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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Betreiben eines Fahrerassistenzsystems eines Kraftfahrzeugs, welches einen Soll-Abstand des Kraftfahrzeugs zu einem vorausfahrenden Fremdfahrzeug zur Durchführung einer Funktion des Fahrerassistenzsystems berücksichtigt. Daneben betrifft die Erfindung ein Kraftfahrzeug.
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Fahrerassistenzsysteme von Kraftfahrzeugen, die einen Soll-Abstand zu einem vorausfahrenden Fremdfahrzeug berücksichtigen, sind seit geraumer Zeit bekannt, beispielsweise als Abstandsregelungstempomaten (Adaptive Cruise Control - ACC). Der Soll-Abstand kann dabei herkömmlicherweise durch den Fahrer des Kraftfahrzeugs vorgegeben werden oder in Abhängigkeit anderer Größen, beispielsweise der Geschwindigkeit des Kraftfahrzeugs, ermittelt werden. Im Falle eines Abstandsregelungstempomaten bewirkt ein verhältnismäßig kurzer Soll-Abstand bei einer erfassten Verkürzung eines Ist-Abstands, beispielsweise nach einer plötzlichen Bremsung des Fremdfahrzeugs, einen intensiveren Fahreingriff als bei einem längeren Soll-Abstand.
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Bei einer ausschließlich fahrerseitigen Vorgabe des Soll-Abstands oder einer ausschließlichen Berücksichtigung der Geschwindigkeit des Kraftfahrzeugs kann jedoch auf verschiedene Einflüsse, die eine kraftfahrzeugseitig erfasste Verkürzung des Ist-Abstands bedingen können, keine Rücksicht genommen werden. Das Fahrerassistenzsystem muss daher auf unvorhergesehene Veränderungen des Ist-Abstands reagieren, die im Falle des Abstandsregelungstempomaten zu einer großen Zahl von Fahreingriffen führen. Ein Insasse, insbesondere der Fahrer, des Kraftfahrzeugs empfindet solche Fahreingriffe, wie ein plötzliches Abbremsen oder Beschleunigen, typischerweise als unkomfortabel, so dass die Benutzerfreundlichkeit des Fahrerassistenzsystems leidet.
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DE 10 2015 204 306 A1 betrifft ein Verfahren zur Steuerung von Fahrzeugfunktionen eines Kraftfahrzeugs mittels fahrtrelevanter Daten aus fahrzeugfremden Quellen. Dort wird vorgeschlagen, von einer fahrzeugfremden Recheneinheit, insbesondere einer tragbaren Recheneinheit wie einem Smartphone, externe Werte zu erhalten, die bei Überschreitung eines Schwellwerts durch einen Güte-Wert alternativ oder zusätzlich zu internen Werten verwendet werden können. Die Messwerte können dabei auch relevant für einen Abstandsregeltempomat sein, wobei konkret ein Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug bei einem Abstandsregeltempomat erhöht werden kann, wenn durch das Smartphone geschätzt wird, dass der Fahrer müde und/oder abgelenkt ist.
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DE 10 2015 201 588 A1 betrifft ein Verfahren und ein System zur Durchführung einer automatischen Steuerung der Bewegung eines Fahrzeugs, wobei in Abhängigkeit von Daten zur Aufmerksamkeit des Fahrers Steuerungsparameter erzeugt werden, welche die Bewegung des Fahrzeugs während einer automatischen Steuerung parametrisieren. Zur Verringerung von Gefahren können größere Sicherheitsabstände zu anderen Fahrzeugen hergestellt werden. Bei einer automatischen Geradeausfahrt kann der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug vergrößert werden, wenn geringere Aufmerksamkeit des Fahrers detektiert wird.
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DE 10 2016 007 588 A1 betrifft ein Verfahren zur Durchführung einer Fahrt von mehreren Fahrzeugen. Dort wird vorgeschlagen, bei Ermittlung einer Ermüdung eines Fahrers eines vorausfahrenden Fahrzeugs eine Kolonnenfolge zu ändern. So soll eine Unfallprävention erreicht werden. Hierzu wechselt ein Fahrzeug an eine andere Position des Verbundes.
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DE 11 2013 001 424 T5 betrifft eine Objekterkennungsvorrichtung, die eine Steuerung mit Fahrtverfolgung ermöglichen soll, die nicht bewirkt, dass der Fahrer ein Gefühl von Unbehagen spürt. Hierzu wird vorgeschlagen, eine Zuverlässigkeit der Gegenstandserkennungseinheit genauso zu berücksichtigen wie einen Risikofaktor, der mit einer Abnahme der Zuverlässigkeit des Erkennungsergebnisses verbunden ist, wenn das vorausfahrende Fahrzeug von der Gegenstandserkennungseinheit erkannt wird. Risikofaktoren können insbesondere Wassertröpfchen und Schmutz an der Windschutzscheibe oder der Stereokameravorrichtung, Sichtverhältnisse, Einschränkungen der linearen Ansicht der Straße und die Anzahl von Fußgängern vor dem Fahrzeug umfassen.
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DE 11 2015 000 502 T5 betrifft ein Verfahren zur Detektion von abnormalem Verhalten in einem Fahrzeug, um eine Nachricht an andere Verkehrsteilnehmer zu erzeugen, die anzeigt, dass ein erhöhtes Maß an Wachsamkeit erforderlich ist, wenn die Anzahl von detektierten sicherheitskritischen Operationen eines Fahrzeugs ein oder mehrere Grenzwerte überschreitet. Es soll also für einen Verkehrsteilnehmer einfacher gemacht werden, unvorsichtige oder gefährliche andere Verkehrsteilnehmer zu detektieren und zu ermitteln.
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Der Erfindung liegt mithin die Aufgabe zugrunde, eine Möglichkeit zum benutzerfreundlicheren Betrieb eines einen Soll-Abstand zu einem vorausfahrenden Fremdfahrzeug berücksichtigenden Fahrerassistenzsystems anzugeben.
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Zur Lösung dieser Aufgabe ist erfindungsgemäß bei einem Verfahren der eingangs genannten Art vorgesehen, dass der Soll-Abstand durch das Fahrerassistenzsystem in Abhängigkeit wenigstens eines Gütemaßes ermittelt wird, welches eine Erfassbarkeit einer Verkehrssituation in einem Fahrzeugvorfeld des Kraftfahrzeugs bewertet, wobei die Erfassbarkeit der Verkehrssituation in Abhängigkeit einer zumindest teilweisen Verdeckung des Fahrzeugvorfelds durch das Fremdfahrzeug und/oder durch ein weiteres, dem Fremdfahrzeug vorausfahrendes Fremdfahrzeug bewertet wird.
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Die Erfindung beruht auf der Überlegung, den Soll-Abstand zum Fremdfahrzeug von der Erfassbarkeit, mit anderen Worten von der Verlässlichkeit oder Sicherheit der Erfassung, des Fahrzeugvorfelds abhängig zu machen. Es wurde erkannt, dass bei einem erfindungsgemäß gewählten, ausreichend gro-ßen Soll-Abstand auch auf unvorhersehbare Ereignisse durch das Fahrerassistenzsystem derart reagiert werden kann, dass ein Insasse des Kraftfahrzeugs die Reaktion als wesentlich komfortabler empfindet, weil beispielsweise ruckartige Brems- oder Beschleunigungseingriffe vermieden werden. Wenn nämlich eine geringe Verlässlichkeit der Erfassung des Fahrzeugvorfelds und damit ein eine schlechte Erfassbarkeit beschreibendes Gütemaß gegeben ist, besteht die höhere Wahrscheinlichkeit einer unerwarteten Änderung des Ist-Zustands. Dem wird erfindungsgemäß dadurch Rechnung getragen, dass der Soll-Abstand an diese erhöhte Wahrscheinlichkeit angepasst wird. Gegenüber herkömmlichen Fahrerassistenzsystemen, die beispielsweise nur einen fahrerseitig vorgegebenen oder einen nur aus der Geschwindigkeit des Kraftfahrzeugs ermittelten Soll-Abstand berücksichtigen, wird durch die Erfindung ein wesentlich benutzerfreundlicherer Betrieb des Fahrerassistenzsystems bzw. des Kraftfahrzeugs insgesamt ermöglicht.
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Typischerweise verwendet das Fahrerassistenzsystem den Soll-Abstand als Führungsgröße einer durch das Fahrerassistenzsystem realisierten Regelung. Das Fahrerassistenzsystem umfasst bevorzugt eine Steuereinrichtung, welche den Soll-Abstand berücksichtigt und/oder das Gütemaß ermittelt. Die Verkehrssituation kann beispielsweise durch einen Fahrzustand eines oder mehrerer dem Kraftfahrzeug vorausfahrender Verkehrsteilnehmer, insbesondere einschließlich des Fremdfahrzeugs, beschrieben werden. Der Fahrzustand kann beispielsweise durch eine Geschwindigkeit und/oder ein Beschleunigungs- oder Bremsverhalten der Verkehrsteilnehmer und/oder Abstände der Verkehrsteilnehmer zueinander und/oder das Vorliegen eines Staus beschreiben werden. Als Verkehrssituation kann ferner der Zustand einer Fahrbahnoberfläche und/oder die Gefahr von Wildwechseln erfasst werden. Die erfasste Verkehrssituation kann maßgeblich für die Vorgabe des Soll-Abstands sein, wobei in Abhängigkeit des wenigstens einen Gütemaßes eine Anpassung, beispielsweise durch das Vorsehen eines Sicherheitszuschlags, erfolgt. Bevorzugt realisiert die Funktion des Fahrerassistenzsystems einen Abstandsregelungstempomaten (Adaptive Cruise Control - ACC). Dieser kann Längsführungseingriffe in Abhängigkeit des Soll-Abstands und eines erfassten Ist-Abstands durchführen.
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Gemäß einer ersten vorteilhaften Ausgestaltung des erfindungsgemäßen Verfahrens wird ein Gütemaß verwendet, welches die Erfassbarkeit der Verkehrssituation mittels wenigstens eines Eingangsdaten des Fahrerassistenzsystems zur Ermittlung des Soll-Abstands bereitstellenden Fahrzeugsystems des Kraftfahrzeugs bewertet. Ein solches Gütemaß repräsentiert mithin die Erfassbarkeit der Verkehrssituation durch das kraftfahrzeugseitige Fahrzeugsystem, also letztlich die Qualität und/oder Verlässlichkeit der Eingangsdaten. Mit anderen Worten beschreibt das Gütemaß, wie sicher die Verkehrssituation bzw. das Fahrzeugvorfeld durch die Eingangsdaten beschrieben wird. Es kann so vorteilhafterweise eingeschätzt werden, ob genügend Informationen vorhanden sind, um mögliche Auswirkungen einer Veränderung der Verkehrssituation auf das eigene Fahrverhalten zu erfassen.
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Die Eingangsdaten sind bevorzugt solche einer das Umfeld des Kraftfahrzeugs erfassenden Sensoreinrichtung. Diese kann beispielsweise wenigstens eine Kamera und/oder wenigstens einen Radarsensor und/oder wenigstens einen Lidarsensor umfassen. Alternativ oder zusätzlich kann ein Fahrzeugsystem eine mit einer kraftfahrzeugexternen Sendeeinrichtung kommunizierende Kommunikationseinrichtung sein. Die Verkehrssituation kann mithin auch durch Kommunikationsdaten, die durch die Kommunikationseinrichtung empfangen wurden, erfasst werden. Typischerweise wird die Kommunikationseinrichtung unter Verwendung eines Car2x-Protokolls betrieben.
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Bevorzugt wird die Erfassbarkeit der Verkehrssituation mittels des Fahrzeugsystems des Kraftfahrzeugs in Abhängigkeit einer Verfügbarkeit des Fahrzeugsystems bewertet. Eine Veränderung der Verfügbarkeit liegt beispielsweise bei einem Ausfall oder einer Beeinträchtigung der Funktion eines Sensors der Sensoreinrichtung und/oder der Kommunikationseinrichtung vor. Denkbar ist beispielsweise, dass bei einer geringen Signalstärke eines Empfangssignals der Kommunikationseinrichtung ein eine schlechtere Erfassbarkeit beschreibendes Gütemaß ermittelt wird. Alternativ oder zusätzlich kann die Erfassbarkeit der Verkehrssituation in Abhängigkeit einer Qualität von Sensordaten der Sensoreinrichtung und/oder eines Verschmutzungsgrades eines Sensors der Sensoreinrichtung bewertet werden.
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Eine weitere vorteilhafte Ausgestaltung des erfindungsgemäßen Verfahrens sieht vor, dass ein Gütemaß verwendet wird, welches die Erfassbarkeit der Verkehrssituation durch einen Fahrer des Fremdfahrzeugs und/oder mittels wenigstens eines Fahrzeugsystems des Fremdfahrzeugs, insbesondere einer sein Umfeld erfassenden Sensoreinrichtung, bewertet. Es wird bei dieser Ausgestaltung mithin nicht auf die Erfassbarkeit der Verkehrssituation aus der Perspektive des Kraftfahrzeugs abgestellt, sondern aus der Perspektive des Fremdfahrzeugs. Es wurde nämlich erkannt, dass bei einer guten Erfassbarkeit der Verkehrssituation durch den Fahrer und/oder das Fahrzeugsystem des Fremdfahrzeugs mit weniger unvorhersehbaren Reaktionen auf eine Veränderung im Fahrzeugvorfeld des Kraftfahrzeugs, insbesondere in einem Fahrzeugvorfeld des Fremdfahrzeugs, zu rechnen ist. Unvorhersehbare und/oder kurzfristige Reaktionen des Fremdfahrzeugs auf eine Veränderung der Verkehrssituation können so antizipiert werden, was einen besonders vorausschauenden Betrieb des kraftfahrzeugseitigen Fahrerassistenzsystems ermöglicht.
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Hinsichtlich der Erfassbarkeit der Verkehrssituation durch den Fahrer des Fremdfahrzeugs wird es bevorzugt, wenn die Erfassbarkeit der Verkehrssituation durch den Fahrer in Abhängigkeit eines Aufmerksamkeitsgrads des Fahrers und/oder eines Müdigkeitsgrads des Fahrers und/oder eines Verschmutzungsgrads eines Spiegels und/oder einer Scheibe, durch die der Fahrer das Fahrzeugvorfeld erfasst, bewertet wird. Besteht demnach eine geringe Aufmerksamkeit des Fahrers oder eine stärkere Müdigkeit, wie sie durch fremdfahrzeugseitige, das Fahrverhalten und/oder die Mimik des Fahrers und/oder die Körperhaltung des Fahrers auswertende Sensoren erfassbar ist, oder eine schlechte Sichtqualität mittels eines Spiegels und/oder durch eine Scheibe für den Fahrer, was ebenfalls durch entsprechende Sensoren des Fremdfahrzeugs erfassbar ist, so wird ein eine schlechtere Erfassbarkeit beschreibendes Gütemaß ermittelt.
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In Bezug auf die Erfassbarkeit der Verkehrssituation mittels des wenigstens einen Fahrzeugsystems des Fremdfahrzeugs kann mit Vorteil vorgesehen sein, dass die Erfassbarkeit der Verkehrssituation mittels des Fahrzeugsystems des Fremdfahrzeugs in Abhängigkeit einer Verfügbarkeit des Fahrzeugsystems und/oder einer Qualität von Sensordaten der Sensoreinrichtung und/oder eines Verschmutzungsgrades eines Sensors der Sensoreinrichtung, bewertet wird. Wird das Fremdfahrzeug selbst mittels eines Fahrerassistenzsystems, beispielsweise eines Abstandsregelungstempomaten, betrieben, so kann sich aus den vorgenannten Gründen eine schlechtere Erfassbarkeit der Verkehrssituation ergeben, die wiederum zu unvorhersehbaren und/oder kurzfristigen Reaktionen des fremdfahrzeugseitigen Fahrerassistenzsystems führen kann.
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Zweckmäßigerweise empfängt das Kraftfahrzeug Daten zur Bewertung der Erfassbarkeit der Verkehrssituation mittels der oder einer Kommunikationseinrichtung des Kraftfahrzeugs von dem Fremdfahrzeug. Bevorzugt wird die Kommunikationseinrichtung mittels eines Car2Car-Protokolls betrieben. Es ist möglich, dass unmittelbar und/oder mittelbar, beispielsweise unter Zwischenschaltung eines Servers, vom Fremdfahrzeug an das Kraftfahrzeug übertragene Daten empfangen werden.
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Bei dem erfindungsgemäßen Verfahren ist vorgesehen, dass die Erfassbarkeit der Verkehrssituation in Abhängigkeit einer zumindest teilweisen Verdeckung des Fahrzeugvorfelds durch das Fremdfahrzeug und/oder durch ein weiteres, dem Fremdfahrzeug vorausfahrendes Fremdfahrzeug bewertet wird. Ferner können witterungsbedingter Sichteinschränkungen berücksichtigt werden. Witterungsbedingte Sichteinschränkungen können beispielsweise Nebel und/oder Niederschlag sein. Die Erfassbarkeit der Verkehrssituation wird in diesem Fall bevorzugt mittels der oder einer kraftfahrzeugseitigen Sensoreinrichtung erfasst. Im Fall der witterungsbedingten Sichteinschränkung bzw. der Verdeckung des Fahrzeugvorfelds kann eine eine schlechtere Erfassbarkeit beschreibende Güteinformation ermittelt werden.
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Es wird bei dem erfindungsgemäßen Verfahren außerdem bevorzugt, wenn die Erfassbarkeit der Verkehrssituation in wenigstens einem Abschnitt des Fahrzeugvorfelds berücksichtigt wird, welcher in Fahrtrichtung vor dem Fremdfahrzeug liegt. Insbesondere wird ausschließlich die Erfassbarkeit in dem wenigstens einen Abschnitt berücksichtigt.
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Schließlich ist es besonders zweckmäßig, wenn bei Vorliegen eines eine bessere Erfassbarkeit beschreibenden Gütemaßes ein geringerer Soll-Abstand vorgegeben wird als bei Vorliegen eines eine schlechtere Erfassbarkeit beschreibenden Gütemaßes.
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Die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe wird ferner gelöst durch ein Kraftfahrzeug, umfassend ein Fahrerassistenzsystem, welches gemäß dem erfindungsgemäßen Verfahren betreibbar ist. Sämtliche Ausführungen zum erfindungsgemäßen Verfahren lassen sich analog auf das erfindungsgemäße Kraftfahrzeug übertragen, so dass auch mit diesem die zuvor genannten Vorteile erzielt werden können.
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Weitere Vorteile und Einzelheiten der Erfindung ergeben sich aus dem im Folgenden beschriebenen Ausführungsbeispiel sowie anhand der Zeichnung. Diese ist eine schematische Darstellung und zeigt eine Prinzipskizze eines erfindungsgemäßen Kraftfahrzeugs in einer Verkehrssituation mit einem vorausfahrenden Fremdfahrzeug und einem weiteren Fremdfahrzeug.
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Die Figur zeigt ein Ausführungsbeispiel eines Kraftfahrzeugs 1 in einer Verkehrssituation mit einem unmittelbar vorausfahrenden Fremdfahrzeug 2 und einem weiteren Fremdfahrzeug 3, welches dem Fremdfahrzeug 2 unmittelbar vorausfährt.
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Das Kraftfahrzeug 1 weist ein Fahrerassistenzsystem 4 auf, welches die Funktion eines Abstandsregelungstempomaten realisiert und zur Durchführung dieser Funktion einen Soll-Abstand des Kraftfahrzeugs 1 zum Fremdfahrzeug 2 berücksichtigt. Das Fahrerassistenzsystem 4 regelt demensprechend durch abbremsende und beschleunigende Längsführungseingriffe einen Ist-Abstand zum Fremdfahrzeug 2 auf den Soll-Abstand. Diese Funktion ist in einer Steuereinrichtung, beispielsweise einem Steuergerät, des Fahrerassistenzsystems 4 implementiert. Ferner ist kraftfahrzeugseitig eine Sensoreinrichtung 5 vorgesehen, welche mehrere Sensoren, beispielsweise wenigstens eine Kamera und/oder wenigstens einen Radarsensor und/oder wenigstens einen Lidarsensor, umfasst, das Fahrzeugvorfeld des Kraftfahrzeugs 1 erfasst und dem Fahrerassistenzsystem 4 Sensordaten bereitstellt. Die Sensordaten beschreiben mithin die Verkehrssituation im Fahrzeugvorfeld, einschließlich eines Abschnitts des Fahrzeugvorfelds in Fahrtrichtung vor dem Fremdfahrzeug 2. Mittels der Sensoreinrichtung 5 wird auch der Ist-Abstand zum Fremdfahrzeug 2 ermittelt.
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Das Kraftfahrzeug weist außerdem eine Kommunikationseinrichtung 6 auf, welche gemäß einem Car2x-Protokoll betreibbar ist und dem Fahrerassistenzsystem 4 Kommunikationsdaten bereitstellt. Die Kommunikationseinrichtung 6 empfängt Kommunikationsdaten, welche von einer stationären, kraftfahrzeugexternen Sendeeinrichtung 7 bereitgestellt werden und ebenfalls die Verkehrssituation beschreiben. Daneben empfängt die Kommunikationseinrichtung 6 Kommunikationsdaten von einer Kommunikationseinrichtung 8 des Fremdfahrzeugs 2.
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Im Rahmen eines Verfahrens zum Betreiben des Fahrerassistenzsystems 4 wird der Soll-Abstand in Abhängigkeit mehrerer Gütemaße ermittelt, welche die Erfassbarkeit der Verkehrssituation im Fahrzeugvorfeld des Kraftfahrzeugs 1 bewerten. In den Soll-Abstand fließt zunächst maßgeblich ein durch das Fahrerassistenzsystem 4 in herkömmlich bekannter Weise ermittelter einzuhaltender Abstand zum Fremdfahrzeug 2 ein. Dieser wird durch das Fahrerassistenzsystem aus der erfassten Verkehrssituation ermittelt. Die Verkehrssituation wird dabei durch einen Fahrzustand der Fremdfahrzeuge 2, 3 beschrieben. Der Fahrzustand umfasst dabei eine Geschwindigkeit, ein Beschleunigungs- oder Bremsverhalten der Fremdfahrzeuge 2, 3, deren Abstände zueinander und das Vorliegen eines Staus im Fahrzeugvorfeld. Als Verkehrssituation kann ferner der Zustand einer Fahrbahnoberfläche und/oder die Gefahr von Wildwechseln erfasst werden. Der Soll-Abstand ergibt sich dann aus diesem durch das Fahrerassistenzsystem 4 ermittelten Abstand und einem in Abhängigkeit der Gütemaße ermittelten Zuschlags oder Abschlags, wobei bei Vorliegen eines eine schlechtere Erfassbarkeit beschreibenden Gütemaßes ein größerer Soll-Abstand ermittelt wird als bei Vorliegen eines eine bessere Erfassbarkeit beschreibenden Gütemaßes und umgekehrt.
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Ein erstes Gütemaß bewertet die Erfassbarkeit der Verkehrssituation mittels wenigstens eines Eingangsdaten des Fahrerassistenzsystems 4 zur Ermittlung des Soll-Abstands bereitstellenden Fahrzeugsystems des Kraftfahrzeugs 1, wobei als Fahrzeugsystem vorliegend die Sensoreinrichtung 5 und die Kommunikationseinrichtung 6 verwendet werden. Die Bewertung erfolgt in Abhängigkeit einer Verfügbarkeit des Fahrzeugsystems, einer Qualität von Sensordaten der Sensoreinrichtung 5 und eines Verschmutzungsgrades eines Sensors der Sensoreinrichtung 5. Fällt beispielsweise ein Sensor der Sensoreinrichtung 5 oder die gesamte Sensoreinrichtung 5 aus, ist die Erfassbarkeit des Fahrzeugvorfelds erheblich beeinträchtigt, so dass das erste Gütemaß eine schlechte Erfassbarkeit beschreibt. Das gleiche gilt für einen Ausfall der Kommunikationseinrichtung 6, einen Abriss einer Kommunikationsverbindung zur Sendeeinrichtung 7 oder zur Kommunikationseinrichtung 8 des Fremdfahrzeugs 2 oder eine schlechte Signalqualität der Empfangssignale der Kommunikationseinrichtung 6. Eine durch das erste Gütemaß beschriebene schlechte Erfassbarkeit kann auch daraus resultieren, dass die Sensoreinrichtung 5 Diagnosedaten an das Fahrerassistenzsystem 4 liefert, die eine mangelhafte Qualität der Sensordaten oder eine Verschmutzung eines der Sensoren beschreiben.
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Die vorgenannten Einflüsse führen dazu, dass das Fahrzeugvorfeld nicht ausreichend verlässlich erfasst werden kann. Das Fahrerassistenzsystem 4 nimmt daher eine Erhöhung des Soll-Abstands vor, um unvorhersehbare und/oder kurzfristig erfasste Veränderungen des Fahrverhaltens des Fremdfahrzeugs 2 besser antizipieren zu können und entsprechend intensive, als unkomfortabel empfundene Fahreingriffe durch das Fahrerassistenzsystem 4 vermeiden zu können.
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Ein zweites Gütemaß bewertet die Erfassbarkeit der Verkehrssituation durch einen Fahrer 9 des Fremdfahrzeugs 2 und mittels Fahrzeugsystemen des Fremdfahrzeugs 2. Als Fahrzeugsysteme weist das Fremdfahrzeug vorliegend - wie das Kraftfahrzeug 1 - eine Sensoreinrichtung 10 und die Kommunikationseinrichtung 8 auf. Diese können ebenfalls mit einem Abstandsregelungstempomaten 11 zur Durchführung von Längsführungseingriffen des Fremdfahrzeugs 2 verbunden sein. Im Gegensatz zum ersten Gütemaß beschreibt das zweite Gütemaß mithin, wie verlässlich der Fahrer 9 bzw. die Kommunikationseinrichtung 8 und die Sensoreinrichtung 10 die Verkehrssituation erfassen können. Ist diese Erfassbarkeit schlecht, so kann damit gerechnet werden, dass durch den Fahrer 9 oder den Abstandsregelungstempomaten 11 aus der Sicht des Kraftfahrzeugs 1 unvorhersehbare und/oder kurzfristige Reaktionen auf die Verkehrssituation erfolgen können. Auch in diesem Fall wird bei einem eine schlechte Erfassbarkeit beschreibenden zweiten Gütemaß der Soll-Abstand erhöht.
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Im Detail wird die Erfassbarkeit der Verkehrssituation durch den Fahrer 9 in Abhängigkeit eines Aufmerksamkeitsgrads des Fahrers 9 und seines Müdigkeitsgrads bewertet. Dazu können aus dem Stand der Technik bekannte, insbesondere im Innenraum des Fremdfahrzeugs 2 angeordnete Sensoren, zum Einsatz kommen, welche beispielsweise die Mimik oder die Körperhaltung des Fahrers 9 erfassen und entsprechende Daten bereitstellen. Außerdem wird die Erfassbarkeit der Verkehrssituation durch den Fahrer 9 in Abhängigkeit eines Verschmutzungsgrads eines Spiegels und einer Scheibe, durch die der Fahrer das Fahrzeugvorfeld erfasst, bewertet. Auch dazu können entsprechende Sensoren am Fremdfahrzeug 2 vorgesehen sein, die das Reflexionsvermögen des Spiegels bzw. die Transparenz der Scheibe erfassen.
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Die Erfassbarkeit der Verkehrssituation mittels der Fahrzeugsysteme des Fremdfahrzeugs 2 wird in Abhängigkeit einer Verfügbarkeit des Fahrzeugsystems, einer Qualität von Sensordaten der fremdfahrzeugseitigen Sensoreinrichtung und eines Verschmutzungsgrades eines Sensors der fremdfahrzeugseitigen Sensoreinrichtung bewertet. Insofern kann auf die Ausführungen zur Bewertung der Erfassbarkeit der Verkehrssituation mittels der Fahrzeugsysteme des Kraftfahrzeugs 1 verwiesen werden.
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Sämtliche Daten, welche die Erfassbarkeit der Verkehrssituation durch den Fahrer 9 und mittels der Fahrzeugsysteme des Fremdfahrzeugs 2 beschreiben, werden über die Kommunikationseinrichtung 8 unter Verwendung eines Car2Car-Protokolls an die Kommunikationseinrichtung 6 des Kraftfahrzeug 1 übertragen. Diese Übertragung kann über eine unmittelbare drahtlose Verbindung zwischen den Kommunikationseinrichtungen 6, 8 oder mittelbar unter Zwischenschaltung eines Servers, der mit den Kommunikationseinrichtungen 6, 8 unmittelbar drahtlos kommuniziert, erfolgen.
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Ein drittes Gütemaß bewertet schließlich die Erfassbarkeit der Verkehrssituation in Abhängigkeit witterungsbedingter Sichteinschränkungen, einer zumindest teilweisen Verdeckung des Fahrzeugvorfelds durch das Fremdfahrzeug 2 und durch das weitere Fremdfahrzeug 3. Witterungsbedingte Sichteinschränkungen sind beispielsweise Nebel oder Niederschlag. Die Erfassbarkeit der Verkehrssituation kann dabei anhand der Sensordaten der Sensoreinrichtung 5 durch das Fahrerassistenzsystem 4 bewertet werden, wozu beispielsweise Bilddaten der Kamera oder von der Sendeeinrichtung 7 empfangene Kommunikationsdaten hinsichtlich der Sichteinschränkung oder der Verdeckung ausgewertet werden können.
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Die Gütemaße werden jeweils zusammengefasst bei der Ermittlung des Soll-Abstands berücksichtigt. In einer besonders bevorzugten Ausführungsform wird ausschließlich die Erfassbarkeit der Verkehrssituation in dem Abschnitt des Fahrzeugvorfelds berücksichtigt, welcher in Fahrtrichtung vor dem Fremdfahrzeug 2 liegt. Dadurch kann der Aufwand für die Ermittlung des Soll-Abstands auf den für eine Antizipation des Verhaltens des Fremdfahrzeugs 2 besonders relevanten Abschnitt des Fahrzeugvorfelds beschränkt werden.