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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Prädiktion der Ermittlung einer Verkehrssituation sowie die Verwendung des Verfahrens in einem Assistenzsystem.
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In der Fahrzeugindustrie werden immer mehr Fahrerassistenzsysteme zum Unterstützen des Fahrers eingesetzt, wobei jedes dieser Assistenzsysteme meist nur einen kleinen Ausschnitt des Fahrgeschehens behandelt. So gibt es beispielsweise eine automatische Distanzregelung, einen Spurhalteassistenten, einen Parklenkassistenten und einen Spurwechselassistenten. Da die Situationen, in denen Sie zum Einsatz kommen, klar definiert und begrenzt sind, können die Algorithmen gut an die Situationen angepasst werden, was zu sehr performanten Algorithmen führt. Dies ist wichtig, da die Aufgaben von Systemen, wie beispielsweise dem Bremsassistenten ausgesprochen zeitkritisch sind. Außerdem wird die Wahrscheinlichkeit, dass der Algorithmus unerwartete Effekte hat, minimiert, da die Auslösekriterien sehr klar definiert werden können. Dies erleichtert den Systementwurf und vor allem die Verifikation des Algorithmus.
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Die Einschätzung der Kritikalität einer Situation, d.h. die Prädiktion der Entwicklung einer Verkehrssituation, ist sehr komplex, wobei für die Bewertung viele Faktoren eine Rolle spielen, von denen einige nicht direkt beobachtbar sind. Beobachtbar sind Straßenführung und Straßenverhältnisse sowie Position, Geschwindigkeit und die aktuellen Aktionen der Verkehrsteilnehmer. Auf Absichten, Fahrkönnen, Aufmerksamkeit und emotionalen Zustand der beteiligten Fahrzeugführer kann man nur durch Beobachtung ihrer Handlungen schließen.
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Somit ist eine Trajektorienvorhersage für die beteiligten Fahrzeuge nur sehr begrenzt möglich und es ist auch nicht sinnvoll, die vorhandene Unsicherheit diesbezüglich durch einfache Wahrscheinlichkeitsverteilungen darzustellen, da sich ein Fahrer nicht zufällig verhält. Würde der Ansatz der Aufenthaltswahrscheinlichkeiten in die Trakjektorienvorhersage einfließen, so wäre zu berücksichtigen, dass das Verhalten des Ego-Fahrzeugs auch das Verhalten aller anderen Fahrzeuge beeinflusst. In diesem Sinne würde eine Kollision nur zu Stande kommen, wenn sich einer der Fahrteilnehmer falsch verhält, was sich praktisch nicht bestimmen lässt.
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Daher wird üblicherweise angenommen, dass die Trajektorien aller Fahrzeuge außer dem Ego-Fahrzeug als bekannt angenommen werden, wobei die Geschwindigkeit, mit der sich ein Fahrzeug entlang dieser Trajektorie bewegt aus der aktuellen Geschwindigkeit und Beschleunigung bestimmt wird. Da sich die Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer Kollision nicht abschließend beantworten lässt, ist nur die Betrachtung eines zeitlichen Abstands zwischen dem Egofahrzeug und einem anderen Fahrzeug sinnvoll, was zum Begriff der „Time To Collision“, abgekürzt TTC, führt.
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Die TTC, also die Zeit bis zur Kollision, ist eine Metrik, die die TTC als die Zeit definiert, die verbleibt, bis es zu einer Kollision zwischen zwei Fahrzeugen kommen würde, wenn sie ihren Kurs und den zwischen ihnen bestehenden Geschwindigkeitsunterschied beibehielten. Mit anderen Worten, es wird davon ausgegangen, dass die Geschwindigkeit der Fahrzeuge weitestgehend konstant ist, wobei zusätzlich noch die Relativbeschleunigung berücksichtigt werden kann.
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Die Vorhersage von Kollisionsgefahren in einer vorgegebenen Verkehrssituation anhand der TTC, wobei eine Verkehrssituation durch mindestens ein sich bewegendes Fahrzeug auf einer Fahrbahn definiert ist, basiert daher auf Annahmen über das zukünftige Verhalten des Fahrers des Kraftfahrzeugs sowie der weiteren Verkehrsteilnehmer in der gegebenen Verkehrssituation anhand der bestimmten Trajektorien, wobei die weiteren Verkehrsteilnehmer durch weitere Fahrzeuge, Fußgänger, Zweiräder etc. gebildet werden.
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Zur Bewertung der Handlungsmöglichkeiten des Fahrzeugs wird üblicherweise die Prädiktion in Form von einer oder mehrerer möglicher Trajektorien des Fahrzeugs verwendet. Da diese Vorhersagen auf Steuergeräten im Fahrzeug berechnet werden, wobei die für diese Aufgabe verfügbare Rechenleistung oft stark begrenzt ist, können effizientere Verfahren helfen, bessere Vorhersagen zu treffen. Dies führt schließlich zu robusteren Auslöse-Entscheidungen für Warnungen, Bremsungen, Lenkeingriffe, etc. ohne zusätzliche Hardware-Kosten zu verursachen. Aufgrund der auf den Steuergeräten verfügbaren begrenzten Rechenleistung wird üblicherweise zur Prädiktion der Verkehrssituation eine geringe Anzahl von möglichen Trajektorien, d.h. einer Trajektorienschar, verwendet.
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Es ist aber klar, dass das Ermitteln der TTC mit Hilfe von Trajektorien suboptimal ist. Dies liegt daran, dass die Trajektorienschar die Informationen, die bezüglich der Umgebung vorhanden sind, nicht zur Steigerung ihrer Effizienz nutzen kann. Dies gilt sowohl für die Genauigkeit der Ergebnisse als auch für den zu ihrer Gewinnung benötigten Rechenaufwand.
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Zwar hat die Verwendung von Trajektorienscharen für die Situationsanalyse den Vorteil, dass diese mit jedem Bewegungsmodell funktionieren, leicht verständlich sind und die Implementierung nicht besonders komplex ist. Allerdings haben sie den Nachteil, dass ihre Berechnung ineffizient ist und der Rechenaufwand nicht mit der Komplexität der Situation skaliert. So bedarf es beispielsweise keiner weiteren Analyse der Verkehrssituation um festzustellen, dass es zu keiner Kollision kommen wird, wenn kein Hindernis vorhanden ist. Das Ausnutzen von Informationen bezüglich einer Verkehrssituation läuft dem Ansatz der Trajektorienschar zuwider und es ist schwierig, dieses Vorwissen in einen auf Trajektorien basierenden Algorithmus zu integrieren.
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Ein weiteres Problem der trajektorienbasierten Situationsanalyse ist, dass der Ansatz viele Informationen, die bereits bekannt sind, nicht zur Optimierung des Algorithmus nutzen kann. So kann die Geometrie der Hindernisse kaum zur Optimierung verwendet werden. So wäre beispielsweise bei einem Hindernis, auf dass sich das Ego-Fahrzeug zubewegt, die beiden Trajektorien am interessantesten, die genau daran vorbeifahren bzw. mit dessen Rand kollidieren. Um diese zu erhalten, muss beim Trajektorienansatz eine sehr engmaschige Abtastung vorgenommen werden, wodurch viele Trajektorien generiert werden. Verwendet man eine Trajektorienschar, so muss daher auch sichergestellt sein, dass die räumliche und zeitliche Abtastrate nicht zu gering ist, da ansonsten möglicherweise Hindernisse oder Kollisionen nicht entdeckt werden.
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Die Dissertation von Moritz Werling: „Ein neues Konzept für die Trajektoriengenerierung und -stabilisierung in zeitkritischen Verkehrsszenarien", Schriftenreihe des Instituts für Angewandte Informatik / Automatisierungstechnik, Karlsruher Institut für Technologie, Band 34, KIT Scientific Publishing 2011, ISBN 978-3-86644-631-1, beschreibt Verfahren zur Trajektoriengenerierung und -stabilisierung, mit deren Hilfe autonome Fahrzeuge in der Lage sind in beengten zeitkritischen Straßenszenarien zu manövrieren. Dabei wird eine Optimierung der Fahrtrajektorie durchgeführt, wobei die Fahrtrajektorie in einem Frenet-Koordinatensystem einer Referenzkurve formuliert wird. Als Referenzkurve bietet sich der Verlauf der Straßenmitte an.
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Zur Reduktion der benötigten Rechenleistung wird üblicherweise eine geringe Anzahl von Trajektorien zur Ermittlung der TTC berechnet, wodurch die Aussagekraft der TTC-Verteilung eingeschränkt ist.
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Der Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, eine effiziente Methode zur Erstellung einer TTC-Verteilung im Umfeld des Egofahrzeugs zur Ermittlung möglicher Kollisionen zu finden.
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Diese Aufgabe wird durch ein Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 sowie durch ein Assistenzsystem eines Fahrzeugs mit den Merkmalen des Anspruchs 8 gelöst. Bevorzugte Ausführungsformen der Erfindung sind Gegenstand der Unteransprüche.
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Das erfindungsgemäße Verfahren zur Ermittlung der Kollisionsgefahr eines Ego-Fahrzeugs mit Hindernissen in dessen Umfeld, wobei das Ego-Fahrzeug sich innerhalb eines fahrzeugfesten kartesischen Koordinatensystems mit den Achsen x und y, in dessen Nullpunkt das Ego-Fahrzeug angeordnet ist, mit vorgegebener Geschwindigkeit in Richtung der x-Achse bewegt, weist die folgenden Schritte auf:
- - Bestimmen von Hindernissen im Umfeld des Egofahrzeugs in dessen kartesischen Koordinatensystem mittels einer Umfeldsensorik des Ego-Fahrzeugs,
- - Transformieren der erkannten Hindernisse in den CT-Raum mit den Koordinatenachsen Krümmung κ und Länge s,
- - Ermitteln einer Time-to-Collision-Verteilung für die vorgegebene Geschwindigkeit aus den Hindernissen im CT-Raum.
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Dabei erfolgt die Transformation vom kartesischen Raum in den CT-Raum wie folgt:
- - ein Punkt mit den kartesischen Koordinaten [x, y] wird in einen CT-Raum mit den Koordinaten ([r, γ] transformiert, wobei
- - r der Radius eines Kreises ist, dessen Mittelpunkt sich auf der y-Achse im Abstand des Radius r von dem Nullpunkt befindet,
- - der Punkt sich auf dem Kreis befindet,
- - der Winkel γ den Winkel der Verbindung Kreismittelpunkt und Punkt bezüglich der y-Achse beschreibt, und
- - wobei anstelle des Radius r des Kreises die Krümmung κ und anstelle des Winkels γ die vom Winkel γ definierte Länge s des entsprechenden Kreisbogens des Kreises als neue CT-Koordinaten Verwendung finden.
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Dabei ist κ das Symbol für Kappa und CT-Raum bedeutet „Constant Turn“-Raum, d.h. der Raum mit einer Koordinate konstante Krümmung κ, wobei der CT-Raum unter Bezugnahme auf die 1 später ausführlich erläutert werden wird.
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Vorzugsweise werden aus der Time-to-Collision-Verteilung TTC eine Einschätzung der Verkehrssituation und gegebenenfalls Ausweichtrajektorien für das Ego-Fahrzeug bestimmt.
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Weiter bevorzugt ermittelt die Umfeldsensorik die Position der Hindernisse, deren Geschwindigkeit, deren Beschleunigung und deren Form.
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Vorzugsweise werden die Form der Hindernisse durch Polygone approximiert, wobei die Vertices der Polygone zur Ermittlung der Time-to-Collision-Verteilung in den CT-Raum transformiert werden.
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Weiter bevorzugt werden die durch Polygone approximierten Hindernisse zeitlich getrackt und die Bewegung der Hindernisse werden als dreidimensionale Polygonnetze dargestellt, deren Vertices in den CT-Raum zur Bestimmung der Time-to-Collision-Verteilung transformiert werden.
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Insbesondere kann für jedes Hindernis eine Prädiktionsdauer vorgegeben werden, wobei die Prädiktionsdauer diejenige Zeit ist, in der die von der Umfeldsensorik bestimmte Bewegung der Hindernisse zur Prädiktion der Time-to-Collision herangezogen wird. Vorzugsweise beträgt der Prädiktionszeitraum maximal 5 Sekunden, insbesondere 3 Sekunden oder kleiner. Größere Prädiktionszeiträume sind wegen der inhärenten Unsicherheit nicht sinnvoll. Weiter bevorzugt kann die Prädiktionsdauer für statische und dynamische Hindernisse unterschiedlich sein.
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Das erfindungsgemäße Fahrerassistenzsystem eines Ego-Fahrzeugs zur Bestimmung der Verkehrskritikalität im Umfeld des Ego-Fahrzeugs umfasst eine Umfeldsensorik und eine Steuereinrichtung, wobei das Fahrerassistenzsystem zur Durchführung des im vorangegangenen erläuterten Verfahrens eingerichtet und ausgelegt ist. Als Fahrerassistenzsystem kommen beispielsweise alle mit einer Notbremsfunktion oder Ausweichfunktion ausgerüsteten Assistenzsysteme in Frage, also beispielsweise der Notbremsassistent, aber auch Parkassistenzsysteme, die auf Hindernisse einschließlich sich bewegende oder neu auftauchende Hindernisse reagieren. Ferner kommt das autonome Fahren für ein derartiges Fahrerassistenzsystem in Betracht.
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Die Erfindung wird nachfolgend ausführlich erläutert, wobei ein einfaches Beispiel anhand der Zeichnungen diskutiert wird. Dabei zeigt
- 1 ein Beispiel für den Zusammenhang zwischen kartesischen Koordinaten und CT-Koordinaten,
- 2 eine Kurvenschar im kartesischen Raum,
- 3 die Kurvenschar der 2 im CT-Raum,
- 4 die Kurvenschar der 2 mit zwei Hindernissen im kartesischen Raum,
- 5 die Hindernisse der 4 nach der Koordinatentransformation, und
- 6 die Bestimmung der TTCs bezüglich der beiden Hindernisse für einen vorgegebene Fahrzustand des Egofahrzeugs.
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Bevor die Erläuterung des Verfahrens anhand der Figuren und des einfachen Beispiels erfolgt, wird im Detail die dem Verfahren zugrunde liegenden Einzelheiten und Überlegungen geschildert, die zur Bestimmung der Time-to-Collision-Verteilung führen.
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Im ersten Schritt des Verfahrens erfolgt das Bestimmen von Hindernissen im Umfeld des Egofahrzeugs mittels einer Umfeldsensorik des Ego-Fahrzeugs. Diese Hindernisse haben eine Startposition, eine Geschwindigkeit, die Null sein kann, eine Beschleunigung, die ebenfalls Null sein kann, und eine geometrische Form. Daher wird für die weitere Betrachtung der Einfachheit halber angenommen, dass sich ein Hindernis als Polygon darstellen lässt. In dem betrachteten Koordinatensystem sind Hindernisse in der Form eines Polygons zweidimensional. Eine Bewegung eines Hindernisses in der Zeit führt daher zu einem dreidimensionalen Polygonnetz, wobei das Polygonnetz eine Funktion der von der Umfeldsensorik bestimmten Geschwindigkeit und Beschleunigung ist und die dritte Dimension Zeit t als Prädiktion betrachtet werden kann. Anschaulich bedeutet dies, dass aufgrund der Messungen von Position, Geschwindigkeit, Beschleunigung und Form eines Hindernisses zum Messzeitpunkt t0 der dreidimensionale Körper eine Prädiktion des Hindernisses in der Form eines Polygons zu späteren Zeitpunkten t in der Zukunft darstellt, wobei die Prädiktionsdauer anschaulich die Ausdehnung des dreidimensionalen Körpers in zeitlicher Richtung wiedergibt.
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Diese dreidimensionalen Körper, d.h. die Polygonnetze, werden vor der Transformation berechnet, wobei hier die Anzahl der nötigen Vertices optimiert werden kann, indem man diese an die nötige Genauigkeit anpasst. Statische Objekte sind beispielsweise mit relativ wenigen Vertices darstellbar. Jeder Vertex eines solchen dreidimensionalen Polygons entspricht damit einem Vektor [x,y,t].
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Im zweiten Schritt erfolgt das Transformieren der Vertices der erkannten Hindernisse in „Constant Turn“- oder CT-Koordinaten mit Krümmung κ und Länge s entlang der zeitlichen Prädiktion oder Kurve. Nach der Transformation entspricht nun ein Vertex einem Vektor [κ,s,t], wobei die Zeitkomponente von der Transformation unberührt bleibt, d.h. die Zeitkomponente ist gegenüber der Transformation invariant.
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Im dritten Schritt erfolgt die Ermittlung der TTC-Verteilung aus den in den CT-Raum transformierten Hindernissen. Da nun jeder Vertex nach der Transformation in zweiten Schritt einen Abstand s und eine Zeit t besitzt, kann die Beschleunigung a berechnet werden, die benötigt werden würde, damit das Ego-Fahrzeug zum Zeitpunkt t die Strecke s des transformierten Vertex [κ, s, t] zurückgelegt hat.
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Diese Beschleunigung
a, die das Ego-Fahrzeug zu dem betrachteten Vertex mit den Koordinaten [
κ,
s,
t] führt, kann mittels der Formel für die gleichförmig beschleunigte Bewegung ermittelt werden,
wobei
v0 die Startgeschwindigkeit des Egofahrzeugs darstellt. Da die Beschleunigung gerade so gewählt wird, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt
t kollidiert, stellt die Zeit
t des betrachteten Vertex die
TTC dar und es ergibt sich der Vektor [
κ,
a,
TTC], welcher nach wie vor ein Vertex des betrachteten Polygonnetzes ist.
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Die Krümmung κ und die Beschleunigung a sind nun die Faktoren, die beim Führen eines Fahrzeugs beeinflusst werden können, wobei die Vertices allerdings dreidimensionale Körper beschreiben. Es ist daher möglich, dass einem Punkt [κ, a] mehrere TTC-Werte zugeordnet sind, wobei vom Punkt [κ, a, 0] in Richtung der t-Achse betrachtet, höhere TTC-Werte von niedrigeren TTC-Werten verdeckt werden. Das Problem besteht nun darin, dass für jede Kombination aus κ, a der kleinste TTC-Wert gefunden werden soll, mit anderen Worten, den erste TTC-Wert bezüglich dieser Perspektive. Dieses Problem entspricht dem „Visible Surface Detection“-Problem aus dem Bereich der Computergrafik, für das performante Algorithmen zur Verfügung stehen. Mit Hilfe dieser Algorithmen kann man nun effiziente Datenstrukturen erstellen, die die TTC in Abhängigkeit von κ und a darstellen.
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Schließlich lässt sich in einem nachfolgenden Schritt aus der TTC-Verteilung Einschätzung der Situation ableiten und gegebenenfalls Ausweichtrajektorien für das Ego-Fahrzeug generieren.
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Die obigen Überlegungen gehen davon aus, dass sich das Ego-Fahrzeug als Punkt beschreiben lässt. Der komplexere Fall, dass auch das Fahrzeug eine Ausdehnung besitzt, lässt sich mit Hilfe einer Minkowski-Summe wieder in diesen einfacheren Fall überführen. Dabei rechnet man die Form des Ego-Fahrzeugs auf die Hindernisse an, bevor man diese transformiert, was hier nicht weiter ausgeführt wird.
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Da das Transformationsverfahren nicht die Bewegung der Fahrzeuge, sondern die Geometrie der Hindernisse in das Zentrum des Algorithmus stellt, können Probleme bezüglich Auflösung und Abtastraten im Vergleich zu den eingangs beschriebenen Trajektorienverfahren effizienter behandelt oder gänzlich vermieden werden.
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Die bereits genannte Prädiktionsdauer beschreibt, wie weit bei der Untersuchung der Fahrsituation in die Zukunft geblickt wird, wobei beim hier diskutierten Transformationsansatz die Prädiktionsdauer für jedes einzelne Objekt unterschiedlich gewählt werden kann. Grundsätzlich ist eine zu hohe Prädiktionsdauer nicht sinnvoll, da die Verkehrssituationen zu dynamisch sind. In wenigen Fällen können aber auch höhere Prädiktionszeiträume sinnvoll sein, was beispielsweise für eine Situation mit hohen Geschwindigkeitsunterschieden gilt, bei der zur Bereinigung einer kritischen Situation über einen längeren Zeitraum stark gebremst werden muss. Stauenden auf der Autobahn wären so ein Fall. Weiterhin können statische Objekte mit Hilfe des Transformationsansatzes extrem effizient berechnet werden und für eine derartige Situation kann die Prädiktionsdauer ausgesprochen groß gewählt werden.
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Um die erzeugte TTC-Verteilung sinnvoll einsetzen zu können, muss die Datenmenge reduziert und die Informationsmenge maximiert werden. Dazu ist es wichtig, dass die Daten bereits während des Generierens dahingehend optimiert werden, was mit dem Transformationsansatz möglich ist.
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Mit Hilfe der ermittelten TTC-Verteilung lässt sich eine deutlich verlässlichere Entscheidung über die Fahrzeugsituation treffen. Zwar ist diese TTC-Verteilung nach wie vor eine Näherung, da diese aber direkt aus der Hindernisgeometrie erstellt wird, ist die Kontrolle über die Genauigkeit der Näherung deutlich größer als beispielsweise bei den Trajektorienverfahren. So kann beispielsweise für jedes Objekt oder Hindernis bezüglich der Transformation bestimmt werden, wie viele Vertices zur Darstellung des Objekts verwendet werden. Dies kann beispielsweise als Funktion der Distanz des Hindernis zum Ego-Fahrzeug variieren.
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Die aktuelle Verkehrssituation und die Ermittlung von möglichen Ausweichtrajektorien kann mit Hilfe der TTC-Verteilung hinsichtlich verschiedener Faktoren untersucht werden. So kann beispielsweise die minimal notwendige Beschleunigung oder der vorhandene Freiraum untersucht werden, um zu bestimmen welche Manöver möglich sind, die in einem bestimmten Zeitraum nicht zur Kollision führen. Dabei sollte abgewogen werden, wie radikal ein Ausweichmanöver sein muss, da der Fahrer nicht unnötig beeinträchtigt werden soll. Andererseits muss ein Ausweich- oder Bremsmanöver effektiv genug sein, um die Sicherheit des Fahrzeugs zu gewährleisten. Zur Beantwortung dieser Fragen kann die TTC-Verteilung hilfreich sein.
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1 zeigt den Zusammenhang zwischen dem kartesischen Raum mit Koordinaten x, y und dem Raum konstanter Krümmung Krümmungs-Zeit-Raum, kurz CT-Raum oder Constant-Turn-Raum. Dargestellt ist ein kartesisches Koordinatensystem mit den Achsen x und y, wobei angenommen wird, dass sich im Ursprungspunkt B mit den Koordinaten [0, 0] des kartesischen Koordinatensystems ein Fahrzeug befindet, welches sich in 1 nach rechts bewegt. Ein Punkt C auf dem Kreis KR mit den kartesischen Koordinaten [x, y] hat im CT-Raum die CT-Koordinaten [r2 , γ] mit r2 = 3 und y = 120°. Die in 1 eingezeichneten weiteren Größen α, β1 , β2 werden nachfolgend erläutert werden.
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Im Stand der Technik wird verbreitet für eine Trajektorienschar ein Bewegungsmodel mit konstanten Beschleunigungen benutzt. Dies ist einerseits gut geeignet, da sich leicht eine Aussage darüber treffen lässt, welche Trajektorien innerhalb des Kammschen Kreises liegen und welche nicht.
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Andererseits hat die Verwendung konstanter Beschleunigungen den Nachteil, dass die Bewegung nur approximiert werden kann. Hat man also ein Fahrzeug und einen Punkt in kartesischen Weltkoordinaten, so kann man die Beschleunigung, die für das Fahrzeug notwendig wäre, um diesen Punkt nach einer bestimmten Zeit zu erreichen, nur approximativ bestimmen.
Geht man jedoch davon aus, dass sich das Fahrzeug auf einer konstant gekrümmten Kurve bewegt und nimmt man nur die Beschleunigung in longitudinaler Richtung als konstant an, so lässt sich die notwendige Beschleunigung berechnen. Dies bedeutet auch, dass es möglich ist, Hindernisse in den Beschleunigungsraum zu projizieren.
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Um dies zu bewerkstelligen, wird eine Koordinatentransformation vorgenommen, die im Folgenden analog zu den ähnlichen Polarkoordinaten:
beschrieben wird, wobei Gleichung 1 die bekannte Polarkoordinatentransformation in das Polarkoordinatensystem mit Koordinaten [
r1 ,
α] beschreibt.
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Eine ähnliche Transformation ist
wobei wie die Polarkoordinaten die neuen Koordinatenpunkte durch einen Winkel
y und einen Radius
r2 angegeben werden. Im Unterschied zu den Polarkoordinaten ist der Mittelpunkt A des Kreises
KR, dessen Radius
r2 man angibt, nicht im Koordinatenursprung B zentriert, sondern wird entlang der
y-Achse um den Wert des Radius
r2 verschoben. Dadurch liegt der Koordinatenursprung B immer auf dem Rand des entsprechenden Kreises
KR. Des weiteren ist auch ein negativer Radius
r2 sinnvoll, da in diesem Fall der Kreis
KR in negativer Richtung entlang der
y-Achse verschoben wird.
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Nimmt man an ein Fahrzeug befindet sich im Ursprung des x-y-Koordinatensystems und fährt von dort aus in Richtung der x-Achse eine Kurve mit konstanter Krümmung entlang, so ist dies im neuen CT-Koordinatensystem eine lineare Bewegung.
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Im Folgenden wird die Bestimmung eines entsprechenden Werts [
r2 ,
γ] für einen Punkt C auf dem Kreis
KR des Radius
r2 mit den kartesischen Koordinaten [
x,y] beschrieben. Aus Gleichung 2 ergibt sich:
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Auflösen nach
r2 gibt:
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Wenn wir
y kennen würden, wäre
r2 leicht bestimmt. Dazu benutzen wir nun die Polarkoordinaten, wobei
1 den Zusammenhang zwischen Polarkoordinaten und „Constant Turn“-Koordinaten zeigt. Da zwei Seiten des Dreiecks ABC dem Radius
r2 entsprechen, handelt es sich um ein gleichschenkliges Dreieck und die Winkel β
1 und
β2 sind gleich groß. Daher lassen sich nun die folgenden Formeln aufstellen:
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Daraus folgt für den Radius
r2 :
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Da die Krümmung
κ definiert ist als das Inverse des Radius
r2 gilt:
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Es ist für die vorliegend Betrachtung sinnvoller, wenn der Punkt C auf dem Kreis K nicht mit Hilfe eines Winkels
y, sondern der Länge des Weges
s entlang dem Kreis K beschrieben wird, so dass sich ergibt:
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Mit Hilfe der obigen Formeln 11 und 12 ist es nun möglich Hindernisse aus dem kartesischen Raum in den CT-Raum zu transformieren, wobei die Koordinaten im CT-Raum durch die Krümmung κ und die Strecke s auf dem Kreis K repräsentiert werden.
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2 zeigt ein Beispiel einer Kurvenschar mit Kurven
K1,
K2,
K3,
K4,
K5,
K6,
K7,
K8 und
K9, die jeweils die Länge
2 aufweisen, wobei sich das Fahrzeug (nicht dargestellt) im Koordinatenursprung (
0,
0) befindet und sich in Richtung der
x-Achse bewegt. Mit andern Worten, die Kurvenschar zeigt mögliche Bewegungen oder Trajektorien des Fahrzeugs entlang Kurven mit jeweils unterschiedlicher, aber konstanter Krümmung. Dabei weisen die Kurven
K1 bis
K9 des Beispiels der
2 die folgenden Krümmungen auf:
Krümmung K1: | -1,0 |
Krümmung K2: | -0,75 |
Krümmung K3: | -0,5 |
Krümmung K4: | -0,25 |
Krümmung K5: | 0,0 |
Krümmung K6: | 0,25 |
Krümmung K7: | 0,5 |
Krümmung K8: | 0,75 |
Krümmung K9: | 1,0 |
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3 zeigt die Darstellung der Kurvenschar K1 bis K9 der 2 im CT-Raum mit den CT-Koordinaten Krümmung κ und Strecke s. Da die jeweiligen Krümmungen der Kurven K1 bis K9 konstant sind, erscheinen die Kurven K1 bis K9 in der Darstellung der 3 als Geraden, die sich über die vorgegebene Distanz s, im Bespiel hier s = 2m, erstrecken, wobei eine Geradeausfahrt des im Ursprung angesiedelten Fahrzeugs (nicht dargestellt) in 3 durch eine Gerade K5 im Ursprung mit der Krümmung 0,0 dargestellt wird.
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4 zeigt zwei Hindernisse H1 und H2 in einem kartesischen Raum analog zu demjenigen der 2. Dabei befinden sich die Hindernisse H1, H2 relativ zu dem im Ursprung angeordneten Fahrzeug (nicht dargestellt) in dessen vorwärtigem Umfeld und werden von entsprechenden Umfeldsensoren des Fahrzeugs detektiert. Die Hindernisse H1 und H2 können der Einfachheit halber durch Polygonzüge dargestellt werden, wobei das Hindernis H1 die Ecken H11, H12, H13 und H14 und das Hindernis H2 die Ecken H21, H22, H23 und H24 aufweisen.
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Wie bereits erwähnt, ist das Ego-Fahrzeug im Ursprung des Koordinatensystems angeordnet und bewegt sich in Richtung der x-Achse. Bei den Hindernissen H1 und H2 kann es sich um statische Hindernisse oder um sich bewegende Hindernisse handeln. Die Darstellung der 4 ist sozusagen eine Momentaufnahme einer aktuellen Verkehrssituation aus der Sicht des Ego-Fahrzeugs.
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Eine Transformation der Hindernisse H1, H2 der 4 in die CT-Koordinaten Krümmung κ, in der 5 als Kappa bezeichnet, und Strecke s, hier in m, führt zu der Darstellung der 5, in der die Hindernisse H1, H2 im CT-Raum angeordnet sind. Die Transformation der kartesischen Koordinaten der Polygone H1, H2 der 4 führt zu den CT-transformierten Polygonen H1, H2 mit den Ecken H11, H12, H13, H14 und H21, H22, H23, H24 in 5. Aus dieser 5 ist nun ersichtlich, dass im CT-Raum die Time-to-Collision TTC bezüglich der Hindernisse H1, H2 leicht ermittelt werden kann, da die TTC proportional zum Abstand des jeweiligen Hindernisses H1, H2 zu κ-Achse ist.
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Insbesondere zeigt 5, dass die durch die Eckpunkte H11 und H12 des Hindernisses H1 und der durch die Eckpunkte H24, H21 und H22 des Hindernisses H2 definierten Krümmungsbereiche für die Momentaufnahme der aktuellen Verkehrssituation als Funktion des Abstands und der Geschwindigkeit des Ego-Fahrzeugs zu einer Kollision führen können. Die anderen Bereiche möglicher Krümmungen führen zumindest in der Momentaufnahme der 5 an den transformierten Hindernissen H1, H2 vorbei, was in der nachfolgenden 6 veranschaulicht wird.
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6 zeigt die TTC-Verteilung für eine unbeschleunigte Bewegung des Ego-Fahrzeugs (nicht dargestellt) unter der Annahme, dass sich das Ego-Fahrzeug mit 10 m/s in Richtung der positiven s-Achse bewegt und sich im Raum vor dem Ego-Fahrzeug die Hindernisse H1, H2 der 4 und 5 mit den Ecken H1, H12, H13, H14 und H21, H22, H23, H24 befinden. Dabei ist die Time-to-Collision TTC in Sekunden als Funktion der Krümmung κ, in der 6 als „kappa“ bezeichnet, dargestellt, wobei sich die Time-to-Collision TTC mittels der Umrechnung der Abstände s der 5 anhand der Geschwindigkeit von 10 km/h des Ego-Fahrzeugs ergibt.
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Es ist gut erkennbar, dass in diesem Fall die Verteilung mit Hilfe der fünf Stützstellen H11, H12, H24, H21 und H22 der Hindernisse H1 und H2 beschrieben werden können. Für den Krümmungsbereich B1 zwischen den Eckpunkten H11 und H12 des Hindernisses H1 ergibt sich eine durch die Kontour des Polygionabschnitts H11-H12 definierte TTC. Für das zweite Hindernis H2 ist offensichtlich, dass alle Krümmungen im Bereich B2 zwischen den Eckpunkten H24 und H22 zu einer Kollision führen können. Folglich gibt in diesem Bereich B2 der dargestellte Polygonverlauf H24-H21-H22 die TTC für die beispielhafte Geschwindigkeit von 10 km/h wieder.
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Für die gestrichelten dargestellten Bereiche B3, B4 und B5 kann keine TTC ermittelt werden, da diese Krümmungen mit den Hindernissen H1, H2 zumindest für die aktuelle Verkehrssituation nicht kollidieren.
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Mit Hilfe der Transformation der Hindernisse H1, H2 in den CT-Raum kann daher auf einfache Weise für vorgegebene Geschwindigkeiten die Time-to-Collision TTC ermittelt. Ferner kann gut ermittelt werden, welche Trajektorie zu wählen ist, um eine Kollision ausreichend sicher zu vermeiden.
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Bezugszeichenliste
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- KR
- Kreis
- r1
- Radius
- r2
- Radius
- α
- Winkel
- â1
- Winkel
- β2
- Winkel
- β
- Winkel
- γ
- Winkel
- κ
- Krümmung (Kappa)
- s
- Strecke
- x
- X-Achse
- y
- y-Achse
- K1
- Kurve mit Krümmung -1
- K2
- Kurve mit Krümmung -0,75
- K3
- Kurve mit Krümmung -0,5
- K4
- Kurve mit Krümmung -0,25
- K5
- Kurve mit Krümmung 0,0
- K6
- Kurve mit Krümmung 0,25
- K7
- Kurve mit Krümmung 0,5
- K8
- Kurve mit Krümmung 0,75
- K9
- Kurve mit Krümmung 1
- H1
- Hindernis 1 als Polygonzug
- H11
- Ecke Hindernis 1
- H12
- Ecke Hindernis 1
- H13
- Ecke Hindernis 1
- H14
- Ecke Hindernis 1
- H2
- Hindernis 2 als Polygonzug
- H21
- Ecke Hindernis 2
- H22
- Ecke Hindernis 2
- H23
- Ecke Hindernis 2
- H24
- Ecke Hindernis 2
- B1
- Krümmungsbereich Hindernis H1
- B2
- Krümmungsbereich Hindernis H2
- B3
- Krümmungsbereich ohne Hindernis
- B4
- Krümmungsbereich ohne Hindernis
- B5
- Krümmungsbereich ohne Hindernis