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Die Erfindung betrifft die Therapie des Myokardinfarkts mit einem neuen Wirkstoff.
Der vorgeschlagene Wirkstoff besitzt Glukosaminoglykan-spaltende Aktivität und ist
vor allem durch bevorzugten Abbau von Hyaluronsäure charakterisiert. Zu den
Glukosaminoglykanen gehören neben der Hyaluronsäure Chondroitinsulfat,
Dermatansulfat und Heparansulfat. Diese kommen im Gewebe aller Vertebraten vor.
Hyaluronsäure ist besonders in der interzellulären Matrix der Haut und des
Knorpelgewebes sowie in Körperflüssigkeiten, wie Kammerwasser der Augen und
Gelenkflüssigkeit vorhanden. Zusammen mit den anderen Glukosaminoglykanen ist
Hyaluronsäure Bestandteil der Wände von Blutgefäßen, insbesondere auch
atheromatöser Ablagerungen bzw. Plaques auf Arterieninnenwänden. Hyaluronsäure hat die
Eigenschaft, Wasser unter Bildung viskoser, hydrokolloider Lösungen zu binden oder
mit basischen Proteinen schwerlösliche Polyelektrolytkomplexe zu bilden. Sie besteht
aus Glukuronsäure und azetyliertem Glukosamin, die durch β-(1-3)-glycosidische
Bindungen verbunden sind. Diese Disaccharideinheiten sind wiederum miteinander
durch glycosidische β-(1-4)-Bindungen verbunden. Hyaluronsäure wird durch
Hyaluronidasen gespalten.
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Der Begriff Hyaluronidasen beschreibt nicht korrekt drei unterschiedlich wirkende
Typen hyaluronsäurespaltender Enzyme (Ludowieg J: The mechanisms of
hyaluronidases. J Biol Chem 236, S. 333-339, 1961). Es sind einmal die Endohydrolasen, die
die β-(1-4)-Bindungen hydrolytisch spalten. Zu ihnen gehören die Mehrzahl der
Hyaluronidasen aus höheren Organismen, beispielsweise die Hyaluronidase aus
Rinderhoden. Diese Hyaluronat-Glycanhydrolasen (Hyaluronoglucosaminidasen/E.C.
3.2.1.35) spalten neben den Bindungen der Hyaluronsäure in einem begrenzten Maße
auch andere Glukosaminoglykane. Einen weiteren Typ stellt die
Endo-β-Hyaluronoglucuronidase (E.C. 3.2.1.36) aus dem Blutegel dar, welche die β-(1-3)-Bindung
hochspezifisch spaltet. Der dritte Enzymtyp, die Hyaluronatlyase (E.C. 4.2.2.1.), spaltet
Hyaluronsäure in der β-(1-4)-Bindung nach einem Eliminierungsmechanismus unter
Bildung einer Doppelbindung in (4-5)-Stellung an der Glukuronsäure.
Hyaluronatlyasen sind häufig mikrobieller Herkunft. Sie werden beispielsweise in Streptomyceten
und in anderen Bakterien gefunden. Ihr gemeinsames Merkmal ist ihre hohe Spezifität
gegenüber Hyaluronsäure. Andere Glukosaminoglykane werden in der Regel in einem
vernachlässigbaren Ausmaß gespalten (Ozegowski JH, Günther E, Reichardt W:
Purification and characterization of hyaluronidase from Streptococcus agalactiae. Zbl
Bakt 280, S. 497-506, 1994/Ohya, T. and Kaneko, Y.: Novel hyaluronidase from
Malke H: The Streptococcus agalactiae hylB gene encoding hyaluronate -
completion of the sequence and expression analysis. Biochim Biophys Acta 1398 (1),
S. 86-98, 1998).
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Allgemein ist bekannt, dass Applikation von Hyaluronidasen tierischer Herkunft,
speziell der bovinen testikulären Hyaluronidase, den Schaden reduzieren, der durch
einen Herzinfarkt entsteht (Repa I, Garnic JD, Hollenberg NK: Myocardial infarction
treated with two lymphagogues, calcium dobesilate (CLS 2210) and hyaluronidase - a
coded, placebo-controlled animal study. J Cardiovasc Pharmacol 16, S. 286-291, 1990).
Rinderhodenhyaluronidase hat einen förderlichen Effekt auf den kollateralen Blutfluß
in das ischämische Gewebe (Askenazi J, Hillis LD, Diaz PE et al.: The effects of
hyaluronidase on coronary blood flow following coronary artery occlusion in the dog.
Circ Res 40, S. 566-571, 1977/Premaratne S, Watanabe BI, LaPenna WF, et al.:
Effects of hyaluronidase on reducing myocardial infarct size in a baboon model of
ischemia-reperfusion injury. J Surg Res 58, S. 205-210, 1995).
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Es wird vermutet, dass eine Behandlung mit Hyaluronidase tierischer Herkunft die
postischämische Genesung der Herzfunktion durch eine Vergrößerung des Herz-
Lymph-Volumens verbessert (Yotsumoto G, Moriyama Y, Yamaoka A et al.:
Experimental study of cardiac lymph dynamics and edema formation in
ischemia/reperfusion injury-with reference to the effect of hyaluronidase. Angiology
49, S. 299-305, 1998).
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Durch die Fähigkeit, Wasser zu binden, trägt die interstitielle Akkumulation von
Hyaluronsäure zum interstitiellen Ödem im infarzierten Herzmuskelgewebe bei.
Interstitielle Ödeme beeinflussen wahrscheinlich elektromechanische Charakteristiken
des Myokards, ermöglichen aufgrund des Kontaktverlustes zwischen Muskelzellen
Reentry-Phänomene und führen so zu Tachykardien bis hin zum Kammerflimmern.
Desweiteren verursachen Ödeme erhöhten extrazellulären Druck und stören die
Mikrozirkulation des Myokards durch eine veränderte Herzwand-Compliance. Durch
Abbau der Hyaluronsäure begrenzt bovine testikuläre Hyaluronidase den zellulären
Schaden während der myokardialen Ischämie (Waldenstrom A, Martinussen HJ,
Gerdin B et al.: Accumulation of hyaluronan and tissue edema in experimental
myocardial infarction. J Clin Invest 88, S. 1622-1628, 1991).
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Presselt (WO 00/39290) schlägt die Behandlung atheromatöser Gefäßkrankheiten von
Mensch und Tier mit Hyaluronatlyase mikrobieller Herkunft vor. Injektionspräparate
für intravenöse und intraarterielle Applikationen werden für die Behandlung der
Ursache von Herzrhythmusstörungen, Atherosklerose, zerebralen Infarkten, zerebralen
Thrombosen, Koronarthrombosen und kardialen Infarkten als Folge atheromatöser
Plaquebildung eingesetzt. Das Enzym wirkt der Entstehung atheromatöser Plaques
entgegen bzw. löst diese bei längerer Anwendung auf. Gemäß diesem Schutzrecht kann
mit Hyaluronatlyase der auslösenden Ursache des Herzinfarktes, der athermatösen
Plaquebildung, die eine Vorbedingung für den nachfolgenden akuten Verschluß des
Gefäßes durch einen Blutthrombus ist, entgegengewirkt werden. Der Herzinfarkt wird
hierbei als normale Gefäßkrankheit interpretiert, deren Behandlung als Therapie der
atherosklerotischer Veränderungen bzw. Plaquebildung zu verstehen ist. Diese
Darstellung wird jedoch der komplexen Pathophysiologie eines Herzinfarktes und
dessen lebensbedrohlicher Folgen bei weitem nicht gerecht. Ausgelöst durch Plaque-
bzw. nachfolgender Thrombusbildung entstehen nach dem Gefäßverschluß sehr schnell
Myokardläsionen und -nekrosen, die aus einer Unterbrechung oder einer kritischen
Verminderung der Sauerstoffzufuhr im Herzmuskel resultieren und weitgehend
irreversiblen Charakter haben. Der irreversible Zustand tritt insbesondere dann verstärkt
auf, wenn der Gefäßverschluß nicht innerhalb weniger Stunden durch therapeutische
Maßnahmen wie der Injektion von antithrombisch wirkende Mitteln aufgehoben wird.
Die weitgehend irreversible Folgesymptomatik sind neben irreversiblen
Herzmuskelnekrosen später dann Narbenbildung verbunden mit Funktionsverlust des Herzmuskels
sowie in ungünstigen Fällen der Eintritt des Todes. Wegen der akuten
Lebensbedrohung ist deshalb eine spezifische, insbesondere eine sehr schnell wirkende
Therapie gegen die Folgesymptomatik notwendig. Durch eine spezifische Therapie
sollte das Ausmaß der Schädigung begrenzt bzw. der Schaden zumindestens teilweise
reversibel gestaltet werden. Der relativ langsam wirkende Plaque-Abbau bei
auftretender Folgesymptomatik entsprechend der von Presselt (WO 00/39290)
vorgeschlagenen Anwendung von Hyaluronatlyase ist hierfür bei weitem nicht
ausreichend.
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Gottlieb (US 3,708,575) schlägt vor, Gefäßkrankheiten des Menschen wie
Herzarrhythmien, Thrembosen, kardiale und zerebrale Infarkte mit Hyaluronidase aus
Tierhoden (Molmasse 120.000 D) in hohen Dosierungen von 20.000 bis 1.000.000 IU pro
Injektion zu behandeln. Eine isotonische sterile Lösung mit beispielsweise 10.000 IU/ml wird intravenös, intraarteriell oder intrathekal injiziert. Das Enzym wurde aus
Rinderhoden gewonnen. Irrtümlicherweise wird die bovine testikuläre Hyaluronidase
im Patenttitel als Glucuronoglycosaminoglycan-Hyaluronatlyase geführt, obwohl aus
der Erfindungsbeschreibung und der zitierten Literatur eindeutig hervorgeht, dass es
sich um ein Enzym aus Rinderhoden handelt. Eine Hyaluronidase mit der
Spaltungsspezifität einer Lyase ist jedoch in Tierhoden nicht nachweisbar. Eine dem Enzym
zugeschriebene Esteraseaktivität deutet ebenfalls auf eine Hyaluronidase und nicht auf
eine Hyaluronatlyase hin. Auch bezieht sich die angewendete Methode zur Messung
der spezifischen Aktivität auf eine Vorschrift zur Bestimmung von Hyaluronidasen.
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Der Einsatz testikulärer Hyaluronidasen ist aus Gründen der relativ geringen und bei
mehrfacher Verwendung sehr schnell nachlassenden Wirkung sowie aufgrund der
zunehmenden Gefahr der Übertragung von infektiösem Material eingeschränkt.
Darüber hinaus erfordert die Reinigung der Hyaluronidasen aus Gewebemazeraten mit
einem naturgemäß hohen Anteil an Fremdproteinen und lipoiden Verbindungen einen
hohen Reinigungsaufwand, sodass hochaktive Präparate nicht herstellbar sind. Es gibt
außerdem Hinweise, dass die relativ geringe Wirkung der Hyaluronidase aus
Rindertestes auf die ausgeprägte Inhibition des Enzyms durch sulfatierte
Glukosaminoglykane wie Heparin oder heparinähnliche Glukosaminoglykane, die in der
extrazellulären Matrix von Säugern vorhanden sind, zurückzuführen ist.
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Die Erfindung hatte zum Ziel, ein Mittel für die Therapie akuter ischämischer Episoden
des Herzmuskels zu finden, welches dafür besser geeignet ist als bovine testikuläre
Hyaluronidasen, für deren Gabe mehr als 9 Stunden nach den ersten Symptomen eines
Herzinfarktes kein signifikanter Nutzen nachgewiesen werden konnte (MILIS Study
Group: Hyaluronidase therapy for acute myocardial infarction - results of a
randomized, blinded, multicenter trial. Am J Cardiol 57, S. 1236-1243, 1986).
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Der Erfindung liegt deshalb die Aufgabe zu Grunde, einen Wirkstoff für die Therapie
der Herzmuskelischämie aufzufinden bzw. die lebensbedrohlichen Folgen des Infarktes
mit einem schnell einsetzenden Heilerfolg zu therapieren. Er soll die angeführten
Nachteile der testikulären Hyaluronidase bzw. von Hyaluronidasen tierischer Herkunft
nicht oder lediglich in geringerem Maß aufweisen. Es soll bei Verwendung des
Wirkstoffs auf Grund seiner nicht-tierischen Herkunft keine Gefährdung durch
eventuelle Infektionen entstehen.
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Erfindungsgemäß wurde festgestellt, dass mikrobielle Hyaluronatlyasen bzw. ihre
Fragmente, die nach ihrem Spaltmechanismus als Lyasen der
Enzymklassifikationsnummer E.C. 4.2.2.1 zugerechnet werden, insbesondere die durch den
Mikroorganismus der Gattung Streptococcus, insbesondere der serologischen Gruppen
B bzw. C, bevorzugt der Arten Streptococcus agalactiae und besonders aus
Streptococcus equisimilis bei Fermentation in die Kulturflüssigkeit exkretierte
Hyaluronatlyasen oder durch einen transgenen Mikroorganismus gebildeten Hyaluronatlyase,
unter anderem zu einer intensiven und schnellen Reduktion des postischämischen
Schadens am Myokard führen.
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Der enzymatische Wirkstoff spaltet, anders als testikuläre Hyaluronidasen bzw. andere
Hyaluronidasen tierischer Herkunft, Hyaluronsäure nach einem
Eliminierungsmechanismus unter Bildung von ungesättigten Spaltprodukten. Im Gegensatz dazu
spalten Hyaluronidasen tierischer Herkunft (E.C. 3.2.1.35/36) die Hyaluronsäure
hydrolytisch bei Anlagerung von Wasser unter Bildung gesättigter Spaltprodukte. Die
Hyaluronatlyasen unterscheiden sich von tierischen Hyaluronidasen weiterhin durch
die Aminosäuresequenzen sowie die Isoelektrischen Punkte (IP).
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Demgemäß betrifft die Erfindung die Verwendung mikrobieller Hyaluronatlyase und
der aus ihr hergestellten aktiven Fragmente zur schnellen Behandlung von
postinfarktioneller Myokarditis und Myokardischämie. Bevorzugt werden die
mikrobielle Hyaluronatlyase und die aus ihr hergestellten aktiven Fragmente für die
Kardioprotektion unter und nach invasiven, chirurgischen bzw. diagnostischen
Eingriffen am Herzen, z. B. Bypass-Operationen, Implantationen von
Klappenprothesen, Schrittmacherversorgungen oder Koronarangiographien, zur Vermeidung
von Reperfusionssyndromen sowie bei pectanginösen Beschwerden und akuten
Myokardinfarkten appliziert.
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Das schnelle Eintreten der Wirkung wird durch die Anwendung von Aktivitäten bis zu
1.000.000 IU/kg Körpergewicht (KG) erreicht. Die Applizierung derartig hoher
Aktivitäten wurde bisher nicht vorgeschlagen, u. a. auch deshalb, weil so hohe
Enzymaktivitäten nicht in wirtschaftlicher Weise herstellbar waren. Insofern ist die
beobachtete Wirkung überraschend. Die Applizierung der wirkstoffhaltigen
galenischen Formulierung in hohen Dosen erfolgt erfindungsgemäß durch intravenöse
Injektion oder über einen Herzkatheter. Die Verwendung der mikrobiellen
Hyaluronatlyasen in den vorgeschlagenen hohen Dosen zeigt keine negativen Auswirkungen auf
den Gesundheitszustand von Versuchstieren.
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Die Hyaluronalyase-Aktivität für die prophylaktische Nutzung liegt zwischen 100 IU/kg
Körpergewicht (KG) und 1.000.000 IU/kg KG, bevorzugt 1000 IU/kg KG bis
500.000 IU/kg KG. Die Verwendung dieser relativ hohen Aktivitäten pro Dosis führt
zu der schnellen Neutralisierung der lebensbedrohlichen Folgen des Myokardinfarktes.
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Vorteilhaft an dem vorgeschlagenen Wirkstoff ist, dass er in den für die Anwendung
notwendigen hohen Aktivitäten als entscheidende Voraussetzungen für eine wirksame
Therapie, auf einfachem Weg herstellbar ist.
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Es hat sich somit gezeigt, dass mikrobielle Hyaluronatlyasen, die eine bisher nicht zur
Behandlung der lebensbedrohlichen Folgen von Herzinfarkten eingesetzte
Enzymgruppe darstellen, in der vorgeschlagenen hohen Dosierung eine schnelle
kardioprotektive Wirkung entfalten, indem sie die schädigende Wirkung der Ischämie auf die
myokardialen Zellmembranen verringern. Kammerflimmern bzw. andere tachykarde
Herzrhythmusstörungen, die regelhaft vor allem in den ersten Stunden des Infarktes als
Ausdruck der elektrischen Instabilität auftreten und wesentlich für die hohe
Sterblichkeit verantwortlich sind, werden verhindert sowie Herzmuskelnekrosen und
Narbenbildung reduziert.
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Die beobachteten kardioprotektiven Effekte der Hyaluronatlyase sind in der Literatur
bisher nicht beschrieben worden. In den bisher publizierten Studien wurden allerdings
auch keine bakteriellen Hyaluronatlyasen, sondern Hyaluronidasen tierischer Herkunft,
vorallem Rinderhodenhyaluronidasen, verwendet. Dieser überraschende Vorteil der
mikrobiellen Hyaluronatlyase gegenüber testikulärer Hyaluronidase ist über eine
Erhöhung des Herzlymphvolumens nicht hinreichend zu begründen und nur
multifaktoriell erklärbar. Die Kardioprotektion durch Hyaluronatlyase ist unabhängig von
antiatherogenen oder antiatheromatösen Effekten des Enzyms und auch in Abwesenheit
atherosklerotischer Gefäßveränderungen nachweisbar. Der herausragenden
kardioprotektiven Wirkung der Hyaluronatlyase liegt ein neuer, bisher unbekannter
Wirkmechanismus zugrunde.
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Die bei Myokardinfarkt auftretenden interstitiellen Ödeme steigern den extrazellulären
Druck und stören die Mikrozirkulation des Herzmuskels. Die parallel freigesetzten
Enzyme akkumulieren in der Herzlymphe. Deren Volumen nimmt infolge des
Infarktereignisses graduell zu. Dagegen ist im ischämischen Gewebe, bevor
myokardiale Nekrosen entstehen können, eine Reduktion der Lymph-Füllung zu beobachten.
Dieser Mechanismus des Lymphverschlusses bzw. -kollapses spielt offenbar eine
wesentliche Rolle in der Pathophysiologie des Herzinfarktes. Reduzierte
Lymphdrainage verursacht die lokale Akkumulation von potentiell toxischen Produkten, die zu
einer lokalen Schädigung beitragen können.
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Im Gegensatz zur Aktivität der testikulären Hyaluronidase wird die Aktivität von
Hyaluronatlyase aus Streptococcus equisimilis durch sulfatierte Glukosaminoglykane,
wie beispielsweise der sulfatierten Hyaluronsäure oder Heparin, kaum inhibiert. Diese
ebenfalls überraschende Eigenschaft der Hyaluronatlyasen ist für die Behandlung von
Herzinfarkten von Vorteil, da keine Gewebe-Inaktivatoren auf der Basis sulfatierter
Glukosaminoglykane die Hyaluronatlyase-Aktivität inhibieren und somit die Wirkung
des Enzyms unterdrücken könnten.
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Die mikrobiellen Hyaluronatlyasen werden für ihre erfinderische Verwendung in Form
von galenischen Formulierungen eingesetzt. Sie enthalten als Injektionspräparat
beispielsweise eine isotonische wässrige Lösung einer hochgereinigten mikrobiellen
Hyaluronatlyase mit Konzentrationen bis zu 2.000.000 IU/ml und in
Injektionspräparaten übliche Hilfsstoffe. Das Enzymprotein der Hyaluronatlyase wird vorteilhaft
in Form eines lagerstabilen Feststoffes, der in der Regel stabilisierende Zusätze enthält,
beispielsweise in Glasampullen abgefüllt, eingesetzt. Besonders vorteilhaft ist der
Einsatz von gefriergetrocknetem Wirkstoff. Als stabilisierende Zusätze können
beispielsweise Natriumchlorid, Glukose, Magnesiumsalze, Polyvinylpyrrolidin,
Aminosäure, Albumine und deren Hydrolysate oder Gelatine und deren Hydrolysate
eingesetzt werden. Vor der Applizierung wird der Feststoff in physiologischer
Kochsalzlösung zu einer isotonischen Injektionsformulierung gelöst.
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Die Enzymaktivtät einer Ampulle liegt nach Auffüllen mit physiologischer
Kochsalzlösung zwischen 1000 und 2.000.000 IU/ml. Für den Einsatz eines Katheters
werden enzymhaltige Lösungen angewendet, die 50 IU/ml bis 1.000.000 IU/ml
Hyaluronatlyase enthalten und eine ähnliche Zusammensetzung wie die Injektionslösungen
aufweisen.
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Die Herstellung der in der Injektions- bzw. Katheterformulierung eingesetzten
mikrobiellen Hyaluronatlyasen kann beispielsweise hinsichtlich Reihenfolge und Auswahl
der Reinigungsschritte in einer den Schutzumfang der Erfindung nicht einschränkenden
Weise wie folgt durchgeführt werden.
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Ohne damit die Erfindung auf die Hyaluronatlyase oder ihres Fragmentes auf einen
bestimmten Mikroorganismus festzulegen, wird die Erfindung am Beispiel des Enzyms
aus dem allgemein zugänglichen Streptococcus agalactiae erläutert. Die gebildete
Hyaluronatlyase besitzt einen Isoelektrischen Punkt von etwa IP = 8,6 sowie eine
Molmasse von etwa 116.000 D und wirkt als Endoglycanase. Durch nachfolgend
aufgeführte Reinigungsverfahren wird die Hyaluronatlyase als ein hochgereinigtes
Enzym für Injektionszwecke gewonnen oder die gereinigte Hyaluronatlyase mit einer
spezifisch wirkenden Protease zu einem Fragment umgesetzt. Als spezifisch wirkende
Protease kann, ohne die Erfindung einzuschränken, beispielsweise die saure
Metalloprotease MO/2 (DD 270924) eingesetzt werden, die aus dem Mikroorganismus
Streptomyces hygroscopicus AP40 gewonnen werden kann. Diese Protease besitzt eine
Molmasse von etwa 14 kD und einen Isoelektrischen Punkt zwischen IP = 3,85 bis 4,0.
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Die Herstellung der hochreinen Hyaluronatlyase und des hochgereinigtes Fragments in
einer für die Behandlung geeigneten Form kann beispielhaft in Bezug auf die
Reihenfolge als auch die Auswahl der Reinigungsschritte in einer nicht den Schutzumfang der
Erfindung einschränkenden Weise wie nachfolgend durchgeführt werden.
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Die Fermentation des Mikroorganismus, z. B. eines der oben genannten, erfolgt in
einem gerührten Fermenter unter pH-Konstanthaltung bei einer Azidität von pH 6,5 bis
7,5. Die während der Fermentation gebildete Milchsäure wird durch Zugabe von
verdünnter Natronlauge neutralisiert. Das Medium besteht aus anorganischen Salzen,
Hefehydrolysat, wahlweise Kaseinpepton oder Sojapepton sowie Glukose. Nach etwa
20-stündiger Fermentation werden die Zellen separiert. Die Zellmasse wird durch
Mikrofiltration durch Filtermodule mit einer Porenweite von beispielsweise 0,45 µm
abgetrennt und verworfen.
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Das Kulturfiltrat wird in einem Ultrafiltrationsgerät konzentriert und gereinigt. Die
Ausschlussgrenze (cut off) des Ultrafilter-Moduls liegt bei 80.000 D. Es entsteht eine
vorgereinigte Enzymlösung, die an sich bekannten Reinigungsmethoden unterworfen
wird.
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Das Kulturfiltrat wird in einem Ultrafiltrationsgerät konzentriert und gereinigt. Die
Ausschlußgrenze des Ultrafilter-Moduls liegt zwischen 30 bis 50 kD. Es entsteht eine
vorgereinigte Enzymlösung, die weiteren Reinigungsschritten unterworfen werden
muss, bevor sie als Injektionspräparat verwendet werden kann. Durch die
Reinigungsschritte und Verwendung pyrogenfreier Hilfsstoffe wird Pyrogenfreiheit des
Injektionspräparats erreicht.
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Nach Erhöhung der Ionenstärke durch Zugabe von Ammoniumsulfat bis zu einer
Sättigung von 40% wird das Enzym an Phenylsepharose adsorbiert. Anschließend
erfolgt die Desorption mit einer neutralen gepufferten wässrigen Lösung, die 25%
Ammoniumsulfat, bezogen auf 100% Sättigung, enthält. Die Lösung wird nach einem
Dialyseschritt zur Entfernung von Verunreinigungen mit Q-Sepharose (Pharmacia)
versetzt. Anschließend erfolgt eine spezifische Adsorption an einen Farbstoff, z. B.
Aminophenyloxaminsäure.
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Die Endreinigung kann zusammen mit der Bestimmung des Molekulargewichts in
Form einer Molekulargewichtschromatografie an Superdex (Pharmacia) bestehen.
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Bei Verwendung von Streptococcus equisimilis als Enzymbildner entfällt der
Reinigungsschritt durch Adsorption an den Farbstoff. Dieses Enzym wirkt als
Exoglycanase, sein Isoelektrischer Punkt liegt zwischen IP = 4,5 und IP = 4,8 und es wird in
einem geringeren Maß als das Enzym aus Streptococcus agalactiae durch sulfatierte
Glykosaminoglykane gehemmt.
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Erfindungsgemäß wird das enzymatisch aktive Fragment durch Teilverdauung bzw.
proteolytischen Teilabbau des Holoenzyms mit einer spaltspezifisch wirkenden
Protease, welche die Peptidbindung bevorzugt an der C-terminalen Seite der aromatischen
Aminosäuren spaltet, hergestellt. Die Teilverdauung des Holoenzyms zu dem Fragment
erfolgt mit immobilisierter oder auch mit nicht-immobilisierter spezifischer Protease.
Vorteilhaft ist an der Umsetzung mit immobilisierter Protease, dass die Verdauung
gezielt und ohne Kontamination durch die Protease selbst durchgeführt werden kann.
Im Fall der direkten Umsetzung mit zugesetzter Protease muß nach der Verdauung ein
Inaktivierungsschritt der Protease, die Abtrennung des Proteaseproteins und eine
Hochreinigung erfolgen. Das hochgereinigte Enzym oder das Enzymfragment zeigen
nach Immunisierung im Kaninchen nur eine spezifische Präzipitation. Mit
monoklonalen Antikörpern werden alle nachweisbaren Banden im Blot angefärbt.
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Das Holoenzym besitzt eine spezifische Aktivität von etwa 400.000 IU/mg und die
spezifische Aktivität des Fragmentes liegt etwa zwischen 400.000 und 800.000 IU/mg.
Zur Stabilisierung werden dem Enzym bzw. Fragment mindestens einer der
Stabilisatoren, beispielsweise Albumin, bevorzugt Ovalbumin, und anorganische Salze
zugesetzt.
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Ohne die Erfindung dadurch einzuschränken, soll beispielhaft ein Weg zur Gewinnung
des enyzmatische aktiven Fragmentes beschrieben werden. Erfindungsgemäß werden
Proteasen zur Verdauung eingesetzt, welche die C-terminale Peptidbindung von
aromatischen Aminosäuren spalten. In einem bevorzugten Ausführungsbeispiel wird
die Metalloprotease MO/2 eingesetzt, die aus dem Kulturfiltrat von Streptomyces
hygroscopicus (strain AP 40) hergestellt wird. MO/2 ist ein Metalloenzym mit Co++ im
aktiven Zentrum (DD 270 924). Die Proteasen werden bevorzugt in gereinigter Form
eingesetzt. Die Reinigung der Protease MO/2 erfolgt beispielsweise durch
Chromatografie an Phenylsepharose, DEAE-Sepharose, Q-Sepharose and Sephacryl S100 mit
einem Anreicherungsfaktor von 20. Die spezifische Aktivität liegt bei
0,25 Kunitz Units/mg (U/mg), das Reaktionsmaximum bei einer Azidität von pH = 4,2
und das Reaktionstemperaturmaximum bei 65°C. Das Molekulargewicht des Enzyms,
bestimmt durch SDS Gelelektrophorese und Molekulargewichtschromatografie an
Sephadex G50 superfine beträgt 14.000 bis 15.000 D. Die Protease MO/2 ist eine
Endopeptidase mit einem Isoelektrischen Punkt bei IP = 3,85 und einem bei IP = 3,92.
Das Enzym hydrolysiert natürliche Polypeptide wie Kasein, Hämoglobin, Bovinserum,
Albumin und Ovalbumin.
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Vorteilhaft an der Verwendung der Protease MO/2 ist, dass das Enzym Proteine sehr
spezifisch spaltet bzw. eine sehr geringe allgemeine Verdauungsaktivität gegenüber
Proteinen besitzt. Das Enzym spaltet fast ausschließlich nur die Peptidbindungen des
C-terminalen Restes von den aromatischen Aminosäuren. Es besitzt eine esterolytische
Aktivität gegenüber N-Benzoyl-L-proline-nitroanilid und ausgeprägte milchfällende
Eigenschaften. Die Eigenschaften der Milchfällung, die an der Bildung eines
langzeitstabilen Kaseingels nachweisbar ist, vergleichbar mit dem Gel, welches bei der
Milchfällung mit dem sehr spezifisch wirkenden Labenzym auftritt, sind als weiterer
Hinweis auf die begrenzte, für die Erfindung sehr vorteilhafte Aktivität der Protease
MO/2 zu werten, die Bindungen des Holoenzyms spezifisch zu spalten, ohne zu einem
Abbau der Fragmente zu führen.
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In einer weiteren Ausführung der Erfindung wird die Protease MO/2 an geeignete
unlösliche Immobilisierungssupporte gebunden und in dieser Form zur Spaltung des
Holoenzyms eingesetzt. Vorteilhaft an dieser Vorgehensweise ist, dass auf diese Weise
der Übergang gelöster Protease in die Lösungen der Fragmente verhindert wird.
Beispiel 1
Wirkung bakterieller Hyaluronatlyase auf das Langendorff-Herz bei Applikation vor
und nach einer künstlich induzierten globalen Ischämie
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Männliche Weiße Neuseelandkaninchen wurden durch zervikale Dislokation betäubt,
durch Thorakotomie das Herz entnommen und mit der Aorta an einem
Perfusionsapparat befestigt. Die Perfusion erfolgte retrograd nach der Langendorff-Methodemit
modifiziertem Krebs-Henseleit-Puffer (pH 7,4) bei konstanter Temperatur (37°C),
konstantem Druck (60 mmHg) und ständiger Carbogen-Begasung. Die
Zusammensetzung der basalen Perfusionslösung war: NaCl 118 mmol/l, KCl 4,7 mmol/l, CaCl2
2,5 mmol/l, NaHPO4 1,2 mmol/l, NaHCO3 24,9 mmol/l, MgSO4 1,6 mmol/l, Glukose
5,5 mmol/l, Na-Pyruvat 2,0 mmol/l und Na2EDTA 0,5 mmol/l.
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Die verwendete Hyaluronatlyaselösung wurde wie folgt hergestellt: Eine Ampulle
Hyaluronatlyase entsprechend 200.000 IU wurde in eiskaltem destillierten Wasser (1 ml)
und Perfusionslösung (4 ml) gelöst und sofort in 1995 ml temperierte und begaste
Perfusionslösung gegeben, so dass die Konzentration 100 IU/ml betrug. Mit dieser
Lösung wurde das Herz entweder vor oder nach der globalen Ischämie perfundiert.
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Nach der Entnahme der Herzen wurden diese in die Perfusionsapparatur eingespannt
und für 15 min mit basaler Perfusionslösung bis zum Erreichen stabiler
Aktionspotentiale perfundiert. In zwei Vorversuchen, die zur Festlegung der Zeitdauer der
globalen Ischämie beim Kaninchenherz dienen sollten, wurde für 10 min bzw. 12 min
eine globale Ischämie durch das Abklemmen der zuströmenden Perfusionslösung ("no
flow"-Bedingungen) induziert. Danach wurde erneut mit Perfusionslösung perfundiert.
Da in beiden Vorversuchen keine klaren Herzrhythmusstörungen nach Reperfusion im
Beobachtungszeitraum auftraten, wurde für die eigentlichen Versuche V1-V3 eine 15-
minütige Dauer der globalen Ischämie festgelegt.
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Es wurden folgende Versuchsansätze durchgeführt:
Versuch 1 (V1):
Kontrollbedingungen mit Puffer 15 min
Ischämie 15 min
Reperfusion mit Puffer 85 min
Versuch 2 (V2):
Kontrollbedingungen mit Puffer 15 min
100 IU/ml Hyaluronatlyase im Puffer 15 min
Ischämie 15 min
Reperfusion mit Puffer 85 min
Versuch 3 (V3):
Kontrollbedingungen mit Puffer 15 min
Ischämie 15 min
Reperfusion mit 100 IU/ml Hyaluronatlyase im Puffer 85 min
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Das in jedem Versuch anfallende Eluat wurde zu definierten Zeitpunkten gesammelt
und die Laktatdehydrogenase(LDH)-Aktivität bestimmt. Die LDH-Aktivität ist ein
Maß für eine Herzschädigung aufgrund von Permeabilitäts- und Integritätsänderungen
der kardialen Zellmembranen (LDH-Aktivität ist proportional zum Ausmaß der
Herzschädigung).
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Die in V1 gegebenen Bedingungen resultierten in einem irreversiblen
Kammerflimmern ab der 30 Minute der Reperfusion. In V2 und V3 wurde bis zur 85. Minute
kein Kammerflimmern beobachtet. Dabei war die protektive Wirkung der
Hyaluronatlyase effektiver bei der Perfusion nach Ischämie (V3) mit einem perfekten
Sinusrhythmus vergleichbar zu der Situation vor Ischämie. Zudem trat in der
Reperfusionsphase in V3 im Gegensatz zu V2 eine Verlängerung der Aktionspotentialdauer während
der gesamten Beobachtungszeit auf. Dies war in erster Linie auf eine verlängerte
Depolarisation zurückzuführen und spricht für eine unmittelbare Beteiligung von
Kalzium- und Kaliumkanälen.
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Die gemessene LDH-Aktivität war bei den beiden Versuchen mit Hyaluronatlyase (V2
und V3) um den Faktor 20 geringer im Vergleich zum Versuch V1. Dies läßt auf eine
erheblich geringere Herzschädigung durch Ischämie schließen.
Beispiel 2
In vivo-Wirkung intravenös applizierter bakterieller Hyaluronatlyase auf die Größe des
Herzinfarktes bei anästhesierten Hunden
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6 männliche Mischlingshunde (Gewicht 8,5 bis 11,5 kg) wurden mit 30 mg/kg KG
Pentobarbital i. v. anästhesiert und zwecks künstlicher Beatmung intubiert. Eine linke
Thorakotomie wurde im 5. Intercostalraum durchgeführt und das Herz freigelegt.
Durch Ligatur der linken, vorderen, absteigenden Koronararterie wurde ein akuter
Herzinfarkt induziert.
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30 Minuten nach der Ligation wurden bei 3 Hunden eine Stunde kontinuierlich 500 IU/kg KG
Hyaluronatlyase in 100 ml physiologischer Kochsalzlösung über die
Femoralvene infundiert. Zur Kontrolle erhielten die anderen drei Hunde über den
gleichen Zeitraum 100 ml physiologischer Kochsalzlösung ohne Zusatz von
Hyaluronatlyase.
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8 Stunden nach der Ligation wurden die Hunde getötet, die Herzen isoliert, gewogen
und von der Spitze zur Basis in 1 cm dicke Scheiben geschnitten. Diese wurden dann
zur Abgrenzung des infarzierten vom gesunden Myokard mit gepuffertem Nitroblue-
Tetrazolium gefärbt. Das Gewicht des Infarktgewebes wurde entsprechend der
planimetrischen Methode nach Roberts et al. bestimmt (Roberts AJ, Jacobstein JG,
Cipriano PR, Alonso DR, Combes JR, Gay WA: Effectiveness of dipyridamole in
reducing the size of experimental myocardial infarction. Circulation 61, S. 228-236,
1980).
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Körpergewicht und mittleres Gewicht der isolierten Herzen der Kontrolltiere
unterschieden sich nicht signifikant von den Meßwerten der mit Hyaluronatlyase
behandelten Hunde. Das mittlere Gewicht des infarzierten Myokards betrug in der
Kontrollgruppe 11,2 ± 1,8 g. Hyaluronatlyase reduzierte das Infarktgewebe signifikant
(p < 0,02) auf 3,1 ± 0,4 g. Damit bestätigte sich der kardioprotektive Effekt
mikrobieller Hyaluronatlyase in vivo.