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Verfahren zur Herstellung oral anzuwendender Arzneimittel mit protrahierter
Wirkung Oral anzuwendende Arzneimittel mit protrahierter Wirkung werden in der Regel
dadurch hergestellt, daß man die arzneiwirksamen Bestandteile mit Schutzstoffüberzügen
versieht, die die Wirkstoffe verzögert freigeben. Als Schutzstoffe verwendet man
im allgemeinen lipophile Stoffe, wie Fette und Wachse, gegebenenfalls in Verbindung
mit Emulgatoren.
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Solche Schutzüberzüge besitzen jedoch verschiedene Nachteile. So lassen
sich z. B. nur ganz bestimmte Wirkstoffe mit ihnen kombinieren, viele andere hingegen
nicht. Manche Wirkstoffe, z. B. Acetylsalicylsäure, verlieren ihre Wirksamkeit infolge
chemischer Wechselwirkung mit den Schutzstoffen. Andere bilden mit den Schutzstoffen
Lösungen, so daß eine verzögerte Wirkstoffabgabe nicht gewährleistet ist. Ein weiterer
Nachteil besteht darin, daß Fette niedermolekulare, im Organismus leicht abbaufähige
Stoffe darstellen, so daß nur dann ein ausreichender Schutz erreicht werden kann,
wenn verhältnismäßig viel Schutzstoff im Vergleich zu Arzneiwirkstoff angewandt
wird.
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Die Verwendung von Silikonen als Hilfsmittel für die Tablettenherstellung
nach Merz, Deutsche Apotheker-Zeitung, 1955, S. 1243, hingegen führt nur zur Verbesserung
der Gleitfähigkeit der Tablettenmassen beim Preßvorgang, während Überzüge von öl-
oder harzartigen Organopolysiloxanen über Tabletten, Kapseln oder Pillen nach der
USA.-Patentschrift 2 512 192 lediglich vor Feuchtigkeit, Sauerstoff und anderen
Stoffen schützen und die mechanische Festigkeit erhöhen. Eine protrahierende Wirkung
tritt in beiden Fällen nicht ein.
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Auch das Überziehen eines Tablettenkerns durch einen oder mehrere
Schichten von Alkylcellulosen, insbesondere t#.thylcellulose, führt nur dazu, daß
unerwünschte Eindringen von Wasser zu verhindern. Irgendeinen Einfluß auf die Resorption
und die Wirkstofffreigabe haben die Alkylcellulosen hier ebenfalls nicht.
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Nach .der britischen Patentschrift 756 900 kann Celluloseacetatphthalat
zur Erzeugung eines magensaftresistenten Überzuges verwendet werden. Da Celluloseacetatphthalat
leicht alkalilöslich ist, wird dadurch jedoch nur erreicht, daß die damit umschlossenen
Wirkstoffe erst im Darmsaft wirksam werden. Dort aber wird die gesamte Wirkstoffmenge
sofort in einen resorptionsfähigen Zustand versetzt, so daß die Resorption nunmehr
nicht mehr verzögert wird.
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Bei dem Verfahren der französischen Patentschrift 1 106 749 werden
Granulatteilchen mit einem Gehalt an therapeutisch wirksamen Stoffen mit verschiedenen
Mitteln, wie Pflanzengummen und Celluloseacetatphthalat, umhüllt, die den Verdauungssäften
verschieden lange widerstehen. Diese Granulatteilchen werden zu Tabletten vereinigt.
Dies hat zur Folge, daß die Wirkstoffe im Verdauungssystem stufenweise nacheinander
freigegeben werden. Da die Umhüllungsmittel natürlicher Herkunft sind, haben sie
nicht immer die gleiche Beschaffenheit und unterliegen Alterungserscheinungen, so
daß-vor ihrer Verwendung zur Herstellung der Zubereitungen jedesmal umfangreiche
Prüfungen auf ihre Eigenschaften erforderlich sind, um die beabsichtigte abgestufte
Wirkung der Tablettenteile sicherzustellen. Außerdem werden die Schutzstoffe von
den Körpersäften mehr oder weniger stark abgebaut.
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Die USA. -Patentschrift 2 598 530 schließlich beschreibt ein Verfahren
zur Herstellung von präparierten Antihistaminzubereitungen -mit einem speziellen
Wirkstoff (Pyranisamin). Die verlängerte Wirkung ist hier primär wirkstoffeigen
für den Fall, daß dieser erst im Darm resorbiert wird. Das Verfahren bezweckt lediglich
einen Schutz der Substanz vor einem vorzeitigen Auflösen des Arzneikörpers im Magen,
denn bei einer Resorption im Magen ist nur eine Wirkungsdauer von 3 bis 4 Stunden
zu erwarten (Spalte 1, Zeile 44).
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Es wurde nun überraschenderweise gefunden, daß man oral anzuwendende
Arzneimittel mit protrahierter-Wirkung vorteilhaft dadurch herstellen kann, daß
man die Wirkstoffe mit hochmolekularen linearen Pölycarbonaten, insbesondere solchen
auf Basis von Dioxydiary lalkanen, umhüllt.
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Derartige Polycarbonate sind aus verschiedenen Gründen als Schutzstoffe
für ärzneiwirksarrie Stoffe
besonders geeignet. Sie lassen sich
mit praktisch allen in Frage kommenden Wirkstoffen kombinieren, da sie keine unter
den Verarbeitungs-, Lagerungs- und Anwendungsbedingungen reaktionsfähige Gruppen
enthalten und, abgesehen von einigen besonderen Lösungsrnitteln, im allgemeinen
nur schwer bzw. überhaupt nicht löslich sind. Sie sind physiologisch unbedenklich,
gut verträglich und farb-, geruch- und geschmacklos. Infolge ihrer hohen Widerstandsfähigkeit
gegen chemische und biologische Einflüsse erreicht man eine sichere protrahierte
Wirkung schon mit verhältnismäßig kleinen Mengen. Außerdem kann man die Dauer der
Wirksamkeit der Wirkstoffe durch das Verhältnis der verwendeten Stoffe zueinander
und durch ihre Verarbeitung zu bestimmten Arzneimittelformen bequem und sicher steuern.
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Die kontinuierliche Abgabe der Wirkstoffe in den Verdauungsorganen
beruht vermutlich auf Diffusionsvorgängen der Wirkstoffe, gegebenenfalls von Lösungen
der Wirkstoffe in den Körpersäften, durch die unterschiedlich dichten, an sich nicht
angreifbaren Polycarbonathüllen.
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Geeignete Polycarbonate der erwähnten Art können hergestellt werden
z. B. aus Dioxydiarylalkanen nach dem Verfahren gemäß Patent 971790 oder
aus Mischungen von Dioxydiarylalkanen und aliphatischen, cycloaliphatischen und
aromatischen Dioxyverbindungen nach dem Verfahren gemäß Patent 971777 oder
überhaupt aus Mischungen von mindestens einer aliphatischen bzw. cycloaliphatischen
und mindestens einer aromatischen Dioxyverbindung nach dem Verfahren gemäß deutscher
Patentanmeldung F 17528 IV b/39 c (deutsche Auslegeschrift 1011148) oder
aus Dioxydiaryläthern oder aus Mischungen von Dioxydiaryläthern mit bis zu 80 Molprozent
anderer aliphatischer, cycloaliphatischer oder aromatischer Dioxyverbindungen durch
Umsetzungen mit Bischlorkohlensäureestern von Dioxydiaryläthern und gegebenenfalls
auch Gemischen von Bischlorkohlensäureestern von Dioxydiaryläthern und den oben
genannten Dioxyverbindungen oder aus Dioxydiaryläthern bzw. Mischungen von Dioxydiaryläthern
mit anderen Dioxyverbindungen durch Umsetzung mit Phosgen oder Kohlensäurediestern
oder aus Dioxydiarylsulfiden, beispielsweise 4,4'-Dioxy-2,2'-dimethyldiphenylsulfid,
4,4'-Dioxy-3,3'-dimethyldiphenylsulfid oder deren Homologen, oder aus Mischungen
von Dioxydiarylsulfiden mit anderen aliphatischen, cycloaliphatischen oder aromatischen
Dioxyverbindungen durch Umsetzung mit Bischlorkohlensäureestern von Dioxydiarylsulfiden
und gegebenenfalls auch Gemischen von Bischlorkohlensäureestern von Dioxydiarylsulfiden
und anderen Dioxyverbindungen oder aus Dioxydiarylsulfiden bzw. Mischungen von Dioxydiarylsulfiden
mit anderen Dioxyverbindungen durch Umsetzung mit Phosgen oder Kohlensäurediestern.
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Eine Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens besteht z. B.
darin, Lösungen oder Suspensionen aus Wirkstoffmischungen und Polycarbonaten nach
an sich bekannten Verfahren durch z. B. Sprühtrocknung einzudampfen. Das so anfallende
feindisperse Material kann trocken oder auch z. B. in Form einer wäßrigen Suspension
verwendet werden. Weiterhin kann man Wirkstoffmischungen mit Lösungen, Dispersionen
oder Emulsionen der Polycarbonate innig vermischen und in an sich bekannter Weise
in Granulatform bringen, das Lösungs- oder Dispersionsmittel entfernen und die Massen
zu Pillen, Tabletten oder Dragees verarbeiten. Schließlich kann man auch wirkstoffhaltige
Granulate mit Polycarbonatüberzügen versehen. So kann man insbesondere Granulate
aus saugfähigen inerten Materialien, z. B. Silikaten oder Kohle, die die Wirkstoffe
enthalten, mit Lösungen oder Dispersionen der Polycarbonate besprühen und trocknen
lassen.
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Beispiel 1 Aus folgenden Bestandteilen werden Arzneimitteldrageekerne
bereitet: 750- Acetylbromdiäthylacetylcarbamid, 300 g Polycarbonat aus 2,2-(4,4'-Dioxydiphenyl)-butan,
50g Paraffin liq., 900 g Bolus alba, 200 g Maisstärke, 90 g Talkum, 10 g Magnesiumstearat.
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Das Polycarbonat wird in etwa 1800 ccm Methylenchlorid gelöst, anschließend
das Paraffin liq. und Acetylbromdiäthylacetylcarbamid, gegebenenfalls unter leichtem
Erwärmen. Mit dieser Lösung wird der Bolus in einem auf 50° C erwärmten Rührkessel
oder Kneter nach und nach gut durchgearbeitet. Das Ganze wird so lange durchgemischt,
bis das Lösungsmittel weitgehend verdunstet und eine granulierfähige Masse entstanden
ist. Die Masse wird durch ein Sieb mit 3 mm lichter Maschenweite gesiebt und das
entstandene Granulat in einem Vakuumtrockenschrank bei 50° C vollends getrocknet.
Das trockene Granulat wird durch ein Sieb mit 1,5 mm lichter Maschenweite gesiebt
und anschließend mit der Maisstärke, dem Talkum und Magnesiumstearat innigst gemischt.
Aus der preßfertigen Mischung werden gewölbte Tabletten (= Kerne) von einem Durchmesser
von 9 mm und einem Gewicht von 0,230 g gepreßt.
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Auf diese Kerne wird nochmals die gleiche Menge an Wirkstoff, die
sofort zur Wirkung kommen soll, nach an sich bekannten Verfahren mit Hilfe einer
10°/oigen Gelatine-Sirup-Sim.-plexlösung aufgetragen. Anschließend werden die Rohlinge
auf übliche Weise fertig dragiert. Das Endgewicht der Dragees beträgt 0,600 g. Beispiel
2 Andere Arzneimitteldragees werden aus folgenden Bestandteilen bereitet: 400 g
hochdisperse Kieselsäure, 200 g Maisstärke, 150 g Bolus alba, 250 g Phenyläthylbarbitursäure,
150 g nativer Stärke, 100 g Polycarbonat aus 2,2-(4,4'-Dioxydiphenyl)-propan, 20
g Dioctylphthalat, 420 g Maisstärke, 100 g Talkum, 10 g Magnesiumstearat.
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Die native Stärke wird mit 750 ccm destilliertem Wasser angerührt
und anschließend auf dem Wasserbad so lange erhitzt, bis eine fast klare Lösung
entstanden ist. Mit der Lösung werden Phenyläthylbarbitursäure, hochdisperse Kieselsäure,
Maisstärke und Bolus alba in einem Kneter gut durchgearbeitet. Die feuchte Mischung
wird grob zerkleinert und in einem Umlufttrockenschrank bei 40° C etwa 10 Stunden
getrocknet. Die trockenen Brocken werden mit Hilfe einer Raspel mit 3 mm Siebeinsatz
grob zerkleinert und das entstandene Granulat durch ein Sieb mit 2 mm lichter Maschenweite
gesiebt. Dann werden die feinen Anteile mit Hilfe eines Siebes mit 1,0 mm
lichter
Maschenweite abgesiebt. Das fertige Granulat wird in einem Vakuumtrockenschrank
bei 50° C so lange getrocknet, bis der Feuchtigkeitsgehalt weniger als 1% beträgt.
Auf das Granulat wird nunmehr in einem rotierenden Dragierkessel langsam die Lösung
des Polycarbonates und Dioctylphthalats in etwa 600 ccm Methylenchlorid und 300
ccm 1,2-Dichloräthylen aufgesprüht, wobei zweckmäßig zwischendurch die Lösungsmittel
durch Trocknen in einem Vakuumtrockenschrank bei 60° C entfernt werden. Die Polycarbonatlösung
wird so lange aufgetragen, bis das Gewicht des trockenen Granulates um etwa 120
g zugenommen hat. Das so behandelte Granulat wird durch ein Sieb mit 1,5 mm lichter
Maschenweite gesiebt und anschließend mit dem Rest der Maisstärke, Talkum und Magnesiümstearat
innig gemischt. Aus der preßfertigen Mischung werden gewölbte Tabletten (= Kerne)
von einem Durchmesser von 9 mm und einem Gewicht von 0,200 g verpreßt.
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Die weitere Verarbeitung der Kerne erfolgt wie im Beispiel 1.