-
Stand der Technik
-
Die Erfindung geht aus von einer Vorrichtung, bzw. Verfahren nach Gattung der unabhängigen Ansprüche.
-
Ausgehend von bekannten standardisierten Verfahren zum Insassenschutz, die für jeden Insassen das gleiche Schutzsystem und -konzept vorsehen, wird zunehmend zu einem an Crashsituation und Insassen bestmöglich angepassten „Individual Safety” Konzept übergegangen. In diesem Zusammenhang spielt die optimale Auslegung der einzelnen Komponenten bzw. des gesamten Rückhaltesystems eine stetig ansteigende Rolle.
-
Dabei steht eine optimale Balance zwischen der Ausnutzung des verfügbaren „Überlebensraums” und dem Verletzungsgrad der Insassen unter Berücksichtigung der Individualität im Fokus. Analysiert man die Sitzpositionen der Beifahrer von verunfallten Wagen, so wird man feststellen, dass der verfügbare Überlebensraum unabhängig vom Fahrzeugtyp ist, d. h. sowohl in der Kleinwagenklasse wie in der Oberklasse steht dem Passagier im Mittel der gleiche Raum und damit auch hindernisfreier Weg in Fahrzeuglängsachse zur Verfügung.
-
Überprüft man nun weiter die real in einem Unfall auftretenden Sitzpositionen („real life”) mit denen in Crashversuchen eingestellten Sitzpositionen (Einstellung auf mittlere Position des Verstellfeldes), stellt man fest, dass die Insassen im Mittel einen um ca. 10–20 cm weiter nach hinten gerichteten Sitz haben als im Crashversuch.
-
Die Auswertung zeigt, dass die Einstellung der Sitzposition in der Praxis deutlich von der eingestellten Position, welche für die Crashversuche verwendet wird, abweicht. Aufgrund der Tatsache, dass ein Rückhaltesystem u. a. auf diesen Personentyp in dieser Sitzposition und für diesen Lastfall ausgelegt (optimiert) wird, ist in der Praxis eine andere Rückhaltewirkung und damit auch Verletzungsschwere zu erwarten.
-
Insbesondere für mittlere bis kleine Insassen besteht in den hintersten Sitzpositionseinstellungen eine erhöhte Gefahr von Verletzungen im Bereich der unteren Extremitäten, d. h. Femur (Oberschenkel), Knie, Tibia (Wadenbein). Durch die relativ feste Anbindung des Pelvisbereich (Becken) beim Crash sowohl durch Reibung als auch durch den angezogenen Beckengurt, unterliegen die Beine einer erhöhten kinematischen Freiheit, so dass sie im Crashfall mit der jeweiligen (Crash) Geschwindigkeit unkontrolliert gegen die Spritzwand prallen könnten.
-
Eine Variante, die Ausnutzung der Sicherheitsreserven insbesondere für den unteren Körperbereich im „real life”-Fall zu erreichen, ist in der
DE 10 2008 003 078 A1 schon näher beleuchtet worden, wobei dort ein kombiniertes Schulter-Beckengurt Straff- und Kraftbegrenzermodul, welches je nach Sitzposition die Rückstraffung und Kraftbegrenzung steuert zum Einsatz kommt
-
Offenbarung der Erfindung
-
Die erfindungsgemäße Vorrichtung, bzw. Verfahren mit den Merkmalen des unabhängigen Anspruchs hat demgegenüber den Vorteil, dass eine dynamische Adaption einer Reibung eines Materials für eine Anwendung in einem Fahrzeug stattfindet, wobei die Reibung zwischen einer Oberfläche des Materials und einem Reibkörper auf einer Kontaktfläche vorgesehen ist und dass das Material eine Eigenschaft besitzt und/oder eine Reibänderungseinheit vorgesehen ist, mit der/denen die Reibung verändert werden kann und über eine Schnittstelle mittels wenigstens eines Befehls und/oder wenigstens einer Umgebungsbedingung die Reibungsänderung bewirkt wird.
-
Grundsätzlich sind bei feststehenden Oberflächeneigenschaften die Reibungskräfte zwischen zwei Körpern (z. B. einem Objekt und seiner Unterlage) bestehend aus einem Material mit einer Kontaktfläche proportional zur Kraft der Körper gegeneinander (bzw. dem Gewicht des Objekts auf die Unterlage). Über Reibungsgesetze, wie z. B. für den allgemeinen Fall des Coulombschen Reibungsgesetzes:
wird zwischen Normal- (F
N) und Tangentialkraftkomponente (F
R1) über den Reibungskoeffizienten eine konstante Abhängigkeit definiert. Dabei bezeichnet F
R1 die wirkende Reibkraft, F
N die wirkende Normalkraft, μ
R den Reibungskoeffizient oder Reibwert,
die Relativgeschwindigkeit zwischen den beiden Körpern. Für den Fall eines Insassen und einem Sitz(bezug) entspricht die Geschwindigkeit des Insassen dem Wert
und die Geschwindigkeit des Sitzes dem Wert
, welche mit der Fahrzeuggeschwindigkeit gleichgesetzt werden kann.
-
Alternative Reibungsgesetze beinhalten eine nichtlineare Gesetzmäßigkeit, sollen in diesem Rahmen aber nicht näher beleuchtet werden, da sich in Untersuchungen herausgestellt hat, dass sie keinen wesentlichen Vorteil gegenüber der dargestellten Betrachtung bieten.
-
Eine Reibänderungseinheit bezeichnet vorliegend eine (ggf. virtuelle) Vorrichtung, die die Änderung der Reibung veranlasst. Dies können Aktoren, Steuersysteme, oder deren Verbund sein. Erfindungsgemäß wird bei der Reibung zweier Reibkörper unterschieden zwischen einem ersten Körper, der aus einem Material (oder Materialverbund) besteht, der auch dessen Oberfläche und damit Reibeigenschaften bildet. Dieser wird erfindungsgemäß ausgebildet Der zweite Reibkörper soll erfindungsgemäß beeinflusst werden und weist keine erfindungsgemäße Oberfläche auf. Es mag jedoch Beispiele geben, wo die Ausbildung der Materialien beider Reibkörper mit der erfindungsgemäßen Vorrichtung Sinn macht.
-
Durch die in den abhängigen Ansprüchen aufgeführten Maßnahmen sind vorteilhafte Weiterbildungen und Verbesserungen der im unabhängigen Anspruch angegebenen Vorrichtung möglich.
-
Eine Möglichkeit zur Veränderung der Reibungseigenschaften ist demzufolge eine Variation des Reibungskoeffizienten. Dieser Reibungskoeffizient ist direkt von verschiedenen Materialeigenschaften, aber auch der Temperatur und anderen Umgebungseinflüssen abhängig. So kann z. B. ein Material für die Reibfläche gewählt werden, dass den Reibkoeffizienten bei Temperaturänderungen relativ stark ändert, um durch entsprechende Beheizung/Kühlung den Reibungskoeffizienten zu beeinflussen.
-
Eine weitere Möglichkeit zur Veränderung der Reibungseigenschaften ist die Variation der Kontaktfläche. Entgegen der Aussage des ersten Amontonsschen Gesetz, wonach die Reibungskraft von der Ausdehung der Kontaktfläche unabhängig ist, wirken bei kleinerer Kontaktfläche weniger adhäsive Bindungskräfte, die die Reibung bewirken, es liegen sich sozusagen weniger Atome gegenüber, die Bindungskräfte ausbilden können. Durch mechanische Vorrichtungen kann die Kontaktfläche adaptiert werden. Insgesamt kann dann bei einer Verringerung der Kontaktfläche eine Verringerung des Reibungseffekts erreicht werden. Wird die Kontaktfläche infinitesimal groß, z. B. indem die Oberflächenrauhigkeit von Sitzbezug und Insasse zu Null wird, so wird eine maximale Reibungskraft erreicht. Umgekehrt verringert sich diese Reibungskraft, wenn die Kontaktfläche reduziert wird.
-
Eine weitere Möglichkeit zur Veränderung der Reibungseigenschaften ist die Variation der Oberflächengeometrie, z. B. der Oberflächenrauhigkeit. Hierbei wird nicht wie (bzw. zusätzlich zum) oben beschrieben die Größe der Kontaktfläche verändert, sondern die Kraftwirkungsrichtung. Haltekräfte entstehen hierbei nicht durch Reibung, sondern aufgrund geometrischer Anordnung (statische Kräfte/Krafübertragung ruhender Körper). Insbesondere kann die Geometrie/Struktur so verändert werden, dass eine stärkere (oder schwächere) Verzahnung der Körper ineinander stattfindet, die eine stärkere (oder schwächere) Fixierung der beiden Körper ineinander bewirkt. Möglicherweise ist dieser physikalische Effekt nicht mehr streng unter dem Begriff der Reibung zu subsummieren, vorliegend wird dies getan, da die Wirkung die gleiche ist. Es muss nämlich eine höhere (oder niedrigere) Kraft aufgewendet werden, um die beiden Körper gegeneinander zu bewegen.
-
Eine weitere alternative Ausführungsform beinhaltet ein, einem Klettverschluss-System ähnliches Prinzip. Dabei soll durch einen entsprechenden Stromimpuls eine „Klettwirkung” zwischen beiden Körpern erreicht werden, die ein- oder ausgeschaltet werden kann (ggf. auch stufenlos).
-
Die Änderung der Kontaktfläche, bzw. Oberflächengeometrie kann z. B. durch im wenigstens einen Körper (ggf. nahe der Oberfläche) verbaute, sich versteifende Materialien erzeugt werden. Eine Möglichkeit stellen dabei Materialien aus Formgedächtnislegierungen dar. Diese könnten in einer Art engmaschiger Kabelanordnung in Kombination mit günstigeren (Standard)Materialien (nicht aus Formgedächtnislegierung) in den Körper integriert werden. Eine Versteifung der unter oder nahe der Oberfläche befindlichen Draht/Kabelkonstruktion kann allerdings auch durch ein hydraulisches oder pneumatisches System erzeugt werden. Bei einem derartigen System werden mittels hoher kurzzeitiger Drücke Luft oder Flüssigkeiten durch unter der Oberfläche verbaute Mikro-Schlauchsysteme gepresst und somit die Größe der Kontaktoberfläche, bzw. die Geometrie gesteuert.
-
Alternativ kann der globale Effekt einer Reduktion der Kontaktflächen auch durch Temperatureinflüsse bzw. temperatursensitives Material für die Kontaktfläche (z. B. einen Sitzbezug) erreicht werden. Hierbei könnte die Kontaktfläche ihren Umfang ändern, oder eine Strukturänderung entstehen, z. B. eine Faltung, so dass nur jede Erhebung der Faltung mit dem Reibkörper in Kontakt kommt.
-
Die Struktur der Oberfläche des Materials kann durch eine magnetische Aktorik realisiert werden. So können sehr feine metallische Einschlüsse auf (oder nahe) der Oberfläche, welche bedingt durch eine entsprechende Magnetfeldanregung ihre Orientierung bzw. ihre Eigenschaften verändern, letztendlich zu einer Variation der Reibungseigenschaft der Oberfläche führen. Das originäre Material der Oberfläche sollte entsprechend dem Maß der Umformung flexibel sein, z. B. ein hochstrapazierfähiger Stoff sein. Es sollte ein sehr oberflächennaher Einbau entsprechender „Einschlüsse” (d. h. Stellen, an denen die magnetischen Teilchen im Material eingeschlossen werden) durchgeführt werden, wobei deren Bewegungsmöglichkeiten (Ausrichtung) nach einer Anregung gewährleistet sein muss. Die metallischen oder magnetischen Teilchen können beispielsweise eingewebt, oder durch ein Spray aufgebracht werden, das durch eine Maske aufgesprüht wird. Die Maske kann z. B. streifenförmig ausgebildet sein, so dass die derart aufgebrachten Magnetteilchen sich bei Anregung zusammenziehen oder ausrichten und die Oberfläche wellenförmig werden lassen, was wie oben beschrieben eine andere Reibung bewirken kann. Alternativ können auch größere Aktoren, die magnetisch betätigt werden, zum Einsatz kommen. Alternativ sind auch Anregungen denkbar die aus bereits bestehenden Sitzkomponenten durchgeführt werden, wie dies beispielhaft bei Sitzheizung- oder Sitzbelegungserkennungssyteme die im Sitz in einer Mattenform verbaut sind, der Fall ist.
-
Weiterhin kann wenigstens ein Körper derart ausgebildet sein, dass die Kontaktfläche möglichst lange kraftschlüssig mit dem anderen Körper verbunden bleibt. Ggf. verformt sie sich dabei selber, um dieses Ziel zu erreichen. Sollte die Haftreibung nicht ausreichen, können auftretende Kraftspitzen, die ein Haften nicht ermöglichen würden, durch nachgeben des Materials abgefedert werden, so dass die Haftkraft nicht überschritten wird. Dies kann z. B. durch eine Geleinlage, oder Gelkissen geschehen, welches eine Viskosität aufweist, sich reversibel verformen und die Kraft (zeitlich und räumlich) verteilen kann.
-
Bezogen auf den eingangs ausgeführten Anwendungsfall besteht die Idee darin, die Insassenkinematik mittels crash- bzw. komfortabhängiger Anpassung der Reibungseigenschaften des Sitzes positiv zu beeinflussen. Hierbei ist der eine (Reib)körper der Insasse, bzw. dessen Kleidung und der andere mit der erfindungsgemäß vorzusehenden Eigenschaft der Sitz, bzw. ein Sitzbezug, insbesondere die Sitzfläche. Gewünscht ist die zielgenaue Einstellung der Reibungseigenschaften des Sitzobermaterials (Sitzbezug) für den Crash- und Komfortfall. Dabei kann die Tatsache ausgenutzt werden, dass der Insasse auf einer ca. 0,25 m2 großen Fläche sitzt und die Oberfläche des Sitz- & Lehnenkissens durch deren Reibungseigenschaften einen ersten Widerstand für den Insassen darstellt Damit kann die Variabilität dieser Eigenschaften, neben dem üblicherweise vorhandenen Schulter- und Beckengurt, auch zum teilweisen Energieabbau im Crashfall herangezogen werden. Durch diesen Oberflächenwiderstand lässt sich das Rotationsverhalten des Insassen beeinflussen und trägt somit einen nicht zu vernachlässigen Anteil am Gesamtenergieabbau bei einer Kollision bei. Das Rotationsverhalten des Insassen bezeichnet die Rotationscharakteristik des Insassen um die senkrecht zur Fahrzeuglängsachse angeordnete y-Achse (Fahrzeugbreitenrichtung). Typischerweise führt der Insasse bei einem Frontalcrash eine „Klappmesser”-artige Bewegung durch, in dem der Hüftbereich durch den Beckengurt an die Bewegung des Sitzes gekoppelt wird, während der Oberkörper und letztendlich der Kopf sich nach vorne bewegen. Damit rotiert der Oberkörper sozusagen um eine imaginäre Rotationsachse im Beckenbereich des Insassen.
-
Abgesehen von der optimalen Anpassung des Rückhaltemitteleinsatzes an den Crash und die Insassenposition also im Bereich der Sicherheit ergeben sich zusätzlich auch mögliche Komfortverbesserungen die in der nachfolgenden Zusammenstellung genannt sind:
-
Sicherheitsgewinn:
-
- – Ergänzung der bestehenden Sicherheitssysteme (vorne: Gurtsystem, Airbag, hinten: Gurtsystem) mit dem Ziel: Erhöhung des Insassenschutzes.
- – Zusätzliche Anpassungsmöglichkeiten bei hinten sitzenden mittleren bis kleinen Insassen mit Ziel Erhöhung des Insassenschutzes.
- – Reduktion der lateralen und longitudinalen Translationsbewegung vor einer Kollision, induziert durch Bremsverzögerungen und/oder Schleuderbewegungen bevor eine Arretierung der mechanischen Gurtblockade einsetzt.
- – Frühzeitigere Ankopplung an die Fahrzeugbewegung bei Seitenkollsionen
- – Unterstützende Wirkung beim Anti-Submarining (Durchtauchen unter dem Hüftgurt) (vor allem im Fond).
-
Komfort:
-
- – Erhöhung des Komforts für den Ein/Ausstiegsmodus vor bzw. nach einer Fahrt durch Verminderung der Reibung.
- – Erhöhung des Komforts während der Fahrt durch automatische oder fahrerspezifische Erhöhung/Absenkung der Sitzreibung.
- – Einsatz bei Sport- oder sogenannten fahrdynamischen Sitzen zur Erhöhung der Führungseigenschaften des Sitzes (unterstützt durch Geometrie Sitz).
-
Kostenersparnis:
-
- – Verdrängung eines Anti-Submarining Systems bei Reduktion der H-Punktshöhe und dadurch Gewichtsreduktion, d. h. es kann unter Umständen auf zusätzliche (kostenintensive) Anti-Submarining Systeme verzichtet werden.
- – Kombination von „Safety” und „Komfort”.
- – Möglichkeit zur Mehrfachverwendung von bereits existierenden Systemen die im Sitz verbaut sind wie beispielsweise Sitzheizung oder einer Sitzbelegungserkennung.
-
Sollen aus irgendwelchen (z. B. ästhetischen) Gründen Sitzbezüge oder Sitzmatten zum Einsatz kommen, die nicht die erfindungsgemäße Vorrichtung beinhalten, oder das Verfahren unterstützen, oder zumindest nicht behindern, so wird vorgeschlagen, an den Stellen Aussparungen zu schaffen, an denen der Insasse mit der erfindungsgemäßen Sitzoberfläche in Berührung kommt, z. B. der Sitzfläche. Dadurch kann die Oberfläche und das Aussehen des Sitz modifiziert werden, ohne dass der erwünschte Effekt behindert wird.
-
Falls zwischen dem erfindungsgemäßen Sitzbezug und dem Insassen ein Körper zum liegen kommt, der den erfindungsgemäßen Effekt beeinträchtigt, wie z. B. ein Sitzkissen, oder ein nicht erfindungsgemäßer Sitzbezug oder der Insasse nicht ordnungsgemäß auf dem Sitz Platz nimmt, so kann vorteilhafterweise eine Warnung ausgegeben werden, die den Insassen auf die zu erwartende Funktionsbeeinträchtigung hinweist. Auch konnen Systeme im Fahrzeug beeinflusst werden, beispielsweise kann in diesem Fall eine Höchstgeschwindigkeit vorgegeben werden, Abstandswarnsysteme empfindlicher eingestellt oder Bremssysteme schneller vorgespannt werden.
-
Vorteilhaft ist es, wenn die Reibung der Oberfläche sich adaptiv an die jeweilige Situation anpasst. Ziel ist es, damit das Reibungsverhalten zwischen Insasse und Sitzoberfläche entsprechend einer gegebenen Situation zu verändern, so dass sich die Reaktion des Insassen im Falle einer Längs- oder Querverzögerung in Abhängigkeit dieser Reibungseigenschaft ändert. Damit soll die Erfindung sowohl für den Crashfall (vor allem in der Vorkollisionsphase) wie auch für den normalen Fahrbetrieb bzw. beim Ein- & Ausstieg (Komfortfall) für eine optimale Reibungseinstellung zwischen Insassen und Sitz sorgen. Im Crashfall kann damit je nach Lastfall (Crashtyp, Crashschwere), Sitzposition (in Längs- & Querrichtung, Lehneneinstellung), Insassenklassifizierung (Größe, Alter, Proportionierung, Geschlecht usw.) eine Reibungseigenschaft definiert werden, so dass sich der Insasse entweder leichter nach vorne oder zur Seite bewegt oder einer Bewegung (Rutschbewegung) entgegenwirkt bzw. diese deutlich leichter erlaubt.
-
Mögliche Eingabegrößen welche algorithmisch ausgewertet werden, können aus unterschiedlichen Systemen ermittelt werden. Hierzu gehören u. a.:
- 1. Fahrdynamische Größen (Beschleunigungen und Drehraten in allen drei Raumrichtungen, Weg- und Geschwindigkeit in allen drei Raumrichtungen, Lenkwinkel am Rad und am Lenkrad, Bremsdrücken, Raddrehzahlen, usw.)
- 2. Insassenbezogene Größen (Körpermasse und -größe, Alter, Geschlecht und Zustand des Insassen)
- 3. Sitzposition (Lage des Sitzes relativ zum Fahrzeug oder zum Airbag-Modul inklusive Sitzhöhe, Lage des Insassen relativ zum Sitz, Gurtauszugslänge, Lehnenneigung, Sitzkissenstellung)
- 4. Crashspezifische Daten (Verzögerung in Form von Beschleunigungs- und/oder Druck- und/oder Körperschallsignale und der daraus abgeleitete Größen, Crashschwere, Crashbarriere, Offset bzw. Kollisionsüberdeckung, Information über Kollisionsgegner)
- 5. Umfeldsensorische Daten (Offset bzw. Kollisionsüberdeckung, Masse, Objektgrösse, Objektgeschwindigkeit und daraus abgeleitete Größe wie Steifigkeit)
- 6. Daten welche von außen in das Fahrzeug übermittelt werden (Car-2-Car-Communication, GPS-basierte Information)
- 7. Manuelle Einstellungen der Reibung (in Sitzkomfortsteuerung eingeschlossene Schnittstelle (Drehregler, Knopf usw.))
-
Auf der einen Seite steht der Sicherheitsaspekt, der eine Erhöhung der Reibung während der Fahrt bei fahrdynamischen Manövern (Teilaspekt eines fahrdynamischen Sitzes – mögliches Zusatzfeature eines Sportsitzes) vorsieht Gleiches gilt für den Crashfall. Ebenso kann die Reibung bereits bei bevorstehenden hohen Beschleunigungskräften (bei sportlichem Fahren oder Gefahrensituation mit Crash oder wahrscheinlichem Crash) erhöht werden. Weiterhin kann die Reibung (bei entsprechend geeigneter Vorrichtung) auch richtungsabhängig eingestellt werden, z. B. in Querrichtung falls der Fahrer eine sportliche Fahrweise an den Tag legt und hohe Fliehkräfte (in Kurven) zu erwarten sind, aber verhältnismäßig moderate Beschleunigungskräfte (in Längsrichtung). Alternativ kann auch bei weniger kritischen Zuständen komfortorientiert die Sitzreibung variiert werden. Beispiele hierfür sind generell mittlere bis starke Bremsvorgänge (Notbremssituation durch Pre-Crash Aktivierung ggf. schon abgedeckt) oder eine beschleunigungs- bzw. geschwindigkeitsabhängige Einstellung. Eine Schnittstelle zur Fahrdynamikregelung kann die notwendigen Steuerungsparameter liefern.
-
Auf der anderen Seite steht der Komfortaspekt, welcher durch ein solches anpassungsfähiges System begünstigt wird. Die komfortorientierte Anpassung der Reibungseigenschaften könnte beispielsweise wenig Reibung beim Einstieg und „in den Sitz einfinden” (vor Betätigen der Zündung) bzw. beim Ausstiegsvorgang vorsehen.
-
In der Praxis kann die Sitzreibung selbst beim identischen Crashfall für unterschiedlich große Insassen unterschiedlich eingestellt werden. Die Ursache ist wie folgt: Größere Insassen haben schon von Anfang an deutlich weniger kinematische Bewegungsfreiheitsgrade im unteren Körperbereich und sind damit während des Crashverlaufs deutlich besser angekoppelt als kleine Insassen. Dies liegt unter anderem daran, dass der größere Insasse durch Abstützung der Füße an der Spritwand und Abstützung der Knie an der Instrumententafel (Armaturenbrett) in seiner Pelvisvorverlagerung deutlich eingeschränkter ist, als es z. B. ein kleinerer Insasse wäre. Somit besteht das Verletzungspotenzial bei einem Crash für den großen Insassen eher darin, sich die Beine zu stauchen durch die Masse des Körpergewichts, das plötzlich über die Beine und die Füße auf die Spritzwand abgeleitet wird. Beim kleinen Insassen hingegen kommt der Klappmessereffekt zum Tragen, wodurch seine Beine nach oben gegen die Armatur/Lenkrad geschleudert werden, was ein anderes Verletzungsbild mit sich bringt. Durch die Einstellung der Sitzreibung kann die Pelvisvorverlagerung, d. h. das Vorrutschen des Pelvis, gesteuert werden. Im vorliegenden Fall würde man für den großen Insassen eine möglichst hohe Sitzreibung wählen, um möglichst viel des Körperimpulses abzuleiten. Beim kleinen Insassen kann eine größere Pelvisvorwärtsbewegung erlaubt werden, wodurch sich die Relativgeschwindigkeit zwischen dem Unterkörper und den Fußspitzen deutlich absenken lässt Ergebnis wären weniger gravierende Verletzungen der Füße, Wadenbeine, Kniee und eventuell der Oberschenkel, sowie eine Verminderung des „Klappmesser”-Insassenkinematikeffekts. Die Adaption der Reibung kann derart bestimmt werden, dass der Insasse auf dem Sitz mit der niedrigen Sitzreibung um einen maximalen Wert (z. B. 6 cm) nach vorne rutschen kann.
-
Alternativ kann diese Tatsache natürlich auch als zusätzliche Motivation für den Einsatz eines Knieairbags dienen, der die Ankopplung des Insassen an das Fahrzeug auch im Knie- & Tibiabereich optimiert.
-
Beschreibung der Zeichnungen
-
Ausführungsbeispiele der Erfindung sind in den Zeichnungen dargestellt und in der nachfolgenden Beschreibung näher erläutert.
-
Es zeigen
-
1 einen Insassen im Fahrzeug im Querschnitt
-
2 eine Änderung der Auflagefläche
-
3 eine Änderung der Oberflächengeometrie
-
4 eine mögliche Umsetzungsvariante
-
5 ein Blockschaltbild einer möglichen Umsetzungsvariante
-
In 1 ist ein Insasse (am Beispiel des Beifahrers) 110 im Querschnitt dargestellt, der in der Fahrgastzelle 101 auf einem Sitz 105 auf der Sitzfläche 106 sitzt und an die Rückenlehne 107 angelehnt ist. Die Windschutzscheibe 102 befindet sich über dem Armaturenbrett (Instrumententafel) 103 und der Spritzwand 104, auf der der Insasse 110 bei entsprechender Größe (Länge der Beine und entsprechender Sitzposition) seine Füße 114 abstützt. Oberhalb seines Beckens 111 ist der Insasse mittels eines Hüft- 108 und Brustgurtes 109 fixiert. Große Insassen besitzen ein höheres Gefährdungspotenzial im Bereich 121 durch Stauchungen, wenn das Becken 111 auf der Sitzfläche 106 nach vorne rutscht und sich der Körperimpuls durch Oberschenkel 112 und Unterschenkel 113 fortpflanzt. Kleinere Insassen besitzen ein erhöhtes Gefährdungspotenzial im Bereich 120 des Armaturenbretts 103, wobei durch den sog. Klappmessereffekt Oberschenkel 112, die Kniee und Unterschenkel, insbes. Wadenbein 113 nach oben geschleudert werden und es insbesondere zu Prellungen oder Knochenbrüchen kommen kann. Die genannten Verletzungen sind natürlich nicht exklusiv von der Körpergröße abhängig, sondern diese bedingt jeweils eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der ein oder anderen Verletzungsart.
-
In 2 wird der Zusammenhang der Größenänderung der Kontaktfläche 24, 25 erläutert. Die Darstellung zeigt einen Querschnitt von bspw. einem Sitzkissen 21 als Teil einer Sitzfläche 106, wobei in Figurteil a) die Kontaktfläche 24 größer ist als in Figurteil b) die Kontaktfläche 25. Damit verbunden ist der Effekt, dass bei kleinerer Kontaktfläche 25 eine Tangentialbewegung des Insassen/Kleidung 22 aus der Seitenebene heraus (im Sitz rutschen) deutlich leichter umsetzbar ist, als wenn die Kontaktfläche 24, größer ist. Die Kontaktfläche besteht aus der Summe der berührenden Flächenelementen (hier als 24, 25 summiert). Die maximale Kontaktfläche, die ausgebildet werden könnte, entspricht der Gesamtoberfläche, die 23 entspricht. Der Abstand der einzelnen Kontaktflächenelemente (in 24, 25 erkennbar) bewegt sich üblicherweise im Mikrometerbereich (μm), so dass der Insasse dies nicht spürt und als unebene oder raue Sitzfläche wahrnimmt.
-
In 3 wird der Zusammenhang der Änderung der Oberflächengeometrie erläutert. Der Insasse/Kleidung 32 passt sich ansatzweise formschlüssig der Form des Sitzbezugs 31 an. Erlaubt die ausgebildete Form eine große Verzahnungswirkung 34, so ist der Hafteffekt (quasi Reibung) durch besseren Kraftschluss größer, als bei einer kleinen Verzahnungswirkung 35. Welcher Abstand und welche Breite der Zähne zu einer höheren und weniger hohen Haftung führen, ist rechnerisch oder empirisch zu ermitteln. Je mehr Verzahnungen pro Flächeneinheit und je tiefer diese sind, desto höher wird die Haftung werden. Der Abstand der einzelnen Zähne bewegt sich hier üblicherweise im Milimeter- (mm) oder gar Zentimeterbereich (cm).
-
In 4 ist beispielhaft das grundsätzliche Funktionsprinzip einer abkürzend als Magnetstoff bezeichneten Sitzoberfläche 41 dargestellt Die Einschlüsse 44, 45, die die magnetischen Teilchen beinhalten, sind zur besseren Darstellung vergrößert 42 in einem Teil des Stoffbezugs 43 dargestellt. Im Endstadium sollte die Abmessung dieser Einschlüsse maximal im zweistelligen μm-Bereich liegen und natürlich unsichtbar sein. Eine unter 45° geneigte wechselseitige Anordnung 44, wie in Figurteil a) dargestellt stellt eine ideale Neutralstellung mit maximaler Reibwirkung in jede Richtung dar. Dagegen führt die Anordnung 45 in Figurteil b) zu einer deutlich geringeren Rutschbehinderung in Sitzlängsrichtung, falls ein Rutschen in Fahrtrichtung 46 zu erwarten ist Dagegen wird sich durch diese Anordnung die größtmögliche Rutschbehinderung für ein laterales Rutschen (in Querrichtung) einstellen. Wenn die Teilchen Überhöhungen im Sitzbezug bewirken, deren Ausrichtung sich lediglich ändert, so ist zu beachten, dass man sich bei der Ausnutzung dieses Vorgehens nicht das Prinzip einer Minimierung bzw. Maximierung der Kontaktfläche zu Nutze macht, sondern die geometrische Anordnung der „Behinderung” in senkrechter bzw. paralleler Richtung zur Bewegung des Insassen bei gleicher Kontaktfläche ausnutzt.
-
Ein mögliches Ablaufschema für die Funktion „crash- und komfortabhängige Anpassung der Sitzreibung” ist in 5 dargestellt. Mögliche Eingangsszenarien sind Komfortsituationen 504 über Precrashsituationen (mit hohen Beschleunigungswerten) 505 bis zu Crashsituationen 506. Diese werden über eine Eingabe/Sensorik 501 erfasst und kann beispielsweise umfassen: Zündung/Insassenwunsch 507, Fahrdynamik/Umfeldsensorik 508, Insassenraumsensierung (Sitzposition, Größe alter) 509, Beschleunigungs/Drucksensoren 510. Diese Daten finden im Rahmen einer Verarbeitung/Steuerung 502 Eingang in ein fahrdynamisches Steuergerät (z. B. ESP Steuergerät) 511 und/oder ein Motor- oder Airbagsteuergerät 512, welche Daten für ein Sitzsteuergerät 513 aufbereiten. Die Anordnung der Steuergeräte ist implementierungsabhängig, wobei die Steuerfunktionalität (die üblicherweise mittels Software realisiert wird) auf einem einzigen, oder vielen verteilten Steuergeräten zum Einsatz kommen kann. Der wenigstens eine Sitzansteuerbefehl 514 bewirkt die Ausgabe/Sitzreibung 503, d. h. eine Einstellung der Sitzreibung zwischen niedrig 515, Standardstärke 516, bis zu hoher Sitzreibung 517.
-
ZITATE ENTHALTEN IN DER BESCHREIBUNG
-
Diese Liste der vom Anmelder aufgeführten Dokumente wurde automatisiert erzeugt und ist ausschließlich zur besseren Information des Lesers aufgenommen. Die Liste ist nicht Bestandteil der deutschen Patent- bzw. Gebrauchsmusteranmeldung. Das DPMA übernimmt keinerlei Haftung für etwaige Fehler oder Auslassungen.
-
Zitierte Patentliteratur
-
- DE 102008003078 A1 [0007]