-
Verfahren zur Gewinnung einer Kamillendroge mit hohem Chamazulen-
und. Bisabololgehalt Arzneilich verwendete Pflanzen stammen zuin überwiegenden Teil
aus Wildvorkommen oder aus Anbau mit undefiniertem Saatg'ut. Entsprechend unterschiedlich
ist die Zusammensetzung der Drogenpartien hinsichtlich Herkunft, Sorte und Wirkstoffgehalt,
Eine exakte Standardisierung pflanzlichex Arzneimittel läßt sich aber nur hei Verwendung
eines hinraichend homugenen ond beständigen Rohstoffes erreichen.
-
Die Kamille (Matrichria chamomilla L., Asteraccae) ist eine der am
meisten vorwendeten Heilpflanzen und ihre Bedeutung für die Therapie nimmt noch
laufend zu. Auf Grund der großen Nachfrage ist das Angebot auf dem Dregenmarkt,
das aus Anbau oder aus Wildsammlung stammt, sehr heterogen.
-
Die antiphlogistische Wirkung des Kamillenöls ist nicht cinem einzelnen
Bestandteil zuzuschreiben. Es handelt sich vielmehr um eine komploxe Wirkung, wobei
Chamazulen und (-)-α-Bisabolol als die wesentlichen Träger dieser Wirkung
anzuschen sind.
-
Eine Kamillendroge sollte daher einen möglichst hohen Gehalt an Chamazulen
und Bisabolol besrtzen.
-
Das Deutsche Arazneibuch 7. Ausgabe schreibt für Kamillenblüten einen
Mindestgehalt von 400 mg% ätherischem Öl und einen Farbtest vor, der einem Gehalt
von ca. 16 mg% Chamazulen ent spricht.
-
Nach E. STEINEGGER und R. HÄNSEL (Lehrbuch der Pharmakognosie 3. Auflage,
Springer-Verlag Berlin-Heidelberg-New York 1972) beträgt der Ölgehalt etwa 0,5 %.
Der Chamazulengehalt im Öl liegt zwischen 1 und 15 , was einem Azulengehalt von
5 bis 75 mg% in der Droge entspricht.
-
In die Sortenliste der DDR wurde 1961 eine Neuzüchtung unter dem Namen
"Bodegold" aufgenommen, die einen Gehalt von 950 bis 1090 mg% ätherischem Öl und
49 mg% Chamazulen aufweist gegenüber 450 bis 790 mg% ätherischem Öl und 21 mg% Chamazulen
bei einer in der DDR gebäuchlichen Handelsdroge.
-
Eine innerhalb der letzten 6 Jahre durchgeführte systematische Untersnchung
von Kamillendrogen aus den wichtigsten Erzeugerländern ergab hinsichtlich des Chamazulen-
und Bisabololgehaltes in derselben Droge ein reziprokes Verhältnis: Bei hohem Chamazulengchalt
ist kaum Disabolol vorhanden, während bei hohem Bisabololgehalt der Chamazuiengehalt
sehr niedrig ist.
-
Der höchste bei dieser Untersuchung gefundene Chamazmlengehalt betrug
117 mg%, der höchste Bisabololgehalt 172 mg%.
-
Es wurde nun gefunden, daß eine in den Lianes de Urgel in der Provinz
Lérida/Spanien endemische Kamillensorte überraschend und völlig abweichend von allen
auderen auf der welt bekannten Kamillensorten gleichzeitig einen hohen Chamazulen-
und Bisabololgehalt-besitzt und daß sich diese Sorte (H-29) besonders gut zur Herstellung
von ijamillendrogen eignet.
-
Die neue Sorte zeichnet sich also durch das physiologische Merkmal
eines gleichzeitigen hohen Gehaltes an (-)-O(-Bisabolol und Chamazulen aus. Von
diescr Kamillensorte wurde Saatgut gewonnen und unter der Bezeichnung H-29 weiter
vermehrt.
-
Die neue Kamillensorte wird durch die Sortenbezeichnung H-29 gekennzeichnet.
29 ist also eine neuentdeckte Kamillensorte natürlichen Ursprungs, die zur Kamillenart
Matricaria chamomilla gehört und sich durch ein charakteristisches Substanzspektrum
auszeichnet.
-
Nach KAISER und MASENMAIER [Arch. Pharm. 289, 681 (1956)] ist- der
Proazulengehalt in der Kamille am höchsten zur Zeit der Vollblüte, kurz vor dem
Abwelken. Auch SCHENCK und FRÖMMING [Arch. Pharm. 289, 200 (1956)] sehen den höchsten
Gehalt nach dem vollständigen Aufblüiien der Röhronblüten.
-
Nach HEEGER [Mandbuch des Arznei- und Gewürzpflanzenbaues, Seite 499,
Deutscher Bauernverlag 1956] dürfen die erst halbgeöffneten Blüten sogar wegen des
Unterschieds im Ölgehalt nicht gepflückt eren. Üblicherweise erfolgt also die manuelle
oder maschinelle Ernte der Karillenblütenköpfchen zur Zeit der Vollblüte.
-
Die Trocknung der Blütenköpfchen erfolgt in der Regel ent weder durch
künstliche Luftzufuhr oder durch Trocknung im direkten Sonnenlicht. Hierbei wird
im allgemeinen eine Temperatur von 50° C überschritten und kann bei künstlicher
Trocknung sogar 100° C erreichen.
-
Unter den genannten üblichen Ernte und Trocknungsbedingungen liefert
die Sorte H-29 eine Kamillendroge mit beispielsweise einem Maximalgehalt von 50
mg% Chamazulen und 75 mg% Bisabolol.
-
Die Kamillensorte H-29 gehört zur Kamillenart Matricaria chamomilla,
Asteraceae. Sie hat denselben Phänotyp wie die normale echte Kamille und besitzt
beispielsweise folgende Merkmale: 1. Blühende Pflanze Beginn der Blüte (Tage ab
1. Januar) : 135 - 150 Tage ab 1 . Januar Blütenspross, Länge (mm) : 300 - 600 mm
Länge Fiederblatt, Farbe (1-3) : mittelgrün Fiederblatt (Stengelmitte), Fiederung
(1-3)- : 2-bis 3fach fiedertcilig, 8 bis 10 Paare Blütenstand(Körbchen),Durchmesser
(mm) : 20 bis 25- riiiii Blütenstände ohne Stiel, Gehalt an äth. Öl, (%Trockensubstanz)
: 0,8 bis 1,5 % Gehalt an Azulen im äth. Öl (%) : 20 bis 25 % Zerfall der getrockneten
Blütenstände, Blütendroge (9-1) : 25 bis 35 % 2. Frucht Tausendkornmasse (g) : 0,039
g 3. Weitere Merkmale Bisabolol im äther. Öl : 25 bis 45 %
Darüberhinaus
wurde gefunden, daß es bei Einhaltung bestimmter Ernte- und Trocknungsbedingungen
möglich ist, aus H-29 eine hochwertige Kamillendroge mit einem Chamazulengehalt
von mindestens 150 mg%, beispielsweise 150 bis 250 mg%, und einem Bisabololgehalt
von mindestens 200 mg%, beispielsweise 200 bis 300 mg%, zu erreichen.
-
Ein normal entwickeltes Blütenköpfchen (Infloreszenz) der Kamille
besteht aus etwa 500 Röhrenblüten und 12 bis 18 Zungenblüten, Die Blüten entfalten
sich fortschreitend von unten nach oben. Von dem Stadium, in dc= die Zundenblüten
und die untersten Rährenblüten entfaltet sind, bis zu dem Stadium, in dem sämtliche
Blüten offen sind, vergehen etwa drei Wochen. Während der Ontogenese ändert sich
die Gestalt des Blütenköpfchens, das vor der Blüte halbkugelig rund ist und einen
markigen Blütenboden besitzt, dann aber eine kegel förmige Gestalt mit hohlem Blütenboden
annimmt. Dabei vergrößert sich das Gewicht auf fast das doppelte Bei einer Infloreszenz
beträgt die Anthese drei Wochen. Die Blütezeit erstreckt sich Eher 50 bis 65 Tage.
Bereits bei einer Pflanze ist deshalb mit einer ausgedehnten Blühdauer zu rechten.
-
Besonders günstig ist es jedoch, wenn bei der Sorte II-29 die Ernte
in dem Vegetationsstadium erfolgt, wo erst 50 % der Röhrenblüten geöffnet sind (Blühstadium
III oder auch noch IV).
-
Bei der Trocknung soll eine Temperatur von 50.0 C nicht überschritten
werden und es ist darauf zu achten, daß die Wärmezufuhr nicht über das zur vollständigen
Trocknung erforderliche Naß hinausgeht. Das bedeutet, daß man sich durch Kontrollwägungen
von der erreichten Gewichtskonstanz überzeugen muß. Die Trocknung kann spontan oder
künstlich erfolgen, Die Wirkstoffausbeute ist am größten bei spontaner Trocknung
unter Ausschluß des Sonnenlichtes. Des Trocknungsprozeß soll möglichst bald beziehungsweise
umgehend nach der Ernte
stattfinden. Die Trocknung soll In dünnen
Schichten, beispielsweise von' 5 bis 20 cm, vorzugsweise 10 cm Dicke, durchgeführt
werden.
-
Die nachfolgende Tabelle veranschaulicht die vegetationsabhängige
Entwicklung des Wirkstoffgchaltes von H-29 unter den oben genannten Trocknungsbedingungen.
-
Tabelle: Vegetationsabhängige Entwicklung des Wirkstoffgehaltes von
H-29
Blühstadium Köpfchen Ätherisches Chamazulen Bisabolol |
Zeitpunkt der Ernte po Öl |
amm (mg%) (mg%) (mg%) |
1 21 801 145,0 196,0 |
II 9 750 172,7 243,0 |
III 8 964 246,4 357,5 |
IV 6 928 244,8 354,0 |
V 5 897 204 243,5 |
Die Trocknung der Kamillenblütenköpfchen erfolgte bei den Untersuchungen, deren
Ergebnisse die Tabelle zeigt mit Infrarotlicht und Gebläse bei 300 C bis zur Gewichtskonstanz
(ca. 12 Stunden). Dic Best-ilmnung des Bisabololgehaltes erfolg te in Anlehnung
an die in der Deutschen Apotheker-Zeitung 108 (1968) Seite 293 ff. angegebene gaschromatographische
Methode.
-
Die Bestimmung des Chamazulens erfolgte spektralphotometrisch nach
der bei Kamillenextrakten üblichen Wcis. Eine genaue Schilderung der analytischen
Bestimmungsmethoden enthält die Anlage A.
-
Stadium I : Blütenköpfchen mit noch fehlenden oder aufrecht stehenden
Zungenblüten.
-
Stadium II : Zungenblüten deutlich nach außen gebogen, Röhrenblüten
aber noch nicht offen.
-
Stadium III: Röhrenblüten zu 50 % offen, Blütenboden teilweise noch
flach gewölbt und karkig gefüllt.
-
Stadium IV : Blütenköpfchen zu 50 bis 100 % aufgeblüht.
-
Elütenboden hohl. Keine tagesperiodischen Bewegungen der Zungenblüten
mehr.
-
Stadium V : Blütenköpfchen zu 100 % aufgeblüht (Vollblüte) Stadium
VI : Blütenköpfchen im Zustand des Abblühens. Die Zungenblüten fallen leicht ab.
Die Samenreife hat begonnen.