsen als auch Druckanstiege zum Lösen der Bremse). In der geschlossenen Stellung jedoch bleibt die Bremse des letzten Waggons aktiviert, da der von der Lokomotive kommende Luftdruck in der Hauptluftleitung nur bis zum vorletzten Waggon durchgeleitet wird, wodurch auch nur die Bremsen an der Lokomotive und allen Waggons bis auf den letzten Waggon gelöst werden.
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Die Energieversorgung sowie die Übertragung der erforderlichen Steuersignale von der Sensor- und Steuereinheit für die steuerbare Schiebereinheit erfolgen über das Energie- und Datenkabel. Dieses wird auf der einen Seite mit der steuerbaren Schiebereinheit und auf der anderen Seite mit der Sensor- und Steuereinheit verbunden.
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Die Sensor- und Steuereinheit wird in die Stromleitung des Zuges integriert. Dazu wird sie bevorzugt in den Stromstecker des vorletzten Waggons gesteckt. Hierzu weist sie an der vorderen Seite einen entsprechenden Normanschluss auf entsprechend demjenigen des normalen Stromverbindungskabels. Auch auf der „hinteren“ Seite ist ein derartiger Normanschluss vorgesehen, so dass das normale Verbindungskabel mit Gegensteckern an den Enden dort eingesteckt werden kann. Sämtliche Phasen werden zum letzten Waggon durchgeleitet, so dass es sich diesbezüglich im Prinzip nur um eine geringfügige „Verlängerung“ des normalen Stromkabels handelt, ohne jede Auswirkung auf die normale Stromversorgung des letzten Waggons (z.B. für die Rücklichter). Über eine Weiche in der Sensor- und Steuereinheit wird jedoch Strom der normalen Stromversorgung „angezapft“ und damit werden alle relevanten Elemente der erfindungsgemäßen Vorrichtungen mit elektrischer Energie versorgt.
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Sozusagen neben diesen durchgeleiteten Kabeln - aber innerhalb der Sensor- und Steuereinheit - befindet sich der eigentliche Sensor sowie ein seitlicher Anschluss für das Energie- und Datenkabel. Beim Sensor handelt es sich bevorzugt um einen Bewegungssensor, der entweder die jeweilige Beschleunigung oder Geschwindigkeit misst (z.B.
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Akzelerometer, Gyrometer, MEMS, Laser). Die Aufgabe des Bewegungssensors ist es, festzustellen, ob und in welche Richtung sich der vorletzte Waggon bewegt oder ob dieser zum Stillstand gekommen ist.
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Für den Fall, dass der Bewegungssensor den Stillstand des vorletzten Waggons ermittelt hat und gleichzeitig der Drucksensor in der steuerbaren Schiebereinheit erkannt hat, dass der Druck in der Hauptluftleitung niedrig ist (d.h. alle Bremsen des Zuges sind aktiviert), wird der Schieber in der steuerbaren Schiebereinheit von der Position „offen“ auf die Position „geschlossen“ bewegt.
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Wird nun von der Lokomotive der Druck in der Hauptluftleitung wieder erhöht (d.h. die Bremsen werden gelöst), so wird dieser Druckanstieg nur bis zum geschlossenen Schieber der steuerbaren Schiebereinheit erfolgen. Dadurch bleiben die Bremsen des letzten Waggons aktiviert.
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Beginnt nun die Lokomotive mit dem Anfahren des Zuges, so stellt der Bewegungssensor in der Sensor- und Steuereinheit zu einem bestimmten Zeitpunkt fest, dass der vorletzte Waggon anfängt, sich vorwärts zu bewegen. Genau in diesem Moment wird das Signal „Schieber öffnen“ von der Sensor- und Steuereinheit an die steuerbare Schiebereinheit gesendet, wodurch der in der Hauptluftleitung anstehende Druck auch in das Bremssystem des letzten Waggons eingeleitet wird und dort die Bremsen löst. Damit sind wieder alle Bremsen im Zug frei und die Lokomotive kann alle Waggons weiter auf Reisegeschwindigkeit beschleunigen.
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Zusammenfassend kann die Funktion der erfindungsgemäßen Vorrichtung wie folgt subsummiert werden.
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Wenn der Zug steht (d.h. im vorletzten Waggon wird vom Sensor keine Bewegung festgestellt) und gleichzeitig der Druck in der Hauptluftleitung niedrig ist (d.h. alle Bremsen sind angelegt), dann wird der Schieber in der steuerbaren Schiebereinheit von der Position „offen“ in die Position „geschlossen“ bewegt.
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Wenn dann die Bremsen von der Lokomotive durch Erhöhung des Drucks in der Hauptluftleitung gelöst werden, so bleibt der Schieber in der steuerbaren Schiebereinheit noch solange geschlossen, bis der Sensor in der Sensor- und Steuereinheit eine Vorwärtsbewegung im vorletzten Waggon feststellt.
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Erst wenn gleichzeitig die beiden Signale „Druck hoch“ in der Hauptluftleitung und „Vorwärtsbewegung“ des vorletzten Waggons gleichzeitig vorliegen, wird der Schieber in der steuerbaren Schiebereinheit geöffnet und dadurch werden dann auch die Bremsen am letzten Waggon gelöst.
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Vereinfacht ausgedrückt:
- • Vorletzter Waggon steht + Luftdruck niedrig => Schieber „geschlossen“
- • Vorletzter Waggon rollt vorwärts + Luftdruck hoch => Schieber „offen“
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Wird die erfindungsgemäßen Vorrichtung nicht mit dem erfindungsgemäßen Verfahren kombiniert, so bleibt die erfindungsgemäße Vorrichtung im Betrieb völlig unauffällig und ist auch für einen erfahrenen Lokomotivführer in der Praxis nicht wahrnehmbar. Das erfindungsgemäße Verfahren kommt bevorzugt aber dann zur Anwendung, wenn die Lokomotive nicht in der Lage ist, den Zug anzufahren. Dies kann sowohl in Steigungsstrecken als auch auf rutschigen Schienen in der Ebene oder bei einer Kombination dieser beiden Rahmenbedingungen vorkommen. Grundsätzlich kann das erfindungsgemäße Verfahren aber auch in jeder anderen Anfahrsituation angewendet werden, denn es führt in keinem Fall zu einer Verschlechterung des Anfahrvorgangs, wohl aber zu einem deutlich verbesserten Anfahrvorgang in den allermeisten Situationen.
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Beispielhaft sei das erfindungsgemäße Verfahren hier zunächst beim Anfahren in einer Steigung erläutert. Wird ein Zug - insbesondere ein schwere Güterzug - in einer Steigungsstrecke zum Anhalten gezwungen (z.B. wegen eines Haltesignals), dann wird der Lokomotivführer zunächst den gesamten Zug ordnungsgemäß vor dem Haltesignal zum völligen Stillstand bringen. In diesem Zustand ist das Druckniveau in der Hauptluftleitung niedrig und alle Bremsen an der Lokomotive und allen Waggons des Zuges liegen an. Die erfindungsgemäße Vorrichtung erhält in diesem Zustand gleichzeitig die Signale „Luftdruck niedrig“ und „vorletzter Waggon steht“, so dass folgerichtig der Schieber in der gesteuerten Schiebereinheit schließt und dadurch die Bremsen im letzten Waggon auf der Position „geschlossen“ bzw. „anliegend“ fixiert werden.
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Springt nun das Haltesignal um und gibt dem Zug freie Fahrt voraus, so löst der Lokomotivführer durch Druckanhebung in der Hauptluftleitung alle Bremsen des Zuges bis auf diejenige des letzten Waggons. Aufgrund der Hangabtriebskraft rollt nun der gesamte Zug zunächst ungebremst langsam zurück und „prallt“ dort gegen den noch gebremsten letzten Waggon. Nun ist der gesamte Zug in die Puffer gefahren und die maximal verfügbare Lose steht für den Anfahrvorgang zur Verfügung.
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Sobald der Zugführer merkt, dass sein Zug nicht mehr weiter hangab rollt, beginnt er mit dem eigentlichen Anfahrvorgang. Dazu muss die Lokomotive nun die maximale Zugkraft aufbringen, wenn der gesamte Zug bereits rollt und nur noch der letzte Waggon steht. In diesem Fall treten folgende Widerstände auf:
- • W1 = 100 N/t * 60 t = 6 kN (für den letzten Waggon)
- • W2 = 20 N/t * 1.585 t = 31 kN (gesamter Zug ohne den letzten Waggon)
- • W3 = 20 N/t * 1.585 t = 32 kN (gesamter Zug ohne den letzten Waggon)
- • W4 = 125 N/t * 1.645 t = 202 kN (gesamter Zug)
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Damit entstehen für diesen Anfahrvorgang maximale Widerstände in der Größe von 271 kN, zu deren Überwindung die 300 kN einer üblichen Lokomotive ausreichen würden. Mit anderen Worten: durch die erfindungsgemäße Vorrichtung werden im Beispiel ca. 129 kN Zugkraft eingespart (s.o.).
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Das Lösen der Bremsen im letzten Waggon geschieht dann automatisch mittels der erfindungsgemäßen Vorrichtung und bedarf keines manuellen Verfahrenseingriffs.
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Für das oben erläuterte Beispiel (Zuggewicht ca. 1.645 t, Steigung ca. 12,5 Promille) ergibt sich eine Hangabtriebskraft von ca. 202 kN. Unter der Annahme, dass der letzte Waggon ein Gewicht von 60 t aufweist und die gleichen Reibwerte wie für die Lokomotive angesetzt werden können, resultiert daraus eine „Haltekraft“ des letzten Waggons von ca. 215 kN. Damit kann dieser Waggon den gesamten Zug gegen Zurückrollen fixieren. Als Nebeneffekt dieses „mobilen Prellbocks“ werden alle Waggons davor einschließlich der Lokomotive „in die Puffer“ geschoben, d.h. zwischen allen Einheiten des Zuges wird die maximal verfügbare Lose bereitgestellt.
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Sollten der letzte Waggon eines Zuges sehr leicht sein (z.B. weil er unbeladen ist), so kann die erfindungsgemäße Vorrichtung auch an einem anderen Punkt innerhalb des Zugverbands eingebaut werden, und zwar so weit vorne, dass die Haltekraft des letzten Zugabschnitts ausreicht, den gesamten vorderen Abschnitt gegen Zurückrollen auf der vorgesehenen Steigungsstrecke zu sichern. Der optimale Punkt für den Einbau der erfindungsgemäßen Vorrichtung kann bei der Zusammenstellung des Zuges im Güter- bzw. Rangierbahnhof festgelegt werden.
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In der Ebene sieht das erfindungsgemäße Verfahren einen ganz ähnlichen Ablauf vor. Nachdem der komplette Zug zum Stehen gekommen ist, wird der Lokomotivführer nach Freigabe der Weiterfahrt zunächst ganz langsam und mit wenig Kraft (z.B. 50 kN) rückwärtsfahren. Dadurch werden wiederum die Lokomotive und die Waggons sukzessive in die Puffer geschoben und die notwendige Lose zwischen allen Zugeinheit generiert. Der letzte Waggon fungiert dabei wieder als „mobiler Prellbock“. Sobald die Lokomotive den Zug nicht weiter zusammenschieben kann, beginnt der Lokomotivführer mit dem eigentlichen Anfahrvorgang.
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Vorteile der Erfindung
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Mit dem erfindungsgemäßen Verfahren und der dabei einsetzbaren erfindungsgemäßen Vorrichtung sind folgende Vorteile verbunden:
- • Wirtschaftlich: statt einer so genannten Doppeltraktion (zwei Lokomotiven) bzw. dem Einsatz einer Schublokomotive können auch schwere Züge alleine von einer üblichen Lokomotive in schwierigen Streckenabschnitten und/oder widrigen Witterungsbedingungen angefahren werden.
- • Logistisch: durch die Sicherstellung der schwierigen Anfahrvorgänge können Streckensperrungen und Umleitungen aufgrund liegengebliebener Züge vermieden werden.
- • Sicherheitstechnisch: durch den „mobilen Prellbock“ kann eine langsam zurücksetzende Lokomotive keinesfalls versehentlich das Zugende in eine Weiche oder sogar ein befahrenes Nebengleis drücken. Dies kann ebenso wenig bei einem gegen den (stehenden) letzten Waggon rückwärts rollenden Zug geschehen.
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Figurenliste
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Im Folgenden werden einzelne Aspekte und vorteilhafte Ausführungsbeispiele der Erfindung unter Bezug auf die beiliegenden Zeichnungen näher erläutert. Hierbei zeigt:
- 1: a) Beispielhafte Darstellung der Widerstände und der Zugkraft bei einem Anfahrvorgang in einer Steigung ohne die erfindungsgemäße Vorrichtung.
b) Beispielhafte Darstellung der Widerstände und der Zugkraft bei einem Anfahrvorgang in einer Steigung mit der erfindungsgemäßen Vorrichtung.
- 2: a) Wesentliche Elemente und deren prinzipielle Anordnung bei der Verbindung zweier Waggons ohne die erfindungsgemäße Vorrichtung.
b) Wesentliche Elemente und deren prinzipielle Anordnung bei der Verbindung zweier Waggons mit den erfindungsgemäß Vorrichtung.
- 3: Wesentliche Schritte des erfindungsgemäßen Verfahrens bei dessen Anwendung in einer Ebene bzw. in einer Steigung.
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1 zeigt beispielhaft die Widerstände und die Zugkraft bei einem Anfahrvorgang in einer Steigung mit und ohne die erfindungsgemäße Vorrichtung. Dazu wurde in einem Diagramm auf der Ordinate eine Zugkraft in Kilo-Newton (kN) in 100er Schritten von Null bis 500 aufgetragen. Die von den heute üblichen Lokomotiven leistbare Anfahrzugkraft von 300 kN ist dort als horizontale Linie besonders hervorgehoben. Auf der Abszisse sind zwei Stapelsäulen dargestellt, links in der 1 a), sind die einzelnen Widerstände bei einem Anfahrvorgang in einer Steigung ohne die erfindungsgemäße Vorrichtung dargestellt. In der rechten 1 b) sind die einzelnen Widerstände bei einem Anfahrvorgang in einer Steigung mit der erfindungsgemäßen Vorrichtung dargestellt. Dabei beruhen die einzelnen Werte auf den weiter oben im Text erläuterten Beispielen.
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Bei dem Anfahrvorgang ohne die erfindungsgemäße Vorrichtung treten folgende Widerstände auf (in Summe: 400 kN):
- • W1 = 100 N/t * 1.645 t = 165 kN (gesamter Zug)
- • W3 = 20 N/t * 1.645 t = 33 kN (gesamter Zug)
- • W4 = 20 N/t * 1.645 t = 202 kN (gesamter Zug)
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Bei dem Anfahrvorgang mit der erfindungsgemäßen Vorrichtung treten folgende Widerstände auf (in Summe: 271 kN):
- • W1 = 100 N/t * 60 t = 6 kN (für den letzten Waggon)
- • W2 = 20 N/t * 1.585 t = 31 kN (gesamter Zug ohne den letzten Waggon)
- • W3 = 20 N/t * 1.585 t = 32 kN (gesamter Zug ohne den letzten Waggon)
- • W4 = 20 N/t * 1.645 t = 202 kN (gesamter Zug)
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Damit wird der Gesamtwiderstand nicht nur um 129 kN reduziert, sondern auch auf eine Größenordnung gedrückt, die von einer normalen Lokomotive mit maximale 300 kN Zugkraft erbracht werden kann.
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2 zeigt beispielhaft die wesentlichen Elemente und deren prinzipielle Anordnung bei der Verbindung zweier Waggons ohne die erfindungsgemäßen Vorrichtungen (2 a) und mit den erfindungsgemäßen Vorrichtungen (2 b). Dargestellt ist jeweils der hintere Teil eines Waggons 1 und der vordere Teil eines Waggons 2. Der Waggon 1 befindet sich in Laufrichtung des Zuges vor dem Waggon 2.
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2 a zeigt die mechanische Verbindung 3, die in dem Zustand, bei dem sich die Puffer 4 gerade berühren, eine gewisse Lose (nicht dargestellt) aufweist. Die Größe der Lose lässt sich dabei über geeignete Vorrichtungen in der mechanischen Verbindung (z.B. Schraubkupplungen) einstellen und den jeweiligen Bedingungen anpassen.
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Die von der Lokomotive für die Bremsvorgänge erzeugte Luft wird durch eine Hauptluftleitung 5 durch alle Waggons geleitet. In den Waggons liegt die Hauptluftleitung meistens in Form eines Stahlrohrs vor, während sich an den Enden der Waggons jeweils kurze Luftschläuche 9 befinden, die über Luftkupplungen 6 miteinander verbunden werden.
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Des Weiteren wird zwischen zwei Waggons noch eine elektrische Verbindung erforderlich. Das durch die einzelnen Waggons geführte Stromkabel 13 endet jeweils an den Stirnseiten der Waggons in einem elektrischen Stecker 8. Die beiden elektrischen Stecker 8 der zu koppelnden Waggons 1 und 2 werden durch ein Verbindungskabel mit Gegensteckern 7 miteinander verbunden.
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2 b zeigt die eingebauten erfindungsgemäßen Vorrichtungen. Zwischen den beiden Luftkupplungen 6 ist die steuerbare Schiebereinheit 12 integriert. Diese ist über ein Energie- und Datenkabel 10 mit der Sensor- und Steuereinheit 11 verbunden. Die Sensor- und Steuereinheit 11 wiederum wird an ihrer vorderen Seite mit dem elektrischen Stecker 8 von Waggon 1 verbunden. Auf der hinteren Seite der Sensor- und Steuereinheit 11 wird das Verbindungskabel mit Gegenstecker 7 angeschlossen.
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3 zeigt beispielhaft die wesentlichen Schritte des erfindungsgemäßen Verfahrens bei dessen Anwendung in einer Ebene bzw. in einer Steigung.
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Die ersten drei Verfahrensschritte sind bei beiden Szenarien gleich und bestehen aus Abbremsen eines Zuges 101 bis zum Stillstand, dem Halten des Zuges 102 und dem Bremsen lösen in einem vorderen Teil eines Zuges 103.
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In der Ebene wird nun der Zug durch Zurückdrücken des vorderen Teils eines Zuges gegen den hinteren Teil eines Zuges 104 in die Puffer gegen den noch gebremsten hinteren Teil eines Zuges geschoben. In der Steigung wird der Zug durch Zurückrollen des vorderen Teils eines Zuges gegen den hinteren Teil eines Zuges 105 in die Puffer gegen den noch gebremsten hinteren Teil eines Zuges geschoben.
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Anschließend folgen das Anfahren und Beschleunigen des vorderen Teils eines Zuges 106, das Bremsen lösen in dem hinteren Teil eines Zuges 107, das Beschleunigen des vorderen Teils eines Zuges und Anfahren des hinteren Teils eines Zuges 108 und abschließend das Beschleunigen des vorderen und hinteren Teils eines Zuges 109.
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Bezugszeichenliste
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- 1
- Waggon 1 (in Laufrichtung des Zuges vor Waggon 2)
- 2
- Waggon 2 (in Laufrichtung des Zuges hinter Waggon 1)
- 3
- Mechanische Verbindung
- 4
- Puffer
- 5
- Hauptluftleitung
- 6
- Luftkupplung
- 7
- Verbindungskabel mit Gegensteckern
- 8
- Elektrischer Stecker
- 9
- Luftschlauch
- 10
- Energie- und Datenkabel
- 11
- Sensor- und Steuereinheit
- 12
- Steuerbare Schiebereinheit
- 13
- Stromkabel
- 101
- Abbremsen eines Zuges bis zum Stillstand
- 102
- Halten eines Zuges
- 103
- Bremsen lösen in einem vorderen Teil eines Zuges
- 104
- Zurückdrücken des vorderen Teils eines Zuges gegen den hinteren Teil eines Zuges
- 105
- Zurückrollen des vorderen Teils eines Zuges gegen den hinteren Teil eines Zuges
- 106
- Anfahren und Beschleunigen eines vorderen Teils eines Zuges
- 107
- Bremsen lösen in dem hinteren Teil eines Zuges
- 108
- Beschleunigen des vorderen Teil eines Zuges und Anfahren eines hinteren Teils eines Zuges
- 109
- Beschleunigen des vorderen und hinteren Teils eines Zuges