DE19731238A1 - Verwendung von Aminoacridinen zur Behandlung solider Tumoren, Metastasen und Lymphomen - Google Patents

Verwendung von Aminoacridinen zur Behandlung solider Tumoren, Metastasen und Lymphomen

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Description

Die Erfindung betrifft die Verwendung bestimmter Acridine in Verbindung mit einem elektrischen Feld zur Behandlung solider Tumoren, ausgenommen Blasentumoren und bösartige Haut- und Schleimhautgeschwülste, insbesondere zur Behandlung von Ovarial­ tumoren bzw. Lungenkarzinomen bzw. ihrer Metastasen. Ferner betrifft die Erfindung die Verwendung von Acridinen zur Behandlung von soliden Metastasen und Lymphomen.
Es ist bekannt, daß bestimmte Acridinderivate mit einem Ringstick­ stoffatom und mindestens einer außerhalb der Ringstruktur stehen­ den Aminogruppe, die mit dem Ringstickstoffatom eine tautomere Diiminstruktur ausbilden kann, Mitosegifte darstellen (vgl. Lettré H.: Über Mitosegifte. Ergebnisse der Physiologie, 46, 379-452 (1950)).
Einige dieser Acridine mit zwei oder mehreren kondensierten aromatischen Ringsystemen haben die Fähigkeit, sich in die Doppelhelix der Desoxyribonucleinsäure (DNA) von Bakterien oder Gewebezellen derart einzuschieben, daß sowohl die Replikation als auch die Transkription nicht mehr ordnungsgemäß ablaufen können. Diese Moleküle bezeichnet man als Interkalantien (vgl. D. Schmäl, Arzneimittelforschung, 21. Beiheft, 3. Auflage (1981). S. 424). Die biologische Interaktion dieser Acridinverbindungen beruht wahrscheinlich auf einer Interkalation mit der DNA durch Anlage bzw. Einlage zwischen die Basenpaarschichten, was durch die flache Struktur dieser Aminoacridine bedingt ist. Hierbei werden die Guanin-Cytosin-Basenpaare bevorzugt, wobei wahrscheinlich die Bildung eines Komplexes mit DNA und einem Reparatur-Enzym erfolgt. Die Aktivität der Polymerase wird reduziert, und die DNA kann nicht entrollt werden. Ferner zerbricht die DNA-Helix in Einzel- und Doppelstränge mit konsekutiven DNA-Protein-Bindungen.
Aus der EP-0 035 862-A2 ist die Verwendung von 4'-(9-Acridinyl­ amino)-Methansulfon-m-Aziisidid als antineoplastisches Mittel bekannt. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um ein Aminoacridin, das in einer tautomeren Diiminfo= vorliegt. Die Verbindung ist extrem toxisch und deshalb nicht anwendbar. Sie war bei gewissen soliden Tumoren so geringfügig wirksam, daß sie nicht in ein klinisch-therapeutisches Programm aufgenommen wurde.
Die CH-647 677 betrifft ein pharmazeutisches Gemisch, enthaltend 4'-(9-Acridinylamin)-Methansulfon-m-Anisidid in Mischung mit Milchsäure im molaren Verhältnis von 1,5 : 1 bis 4 : 1. Es handelt sich also um dasselbe Acridinderivat wie es in der EP-0 035 862-A2 beschrieben ist, wobei durch die Salzbildung mit Milchsäure die Wasserlöslichkeit der Wirksubstanz erhöht werden soll, so daß sie zur intravenösen Verabreichung geeignet ist. Möglich ist auch eine orale Verabreichung. Es handelt sich also um ein systemisches Arzneimittel.
In der Literaturstelle "THE MERCK INDEX", 1983 sind Acriflavine, Proflavine und Streptonigrin genannt, die als anti-infektiv bzw. antiseptisch wirksame Arzneimittel bezeichnet sind. Das Strep­ tonigrin wurde auch als Antineoplastikum bezeichnet. Es finden sich jedoch keine Hinweise für die Anwendung dieser Verbindungen bei der Behandlung von soliden Tumoren.
Aus der Literaturstelle CA 84: 117676a ist bekannt, daß durch Proflavinsulfat und Ethidiumbromid die t-RNA-Nucleotidyltrans­ ferase von Ehrlich'schen Tumorzellen gehemmt wird. Bei diesen Zellen handelt es sich jedoch nur um Testzellen für Mitosehexnmer.
Aus DE 38 09 814 und EP 0 334 243 ist es bekannt, daß dissoziier­ bare Aminoacridine, die in einer tautomeren Diiminform vorliegen, bei der Behandlung von Blasenkrebs bzw. von bösartigen Haut- und Schleimhautgeschwülsten erst dann ihre antineoplastische Wirkung entfalten, wenn sie auf iontophoretischem Weg in das Tumorgewebe eingebracht werden oder wenn nach herkömmlicher lokaler Einbrin­ gung, beispielsweise durch Injektion, ein Gleichstromfeld angelegt wird. Dieser Effekt wurde darauf zurückgeführt, daß durch das angelegte Gleichstromfeld ein aktiver Transport des Wirkstoffes durch die ansonsten für den Wirkstoff impermeablen Membranen zum Wirkort hervorgerufen wird.
In den vorgenannten Schriften wird lediglich die Verwendung von Aminoacridinen zur Behandlung von Blasenkrebs und Haut- bzw. Schleimhautgeschwülsten exemplifiziert. Es wäre wünschenswert, auch andere Karzinome mittels der vorbekannten Acridinderivate zu therapieren.
Aufgabe der vorliegenden Erfindung ist es, weitere Indikationen für dissoziierbare Aminoacridine, die in einer tautomeren Diiminform vorliegen, anzugeben.
Diese Aufgabe wird gemäß den unabhängigen Ansprüchen der vor­ liegenden Erfindung gelöst. Die Unteransprüche definieren vorteilhafte Ausführungsformen der Erfindung.
In den der vorliegenden Erfindung zugrunde liegenden Basisunter­ suchungen wurde überraschend festgestellt, daß bei der ionto­ phoretischen Behandlung maligner Tumoren weniger der iontophore­ tische Transport der Wirkstoffe eine Rolle spielt, sondern vielmehr die Öffnung der Ionenkanäle der Tumorzellen durch das angelegte elektrische Feld von Bedeutung ist. Weiter wurde gefunden, daß sich Aminoacridine nicht nur zur Behandlung von Blasen- und Hauttumoren im elektrischen Feld eignen, sondern auch zur Therapie vieler anderer Tumor-Indikationen sowie zur Behand­ lung von Metastasen und Lymphomen. Voraussetzung für die erfolg­ reiche Therapie scheint lediglich zu sein, daß den zu behandelnden malignen Tumoren und Metastasen der Wirkstoff direkt oder indirekt über ein versorgendes Blutgefäß zugeführt werden und eine Strom­ durchflutung am Wirkort mit Gleichstrom oder Impulsstrom erfolgen kann.
Erfindungsgemäß werden dreikernige Heterocyclen verwendet, die neben dem Ringstickstoffatom noch eine oder mehrere Aminogruppen enthalten.
Diese Verbindungen liegen in Salzform vor, wobei der wirksame Teil des Heterocyclus das Kation bildet.
Der Heterocyclus liegt vorzugsweise als Mono- oder Dichlorid-, -sulfat, -lactat oder -acetat vor, wobei der bevorzugt verwendete Heterocyclus das Proflavin-Monohydrochlorid ist, das chemisch als 3,6-Diaminoacridin-Hydrochlorid bezeichnet wird und die nach­ stehend angegebene Formel hat:
Die tautomere Diiminform kann durch die nachstehend angegebene Formel dargestellt werden
Ein weiteres Beispiel für einen erfindungsgemäß verwendeten Heterocyclus ist das Trypaflavin oder Acriflaviniumchlorid (internationaler Freinahme für die Mischung der Hydrochloride von 3,6-Diamino-10-methylacridiniumchlorid (vgl. nachstehend angege­ bene Formel)
und 3,6-Diaminoacridin.
Die erfindungsgemäß verwendeten Heterocyclen können am Grund­ skelett, d. h. sowohl am Ringstickstoffatom als auch an den Ringkohlenstoffatomen durch Substituenten, wie Halogene, Alkyl- oder Alkoxygruppen (insbesondere mit 1 bis 4 Kohlenstoffatomen), Acrylgruppen, Alkarylgruppen und Aralkylgruppen (insbesondere in denen die Arylgruppe eine Phenylgruppe darstellt) substituiert sein.
Die erfindungsgemäß verwendeten Heterocyclen wirken im elektri­ schen Feld selektiv auf die Tumorzellen. Dies beruht mit großer Wahrscheinlichkeit auf einem unterschiedlichen Membranverhalten von Tumor- und gesunder Zelle, besonders der Kerne und Mitochon­ drien, da es unter dem Einfluß des elektrischen Stromes nur in der Tumorzelle zu einer Anlagerung der Heterocyclen an die DNA als Voraussetzung für einen irreparablen Zelluntergang kommt.
Die erfindungsgemäß eingesetzten Heterocyclen werden im allgemei­ nen in rein wäßriger Lösung in einer Konzentration von 0,05-5 g/l verwendet. Diese Wirkstofflösung kann zusätzlich Dimethylsulfoxid (DMSO) enthalten, wodurch in bestimmten Fällen eine verbesserte Verteilung der Heterocyclen im Gewebe erreicht werden kann.
Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform kann die Wirkstofflösung zusätzlich ein Röntgenkontrastmittel enthalten, um die Medikamen­ tenverteilung darstellen zu können.
Erfindungsgemäß wird die Wirkstofflösung entweder intratumoral oder in das den Tumor bzw. die Metastase versorgende Blutgefäß injiziert. Gleichzeitig mit oder anschließend an die Injizierung der Wirkstofflösung erfolgt die Anlage eines elektrischen Feldes, vorzugsweise mit einem Gleichstrom, mit einer Stromdichte zwischen 0,1 und 0,5 mA/cm2 über einen Zeitraum von bis zu 2 Stunden, vorzugsweise über einen Zeitraum von 30 bis 90 Minuten.
Vorzugsweise dient die zur intratumoralen Injektion eingesetzte Kanüle gleichzeitig als aktive Elektrode. Besonders bevorzugt ist diese Kanüle flexibel ausgebildet und kann für eine gewisse Zeit im Körper verbleiben, wodurch eine gegebenenfalls erforderliche Zweitbehandlung vereinfacht wird. Damit an der Spitze der als Elektrode ausgebildeten Kanüle nicht derart hohe Stromdichten auftreten, die zu einer Nekrose des umgebenden gesunden Gewebes führen, ist an der Kanülenspitze ein Abstandshalter, beispiels­ weise in Form eines Ballons, vorgesehen. Auch eine Beschichtung der Kanüle mit schlecht leitendem Widerstandsmaterial kann die maximale Stromdichte begrenzen. Um zu verhindern, daß an der Kanülen- bzw. Elektrodenspitze ein vorbestimmter Schwellenwert für die Stromdichte überschritten wird, kann gleichzeitig eine zweite aktive Elektrode auf der Haut des Patienten plaziert werden. Das Gleichstromfeld wird dann aus zwei aktiven und zwei indifferenten Elektroden gebildet.
Die folgenden Ausführungsbeispiele dienen lediglich der Veran­ schaulichung der Erfindung.
BEISPIEL 1 Patientin, 57 Jahre, mit metastasiertem Ovarialtumor
Das Krebsleiden dieser Patientin ist seit Jahren bekannt und wurde den konventionellen Behandlungsmethoden, Entfernung der Gebär­ mutter einschließlich Adnexen und Ovarien, zugeführt. Nach zwei Jahren trat ein Lokalrezidiv auf, das operativ saniert wurde; ferner wurden eine systemische Chemotherapie sowie Versuche mit einer Hyperthermie durchgeführt. Danach wurden acht lokoregionäre Lymphknotenmetastasen sowie eine Lebermetastase mit einer Gesamt­ tumormasse von 1,5 kg diagnostiziert.
Die Metastasen wurden transdermal unter Ultraschall- bzw. CT-Kontrolle punktiert und Proflavin intratumoral injiziert (0,2% wäßrige Proflavinmonohydrochlorid-Lösung). Anschließend wurde ein Gleichstromfeld mit von außen auf die Haut plazierten Elektroden erzeugt, wobei eine intratumorale Stromdichte von 0,1 bis 0,5 mA pro cm2 erzielt wurde. Die elektrische Stromdurchflutung wurde 30-90 Minuten appliziert, regelmäßig wurden die aktiven und die indifferenten Elektroden umgepolt. Pro Metastase wurden 1-3 Behandlungszyklen durchgeführt. Die behandelten Metastasen sind tumorfrei bzw. befinden sich in einem nekrotisierenden Umbau. Der Allgemeinzustand der Patientin ist ausgezeichnet.
BEISPIEL 2 Patient, 42 Jahre, metastasiertes Lungenkarzinom
Auch in diesem Fall war das Krebsleiden seit langem bekannt. Der Primärtumor ist chirurgisch therapiert und anschließend bestrahlt worden. Vor Beginn der Behandlung mit Proflavinhydrochlorid hatte der Patient sechs Lebermetastasen und befand sich in einem konven­ tionellen, systemisch applizierten chemotherapeutischen Behand­ lungsregime.
Zwei der Lebermetastasen wurden dann einer Behandlung mit Proflavinhydrochlorid im elektrischen Feld unterzogen. Die Wirk­ stofflösung wurde intratumoral injiziert und ein Gleichstromfeld mit einer Stromdichte von 0,35 mA/cm2 angelegt. Die Behandlungs­ zeit betrug 40 Minuten. In regelmäßigen Abständen wurden die Elektroden umgepolt. Nach Abschluß der Behandlung waren die zwei mit Proflavinhydrochlorid behandelten Metastasen im Computer­ tomogramm nicht mehr nachweisbar, während die vier nicht behan­ delten Metastasen, trotz gleichzeitiger systemischer Chemo­ therapie, keinerlei Veränderung zeigten.

Claims (10)

1. Verwendung von dissoziierbaren Aminoacridinen sowie ihrer am Grundskelett substituierten Derivate, die in einer tautomeren Diiminform vorliegen, zur Behandlung von soliden Tumoren in einem elektrischen Feld, ausgenommen von Blasentumoren und bösartigen Haut- und Schleimhautgeschwülsten.
2. Verwendung nach Anspruch 1 zur Behandlung von Ovarial­ tumoren bzw. Lungenkarzinomen.
3. Verwendung nach Anspruch 1 zur Behandlung von Mamma-, Ösophagus-, Pleura-, Magen-, Darm-, Pankreas-, Gallen- und Gallengangs-, Leber-, Knochen-, Bauchfell-, Nieren-, Nebennieren-, Nasen-, Kehlkopf-, Zungen- oder Lippenkarzinomen sowie Hirntumoren oder Weichteilsarkomen.
4. Verwendung von dissoziierbaren Aminoacridinen sowie ihrer am Grundskelett substituierten Derivate, die in einer tautomeren Diiminform vorliegen, zur Behandlung von Metastasen in einem elektrischen Feld.
5. Verwendung von dissoziierbaren Aminoacridinen sowie ihrer am Grundskelett substituierten Derivate, die in einer tautomeren Diiminform vorliegen, zur Behandlung von Lymphomen in einem elektrischen Feld.
6. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, daß das Aminoacridin Proflavin-Mono­ hydrochlorid ist.
7. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, daß das Aminoacridin in rein wäßriger Lösung in einer Konzentration von 0,05 bis 5 g/l vorliegt.
8. Verwendung nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, daß das Aminoacridin in wäßriger Lösung vorliegt, die zusätzlich DMSO in einer Konzentration von 20 bis 300 g/l enthält.
9. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, daß das Aminoacridin in wäßriger Lösung vorliegt, die zusätzlich ein Röntgenkontrastmittel enthält.
10. Pharmazeutische Zusammensetzung, umfassend mindestens ein dissoziierbares Aminoacridin bzw. ein am Grundskelett substituier­ tes Aminoacridin und ein Röntgenkontrastmittel.
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