Beschreibung
Verfahren und Vorrichtung zur Überwachung der Zugvollständigkeit
Die Erfindung betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Überwachung der Zugvollständigkeit. Klassischerweise wird die Zugvollständigkeit mittels streckenseitiger Achszähler oder Gleiskreise überwacht. Bei modernen Betriebskonzepten, wie z. B. FFB - Funkfahrbetrieb - oder ETCS - European Train Control System - Level 3, wird eine Verlagerung möglichst vieler Funktionen, beispielsweise Ortung, auf das Schienenfahrzeug angestrebt. Auch die Zugvollständigkeit oder Zugintegrität muss fahrzeugseitig überwacht werden. Das betrifft jedoch vorrangig Züge, deren Wagen häufig neu zusammengestellt wer¬ den, d. h. insbesondere Güterzüge. Bei Triebzügen, deren Wa- genreihung oder Zuglänge sehr selten geändert wird, ist in der Regel die Wahrscheinlichkeit einer Zugtrennung derart ge¬ ring, dass es keiner zusätzlichen Überwachung bedarf.
Bei einem bekannten Lösungsansatz wird eine Verbindung zwischen der Lokomotive und dem letzten Wagen zur Feststellung der Zugvollständigkeit genutzt. Diese Verbindung kann bei¬ spielsweise elektrisch, pneumatisch, funkbasiert oder optisch hergestellt werden. Häufig wird ein spezielles EOTD - End of Train Device - eingesetzt. Reißt die Verbindung zwischen der Lokomotive und dem EOTD ab, wird eine Zugtrennung detektiert. Nachteilig ist vor allem der erhebliche Aufwand, insbesondere zur Projektierung, da eine explizite Identifikation zwischen der Lokomotive und dem EOTD stattfinden muss. Probleme erge¬ ben sich auch hinsichtlich Interoperabilität, Verlust und Ma¬ nagement .
Ein anderer Lösungsansatz basiert darauf, dass alle Wagen mit einem TIM - Train Integrity Modul - ausgerüstet sind. Dabei handelt es sich um drahtlos über kurze Distanzen miteinander kommunizierende Module. Nachteilig ist auch hier der erhebli- che Aufwand verbunden mit Interoperabilitätsproblemen .
Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Überwachung der Zugvollständigkeit anzugeben, welche sich durch geringeren Aufwand und verbesser- ter Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit auszeichnen.
Verfahrensgemäß wird die Aufgabe dadurch gelöst, dass zumin¬ dest in einem Teil der Wagen des Zuges angeordnete Train In¬ tegrity Moduls - TIM - anhand einer digitalen Karte Shunting- Bereiche erkennen, dass die TIM bei Ausfahrt aus einem ersten Shunting-Bereich in einer Kalibrierungsphase Daten austauschen und anhand vorgegebener Daten-Stabilitätskriterien ihre Zugehörigkeit zu dem ausfahrenden Zug erkennen und dass die TIM bis zur Einfahrt in einen zweiten Shunting-Bereich zyk- lisch Sensordaten, insbesondere bezüglich Geschwindigkeit,
Position und Fahrtrichtung austauschen, wobei die TIM anhand vorgegebener Logikkriterien eine Zugtrennung erkennen und ggf. die Sensordaten an eine Betriebsleitzentrale übermit¬ teln .
Dazu ist vorrichtungsgemäß vorgesehen, dass in zumindest einem Teil der Wagen des Zuges Train Integrity Moduls - TIM - angeordnet sind, wobei die TIM eine digitale Karte mit Shun- ting-Bereichen, Nahbereichs-Kommunikationsmittel zum gegen- seitigen Datenaustausch sowie Fernbereichs-Kommunikationsmit- tel zur Datenübertragung an eine Betriebsleitzentrale aufwei¬ sen und mit mindestens einem Sensor zur Erfassung TIM-spezi- fischer Daten, insbesondere Geschwindigkeit, Position und Fahrtrichtung, verbunden sind.
Zunächst werden die TIM mit einer digitalen Karte ausgestat¬ tet, welche die Bereiche, in denen Wagen neu zusammengestellt werden dürfen, d. h. die Shunting-Bereiche, beinhaltet. An diese Karte werden keine besonderen Genauigkeitsanforderungen gestellt; es genügt ein quasi grober Überblick. Nur außerhalb der Shunting-Bereiche findet eine Überwachung der Zugvoll¬ ständigkeit statt. Bei der Ausfahrt aus dem Shunting-Bereich erfolgt in einer
Kalibrierungsphase zunächst eine gegenseitige Identifikation der entsprechend der Wagenreihung auf dem Zug vorhandenen TIM. Dazu versucht jedes TIM, die in seiner Nähe befindlichen weiteren TIM zu finden, wobei Daten ausgetauscht werden. Der- artige Daten können z. B. die sensorisch ermittelte und mit einem Zeitstempel versehene Geschwindigkeit und/oder Position und Fahrtrichtung sein. Diese Charakteristika können mittels GNSS - Global Navigation Satalite System - Sensoren gewonnen werden. Anhand der Stabilität der empfangenen Daten während einer projektierten Zeitdauer identifizieren sich die auf denselben Zug befindlichen TIM gegenseitig. Falls auch spezielle Charakteristika des Zuges ausgetauscht werden, wie beispielsweise die Geschwindigkeit, können zusätzlich oder alternativ Plausibilitätskriterien für die gegenseitige Iden- tifizierung der TIM verwendet werden. Beispielsweise muss die von den einzelnen TIM übermittelte Geschwindigkeit über den projektierten Zeitraum übereinstimmen. Letztlich resultiert durch formales model checking gegen ein formales Modell des Zuges die Hypothese, dass die identifizierten TIM sich in denselben Zug befinden.
Im Anschluss an die kurze Kalibrierungsphase erfolgt die eigentliche Überwachung auf Zugvollständigkeit, indem zyk¬ lisch Sensordaten zwischen den TIM ausgetauscht werden. Vor-
teilhaft ist neben der Verwendung der Geschwindigkeit als Vergleichskriterium auch die aus Position und Fahrtrichtung ermittelbare Entfernung zwischen den einzelnen TIM. Dabei dienen Schwellwerte dazu, festzustellen, ab welcher Abwei- chung, z. B. in Bezug auf Entfernung und/oder Geschwindigkeit die Hypothese, dass sich die TIM in denselben Zug befinden, verletzt ist. Erforderlich ist lediglich eine formale Verifizierung des Bestehens oder Nicht-Bestehens der Zugvollstän¬ digkeitshypothese .
Bei Verletzung der Hypothese meldet jedes TIM, das die Ver¬ letzung festgestellt hat, diese erkannte Zugtrennung an die Betriebsleitzentrale . Anhand der Positionsmeldung der TIM bzw. des Zuges wird in der Betriebsleitzentrale der betrof- fene Zug erkannt, so dass unverzüglich geeignete betriebliche Maßnahmen eingeleitet werden können.
Besondere Robustheit gegenüber Einzel- oder auch Mehrfachaus¬ fälle von TIM kann dadurch erreicht werden, dass Redundanzen und Plausibilitäten berücksichtigt werden. Beispielsweise kann der Ausfall eines benachbarten TIM ignoriert werden, wenn ein in der gleichen Richtung weiter entferntes TIM noch erkannt wird. Bei Einfahrt in den nächsten Shunting-Bereich wird die Überwachung der Zugvollständigkeit aufgrund der Karteninformation aufgehoben und nach Verlassen dieses Shunting-Bereiches mit erneuter Kalibrierung wieder initialisiert. Gemäß Anspruch 2 ist vorgesehen, dass die TIM in der Kalibrierungsphase ihrer Datenreichweite entsprechende Cluster bilden. Besonders vorteilhaft sind sich überlappende Cluster, wodurch sich einfache oder sogar mehrfache Redundanz ergibt.
Das Verfahren kann noch robuster gestaltet werden, wenn gemäß Anspruch 3 die TIM von ersten TIM empfangene Sensordaten an zweite TIM weiterleiten. Auf diese Weise entsteht quasi ein globales Abbild des Zuges, so dass ermittelt werden kann, welches TIM in Fahrtrichtung das erste TIM und welches das letzte TIM darstellt. Die Prüfbedingungen zur Überwachung der Zugvollständigkeit können dadurch vereinfacht werden, wobei jedoch die Komplexität des Verfahrens und der Kommunikations- Overhead steigen.
Die Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens kann gemäß Anspruch 5 besonders vorteilhaft ausgebildet sein, indem die TIM als verfahrensgemäß projektierte, an sich für andere Funktionalitäten vorgesehene Drahtlos-Module ausgebildet sind. Geeignet dazu sind beispielsweise die VICOS CT-Module von Siemens, die primär für die Optimierung der Betriebsführung vorgesehen sind. Diese Module werden quasi zweckentfremdet oder zusätzlich für die Überwachung der Zugvollständigkeit genutzt. Die bereits vorhandene GNSS-Ortung sowie die Mobilfunkverbindung zu der Betriebsleitzentrale und die lo¬ kale Nahbereichs-Drahtlosverbindung werden für die TIM-Funk- tion genutzt, wobei die digitale Karte zusätzlich projektiert und die TIM-Funktion initial konfiguriert wird. Die Überwa¬ chung der Zugvollständigkeit erfolgt daraufhin autonom. Soft- wäre- oder Kartenupdates können über die bestehende Mobil¬ funkverbindung erfolgen.
Betrieblich wäre es zwar wünschenswert, möglichst am Anfang und am Ende des zu überwachenden Zuges einen TIM-ausgerüste- ten Wagen beim Shunting-Prozess anzuordnen, aber auch für den Fall, dass das nicht möglich ist, erfolgt zumindest eine Teilüberwachung in Abhängigkeit von dem TIM-Ausrüstungsgrad des Zuges. Dabei kann bei der Doppelbenutzungsvariante gemäß Anspruch 5 davon ausgegangen werden, dass ein großer Prozent-
satz, z. B. 20 bis 30 %, einer Wagenflotte bereits mit Draht- los-Modulen ausgerüstet ist wobei die TIM-Funktionalität zu einer weiteren Steigerung des Ausrüstungsgrades führen würde. Die Erfindung wird nachfolgend anhand figürlicher Darstellungen näher erläutert. Es zeigen:
Figur 1 eine Kartendarstellung mit Shunting-Bereichen und Figur 2 eine Zugkonfiguration mit Modulen zur Überwachung der Zugvollständigkeit.
Figur 1 zeigt beispielhaft ein Kartenabbild einer Strecken¬ führung mit Shunting-Bereichen 1.1, 1.2, 1.3, welche in ein - möglichst bereits vorhandenes - Drahtlos-Modul gespeichert werden, um dieses zu einem Train Integrity Modul - TIM - 2.1, 2.2, 2.3, 2.4 aufzurüsten. Das TIM 2.1, 2.2, 2.3, 2.4 wird außerdem mit Initialisierungs-Software ausgestattet, wodurch eine autonome Überwachung der Zugvollständigkeit ermöglicht wird. Dazu wird eine Kalibrierungsphase projektiert, in der unmittelbar nach Ausfahrt aus einen Shunting-Bereich 1.1,
1.2, 1.3 ein Datenaustausch zwischen den entsprechend der in dem Shunting-Bereich 1.1, 1.2 oder 1.3 erfolgten Wagenreihung zugintern verteilten TIM 2.1, 2.2, 2.3, 2.4 stattfindet.
Durch diesen ersten Datenaustausch erkennen die TIM 2.1, 2.2,
2.3, 2.4 ihre Zugehörigkeit zu dem ausfahrenden Zug 3. Vor¬ zugsweise werden mit Zeitstempel versehene Daten bezüglich Geschwindigkeit 4, Position und Fahrtrichtung ausgetauscht. Aus den Positions- und Fahrtrichtungsdaten ermitteln die TIM 2.1, 2.2, 2.3, 2.4 ihre gegenseitige Entfernung 5. Die Daten können beispielsweise mittels GNSS - Global Navigation
Satelite System - Empfänger ermittelt werden.
In dem Ausführungsbeispiel gemäß Figur 2 sind im Shunting-Be- reich 1.1, 1.2 oder 1.3 fünf Wagen 6.1 bis 6.5 zu dem Zug 3 konfiguriert worden. Der erste Wagen 6.1 kann dabei die Loko¬ motive des Zuges 3 sein. Es ist ersichtlich, dass die Wagen 6.1, 6.3, 6.4 und 6.5 jeweils mit einem TIM 2.1, 2.2, 2.3 bzw. 2.4 ausgestattet sind und dass der Wagen 6.2 kein TIM aufweist. Entsprechend der Reichweite ihrer Nahbereichs-Kom- munikationsmittel bilden die TIM 2.1, 2.2, 2.3 und 2.4 in der Kalibrierungsphase Cluster 7.1, 7.2 und 7.3. Die Cluster 7.1, 7.2 und 7.3 können sich dabei überlappen, so dass die
Kommunikationskette auch bei Ausfall eines oder mehrerer TIM 2.1, 2.2, 2.3, 2.4 nicht abreißt.
Nachdem die TIM 2.1, 2.2, 2.3, 2.4 sich gegenseitig aufgrund gleichbleibender Daten-Stabilität in der Kalibrierungsphase als zu dem Zug 3 zugehörig identifiziert haben, beginnt die eigentliche Überwachung der Zugvollständigkeit. Dabei werden Messdaten bezüglich Geschwindigkeit 4 und aus den Messdaten Position und Fahrtrichtung abgeleitete Entfernungsdaten 5 ausgetauscht und anhand von Plausibilitätskriterien ausgewertet. Auf diese Weise wird erkannt, wenn beispielsweise das TIM 2.4 in dem letzten Wagen 6.5 des Zuges 3 aufgrund einer Abtrennung dieses Wagens 6.5 eine geringere Geschwindigkeit 4 bei zunehmender Entfernung 5 von dem benachbarten TIM 2.3 aufweist. In diesem Fall meldet mindestens das TIM 2.3, das diesen gefährlichen Zustand festgestellt hat, zumindest die eigenen Positionsdaten an eine Betriebsleitzentrale . Für diese Fernbereichs-Kommunikation wird eine Mobilfunkverbindung genutzt, während für die Nahbereichs-Kommunikation zwi- sehen den TIM 2.1, 2.2, 2.3, 2.4 vorzugsweise eine WLAN-Ver- bindung genutzt wird.