-
Die Erfindung betrifft ein Verfahren gemäß Oberbegriff von Anspruch 1 sowie ein elektronisches Bremssystem gemäß Oberbegriff von Anspruch 10.
-
Das Kraftrad hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte von einem kostengünstigen Fortbewegungsmittel zu einem Freizeitgefährt entwickelt, bei welchem vermehrt sowohl die Sicherheit als auch der Komfort des Fahrers in den Vordergrund gerückt wird.
-
Ähnlich wie bei den Automobilen vor einigen Jahren werden zunehmend auch Krafträder mit Anti-Blockiersystemen (ABS) ausgerüstet. Aus der
EP 0 548 985 B1 ist beispielsweise eine Blockierschutzvorrichtung für Krafträder bekannt. Ferner ist aus der
DE 40 00 212 A1 ein Verfahren zum blockiergeschützten Bremsen eines Kraftrades und zum Bestimmen des Haftbeiwertes bekannt.
-
Traditionell haben Krafträder je ein Betätigungselement für jeden der beiden Bremskreise. Meist wird die Vorderradbremse durch einen „Handbremshebel“ und die Hinterradbremse durch einen „Fußbremshebel“ betätigt.
-
Im Zusammenhang mit Motorrädern versteht man unter einer „Integralbremsanlage“ eine Bremsanlage, bei der bei Betätigung des Handbremshebels bzw. des Fußbremshebels zusätzlich die Bremse des zweiten Bremskreises durch einen aktiven Druckaufbau eingebremst wird. Durch Betätigen eines einzigen Betätigungselements können also beide Bremsen angesteuert werden. Werden bei Betätigung des Hand- und des Fußbremshebels jeweils beide Bremsen angesteuert, so bezeichnet man dies als Vollintegralbremse. Es sind jedoch auch Kombinationen möglich, bei denen ein Bremshebel auf ein Rad und der andere Bremshebel auf beide Räder wirkt (Teilintegralbremse). Integralbremsanlagen für Krafträder sind beispielsweise aus der
DE 38 03 563 A1 und
DE 103 16 351 A1 bekannt.
-
Aufgrund der erhöhten Sicherheit und/oder des gesteigerten Komforts ist es zu erwarten, dass es in Zukunft in immer stärkerem Maße zum Einsatz von Teil- und Vollintegralbremsen bei Motorrädern kommen wird, welche durch aktiven Druckaufbau am Vorder- und/oder Hinterrad den Fahrer beim Bremsvorgang unterstützen und damit für einen optimierten Bremsweg sorgen.
-
Aus dem Stand der Technik sind verschiedene Verfahren zum Halten eines Personenkraftwagens an einem Hang (sog. hill holder) oder zur Anfahrhilfe an einem Hang (sog. Hill Start Assist) bekannt.
-
Aus der
DE 103 06 362 A1 geht ein Verfahren zur Ansteuerung einer Radbremseinrichtung eines Fahrzeugs zur Vermeidung eines unbeabsichtigten Wegrollens des Fahrzeugs bei Stillstand an einer Steigung hervor. Hierbei wird ein Haltebremsdruck für eine vorgegebene Dauer aufrechterhalten (Haltefunktion), solange kein Anfahrwunsch des Fahrers erkannt wurde.
-
Weiter beschreibt die
EP 1 410 940 A1 ein Verfahren für die Steuerung einer Rollsperre (RS) für ein Fahrzeug, insbesondere Nutzfahrzeug. Das Fahrzeug ist dabei mit einer fremdkraftgespeisten Bremsanlage und mit einer elektronischen Bremssteuerung (EBS) ausgerüstet. Das Fahrzeug kann durch seine Betriebs-Bremsanlage im Stillstand auch ohne Fahrer-Betätigung des Bremspedals durch automatisches Einsteuern eines Solldruckes in die Radbremsen gehalten werden (Rollsperren-Funktion). Zur Deaktivierung der Rollsperre beim Anfahren bleibt der Solldruck nur solange eingesteuert, wie das Fahrpedal oberhalb einer ersten Schwelle direkt oberhalb der Leerlauf-Stellung, aber unterhalb einer zweiten Schwelle betätigt wird. Nach Überschreiten der zweiten Schwelle wird der Bremsdruck zum Anfahren automatisch abgebaut (Komfort-Lösen).
-
Die
US 6,086,515 A beschreibt ferner ein Verfahren zum Halten eines Fahrzeugs auf geneigter Fahrbahn und beim Anfahren am Berg, bei dem unter Berücksichtigung der Fahrzeuggeschwindigkeit und der Bremspedalbetätigung oder entsprechender Kriterien Bremskraft an einzelnen oder an mehreren Fahrzeugrädern, insbesondere an den Rädern einer Achse, aufgebracht wird, d. h. aufrechterhalten, erhöht und wieder abgebaut wird.
-
In manchen Situationen, z.B. bei einer Überschreitung einer vorgegebenen, maximalen Dauer der Haltefunktion oder dem Auftreten eines Fehlers in einem Steuersystem des Fahrzeuges, kann es erforderlich sein, dass die Haltefunktion von dem elektronisch gesteuerten Bremssystem beendet wird. Dies kann für den Fahrer durchaus unerwartet erfolgen. Ein für den Fahrer plötzliches, unerwartetes Lösen der Bremsen kann an Steigungen oder Gefällen für den Fahrer jedoch zu problematischen Situationen führen.
-
Z.B. wird ein Motorradfahrer, welcher an den Komfort einer Hang-Haltefunktion durch aktiven Bremsdruckaufbau am Hinterrad gewöhnt ist, den rechten Fuß zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts einsetzen, und z.B. auf den Boden stellen. Eine Betätigung des Fußbremshebels der Hinterradbremse ist dann schwierig. Ein plötzliches Lösen des eingesteuerten Haltebremsdruckes durch das Bremssystem wird ein entsprechendes Losrollen des Motorrades bewirken. Der Fahrer ist dann mit der Situation konfrontiert, sowohl das Gleichgewicht aufrechterhalten, als auch das Fahrzeug gegen Wegrollen sichern zu müssen.
-
Der Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Regelung des Bremsdruckes in einem elektronisch gesteuerten Bremssystem eines Kraftfahrzeuges und ein elektronisches Bremssystem für ein Kraftfahrzeug zur Verfügung zustellen, welches den Fahrer vor einer Beendigung einer Haltefunktion warnt.
-
Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß durch das Verfahren gemäß Anspruch 1 sowie das elektronische Bremssystem gemäß Anspruch 10 gelöst.
-
Unter einem aktiven Druckaufbau wird erfindungsgemäß ein durch das elektronische Bremssystem initiierter Druckaufbau verstanden. Der Druckaufbau kann z.B. auch ohne eine Betätigung eines Bremsbetätigungselements durch den Fahrer durchgeführt werden.
-
Der Erfindung liegt der Gedanke zugrunde, den Fahrzeugführer zu warnen, bevor ein vom Bremssystem aufgebauter und aufrechterhaltener Bremsdruck in einem Radbremskreis (Haltefunktion), welcher ein Wegrollen des Fahrzeugs verhindern und/oder ein Halten und/oder eine Stabilisierung des Fahrzeugs erzielen soll, wieder vom Bremssystem verringert oder abgebaut wird.
-
Erfindungsgemäß wird der Fahrer haptisch gewarnt, indem der Bremsdruck, welcher im Rahmen der Haltefunktion aufrechterhalten wird, für eine vorgegebene Zeitdauer verringert oder auf Null geregelt, und danach wieder auf den vorherigen Wert aufgebaut wird. Steht das Fahrzeug an einem Gefälle / einer Steigung, so kommt es zu einer geringen Bewegung des Fahrzeuges, die vom Fahrer wahrgenommen werden kann. Damit das Fahrzeug sich nicht weit bewegt, und z.B. auf ein anderes Fahrzeug auffährt, wird der Bremsdruck besonders bevorzugt nur für eine Zeitdauer kleiner als etwa eine Sekunde verringert oder abgebaut. Ganz besonders bevorzugt wird der Bremsdruck nur für eine Zeitdauer von etwa 100 Millisekunde verringert oder abgebaut.
-
Da ein für den Fahrer unvermutetes Beenden einer Haltefunktion bei einem Einspurfahrzeug aufgrund des seitlichen Umkipprisikos ein großes Gefahrenpotenzial birgt, handelt es sich bei dem Kraftfahrzeug bevorzugt um ein Kraftrad.
-
Die Realisierung einer Haltefunktion ist in einer Integralbremsanlage für ein Motorrad einfach möglich, da dort die zum aktiven Druckaufbau und/oder Druckhalten notwendigen hydraulischen und/oder elektrischen und/oder elektronischen Komponenten bereits vorhanden sind. Folglich handelt es sich bei dem Verfahren bevorzugt um ein Verfahren zur Regelung des Bremsdruckes in einem Integralbremssystem für ein Motorrad bzw. bei dem elektronischen Bremssystem um ein Integralbremssystem für ein Motorrad.
-
Die haptische Warnung des Fahrers geschieht bevorzugt nur bei Vorliegen einer vorgegebenen Beendigungsbedingung. Dadurch wird verhindert, dass bei einer vom Fahrer gewünschten Beendigung der Haltefunktion eine Warnung ergeht.
-
Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens handelt es sich bei der Beendigungsbedingung um ein Ereignis oder eine Situation, bei welchem oder in welcher der Bremsdruck für den Fahrer unerwartet und/oder ohne Anfahrwunsch des Fahrers und/oder ohne Zustimmung des Fahrers verringert oder abgebaut wird, bzw. bei welchem oder in welcher die Haltefunktion für den Fahrer unerwartet und/oder ohne Anfahrwunsch des Fahrers und/oder ohne Zustimmung des Fahrers beendet wird. Bei vorliegen mindestens einer dieser Bedingungen wird der Fahrer gewarnt, so dass er sich auf den folgenden Bremsdruckabbau bzw. die Beendigung der Haltefunktion einstellen kann und gegebenenfalls geeignete Gegenmaßnahmen oder Vorkehrungsmaßnahmen ergreifen kann.
-
Bevorzugt ist die Beendigungsbedingung ein Überschreiten eines Zeitschwellenwertes für eine maximale Dauer der Haltefunktion. Eine solche, systemimmanente maximale Haltedauer wird z.B. verwendet, um den Missbrauch der Haltefunktion als Parkbremse durch den Fahrer zu verhindern. Steht der Fahrer jedoch z.B. längere Zeit an einem Hang an einer Ampel, so wird er durch das systembedingte Abschalten der Haltefunktion bei der Maximaldauer überrascht, und es kann zu einem Sturz und einem Auffahrunfall kommen. Daher wird der Fahrer bevorzugt in einem solchen Fall gewarnt.
-
Ebenso ist es bevorzugt, dass die Beendigungsbedingung ein Auftreten eines Fehlers in dem Bremssystem oder in einer Vorrichtung, welche dem Bremssystem Informationen zur Verfügung stellt, ist. Aufgrund des Fehlers kann es zu einem plötzlichen Beenden der Haltefunktion kommen, welche den Fahrer dann überraschen würde. Daher wird auch in diesem Fall der Fahrer gewarnt. Besonders bevorzugt handelt es sich bei dem Fehler um einen Fehler in der Motorsteuerung und/oder um einen Raddrehzahlsensorfehler. Bei einem Fehler in der Motorsteuerung können Motorsteuerungsdaten, welche für die Haltefunktion oder Teile der Haltefunktion, z.B. für eine Anfahrerkennung, benötigt werden, nicht mehr bereit stehen, so dass die Haltefunktion nicht mehr korrekt oder vollständig durchführbar ist. Bei einem Raddrehzahlsensorfehler kann ein Wegrollen oder Stillstehen des Fahrzeugs nicht mehr überwacht werden.
-
Bevorzugt wird nach erfolgter haptischer Warnung erst nach einer vorgegebenen Wartezeit der Bremsdruck der Haltefunktion verringert oder abgebaut und/oder die Haltefunktion beendet. Dadurch wird dem Fahrer Gelegenheit gegeben, auf die Warnung und den bevorstehenden Bremsdruckabbau zu reagieren und das Fahrzeug gegen Wegrollen oder, im Fall eines Motorrads, gegen Umkippen zu sichern.
-
Zur Beendigung der Haltefunktion wird der Bremsdruck, welcher im Rahmen der Haltefunktion aufrechterhalten wird, auf Null bar geregelt. Dies geschieht bevorzugt über eine Zeitdauer größer als etwa eine Sekunde, um ein abruptes Wegrollen des Fahrzeugs zu verhindern.
-
Bevorzugt wird der Fahrzeugführer zusätzlich akustisch und/oder visuell gewarnt, bevor der Bremsdruck verringert oder abgebaut und/oder die Haltefunktion beendet wird.
-
Die visuelle Warnung des Fahrers geschieht bevorzugt durch Ansteuerung einer Warnleuchte in einem Anzeigenfeld. Das Anzeigenfeld ist besonders bevorzugt am Fahrzeug angeordnet. Bei einem Motorrad ist es alternativ oder zusätzlich besonders bevorzugt in einem Helm integriert.
-
Die Haltefunktion wird gestartet, wenn das Kraftfahrzeug zu einem Stillstand kommt oder stillsteht oder annährend stillsteht, und eine Aktivierungsbedingung erfüllt ist. Bevorzugt ist die Aktivierungsbedingung ein Erkennen des Stehens des Kraftfahrzeugs auf einer geneigten Fahrbahn. Die Neigung der Fahrbahn wird besonders bevorzugt über einen Längsbeschleunigungssensor festgestellt und/oder bestimmt. Alternativ oder zusätzlich ist es bevorzugt, dass die Aktivierungsbedingung eine Betätigung eines Bremsbetätigungselements ist, welche mindestens eine vorgegebene Bedingung erfüllt. Besonders bevorzugt handelt es sich dabei um eine Betätigung des Bremsbetätigungselements, welche stärker ist als die zum Stillstand des Kraftfahrzeugs notwendige Betätigung. Dies stellt für den Fahrer eine einfache Aktivierung der Haltefunktion dar. So kann z.B. beim Motorrad der Fahrer nach Stillstand des Fahrzeugs einfach den Handbremshebel „nachziehen“, d.h. stärker anziehen, und startet so die Haltefunktion.
-
Das Stillstehen oder annährende Stillstehen des Kraftfahrzeugs wird bevorzugt anhand von mindestens einem Raddrehzahlsensor erkannt. Dies stellt eine vorteilhafte, da kostengünstige Stillstandserkennung dar, da sie die meist im Rahmen eines anderen Systems, z.B. Antiblockiersystems, bereits vorhandenen Raddrehzahlsensoren auswertet.
-
Weitere bevorzugte Ausführungsformen der Erfindung ergeben sich aus den Unteransprüchen und der nachfolgenden Beschreibung anhand von Figuren.
-
Es zeigen
- 1 schematisch eine beispielsgemäße Bremsanlage eines Motorrades zur Durchführung eines erfindungsgemäßen Verfahrens, und
- 2 eine schematische Darstellung eines Ausführungsbeispiels eines erfindungsgemäßen Verfahrens.
-
In 1 ist eine beispielsgemäße Bremsanlage eines Motorrades zur Durchführung eines erfindungsgemäßen Verfahrens schematisch dargestellt. Es handelt sich um eine Teilintegralbremsanlage. Diese besteht aus zwei Bremskreisen 1, 2, einem für das Vorderrad VR und einem für das Hinterrad HR mit jeweils einem Hauptbremszylinder 3, 4. Mit einem Handbremshebel 5 betätigt der Fahrer direkt die Vorderradbremse 6 und mit einem Fußpedal 7 wird die Hinterradbremse 8 betätigt.
-
Zur Bremsschlupfregelung sind sowohl im Vorderrad- als auch Hinterradbremskreis 1, 2 elektromagnetisch betätigbare Ein- und Auslassventile 9, 10 angeordnet, wobei jeweils ein in Grundstellung geöffnetes Einlassventil 9 in die Bremsleitung des Vorder- und des Hinterradbremskreises 1, 2 eingesetzt ist, welche den jeweils zugehörigen Hauptbremszylinder 3, 4 mit der Vorderrad- oder der Hinterradbremse 6, 8 verbindet. Im Hinterradbremskreis 2 befindet sich zusätzlich ein in Grundstellung geöffnetes Trennventil 11. Das in Grundstellung geschlossene Auslassventil 10 ist jeweils in eine Rücklaufleitung 12 eines jeden Bremskreises eingesetzt, welche die Vorder- oder Hinterradbremse 6, 8 mit jeweils einem Niederdruckspeicher 13 und dem Saugpfad 14 einer zweikreisig aufgeteilten Pumpe 15 verbindet, die nach dem Rückförderprinzip arbeitet. Die Pumpe 15 steht druckseitig mit den Bremsleitungen 16 beider Bremskreise in Verbindung, sodass in einer Bremsschlupfregelphase eine bedarfsgerechte Rückförderung des jeweils von der Vorder- bzw. Hinterradbremse 6, 8 abgelassenen Bremsflüssigkeitsvolumens in die Bremsleitungen 16 beider Bremskreise gewährleistet ist. Die Pumpkolben der beiden Pumpenkreise werden gemeinsam von einem Elektromotor 17 angetrieben.
-
Beide Bremskreise 1, 2 sind entsprechend ihrem schaltungstechnischen Aufbau gemeinsam als auch unabhängig voneinander betätigbar, mit der Besonderheit, dass bei einer manuellen Betätigung des am Vorderradbremskreis 1 angeschlossenen Hauptbremszylinders 3 nicht nur ein Bremsdruckaufbau in der Vorderradbremse 6, sondern gleichzeitig auch ein elektrohydraulischer Bremsdruckaufbau (aktiver Druckaufbau) in der Hinterradbremse 8 erfolgen kann, indem der Elektromotor 17 die Pumpe 15 in Betrieb setzt, sobald infolge der im Hinterradbremskreis 2 elektrisch initiierten Offenstellung des Umschaltventils 18 die Pumpe 15 Druckmittel vom Hauptbremszylinder 4 entnimmt und zur Hinterradbremse 8 fördert, während das Trennventil 11 im Hinterradbremskreis 2 die Pumpendruckseite vom Hauptbremszylinder 4 trennt.
-
Zum Halten eines Motorrades ohne Haltefunktion oder Anfahrhilfe an Steigungen ist es vom Fahrer erforderlich, entweder durch Betätigung der Vorderrad- oder der Hinterradbremse das Fahrzeug am Losrollen zu hindern. Die Betätigung der Handbremse bei Motorrädern ohne Integralbremsanlage kann an großen Steigungen unter Umständen nicht ausreichen, um das Fahrzeug sicher zu halten, so dass auch noch der Fußbremshebel betätigt werden muss. Die Betätigung der Fußbremse stellt insbesondere kleinere Fahrer vor große Herausforderungen, da nun nur noch ein Bein zur Stabilisierung des Motorrades zur Verfügung steht.
-
Beim Losfahren eines Motorrades, z.B. aus dem Stand, wird bei einer Handbremsbetätigung ein relativ komplexer, feinmotorischer Bewegungsablauf erforderlich, da sowohl die Handbremse (der Handbremshebel) als auch das Gas (der Gashebel) mit der rechten Hand bedient werden müssen.
-
Aus dem oben gesagten ergeben sich die Vorteile einer Haltefunktion und/oder Anfahrhilfe bei einem Motorradbremssystem.
-
Ein Ausführungsbeispiel eines erfindungsgemäßen Verfahrens ist in 2 schematisch dargestellt. Bei einer Aktivierung einer Haltefunktion 30 wird durch das Bremssystem aktiv ein Bremsdruck (Haltebremsdruck) in mindestens einem Radbremskreis aufgebaut und dann gehalten. Tritt nun eine Beendigungsbedingung 31 für die Haltefunktion ein, so wird der Fahrer durch eine Warnung 32 auf die bevorstehende Beendigung der Haltefunktion aufmerksam gemacht. Nach erfolgter Warnung 32 wird die Haltefunktion 30 beendet und/oder der in dem Radbremskreis gehaltene Bremsdruck reduziert oder abgebaut (Block 33).
-
Bei der Beendigungsbedingung 31 handelt es sich beispielsgemäß um eine Bedingung, welche eine Beendigung der Haltefunktion ohne bewusste Einleitung der Beendigung durch den Fahrer bedeutet. Die Beendigungsbedingung 31 kann z.B. eine Überschreitung einer vorgegebenen, maximalen Dauer der Haltefunktion 30 oder das Auftreten eines Fehlers in einem Steuersystem des Fahrzeuges sein.
-
Beispielsgemäß wird nach erfolgter Warnung 32 erst nach einer vorgegebenen Wartezeit die Haltefunktion beendet (33). Hierzu wird der (Halte)Bremsdruck in dem Radbremskreis auf Null bar abgebaut, z.B. über eine Rampenfunktion.
-
Die Warnung 32 kann dem Fahrzeugführer haptisch und/oder akustisch und/oder visuell zur Kenntnis gebracht werden.
-
Beispielsgemäß wird der Fahrer haptisch und visuell gewarnt. Sofern die Pumpen- und Ventilfunktion des elektronischen Bremssystems gewährleistet ist, wird eine vom Fahrer nicht bewusst eingeleitete Reduktion der Haltekraft zunächst durch ein haptisch deutlich wahrnehmbares Rucken signalisiert. Dieser Ruck ist gerade so bemessen, dass sich das Fahrzeug nur minimal bewegt. Der Fahrer hat so im Falle eines Motorrades problemlos die Möglichkeit, das Gleichgewicht zu halten. Auch hat er genügend Zeit, das Fahrzeug gegen weiteres Wegrollen zu sichern. Erst dann wird das elektronische Bremssystem den Haltebremsdruck langsam reduzieren (Block 33). Gleichzeitig wird dieses Verhalten dem Fahrer in einem Anzeigenfeld visualisiert.
-
Beispielsgemäß wird das elektronische Bremssystem also zunächst den Bremsdruck an der mindestens einen Radbremse für eine sehr kurze Zeit (weniger als 1 sec, z.B. ca. 100 msec) ganz abbauen (auf Null bar) oder verringern (z.B. auf den halben Wert). Im Anschluss wird der benötigte Haltedruck durch das Bremssystem wieder vollständig aufgebaut. Und erst dann wird über eine entsprechend lange Zeit (größer als 1 sec, z.B. im Bereich weniger Sekunden) der Bremsdruck an dem Rad langsam abgebaut (Block 33).
-
Im Falle eines Motorrades wird für die haptische Warnung 32 z.B. der Bremsdruck an der Hinterradbremse für eine sehr kurze Zeit verringert und im Anschluss der benötigte Haltedruck am Hinterrad wieder aktiv aufgebaut.
-
Im Folgenden werden Beispiele einer Haltefunktion und/oder Anfahrhilfe bei einem Motorrad ausgeführt. Diese werden anhand des Teilintegralbremssystems aus 1 erläutert, jedoch ist eine entsprechende Umsetzung auch in anderen Bremssystemen bzw. Integralbremssystemen möglich.
-
Bei dem Teilintegralbremssystems aus 1 ist es möglich, durch einen aktiven Druckaufbau im Hinterradbremskreis 2 durch das Bremssystem das Fahrzeug am Berg sicher zu halten, ohne dass vom Fahrer eine weitere Bremsenbetätigung an Handbremshebel 5 und/oder Fußbremshebel 7 notwendig ist. Es können zwei Varianten unterschieden werden:
- 1.) mit einem Längsbeschleunigungssensor:
- Durch den Sensor wird die Hangneigung α erkannt und gemessen. Ab einem einstellbaren Schwellenwert (z.B. ca. 5% Steigung bzw. Gefälle) ist das Bremssystem in Bereitschaft. Wird das Fahrzeug nun an einem ausreichend steilen Hang (gemessene Steigung bzw. Gefälle α größer als der Schwellenwert) zum Stillstand gebracht, so wird vom Bremssystem ein definierter Druck pHalt im Hinterradbremskreis 2 aufgebaut. Dieser Haltebremsdruck pHalt ist gerade so bemessen, dass das Motorrad, z.B. auch bei voller Beladung, sicher am Hang gehalten wird. Der Bremsdruck pHalt wird dann vom System über das Trennventil 11 im Hinterradbremskreis 2 „eingesperrt“, d.h. der Bremsdruck wird (annährend) konstant gehalten.
-
Der im Hinterradbremskreis 2 aufgebaute Haltebremsdruck pHalt kann z.B. fahrzeugspezifisch sein und/oder von der jeweiligen Hangneigung α abhängen und/oder von dem Beladungszustand des Kraftrades abhängen.
-
Anfahrvorgänge werden vom Bremssystem erkannt, z.B. durch Beobachtung des Drosselklappenwinkels und/oder der Motordrehzahl und/oder des Antriebsmomentes/Motormomentes. Der zuvor aufrechterhaltene Bremsdruck pHalt kann dann über eine, z.B. vorgegebene, Rampenfunktion gezielt in der Art abgebaut werden, dass der Fahrer problemlos, ohne Rückrollbewegung anfahren kann. Der Druckabbau kann auch in Abhängigkeit von (Fahr/Fahrzeug)Parametern, z.B. in Abhängigkeit des Motormomentes, abgebaut werden.
-
2.) ohne einen Längsbeschleunigungssensor:
- Eine Aktivierung der Haltefunktion ist nun fahrerseitig erforderlich. Eine Aktivierung erfolgt z.B. über die Betätigung eines Bremshebels. Um die Haltefunktion zu aktivieren, betätigt der Fahrer beispielsgemäß die Vorderradbremse 6 (Handbremshebel 5, inklusive Integralfunktion) mit einem höheren Druck paktiv als dem Druck pstop, welchen er zur Erzielung des Fahrzeug-Stillstandes benötigt hatte. Zur Aktivierung der Haltefunktion muss der Fahrer den Handbremshebel 5 z.B. kräftiger als mit einem Druck paktiv = pstop + 10 bar betätigen, d.h. zehn bar mehr Druck als zum Stillstand nötig war. Daraufhin wird vom System ein ausreichender Haltebremsdruck pHalt im Hinterradbremskreis 2 aufgebaut, um das Motorrad am Hang zu halten. Dieser Druck pHalt ist, da kein Sensor zur Bestimmung der Hangneigung α vorhanden ist, nicht abhängig von der Hangneigung α. Die aktive Druckerhöhung nach Fahrzeugstillstand kann in allen Fällen gleich sein oder in Abhängigkeit von Parametern, z.B. dem Beladungszustand des Motorrades, gewählt werden.
-
Auch hier kann der Anfahrvorgang entsprechend der obigen Beschreibung unter Variante 1.) erkannt werden. Bei erkanntem Anfahrwunsch wird der (Halte)Bremsdruck dann (wie unter Variante 1.) beschrieben), z.B. rampenförmig, abgebaut.
-
Zusätzlich ist es möglich, die Haltefunktion durch eine Betätigung eines Bremshebels, z.B. analog zur Aktivierung der Haltefunktion über den Handbremshebel 5, manuell zu deaktivieren. Der aufgebaute Bremsdruck wird dann wieder abgebaut, und z.B. auf Null bar geregelt. Dies kann sprungartig und/oder über eine Rampe geschehen.
-
Bei beiden Varianten 1.) und 2.) gilt, dass für die (erstmalige) Erzielung des Stillstandes der Fahrer und für die Erhaltung des Stillstandes die Haltefunktion verantwortlich ist.
-
Kombinationen der beiden Varianten 1.) und 2.) zur Haltefunktion und/oder Anfahrhilfe sind ebenfalls möglich.
-
Das Integralbremssystem aus 1 mit der oben beschriebenen Haltefunktion und/oder Anfahrhilfe ist somit zur Durchführung des anhand von 2 beschriebenen Verfahrens geeignet. Im Speziellen die oben erläuterte haptische Warnung 32 durch kurzzeitige Verringerung des Bremsdrucks an der Hinterradbremse 2 kann in einem solchen System einfach durchgeführt werden.
-
Ausführungsbeispiele der Erfindung werden auf den vorhergehenden Seiten oftmals anhand der Motorrad-Bremsanlage mit Teilintegralbremsfunktion aus 1 beschrieben. Das erfindungsgemäße Verfahren kann jedoch auch in jeder anderen Bremsanlage durchgeführt werden, in welcher ein Bremsdruck in einem Radbremskreis aktiv aufgebaut und dann gehalten werden kann, wenn das Kraftfahrzeug zu einem (annährenden) Stillstand kommt bzw. (annährend) stillsteht und eine Aktivierungsbedingung erfüllt ist. Dabei kann die Aktivierungsbedingung z.B. ein Erkennen des Stehens des Kraftfahrzeuges auf einer geneigten Fahrbahn oder z.B. eine Betätigung eines Bremsbetätigungselements sein, insbesondere eine stärkere Betätigung als zu dem Stillstand des Kraftfahrzeuges notwendig war. Das Verfahren kann somit auch in einer Motorrad-Vollintegral-Bremsanlage oder in einer Pkw-Bremsanlage durchgeführt werden.