-
Die Erfindung betrifft ein Wechselgebiss-Führungselement gemäß Anspruch 1, welches die Position der Zähne des Zweitgebisses zueinander während der Wechselgebissphase dahingehend beeinflusst, dass eine mittelachsensymmetrische Neutralverzahnung, die sog. Klasse 1 Verzahnung, des Zweitgebisses erreicht wird. Die Erfindung betrifft zudem ein Verfahren gemäß Anspruch 2 zur Herstellung eines solchen Wechselgebiss-Führungselements.
-
Klasse 1 Neutralverzahnung bedeutet hierbei, dass der mesio-palatinale Höcker des ersten oberen Molaren (6-Jahr-Molar) mit der zentralen Grube des unteren ersten Molaren verzahnt (vgl. 4). Liegt der untere Zahn weiter hinten, so spricht man von einer Klasse 2 Distalverzahnung, während ein weiter vorne liegender unterer Zahn als mesiale Klasse 3 Verzahnung bezeichnet wird. Die Klasse der Verzahnung wird natürlich nur im occlusalen, d. h. geschlossenen Zustand des Gebisses sichtbar. Es wird angestrebt, die Klasse 1 Verzahnung während der Wechselgebissphase dauerhaft in Mittelachsensymmetrie herbeizuführen.
-
Mittelachsensymmetrie bezieht sich dabei auf die zwei Spiegelebenen, die den Zahnbogen von Ober- und Unterkiefer längs in zwei spiegelsymmetrische Hälften teilen. Bei einer optimalen Neutralverzahnung liegen diese Spiegelebenen auf Deckung, weshalb im Folgenden auch von Mittellinienkongruenz gesprochen wird.
-
Als Wechselgebiss wird ein Gebiss bezeichnet, das neben den ersten Backenzähnen des späteren, dauerhaften Gebisses, der sog. permanenten Dentition, noch Milchzähne enthält. Hierbei gibt die oben erläuterte Klasse der Verzahnung der neuen Backenzähne die Position des Unterkiefers zum Oberkiefer und somit die Verzahnung aller noch folgender Backenzähne vor. Diese Relativposition von Ober- zu Unterkiefer sowie die Verzahnung des gesamten Gebisses ist somit vorgegeben, was im Weiteren als ,verschlüsselt' bezeichnet werden wird. Um eine Neutralverzahnung herbeizuführen, werden funktionskieferorthopädische Geräte (Spangen, Klammern) verwendet.
-
DE 39 15 807 A1 betrifft eine Vorrichtung zum Korrigieren von Zahnstellungen mit einem sich an zwei einander gegenüberliegenden Molaren abstützenden besonderen Querbügel und einem daran gehaltenen Drahtbügel zur Übertragung von Korrekturkräften auf einen Zahn oder eine Zahngruppe, wobei der Querbügel über Verankerungsteile an den Molaren befestigt ist, welch erstere ein im Wesentlichen zum Zahnsaum parallel ausgerichtetes Lingualschloss umfassen.
-
DE 759 506 A betrifft einen Bissregler für zurückstehende Unterkiefer, deren Vorderzähne beim Schließen des Mundes auf eine schräge Gleitbahn auftreffen, welche die Zähne beider Kiefer in normale Stellung bringt.
-
US 5,443,384 A beschreibt eine verbesserte orthodontische Anordnung, bei der gegenüberliegende, komplementäre Beißblöcke, welche mittels separater Montagegruppen separat montierbar sind, verwendet werden.
-
DE 37 90 568 C2 betrifft eine Schiene zur Aufbringung auf den Unterkiefer zur Verhinderung eines verriegelten Ineinandergreifens der Backenzähne, welche die gesamten Backenzähne umspannt.
-
US 4,671,766 A offenbart eine intraorale Orthese, die aus zwei Hälften, eine im Oberkiefer und eine im Kieferbogen besteht, welche beide Flügel aufweisen, die beim Schließen des Mundes ineinandergreifen.
-
US 5,848,891 A beschreibt eine Zahnkronenanordnung mit einem Widerstandselement an dem einen Zahn und einem zweiten Element mit einem bukkal verlaufenden Vorsprung an einem gegenüberliegenden Zahn. Funktionskieferorthopädische Geräte (FKO-Geräte) zur Beeinflussung einer Gebissstellung sind grundsätzlich bekannt. Man unterscheidet herausnehmbare FKO-Geräte sowie multidental befestigte FKO-Geräte. In beiden Fällen handelt es sich dabei um das Gebiss umfassende, sperrige Vorrichtungen, die eine neue Relativposition von Ober- zu Unterkiefer vorgeben und über mehrere Zähne einen Druck bzw. eine Spannung auf das Gebiss ausüben, um die angestrebte Gebissstellung herbeizuführen. Die Behandlungszeit mit solchen FKO-Geräten liegt üblicherweise im Bereich von Jahren.
-
Die durch multidental aufliegende FKO-Geräte verursachten Scherspannungen im Gebiss führen zu komplexen Wechselwirkungen zwischen Zungenbeweglichkeit, Muskelaktivität (neuromuskuläres System), Zahnstellung, Wachstum und Kieferhaltung (vergleiche Schmuth, G.: Kieferorthopädie, Grundzüge und Probleme, 1983, Thieme, Stuttgart). Die Erfolgsquote von Behandlungen mit solchen, etablierten FKO-Geräten ist daher eingeschränkt, da eine exakte Vorhersage der neuen, herbeigeführten Gebissstellung nicht möglich ist.
-
Der Erfindung liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass das Problem der oben beschriebenen, komplexen Wechselwirkung von multidentalen Scherspannungen mit einem monodental, für einen einzelnen Zahn angefertigten Positionierungselement vermieden und gleichzeitig die Fehlstellung der permanenten Dentition innerhalb relativ kurzer Zeit korrigiert werden kann.
-
Da ein monodentales Positionierungselement sehr viel weniger Platz einnimmt, kann es permanent während der Wechselgebissphase getragen werden. Die Wirksamkeit eines solchen monodentalen Positionierungselementes ist dadurch sehr viel höher und die Behandlungszeit kann auf wenige Monate verkürzt werden. Hierbei wird das Positionierungselement auf einen Molaren des ersten Gebisses (einen Milchzahn) aufgebracht. Es erzeugt einen Spalt zwischen den Backenzähnen der permanenten Dentition. Die Verzahnung ist damit ,entschlüsselt'. Die nicht belasteten Backenzähne der permanenten Dentition schieben nach und schließen dabei den Spalt im Laufe von mehreren Monaten. Die angestrebte Neutralverzahnung wird durch eine modellierte Suprakaufläche des Positionierungselements vorgegeben. Diese bewirkt beim Zubeißen eine kontinuierliche Verschiebung des Unterkiefers in Richtung der geplanten, angestrebten Neutralverzahnung. Sobald die Molaren die so bedingte Relativposition von Ober- zu Unterkiefer verschlüsselt haben, kann das Positionierungselement entfernt werden.
-
Monodentale Positionierungselemente erlauben daher in einer frühzeitigen Behandlung die Optimierung der Verschlüsselung der relativen Kieferposition während des Gebisswechsels mit Hilfe der ersten Zähne der permanenten Dentition (Zweitgebiss). Durch Fehlbiss herbeigeführte Nerven- und Haltungsschäden können so frühzeitig vermieden werden.
-
Als Werkstoff für das Positionierungselement kann grundsätzlich jedes handelsübliche, dental-prothetische Material wie z. B. Kunststoff-Harz oder auch Keramik verwendet werden. Im Rahmen von umfangreichen Testreihen zeigte sich, dass die besten Ergebnisse mit Zahngold erzielt werden können. Seine Duktilität in Kombination mit seiner Korrosionsbeständigkeit und seiner Abriebstabilität machen es den anderen Materialien gegenüber deutlich überlegen. Des Weiteren zeigte sich, dass die Positionierungselemente nur auf maximal zwei Milchmolaren als Basis befestigt werden dürfen, da sonst die Gefahr besteht, dass dauerhaft befestigte Positionierungselemente neben der occlusalen Stellungsverschlüsselung der permanenten Dentition durch Auflage des gegenüberliegenden Zahnes auf der Suprakaufläche (vergleiche 1) auch die beim Kauen oder Sprechen ausgeführten Bewegungen behindern. Außerdem sind in der Herstellung eines effektiven, monodentalen Positionierungselementes, das eine hohe Erfolgsquote bei der gesteuerten Stellungsverschlüsselung der permanenten Dentition gewährleisten soll, weitergehende Maßnahmen erforderlich. Die Abfolge der einzelnen Verfahrensschritte zur Herstellung eines Positionierungselements wird in einem Flussdiagramm in 2 veranschaulicht. Das erfindungsgemäße Herstellungsverfahren wird im Folgenden im Detail erläutert.
- I. Erstellen eines Modells (Ist-Zustand): Entsprechend bekannter, etablierter Methoden werden Abformungen der Gebisse von Ober- und Unterkiefer erstellt, mit Modelliermasse ausgegossen (z. B. Klasse IV Superhartgips) und in einem programmierbaren Artikulator nach dem Bissmuster des Patienten (Ist-Zustand) montiert. „Programmierbarer Artikulator” bezeichnet hierbei eine Modellhalterung mit einstellbaren Gelenken, die die individuell unterschiedliche Verschiebung von Unter- gegen Oberkiefer während des Gebrauchs (Kauen, Schlucken, Sprechen) ausführen können.
- II. Aufzeichnen der individuellen, situationsabhängigen (z. B. Kauen, Schlucken, Sprechen) Gelenkbahn des Unterkiefers.
Die scharnierachsgerechte Aufzeichnung der Gelenkbahn kann sowohl graphisch-mechanisch als auch elektronisch erfolgen. Vorzugsweise erfolgt die Aufzeichnung elektronisch, da dann in der späteren Berechnung der Gelenkbahn die rotatorischen Komponenten der Scharnierachsbewegung von den translatorischen Bewegungen exakt differenziert werden können. In diesem Schritt ist eine exakte Bestimmung der Scharnierachse notwendig. Die Mittelllinie von über und Unterkiefer dient als Referenzebene, um die gewonnen Daten in ein Raumkoordinatensystem umzurechnen. Unterstützt durch eine zentrische Bissnahme kann ein individueller Gesichtsbogen erstellt werden, der die Informationen über den Bewegungsspielraum der Scharnierachse sowie die zur Programmierung des Artikulators notwendigen Daten enthält. Daraus werden die Randbedingungen für die Einstellung des Artikulators gebildet.
Um die Genauigkeit der Analyse zu erhöhen, können die Daten weiterer Untersuchungsmethoden wie der Fern-Röntgen-Seitenaufnahme oder des Panoramaröntgens zusätzlich in den individuellen Gesichtsbogen mit einfließen.
- III. Einstellen des Artikulators (Ist-Zustand)
Mit Hilfe der im individuellen Gesichtsbogen enthaltenen Daten werden die Gelenke des programmierbaren Artikulators eingestellt, so dass das Modell den Ist-Zustand der Bissposition sowie den scharnierachsgerechten Verlauf der Gelenkbahn exakt wiedergibt.
- IV. Erstellen des Konstruktionsbisses am Artikulator
„Konstruktionsbiss” bezeichnet die entschlüsselte Relativposition von Ober- zu Unterkiefer, in der die bereits vorhandenen Molaren der permanenten Dentition mit mittellinien-kongruenter Ausrichtung von Ober- zu Unterkiefer und physiologischem Overbite/Overjet sich mit einem vertikalen Abstand von mindestens 1 mm in der bereits beschriebenen Klasse 1 Neutralverzahnungs-Position gegenüberliegen.
Zur Ermittlung der Koordinaten des Konstruktionsbisses, wird im programmierten Artikulator je nach Fehlbiss eine Protrusion bzw. Retrusion soweit simuliert, bis sich beidseitig mindestens ein Molaren-Paar der permanenten Dentition in der Klasse 1-Position gegenüberliegen. Damit ist der Konstruktionsbiss erstellt.
Vorteilhafterweise wird der Inzisalstift soweit geöffnet, bis der Overbite 2 mm beträgt. Als Overbite wird hierbei der vertikale Überbiss der frontalen Schneidezähne zueinander bezeichnet. Dieser wird in der Regel zusammen mit dem sagitalen Überbiss, dem Overjet bestimmt (vgl. 3). Beide Werte betragen im Idealfall bei Mittellinien-Übereinstimmung von Ober- und Unterkiefer etwa 2 mm.
Dann erfolgt die Berechnung der therapeutischen, dreidimensionalen Position (Konstruktionsbiss) der Kiefer zueinander mit Hilfe der Daten des individuellen Gesichtsbogens und eines bekannten kondylographischen Diagnoseprogrammes.
Abschließend werden die Koordinaten des ermittelten und des berechneten Konstruktionsbisses auf Übereinstimmung geprüft, eventuelle Fehler werden berichtigt und der Artikulator wird entsprechend des Endergebnisses eingestellt.
Die ermittelten Koordinaten des Konstruktionsbisses dienen zur Bestimmung der Soll-Werte für die Suprakauflächen im folgenden Schritt. Hierzu wird die Differenz der Koordinaten ermittelt und die Parameter der möglichen Führungsbahnen, die innerhalb der zuvor bestimmten Gelenkbahn liegen, werden bestimmt.
- V. Erstellen eines Positionierungselement-Modells
Anschließend werden anhand des eingestellten Artikulators diejenigen Milchmolaren ausgewählt, die geeignet sind, ein Positionierungselement zu tragen. Diese werden im Folgenden als ,Positionsmolare' bezeichnet. Die Suprakauflächen der Positionierungselemente werden mit Hilfe der Koordinaten des Konstruktionsbisses wie folgt festgelegt:
Der Betrag, um den die Positionsmolare gegeneinander verschoben werden müssen, damit der Konstruktionsbiss erreicht wird, ergibt sich aus der Differenz der Absolutbeträge in x-, y- und z-Richtung. Dieser Betrag ist die Soll-Größe, über welche die hierfür geeigneten Führungsflächen ausgewählt werden.
Eine computer-gestützte Methode zur Berechnung der Kauflächen lässt sich aus handelsüblichen Diagnoseprogrammen (z. B. „Cadiax” der Firma Gamma) entwickeln. Unter Berücksichtigung der zuvor aufgezeichneten Gelenkbahn des Unterkiefers werden die Kauflächen dergestalt mit Führungsflächen versehen, dass bei einer Schließbewegung die kontinuierliche Verschiebung des Unterkiefers zum Konstruktionsbiss hin bewirkt wird. Dies kann auf einem Bildschirm simuliert werden und daraus die Raumkoordinaten der Führungsfläche ermittelt werden.
Auf Basis der so gewonnenen Daten werden Wachsmodelle der Positionierungselemente hergestellt und in das im Konstruktionsbiss programmierte Modell im Artikulator eingepasst.
- VI. Herstellen des Positionierungselements
Zur Herstellung des Positionierungselements werden die Wachsmodelle abgeformt und aus dental-prothetischem Material wie z. B. Zahngold nachgebildet. Abschließend werden die Positionierungselemente auf das Modell eingepasst und eventuelle Unebenheiten – wie z. B. Gussfehler im Falle von Zahngold – werden korrigiert.
Die labor-gefertigten Positionierungselemente mit Suprakauflächen können nach Einprobe mit entsprechendem Primer konditioniert und intraoral unter absoluter Trockenlegung schmelzadhäsiv zementiert werden (z. B. „Panavia Layer F”). Die Molaren der permanenten Dentition liegen sich nun bei geschlossenem Gebiss in einer Klasse 1 Neutralverzahnung, beabstandet durch einen Spalt, gegenüber.
Die so angebrachten Positionierungselemente ermöglichen, dass die Molaren der permanenten Dentition unter Einstellung einer permanenten Klasse 1 Neutralverzahnung den Spalt in den folgenden Monaten schließen können. Spätestens nach 6 Monaten liegt eine Verschlüsselung des Gebisses in der angestrebten Relativposition von Ober- zu Unterkiefer, dem Konstruktionsbiss, vor. Auf diese Art und Weise erlauben die Positionierungselemente bei stark verkürzter Behandlungszeit eine Gebissstellung, die später durch Fehlbiss verursachte Nerven- und Haltungsschäden vermeidet.