DE19826628C1 - Intranasale Verwendung von Insulin bei Hirnleistungsstörungen - Google Patents
Intranasale Verwendung von Insulin bei HirnleistungsstörungenInfo
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Abstract
Verwendung von Insulin bzw. Insulin-Analoga zur intranasalen Behandlung von Hirnleistungsstörungen. DOLLAR A Effekte von Insulin auf das Zentrale Nervensystewm lassen sich bisher nur nach intravenöser oder subkutaner Gabe mit einer aufwendigen Apparatur zur Kontrolle und Steuerung des Blutzuckerspiegels untersuchen. Neben der Gefahr einer Unterzuckerung ist die intravenöse oder subkutane Gabe von Insulin mit einer Vielzahl von Veränderungen im Organismus verbunden, wie z. B. einem Absinken der Kaliumspiegel im Blut, Veränderungen des Fett- und Aminosäurenstoffwechsels oder der Entstehung von Übergewicht und eines Bluthochdrucks. DOLLAR A Die intranasale Applikation von Insulin führt zu einem Anstieg der Insulinkonzentration im Liquor und zu einer Verbesserung von Aufmerksamkeits- und Gedächtnisfunktionen beim Menschen oder messbare Veränderungen der Glucose- oder Insulinspiegel im Blut und der damit verbundenen Effekte in der Körperperipherie. DOLLAR A Damit ermöglicht die intranasale Insulinapplikation die Behandlung von Hirnleistungsstörungen beim Menschen ohne Einsatz einer aufwendigen Apparatur zur Blutzuckersteuerung und ohne messbare Insulineffekte in der Körperperipherie.
Description
Die Erfindung betrifft eine neue Verwendung von Insulin bzw.
Insulin-Analoga zur intranasalen Behandlung von
Hirnleistungsstörungen.
Bei Insulin handelt es sich um ein in den B-Zellen des Pankreas
gebildetes Hormon, das aus 2 Aminosäureketten mit insgesamt 51
Aminosäuren aufgebaut ist und durch 2 Disulfidbrücken verbunden
ist. Es entsteht durch Abspaltung des C-Peptids aus dem
Proinsulin. Die Sekretion von Insulin ist von der Konzentration
der Blutglucose, von gastrointestinalen Hormonen,
Inselzellhormonen und Einflüssen des vegetativen Nervensystems
abhängig. Mit dem arteriellen Blutstrom an die B-Zellen
gelangende Glucose, Hormone und bestimmte Arzneimittel bewirken
die Freisetzung von Insulin aus sekretorischen Granula in den
Blutstrom und die Insulin-Neusynthese.
Insulin besitzt in der Peripherie eine Vielzahl von
Wirkungen. Es dient z. B. der Aufrechterhaltung der
Blutzuckerhomöostase durch Induktion einer vermehrten
Glucoseaufnahme in die Körperzellen, steigert den Aminosäuren-
und Kaliumtransport in die Zellen, bewirkt die Aktivierung
zytoplasmatischer Enzyme, beeinflußt die DNA- und
Proteinsynthese und reguliert die Genexpression und das
Zellwachstum.
Nach der traditionellen Lehrmeinung wurde das Gehirn
bislang als ein Insulin-unabhängiges Organ angesehen, da es in
der Lage ist, Glucose ohne Einfluß von Insulin zu
verstoffwechseln. Überraschenderweise wurde dennoch für Insulin
ein aktiver, Rezeptor-vermittelter Transportmechanismus über die
Blut-Hirn-Schranke ins Zentrale Nervensystem (ZNS) nachgewiesen.
Zudem fand sich ein typisches Verteilungsmuster intracerebraler
Insulinrezeptoren mit einer besonders hohen Rezeptordichte im
Bulbus olfactorius, Hypothalamus und Hippocampus. In jüngster
Zeit mehren sich die Hinweise, daß Insulin, entgegen der
bisherigen Auffassung, auch die Glucoseverstoffwechslung im ZNS
beeinflußt. Aus in-vitro-Untersuchungen sind eine Vielzahl von
Insulineffekten auf Nervenzellen bekannt, z. B. eine Hemmung der
Entladungsrate von Neuronen im Hippocampus und Hypothalamus oder
eine Hemmung der Noradrenalin-Wiederaufnahme am synaptischen
Spalt.
Aus Tierversuchen ist seit längerem bekannt, daß
Glucosegabe das Gedächtnis verbessert. Dies wurde lange Zeit auf
einen direkten Effekt der Glucose und nicht auf den durch die
Glucosegabe ausgelösten Anstieg der Insulinspiegel im Blut
zurückgeführt. Neuere Untersuchungen zeigen aber, daß die
Verbesserung von Lern- und Gedächtnisfunktionen nicht auf die
Glucose, sondern auf die Erhöhung der Plasmaspiegel von Insulin
zurückzuführen ist. So bewirkt z. B. bei Mäusen die Erniedrigung
der Serumspiegel von Insulin (durch Induktion eines Insulin-
Mangeldiabetes durch Streptozotocin) eine deutliche
Verschlechterung der Gedächtnisfunktionen, die sich durch eine
einmalige intravenöse Injektion von Insulin wieder aufheben
läßt.
Ein verbessernder Effekt von Glucosegabe auf das Gedächtnis
ist seit längerem auch bei Patienten mit seniler Demenz (M.
Alzheimer) bekannt. Jüngste Untersuchungen zeigen, daß die
Verbesserung der Gehirnfunktion dieser Patienten nicht auf der
Erhöhung der Blutglucosespiegel, sondern auf die damit
einhergehende Erhöhung der Seruminsulinspiegel zurückzuführen
ist. So verbessert auch die alleinige Anhebung der
Seruminsulinspiegel bei unverändertem Blutglucosespiegel (im
Rahmen eines s. g. euglycemischen Clamps) das Gedächtnis von
Alzheimer-Patienten (S. Craft et al., NEUROBIOL AGING 1996,
17: 123-130). Eine pathophysiologische Erklärung dieses Phänomens
erbrachte eine neuere Untersuchung, die zeigte, daß Patienten
mit M. Alzheimer im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen
erniedrigte Insulinkonzentrationen im Liquor aufweisen (S. Craft
et al., NEUROLOGY 1998, 50: 164-168). In dieser Studie zeigte die
intravenöse Insulingabe keinen Effekt auf die Gehirnfunktion
gesunder Probanden.
Der angegebenen Erfindung liegt das Problem zugrunde, daß dieser
zentralnervöse Effekt intravenöser Insulingabe therapeutisch im
Alltag nicht genutzt werden kann, da bei intravenöser oder
subkutaner Insulingabe die Blutglucosespiegel sehr engmaschig
(etwa im 5-min-Abstand) kontrolliert werden müssen, um einem
Absinken der Blutzuckerkonzentration durch die Insulininfusion
mit einer gleichzeitigen Glucoseinfusion entgegenzuwirken. Da
durch die intravenöse oder subkutane Insulingabe nicht nur
vermehrt Glucose, sondern auch Kaliumionen von der Blutbahn in
die Zellen transportiert werden, müssen zur Vermeidung
lebensbedrohlicher Hypokaliämien auch die Kaliumspiegel
engmaschig kontrolliert und substituiert werden. Dies erfordert
mehrere intravenöse Zugänge und eine aufwendige Apparatur zur
engmaschigen Kontrolle und Regulierung der Blutglucose- und
Kaliumspiegel, was nur unter stationären Bedingungen möglich
ist. Längerfristig besteht zudem eine Infektionsgefahr durch die
intravenösen Zugänge, das Problem einer Gewichtszunahme der
Patienten durch die gleichzeitige Insulin- und Glucosezufuhr,
das Risiko lebensbedrohlicher Elektrolytverschiebungen und der
Entstehung eines arteriellen Hypertonus.
Der Anmelder hat nun überraschend festgestellt, daß eine
Verbesserung der Hirnfunktionen auch nach intranasaler
Insulingabe in Form eines Nasensprays ohne Veränderung der
Konzentrationen von Insulin und Glucose im Blut zu erreichen
ist. Der Anmelder konnte zeigen, daß die intranasale Insulingabe
beim gesunden Menschen zu Veränderungen sowohl
neurophysiologischer Korrelate der Gehirnfunktion (Reiz
evozierte, hirnelektrische Potentiale) als auch von
Verhaltensmaßen (Verbesserung des Gedächtnisses und der
selektiven Aufmerksamkeit) und subjektiver Maße (Verbesserung
der Konzentrationsfähigkeit) führt. Überraschenderweise waren
diese Effekte intranasaler Insulinapplikation nicht von
Veränderungen der Insulin-, Blutzucker- und
Kaliumkonzentrationen und der damit verbundenen, oben
beschriebenen Nachteile begleitet. Dies spricht dafür, daß
Insulin über einen bisher unbekannten Mechanismus direkt von der
Nasenschleimhaut ins ZNS gelangt und die Gehirnfunktion günstig
beeinflußt. Dafür sprechen weitere Untersuchungen des Anmelders,
die belegen, daß nach intranasaler Insulingabe die
Insulinkonzentration im Liquor, nicht aber im Blut ansteigt.
Damit besteht erstmals die Möglichkeit, mittels der
intranasalen Insulingabe selektiv die Insulinkonzentration im
ZNS zu erhöhen und Hirnleistungsstörungen beim Menschen
langfristig zu behandeln, ohne den Patienten der Gefahr einer
Infektion, einer Unterzuckerung oder anderen Nebenwirkungen
einer langfristigen intravenösen oder subcutanen Insulingabe
aussetzen zu müssen. Zudem ist der Patient völlig mobil und
nicht auf eine stationäre, Personal-, Geräte- und
Kostenintensive Überwachung angewiesen.
Zur Verabreichung kann das Insulin in sterilem Wasser,
isotonischer NaCl-Lösung oder jedem anderen körperverträglichen
Lösungsmittel aufgenommen sein, das geeignet ist, das Peptid zu
lösen und stabil zu halten. Die Dosierung sollte vorzugsweise so
gewählt sein, daß pro Sprühstoß (ca. 100 µl) zwischen 5 und 20 IE
Insulin abgegeben werden.
Die Bezeichnung Insulin deckt auch Analoga ab.
Erfindungsgemäß können neben Insulinen anderer Tierspezies
(Schweineinsulin, Rinderinsulin) auch insbesondere Analoga mit
einer Modifikation der Aminosäurensequenz eingesetzt werden, die
die Aufnahme von Insulin von der Nasenschleimhaut ins ZNS
verbessern oder einen schnelleren Wirkungseintritt erwarten
lassen, wie z. B. dem Lis-Pro-Insulin. Weiterhin ist auch
denkbar, das Insulin durch Änderung der Aminosäurensequenz so zu
modifizieren oder mit Zusatzstoffen zu versehen, daß ein
langandauernder Effekt auf die Hirnfunktion gewährleistet wird.
Dies kann z. B. durch Modifikationen erfolgen, die die
Rezeptorbindung im ZNS erhöhen. Eine weitere Möglichkeit wäre
die Verbindung mit Zusatzstoffen, die eine gleichmäßige,
langdauernde Resorption ins ZNS gewährleisten, vergleichbar mit
einem Depotpräparat, wie es bereits z. B. in Form des NPH-
Insulins zur Behandlung des Diabetes mellitus eingesetzt wird.
Weiterhin ist es auch möglich, der Formulierung Substanzen
zuzusetzen, die die Resorption ins Blut weiter verringern. Da
das Insulin selbst einen vasodilatatorischen Effekt besitzt,
könnten solche Substanzen z. B. lokal vasokonstriktorisch
wirkende Substanzen wie z. B. Oxymetazolin oder andere alpha-
Sympathomimetika sein. Der Einsatz solcher herkömmlich in
Schnupfensprays eingesetzten Substanzen würde zusätzlich die
bereits geringe Resorption von Insulin in die Blutbahn
verringern, und dazu beitragen, daß ein noch größerer Anteil des
intranasal applizierten Insulins direkt über die
Nasenschleimhaut ins Gehirn gelangt. Eine weitere Möglichkeit
wäre, Insulin in einem Lösungsmittel zu verabreichen, das nicht
oder nur langsam ins Blut resorbiert wird, während die
Resorption ins Gehirn unbeeinflußt bleibt.
Im folgenden soll auf Untersuchungen eingegangen werden, die die
Erhöhung der Insulinspiegel im Liquor und die vorteilhafte
Wirkung auf die Gehirnfunktion von intranasal verabreichtem
Insulin dokumentieren.
Achtzehn gesunde Probanden nahmen an 2 Versuchsitzungen teil, in
denen ihnen nach einer Vorlaufphase doppelblind und im Sinne
eines intraindividuellen Vergleichs entweder Placebo oder 20 IE
Insulin im 15-min-Abstand als Nasenspray verabreicht wurde. Die
Reihenfolge der Insulin- oder Placebogabe war über die
Versuchspersonen hinweg balanziert, das heißt die eine Hälfte
der Probanden erhielt in der 1. Versuchssitzung Placebo und in
der 2. Sitzung Insulin, die übrigen Probanden in der 1. Sitzung
Insulin und in der 2. Sitzung Placebo. Am Ende der Vorlaufphase
sowie nach 60 min intranasaler Placebo-/Insulingabe wurden
sowohl neurophysiologische Korrelate sensorischer
Reizverarbeitungsprozesse (Reizevozierte, hirnelektrische
Potentiale) als auch Verhaltensmaße bezüglich Gedächtnis
(Erinnerungsleistung von Wortlisten) und selektiver
Aufmerksamkeit (korrekte Reaktionen im s. g. Stroop Test)
erhoben. Zudem wurde anhand von Skalen zur Selbsteinschätzung
das subjektive Befinden erfaßt.
Die Blutzucker- und Seruminsulinspiegel wurden durch die
intranasale Insulingabe nicht beeinflußt. Dagegen zeigte sich
unter intranasaler Insulingabe im Vergleich zur Placebobedingung
eine signifikante Verbesserung der kognitiven Funktionen in Form
einer Steigerung der Erinnerungsleistung (p < 0.05) und der
Leistung im Stroop-Test (p < 0.05) als Maß einer verbesserten
selektiven Aufmerksamkeit. Die begleitenden neurophysiologischen
Messungen zeigten, daß diese Verbesserung der Gehirnfunktionen
mit einem negativen Potentialshift im akustisch evozierten
Potential über dem Frontalcortex einhergeht. Aus komplexeren
neurophysiologischen Untersuchungen ist bekannt, daß dieser
frontale Potentialshift ('frontal negative slow wave') als
Ausdruck einer vermehrten Rekrutierung von
Verarbeitungsresourcen im ZNS anzusehen ist. Subjektiv empfanden
die Probanden ihre Konzentrationsfähigkeit unter intranasaler
Insulingabe im Vergleich zur Placebobedingung gesteigert
(p < 0.03). Andere subjektive Nebenwirkungen wurden nicht
berichtet. Diese Befunde zeigen, daß bei gesunden Menschen die
intranasale Insulingabe ohne Beeinflussung der Blutzucker- oder
Seruminsulinspiegel zu einer Verbesserung von
neurophysiologischen, subjektiven und Verhaltensmaßen der
Gehirnfunktion führt.
Diese zentralnervösen Effekte von intranasal appliziertem
Insulin ohne messbare Veränderung der Insulinspiegel im Plasma
sprechen für eine direkte Aufnahme des Insulins von der
Nasenschleimhaut ins ZNS. Dies wird durch weitere Befunde des
Anmelders belegt, die zeigen, daß die einmalige intranasale Gabe
von 40 IE Insulin zu einem Anstieg der Insulinkonzentrationen im
Liquor um 64-348% führt, ohne daß dadurch die Insulin- oder
Glucosespiegel im Blut beeinflußt wurden.
Claims (1)
1. Verwendung von Insulin bzw. Insulin-Analoga zur intranasalen
Behandlung von Hirnleistungsstörungen.
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