DE19537033A1 - Verfahren zur Bestimmung von Pharmakokinetik bzw. Toxikokinetik von Testsubstanzen mit Hilfe von in-vitro-Zellkultursystemen und dafür geeignete Vorrichtungen - Google Patents
Verfahren zur Bestimmung von Pharmakokinetik bzw. Toxikokinetik von Testsubstanzen mit Hilfe von in-vitro-Zellkultursystemen und dafür geeignete VorrichtungenInfo
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Description
Die Erfindung bezieht sich auf ein Verfahren zur Bestimmung von Pharmakokinetik
bzw. Toxikokinetik von Testsubstanzen ex vivo mit Hilfe von
in vitro Zellkultursystemen, und sie umfaßt eine dafür geeignete Anordnung.
Jedes Jahr müssen Tausende von neuen Industriechemikalien und pharmazeutischen
Wirkstoffen rigorosen Toxizitätsprüfungen unterzogen werden.
Entsprechend den Richtlinien des Gesetzgebers (Chemikalien- bzw.
Arzneimittelgesetz) dürfen keine Wirkstoffe ungeprüft angewendet werden.
Getestet werden diese Substanzen meistens an Tieren (Mäuse,
Ratten, Kaninchen, Hunde, Primaten etc.), um einen möglichen Schaden
auf den menschlichen Organismus festzustellen. Die bis in die siebziger
Jahre übliche Testpraxis bedeutete für die Versuchstiere z. T. erhebliche
Qualen. Darüber hinaus sind Tierexperimente langwierig und extrem kostspielig.
So erfolgt die Beurteilung der subakuten, subchronischen und
chronischen Toxizität sowie einer möglicherweise krebserzeugenden
(kanzerogene) Wirkung von Testsubstanzen derzeit, gemäß den gültigen
Prüfvorschriften, mit Hilfe von Tierexperimenten. Kanzerogenitätstests
gehören zu den teuersten Toxizitätsprüfungen. Ihre
Dauer beträgt in der Regel 24 Monate. Tests an Hunden oder Primaten
können sogar 7 bis 10 Jahre dauern. Teratogene (fruchtschädigende)
Wirkungen können nur im Tierexperiment untersucht werden. Aus wirtschaftlichen
Überlegungen heraus und um Tierversuche auf ein Minimum
zu reduzieren, wird seit Anfang der achtziger Jahre verstärkt an der Entwicklung
von Ersatzmethoden gearbeitet. Mittlerweile stehen eine ganze
Reihe von unterschiedlichen Systemen zur Verfügung, die in verschiedenen
Teilbereichen des toxikologischen Prüfverfahrens eingesetzt werden.
Die akute Toxizität einer Prüfsubstanz kann mit Hilfe von Säugerzellkulturen
durch Messung der Wachstumsverzögerung bzw. des Zellverlusts im
Vergleich zu Kontrollkulturen gemessen werden (T. Lindl und J. Bauer, in
Zell- und Gewebekultur, Stuttgart; New York (Fischer), 144-146, 1987).
Ein weiterer in-vitro-Test funktioniert mit Hilfe eines Farbstoffes
(Neutralrot), den nur lebende Zellen aufnehmen und speichern (Spektrum
der Wissenschaft, 12, (1989), 94-100). Die Intensität der Neutralrotfärbung
ist damit ein Maß für die Zytotoxizität der zu prüfenden Chemikalie.
Substanzen bekannter Toxizität erlauben die Standardisierung dieser
Testverfahren.
Zur Erfassung von mutagenen Wirkungen wird der Ames-Test (Mutation
Research, 31, (1975) 347-364) als bakterielles Testverfahren routinemäßig
eingesetzt. Für Gentoxizitätstests an Säuerzellkulturen haben
sich zwei Tests etabliert (Ballantyne, B., et al. (Hrsg.) General and Applied
Toxicology, London (Macmillan) 1993). Die Fähigkeit von Zellen, chemisch
induzierte DNA-Schäden zu erkennen und zu reparieren wird im
ersten Fall zur Bestimmung der Mutagenität einer Testsubstanz benutzt.
Der zweite Ansatz erfaßt chromosomale Veränderungen wie Schwesterchromatidaustausche.
Eine wichtige Einflußgröße zur Entwicklung neuer Pharmaka ist insbesondere
die Verteilung einer Testsubstanz im menschlichen Körper. Pharmakokinetik
und Toxikokinetik beschreiben die Veränderungen von Fremdstoffkonzentrationen
im Organismus. Ziel ist die quantitative Vorhersage
der Stoffkonzentrationen in einzelnen Organen zu einem bestimmten
Zeitpunkt. Eine pharmakokinetische Untersuchung von Testsubstanzen in
vitro setzt eine, über längere Zeit unveränderte, ex vivo Kultivierung von
Zellmaterialien mit organ-ähnlichem Verhalten und zwar in ausreichender
Menge voraus, daß die Konzentrationsänderung im Wachstumsmedium
durch Aufnahme und Verstoffwechselung der Testsubstanz durch die
Zellen meßbar wird.
Die bislang bekannten Untersuchungen etwa in T-Flaschen oder in Spinnerflaschen
werden beiden Forderungen kaum gerecht, d. h. weder der
über längere Zeit unveränderten Aufrechterhaltung von organ-ähnlichen
Mischpopulationen in vitro noch der ausreichend hohen Zellanteile pro
Wachstumsmedium des Testsystems.
Ziel der Erfindung ist daher eine Biotechnik, die diesen Forderungen gerecht
werden kann.
Das zu diesem Zweck entwickelte erfindungsgemäße Verfahren ist im wesentlichen
dadurch gekennzeichnet, daß man für die Tests eine in vitro
Zellkultur im blasenfrei begasten Wirbelschichtreaktor verwendet, mit an
Trägerkörpern angelagerten Zellen, deren Anteil bezogen auf das gesamte
Reaktionssystem über 1% liegt.
Weitere Besonderheiten ergeben sich aus den Patentansprüchen und der
nachfolgenden Beschreibung.
Gemäß der Erfindung wird ein in vitro System vorgesehen, mit dem die
Wirkung bzw. Toxizität von Substanzen auch in zeitlichem Verlauf bzw. in
Abhängigkeit von der zeitlichen Veränderung der Wirkstoffkonzentration
ausreichend empfindlich bestimmt werden kann.
Fließbettreaktoren (auch als Wirbelschicht-Bioreaktoren bezeichnet) werden
bereits seit einiger Zeit in der Zellkulturtechnik für die Produktion von
monoklonalen Antikörpern und anderen biologisch wertvollen Stoffen verwendet.
Die Nutzbarmachung dieser prinzipiell bekannten Technik für
pharmakologische Untersuchungen unter Definition der notwendigen
Testbedingungen hat jedoch bislang nicht stattgefunden.
Insbesondere wird erfindungsgemäß in einem Reaktor mit einem Gesamtvolumen
von etwa 50 ml bei 20 bis 25 ml Träger (Schüttvolumen)
gearbeitet, wobei etwa 1 bis 5 g Zellen immobilisiert werden können. Auf
diese Weise können alle tierischen oder menschlichen Gewebesysteme
einschließlich Tumore simuliert werden. Die Kultivierungsbedingungen
lassen sich an jedes Zellmaterial (etablierte Zellinien oder Primärmaterial)
optimal anpassen und manuell oder auch automatisch regulieren. Die
Reaktionen des gesamten Systems können anhand einer Vielzahl von
Stoffwechselparametern kontinuierlich oder chargenweise (durch Probenentnahme)
gemessen und konstant gehalten oder entsprechend den experimentellen
Anforderungen manipuliert werden. Aufgrund der hohen
Zelldichte - pro ml Trägerschüttvolumen werden Zelldichten zwischen 5×
10⁷ und 2×10⁸ Zellen erreicht; 1 cm³ tierisches Gewebe enthält je nach
Ursprung zwischen 2×10⁸ bis 1×10⁹ Zellen - werden Versuchsbedingungen
erreicht, die denen in einem in-vivo-System wesentlich
näher kommen, als das bei allen herkömmlichen Kulturtechniken möglich
ist. Dabei werden Systeme mit etwa 1 bis 10% immobilisierten Zellen kontinuierlich
erreicht, während in herkömmlichen Säugerzellkultursystemen wie
z. B. T-Flaschen mit 80 cm² Kulturoberfläche nur 10 bis 50 mg Zellen mit
10 bis 15 ml Medium diskontinuierlich kultiviert werden können. Dies entspricht
einem Zellanteil von etwa 0,1 bis 0,5%.
Eine Bestimmung der Lebensfähigkeit der im Reaktor immobilisierten
Zellen erfolgt durch die Messung ihrer Stoffwechselaktivität. Dabei wird
der Verbrauch von Glukose aus dem zirkulierenden Medium sowie die
Ausscheidung von Stoffwechselprodukten wie z. B. Laktat ins Medium
quantitativ erfaßt. Eine toxische Wirkung einer ins zirkulierende Medium
dosierten Prüfsubstanz beeinflußt die o. g. Stoffwechselparameter. Darüber
hinaus verlieren adhärente Säugerzellen unter dem Einfluß einer
toxischen Substanz sehr schnell die Fähigkeit, sich auf ihren Träger festzuhalten.
Wenn im um- bzw. ablaufenden Medium frei zirkulierende Zellen
in großer Anzahl auftauchen, so ist dies alleine schon ein Maß für die
akute Toxizität der Testsubstanz. Da freischwimmende Zellen im Abfallgefäß
aufgefangen werden, kann die Zellzahl mit Hilfe eines Zellzählgerätes
(Hämozytometer oder Coulter-Counter) leicht bestimmt werden. Das
Ausmaß der Schädigung der Zelle kann mit Hilfe von etablierten Färbetests
genauer bestimmt werden. Farbstoffe wie Trypan-Blau oder
Erythrosin-B können die Membran von lebenden Zellen nicht durchdringen
(Farbstoffausschlußtests). Tote Zellen haben meistens perforierte
Membranen, sodaß diese Reagenzien in die Zellen eindringen können
und zu einer intensiven Blau- (Trypan-Blau) bzw. Rotfärbung (Erythrosin-
B) führen. Neutralrot wird hingegen nur von lebenden Zellen aufgenommen,
sodaß tote Zellen farblos erscheinen.
Eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens wird schematisch in
den beigefügten Zeichnungen wiedergegeben; es zeigen
Fig. 1 eine Anlage
im Schema;
Fig. 4 eine Vorrichtung zur Entnahme von Trägern
aus dem laufenden System;
Fig. 2 und 3 Kurven für die Pharmakokinetik von
BPA in einem Fließbettreaktor.
Fig. 1 zeigt den Reaktor 1 mit Heizmantel 2 und mit einem von einer peristatischen
Umlaufpumpe 3 angetriebenen Rezyklierungskreis 4 für das
flüssige Medium, das (schematisch mit 5 angedeutet) durch entsprechende
Dosierstrategie auf optimalen Wachstums- und Erhaltungsbedingungen
gehalten wird. Durch 6 wird die Überwachung des Mediums bezüglich
unterschiedlicher Parameter, insbesondere mit einer Sauerstoffsonde,
angedeutet. Bei 7 wird dem Reaktor Medium (z. B. durch einen Überlaufanschluß)
entnommen. Zudosierung und Entnahme können auch im
Kreislauf oder im Reaktor integriert sein.
Die Wirbelschicht 8 mit zellbewachsenen Trägern wird durch die unten in
den Reaktor 1 einlaufende Rezyklierungsströmung im Fließzustand gehalten.
Die Wirbelkörper werden durch ihr höheres, spezifisches Gewicht innerhalb
der Reaktorröhre festgehalten und somit am Austrag am oberen
Reaktorende in den Kreislauf gehindert. Innerhalb der zylindrischen Röhre,
die das Wirbelbett enthält, ist koaxial eine Silikonmembran 9 angebracht,
über die der Sauerstoff für die Zellen eingetragen wird und die im wesentlichen,
wie in dem DE-GM 94 13 576 beschrieben, ausgebildet ist. Die Silikonmembran
kann aber auch in den Rezyklierungskreislauf integriert sein.
Der Reaktor ist am unteren Ende konisch verjüngt und dem Durchmesser
der Umlaufschläuche (7,5 mm) angepaßt. Das Reaktorrohr hat selbst
einen Durchmesser von ca. 10-20 mm bei einem Öffnungswinkel von ca.
25°. Das Arbeitsvolumen incl. Kreislauf betrug ∼50 ml.
Die Zellen sind vollständig oder mehrheitlich an die Oberflächen und in
den Poren der porösen Wirbelkörper (0,4-0,7 mm Durchmesser; 1,1-1,3
kg/l Dichte→Poren mit Wasser gefüllt) angeheftet. Als besonders zweckmäßig
haben sich Wirbelkörper aus Siran® (Firma Schott, Mainz) herausgestellt.
Diese Wirbelkörper haben eine Dichte von 1,6 kg/l, der Hohlraumanteil
beträgt ca. 50%. Aber alle Wirbelkörper, die das Anlagern und das
Wachstum der Zellen zulassen sind innerhalb von 0,2-1,5 mm Durchmesser
prinzipiell geeignet. Die Zelldichten, die insgesamt erreicht werden,
liegen je nach Zelltyp zwischen 1,5×10⁷ und 2×20⁸ Zellen pro ml Wirbelkörperschüttung.
Die Entnahme von Wirbelkörperproben aus dem Reaktor ist
steril (mit einer Sterilbank) über den Deckel möglich.
Vorzugsweise wird ein Trägerprobenahmesystem in den Deckel
integriert, wie es in Fig. 4 skizziert ist: Das Trägerprobeentnahmesystem
umfaßt einen Faltenbalg 10 von
variabler Länge von z. B. 12-23 cm, in dem sich ein
Teflonschlauch 11 befindet. Im ausgefahrenen Zustand des
Faltenbalgs 10 befindet sich der Teflonschlauch oberhalb
des Reaktormediums im Kopf der Reaktorröhre. Somit
behindert der Schlauch nicht die Strömungseigenschaften
des Reaktors. Im eingefahrenen Zustand befindet sich der
Schlauch im Wirbelbett, wie angezeigt. Die Trägerentnahme
erfolgt durch einen Unterdruck am Schlauchende. Die Träger
werden in eine Flasche 12 am Ende des Schlauches gesogen,
die dann steril gewechselt wird. In der Verbindung vom
Faltenbalg 10 aus flexiblem Edelstahl zur Flasche 12
befindet sich eine Reduzier- und Klemmverschraubung 13 und
eine Sterilkupplung 14. Mit der Flasche 12 kann ein
Peleusball 15 über ein Sterilfilter 16 verbunden sein, um
auf einfache, manuelle Weise Medium und Trägerreste im
Schlauch durch Überdruck zurück in den Reaktor zu
befördern. Somit kann eine Trägerprobe steril aus dem
Reaktor entnommen werden. Andere Entnahmesysteme sind natürlich einsetzbar.
Die Trägerprobenahmeeinrichtung wird sinnvollerweise mit dem Reaktor
mit integrierter Begasungsstange kombiniert, da der Reaktordeckel hierbei
während des Betriebs nicht geöffnet werden kann.
Durch die in den Reaktor integrierte Begasungsmembran ergeben sich
folgende Vorteile: Gegenüber einem Reaktor mit externem Begasungsgefäß
reduziert sich das Verhältnis des umlaufenden Mediums zum Schüttvolumen
der Träger. Außerdem erhöht sich die Betriebssicherheit des Reaktors
für den Fall, daß versehentlich Luftblasen in das laufende Rezyklierungssystem
geraten. Auch kleine Luftblasen können sich am unteren
Ende des Reaktorrohres zu einer einzigen Luftblase vereinigen. Wenn
deren Durchmesser etwa dem des Reaktorrohres entspricht, so kann dadurch
das gesamte Wirbelbett soweit angehoben werden, daß Wirbelkörper
in den Rezyklierungskreislauf geraten und von der Peristaltikpumpe
zerstört werden. Große Luftblasen werden an der Anströmspitze derart
geteilt, sodaß die entstehenden kleinen Blasen nicht mehr in der Lage
sind, daß Wirbelbett anzuheben. Die spezifische Membranfläche
beträgt ca. 1-4 cm²/ml bei Membrandicken von 0,3-1
insb. 0,5 mm für die interne Begasung; bei externer
Begasung im Kreislauf werden Membranflächen von etwa
10-20 cm²/ml Trägerschüttvolumen vorgesehen.
In der Praxis stellt sich eine Prüfung einer beliebigen Chemikalie auf akute
Toxizität mit Hilfe des hier beschriebenen Systems sehr einfach dar. Ausgangssituation
ist ein Reaktor, der mit vollständig besiedelten Trägern
gefüllt ist und sich im Zustand eines physiologischen Fließgleichgewichts
befindet. Aus einem Vorratsgefäß wird mittels einer Schlauchpumpe
Frischmedium in den Reaktor gepumpt und durch die Umlaufpumpe umgewälzt.
Das überschüssige (verbrauchte) Zellkulturmedium gelangt durch
den Überlauf in ein Abfallgefäß. An Stelle des Abfallgefäßes kann ein
Proben- bzw. Analysengefäß angeschlossen werden.
Über einen geeigneten Anschluß kann aus einer zusätzlichen Flasche
über den Medienzulauf die Testsubstanz mit konstanter Konzentration
und variabler Pumpgeschwindigkeit oder bei konstanter Dosierleistung
mit variabler Konzentration in den Reaktor gepumpt werden. Wenn der
Testlösung ein ungiftiger Indikator (z. B. ein Lebensmittelfarbstoff oder
Phenolrot) beigemischt wird, kann durch mit einem Photometer mit Durchflußküvette
am Reaktorzu- bzw. ablauf die Verweilzeit der Substanz kontinuierlich
verfolgt werden. Nach beliebiger Dosierdauer kann auf Normalmedium
umgeschaltet werden und durch Variation der Dosierleistung
der Frischmedienpumpe eine Eliminationskinetik der Testsubstanz eingestellt
werden.
Mit Hilfe der o. g. Methoden kann die Lebensfähigkeit der Zellen überwacht
werden. Die Nachbeobachtung kann über mehrere Wochen ausgedehnt
werden. Bei der Untersuchung der akuten Toxizität im Tierversuch
erstreckt sich der Beobachtungszeitraum in der Regel nur über 2 Wochen.
Eine weitere Anwendungsmöglichkeit des hier beschriebenen Systems
liegt in der Entwicklung von Chemotherapeutika gegen Tumoren. Dabei
werden die auf den Trägern immobilisierten Tumorzellen als Tumorgewebe
und das zirkulierende Medium als Blutkreislaufsystem betrachtet. Als
Beispiel wurde die Kinetik der in vitro-Aufnahme einer borierten Aminosäure
(BPA), die zur Bor-Neutroneneinfangtherapie von malignen Melanomen
und Gliomen in klinischen Studien am Menschen verwendet
wird, untersucht.
Für das hier beschriebene Beispiel wurde ein Reaktorsystem mit 100 ml
Gesamtvolumen und 30 ml Trägern (Schüttvolumen) verwendet. Auf den
Trägern wurden B16F1-Mäusemelanomzellen 2 Wochen vor Versuchsbeginn
immobilisiert. Das BPA wurde als 1 millimolare Lösung mit einer
Geschwindigkeit von 1 l pro Stunde für 30 Minuten in den Reaktor gepumpt.
pumpt. Danach wurde das BPA durch normales Zellkulturmedium ohne
BPA ersetzt, bei gleichbleibender Pumpgeschwindigkeit. 120 Minuten
nach Versuchsbeginn wurde wiederum für 30 Minuten BPA (1 mmol/l) in
den Reaktor infundiert. Anschließend wurde auch hier für 1 Stunde Normalmedium
hineingepumpt. Von Beginn an wurden alle 10 Minuten Proben
sowohl aus dem rezierkulierenden Medium als auch Trägerproben
direkt aus der Wirbelschicht entnommen. Da jedes BPA-Molekül ein Boratom
trägt, wurde die BPA-Konzentration in den Zellen und im Medium
wurde mittels elektrothermischer Atomabsorptionsspektrometrie
(M. Papaspyrou et al. J. Anal. Atom. Spectr. 9 (1994) 791-795) bestimmt.
In Fig. 2 sind die Ergebnisse dieses Versuchs dargestellt. Es zeigte sich,
daß die maximale BPA-Konzentration im zirkulierenden Kulturmedium (⚫)
nach einer halben Stunde nach Versuchsbeginn bzw. nach Infusionsbeginn
erreicht wurde. In den Tumorzellen (B16F1-Mäusemelanom) wurde
das Maximum nach etwa einer halben bis dreiviertel Stunde erreicht. Die
BPA-Konzentration in den Tumorzellen (▲) war mehr als dreimal so hoch
wie die BPA-Konzentration im rezirkulierenden Medium. Nach dem Umschalten
auf Normalmedium nahm die BPA-Konzentration im Umlauf viel
schneller ab als in den Zellen. Nach dem erneuten Umschalten auf BPA-
Medium (120 Minuten nach Versuchsbeginn) wurde ein erneuter Anstieg
der BPA-Konzentration im Medium und in den Zellen beobachtet. Die
Konzentration in den Zellen war aber etwa höher. Da zwischen den beiden
Maxima in Fig. 2 keine vollständige Elimination (Clearence) von BPA
aus den Zellen stattgefunden hatte, addieren sich hier die BPA-
Konzentrationen.
Somit kann einerseits die Wirksamkeit hinsichtlich der Vernichtung der
Tumorzellen mit Hilfe von Dosis-Effekt-Kurven untersucht werden. Andererseits
kann man mit Reaktoren, die anstelle der Tumorzellen beispielsweise
Bindegewebszellen oder Epithelzellen aus verschiedenen
Organen (z. B. Hepatozyten aus tierischer oder menschlicher Leber, Knochenmarkzellen,
Zellen der Haut etc.) enthalten, auch die Wirkung der
untersuchten Substanzen auf das Normalgewebe bestimmen. Diese Daten
könnten dann eine Grundlage für tierexperimentelle Untersuchungen
und darüber hinaus auch eine Basis für klinische Studien an Tumorpatienten
darstellen.
Die Arbeitsbedingungen im Reaktor können so gewählt werden, daß sie
mit den Bedingungen in einem in-vivo-Experiment übereinstimmen. In einem
vorangegangenen Versuch (Fig. 3) wurde deshalb in einen Reaktor
mit 150 ml Gesamtvolumen bei 30 ml Trägervolumen 2 Wochen nach Inokulieren
der Melanomzellen BPA-Medium hineindosiert. Zum Vergleich
ist die Pharmakokinetik einer Aminosäureinfusionslösung (Alanin) dargestellt,
die an gesunden Probanden gemessen wurde (Ferber, H. P., und
Förster, H., in Aminosäuren-Transferlösungen: Workshop d. Arbeitsgemeinschaft
für künstliche Ernährung (AKE) d. Österr. Ges. für Ernährungsforschung
(ÖGE) in Baden bei Wien, 8.-10. Dez. 1983/Bd.-Hrsg.:
G. Kleinberger und U. Bürger. - München, Bern, Wien: Zuckscherdt,
(1985), 75-87). Das BPA-Medium wurde mit einer um das 10fache erhöhten
Dosierrate in den Reaktor gepumpt als das nachfolgende Normalmedium.
Dadurch hat die BPA-Kinetik die Form einer Bolusinjektion. Bei
gleicher Dosiergeschwindigkeit würde sich die Form der Kurven entsprechen.
Die Reaktionen des biologischen Materials auf eine beliebige, zu untersuchende
Testsubstanz können durch Simulation der Anflutungskinetik
hinsichtlich ihrer Toxizität (Toxikokinetik) und pharmakologischen Wirksamkeit
(Pharmakokinetik) unter realistischen Bedingungen untersucht
werden, da man das Fließbatt durch die hohen Zelldichten als Gewebe
betrachten und das zirkulierende Medium als Blutplasma betrachten kann.
Da eine Entnahme von kleinen Mengen Träger mit den darauf immobilisierten
Zellen während der Messung möglich ist, können auch Untersuchungen
zu Toxikodynamik und Pharmakodynamik an diesem System
durchgeführt werden - toxiko- und pharmakodynamische Eigenschaften
einer Testsubstanz bestimmen das Zielorgan und die biochemische Wirkung -.
Darüber hinaus kann eine Untersuchung von pharmakologischer Wirksamkeit
eines Chemotherapeutikums und toxikologischer Nebenwirkung
mit Hilfe des hier beschriebenen Ansatzes simultan an ein und demselben in
vitro System durchgeführt werden.
In Fig. 2 ist die Kinetik der Aufnahme von BPA in B16F1-
Mäusemelanomzellen unter kontinuierlichen Bedingungen im Reaktor
dargestellt. Die Entnahme von Trägern mit immobilisierten Zellen und von
Proben aus dem rezirkulierenden Medium erfolgte alle 10 Minuten: (⚫)
Zeit-Konzentrations-Profil der Zugabe von BPA im zirkulierenden Medium,
(▲) Zeitliche Veränderung der Anreicherung von BPA in den Melanomzellen.
Fig. 3 zeigt Ergebnisse des Pharmakokinetiktests von BPA (▲) in einem
Fließbettreaktor. Auf den Trägern waren B16F1-Mäusemelanomzellen
immobilisiert. Zum Vergleich ist die Kinetik einer Aminosäureninfusion
(Alanin ⚫) bei gesunden Probanden dargestellt. 10%ige Lösung mit 160
ml/h; Infusion 6 h; Nachbeobachtung 5 h (Nach Ferber, H. P., und Förster,
H., mit freundlicher Erlaubnis).
Claims (15)
1. Verfahren zur Bestimmung der Pharmakokinetik
bzw. Toxikokinetik von Testsubstanzen ex vivo,
dadurch gekennzeichnet,
daß man für die Tests eine in-vitro-Zellkultur im
blasenfrei begasten Wirbelschichtreaktor verwendet,
mit an Trägerkörpern angelagerten Zellen, deren
Anteil bezogen auf das gesamte Reaktionssystem über
1% liegt.
2. Verfahren nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet,
daß mit einer in Umlauf befindlichen Flüssigkeitsmenge
von 100 ml und einem Trägerkörperschüttvolumen
von 20-60 ml von makroporösen
Glasträgern mit 70 µm Durchmesser und um 50%
Porosität bei Porengrößen 100 µm gearbeitet wird.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Konzentration der Testsubstanz und/oder von
Abbauprodukten derselben im Kulturmedium innerhalb
des Reaktors und/oder im Rezyklierungskreis
und/oder im Reaktorablauf überwacht wird.
4. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Lebensfähigkeit der Zellen über ihre
Stoffwechselaktivität überwacht wird.
5. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet,
daß der Glucoseverbrauch und/oder die Lactatausscheidung
in das Kulturmedium überwacht werden.
6. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Ausschüttung von Zellen in das Kulturmedium
überwacht wird.
7. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Testsubstanz für eine Meßreihe durch
einmalige Injektion in das Kulturmedium zugegeben
wird.
8. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Testsubstanz kontinuierlich oder nach
Programm in das Kulturmedium eingeführt wird.
9. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Konzentration der Testsubstanz bzw. deren Stoffwechselprodukte
in den Zellen durch Entnahme von Trägerproben bestimmt
wird.
10. Vorrichtung zur Kultivierung menschlicher oder
tierischer Organfunktionszellen, insbesondere zur
Durchführung von Pharmakokinetik- bzw. Toxikokinetik-
Tests in vitro,
gekennzeichnet durch
einen Wirbelschichtreaktor mit integrierter Membranbegasung,
mit porösen Trägerkörpern von
1000 µm Durchmesser, Porengrößen 100 µm und
einer Porosität um 50% zur Immobilisierung der
Zellen und mit einem Arbeitsvolumen einschließlich
Rezyklierungskreis von 100 ml bei einem Schüttvolumenanteil
der Trägerkörper, bezogen auf das Arbeitsvolumen,
von 0,2 bis 0,6.
11. Vorrichtung nach Anspruch 10,
gekennzeichnet durch
eine im Reaktor koaxial angeordnete rohrförmige
Begasungsmembran.
12. Vorrichtung nach Anspruch 10 oder 11,
gekennzeichnet durch
offenporige Glasträger als Trägerkörper.
13. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 10 bis 12,
gekennzeichnet durch
Trägerkörper mit 200 bis 700 µm Durchmesser.
14. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 10 bis 13,
gekennzeichnet durch
Trägerkörper mit 20-50 µm Porengröße.
15. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 10 bis 14,
gekennzeichnet durch
einen Trägeranteil im Reaktor um 40%, gerechnet
als Schüttvolumen pro Arbeitsvolumen des Reaktors
inclusive Rezyklierungskreis.
Priority Applications (2)
Application Number | Priority Date | Filing Date | Title |
---|---|---|---|
DE19537033A DE19537033C2 (de) | 1995-02-16 | 1995-10-05 | Verfahren zur Bestimmung von Pharmakokinetik bzw. Toxikokinetik von Testsubstanzen mit Hilfe von in-vitro-Zellkultursystemen und dafür geeignete Vorrichtungen |
EP96101940A EP0727480A3 (de) | 1995-02-16 | 1996-02-10 | Verfahren zur Bestimmung von Pharmakokinetik bzw. Toxikokinetik von Testsubstanzen mit Hilfe von in-vitro-Zellkultursystemen und dafür geeignete Vorrichtungen |
Applications Claiming Priority (2)
Application Number | Priority Date | Filing Date | Title |
---|---|---|---|
DE19505110 | 1995-02-16 | ||
DE19537033A DE19537033C2 (de) | 1995-02-16 | 1995-10-05 | Verfahren zur Bestimmung von Pharmakokinetik bzw. Toxikokinetik von Testsubstanzen mit Hilfe von in-vitro-Zellkultursystemen und dafür geeignete Vorrichtungen |
Publications (2)
Publication Number | Publication Date |
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