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Zur Extraktion flüchtiger Inhaltsstoffe aus Drogen bediente man sich
bisher der Perkolation, der Reperkolation, der Evakolation, der Mazeration oder
der Turboextraktion (vgl. G 5 t i r n e r in »Einführung in die Arzneibereitung«,
Stuttgart 1963, S. 258). Zur Herstellung von Fluidextrakten war es seither üblich,
die noch trockenen Drogen vorher zu pulverisieren. Die Mahlung der Drogen wurde
dabei in offenen oder, zur Vermeidung von allzu großen Verlusten an flüchtigen Bestandteilen,
in verschlossenen Systemen vorgenommen. Es hat sich aber immer wieder gezeigt, daß
es auch bei Vermahlung im geschlossenen System zu erheblichen Verlusten an flüchtigen
Bestandteilen beim Herausnehmen der gemahlenen Drogen aus den Mühlen kommt.
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So treten z. B. bei der Mahlung von Pfefferminzblättern in der Schlagkreuzmühle
Verluste bis zu 6801o und bei Fenchel zwischen 30 und 67 °/0 der flüchtigen Inhaltsstoffe
ein.
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Zur Erzielung einer ergiebigen Extraktion der Inhalts stoffe war
man bei den seither bekannten Extraktionsverfahren auf solche Extraktionsmittel,
z. B. Äthanol, angewiesen, die den pflanzenphysiologischen Bedingungen möglichst
nahekommen. Bei Verwendung anderer Extraktionsmittel zeigte es sich, daß die Quellung
der Zellmembran und die daran anschließende Diffusion der Inhaltsstoffe meist völlig
unzureichend war. Bei der Perkolation ist man also an solche Extraktionsmittel gebunden,
die ein der Zelle und den Zellmembranverhältnissen angepaßtes hydrophiles und lipophiles
Gleichgewicht aufweisen. Die Herstellung von Fluidextrakten durch Perkolation gelingt
nicht ohne Verluste an leicht flüchtigen Inhaltsstoffen, da zur Perkolation eine
solche Menge an Extraktionsstoffen benötigt wird, die ein Mehrfaches des Drogengewichtes
ausmacht. Beim nachträglichen teilweisen Eindampfen des überschüssigen Extraktionsmittels
gehen dabei beträchtliche Mengen flüchtiger Inhaltsstoffe mit dem Lösungsmittel
weg, zum Teil treten aber auch bei labilen Substanzen durch thermische Zersetzung
zusätzliche Verluste ein. Bei Kamillenblüten wurden Verluste bis zu 50 °/0 an ätherischen
Ölen beobachtet.
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Es wurde nun ein Weg gefunden, der eine ergiebige Extraktion der
Kamille (Matricaria chamomilla) erlaubt, ohne daß die den bekannten Verfahren anhaftenden
Nachteile auftreten. Dies wird dadurch erreicht, daß die Droge in Gegenwart eines
Extraktionsmittels in einem hermetisch abgeschlossenen System mit Hilfe einer Kugelmühle
gemahlen wird. Dabei werden die Inhaltsstoffe direkt vom Extraktionsmittel angelöst
und aufgenommen. Das erfindungsgemäße Verfahren erlaubt nicht nur eine weitestgehende
ergiebige Extraktion von frischen Pflanzen, sondern auch von getrockneten Drogen.
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Bei der extrahierenden Naßmahlung in einer Kugelmühle werden durch
die Rutsch- und Rollreibung der Kugeln ständig neue, noch intakte Zellen auseinandergerissen.
Das Extraktionsmittel löst laufend die Inhaltsstoffe der verletzten Zellen an, so
daß es sehr rasch zu einer vollkommen erschöpfenden Extraktion der Droge kommt.
Durch die direkte Anlösung der flüchtigen Inhalts stoffe im Extraktionsmittel in
der nach außen hermetisch abgeschlossenen Kugelmühle kommt es zu keinen Verlusten
an flüchtigen Extraktionsstoffen und zu keiner Wechselwirkung des Extraktionsgutes
mit der Atmosphäre. Außerdem brauchen die verwendeten Extraktionsmittel nicht
mehr
in ihren Eigenschaften auf die Verhältnisse in der Zelle und den Zellmembranen angepaßt
zu werden, sie müssen lediglich auf die Löslichkeitseigenschaften des zu extrahierenden
Wirkstoffes abgestimmt sein.
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Ein besonderer Vorteil des erfindungsgemäßen Verfahrens liegt darin,
daß ein hochviskoses Extraktionsmittel mit einer Viskosität bei zu 4000 cP eingesetzt
wird. Dies war bei den eingangs erwähnten bekannten Verfahren nicht möglich. Außerdem
kann die Menge des Lösungsmittels gegenüber den bekannten Verfahren wesentlich herabgesetzt
werden.
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Das erfindungsgemäße Verfahren erlaubt es, Extrakte für Externa (Salben,
Lotionen, Pasten, Cremes, Aerosole, Schleime und Sirupe) direkt in der Grundlage
herzustellen. Damit erübrigen sich folgende bei den bekannten Extraktionsverfahren
anzuwendende Produktionsvorgänge, nämlich Vormahlung der Droge zur Extraktion, Vorfeuchten
der Droge zur Extraktion und Eindampfen der alkoholischen Extrakte nach der Extraktion
zum Zwecke der Weiterverarbeitung zu Salben und anderen alkoholfreien Fertigprodukten.
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Im Gegensatz zu den bekannten Extraktionsverfahren eignet sich das
erfindungsgemäße Verfahren für die Extraktion des in der Kamille (Matricaria chamomilla)
nachgewiesenen thermolabilen Proazulens, da es die bei den meisten seither bekannten
Extraktionsverfahren unvermeidliche Temperaturerhöhung völlig ausschließt.
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Werden Kamillenblüten einer extrahierenden Naßmahlung mit Ölsäuredecylester
unterworfen, so ergibt sich ein Extrakt, der gegenüber den nach den seitherigen
Methoden gewonnenen Extrakten dünnschichtchromatographisch einen vermehrten Proazulengehalt
aufweist, während ein Azulengehalt völlig fehlt. Gegenüber den bekannten Extraktionsverfahren
konnte ein Extrakt erhalten werden, der 300/, mehr Azulen in Form des Proazulens
enthält. Eine dünnschichtchromatographische Untersuchung des Extraktes ergab, daß
das Azulen ausschließlich in Form des genuinen Proazulens vorlag. Bei den bekannten
Extraktionsverfahren verwandelte sich dagegen der größte Teil des spasmolytisch
und antiphlogistisch wirkenden Proazulens in das Azulen um, welches weit weniger
wirksam ist.
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Die nachstehenden Beispiele dienen zur näheren Erläuterung der Erfindung:
Beispiel 1 (Vergleichsversuch) Eingesetzte Droge: Matricaria chamomilla Herkunft:
Deutschland Extraktionsmittel: Ölsäuredecylester 1 kg Droge wurden nach dem Perkolationsverfahren
des Österreichischen Arzneibuches im Verhältnis 1 Teil Droge zu 5 Teilen Extraktionsmittel
extrahiert. Der Extrakt enthielt größere Mengen Azulen neben wenig Proazulen.
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Azulengehaltsbestimmung 5 g des obigen Extraktes wurden über 3 Stunden
wasserdampfdestilliert (Apparatur nach Prof. U n g e r) und das in Xylol aufgefangene
Destillat spektrophotometrisch bei 610 mop bestimmt. Erhalten wurden 7,5 bis 9 mg
O/, Azulen/Droge bei mehreren Versuchen.
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In der Droge waren 37,0 mg 01o Azulen/Droge enthalten. Somit konnte
eine Ausbeute von 20 bis 24°/o erzielt werden.
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Beispiel 2 (Vergleichsversuch) Eingesetzte Droge: Matricaria chamomilla
Herkunft: Deutschland Extraktionsmittel : Äthanol/Ammoniak/Wasser (Vorschrift des
Österreichischen Arzneibuches) 1 kg Droge wurden nach dem Perkolationsverfahren
des Österreichischen Arzneibuches im Verhältnis 1 Teil Droge zu 5 Teilen Extraktionsmittel
extrahiert und anschließend der Nachlauf unter vermindertem Druck eingeengt. Der
Extrakt enthielt größere Mengen Azulen neben sehr wenig Proazulen.
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Azulengehaltsbestimmung 1 g des obigen Extraktes wurden über 3 Stunden
wasserdampfdestilliert (Apparatur nach Prof. U n g e r) und das in Xylol aufgefangene
Destillat spektrophotometrisch bei 610 mop bestimmt. Bei mehreren Versuchen wurden
18,0 bis 21,0mag0/, Azulen/Droge erhalten. Die Droge enthielt insgesamt 37,0mag0/,
Azulen/Droge. Somit konnte eine Ausbeute von 49 bis 57 °/0 erzielt werden.
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Beispiel 3 (Erfindungsgemäßes Verfahren) Eingesetzte Droge: Matricaria
chamomilla Herkunft: Deutschland Extraktionsmittel: Ölsäuredecylester
1 kg Droge
wurde zusammen mit 5 kg Extraktionsmittel in einer Kugelmühle bei einer Drehzahl
von etwa n sks (wobei für D der lichte Durchmesser des Mahlzylinders in m einzusetzen
ist) während 6 Stunden der extrahierenden Naßmahlung unterworfen. Anschließend entfernte
man das extrahierte Pflanzenmaterial mittels einer Drogenpresse oder einer Zentrifuge.
Der Extrakt enthielt fast ausschließlich Proazulen.
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Azulengehaltsbesti mmung 5 g des obigen Extraktes wurden über 3 Stunden
wasserdampfdestilliert (Apparatur nach Prof. U n g e r) und das in Xylol aufgefangene
Destillat spektrophotometrisch bei 610 m bestimmt. Es wurden zwischen 27,5 und 31,0mag0/,
Azulen/Droge isoliert. In der Droge waren insgesamt 37,0 mg 0/o Azulen/Droge enthalten.
Somit ergab sich eine Ausbeute von 74 bis 840/o.