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Baukonstruktionen, Land-, Wasser-, Luft- und Raumfahrzeuge sowie sonstige Maschinen, Anlagen und Geräte, im Folgenden allgemein als Konstruktionen bezeichnet, werden durch dynamische Einwirkungen zu Schwingungen angeregt, die die Gebrauchsfähigkeit, die Dauerhaftigkeit und die Stand- oder Betriebssicherheit beeinträchtigen können. Derartige Schwingungen sind durch geeignete Maßnahmen zu begrenzen. Eine Möglichkeit hierfür sind Vorrichtungen, die die Konstruktion von der Umgebung isolieren oder die zusätzliche, den Schwingungen entgegenwirkende Kräfte in die Konstruktion einleiten und deren Schwingungen somit dämpfen.
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Bei passiven mechanischen Dämpfungsvorrichtungen (Tilger) werden derartige Zusatzkräfte durch das freie Schwingen einer Tilgermasse erzeugt. Die Tilgermasse ist mit der Konstruktion mittels einer Feder oder einer Pendelstange verbunden. Dementsprechend entstehen die dynamischen Rückstellkräfte auf die Tilgermasse entweder aus der elastischen Verformung der Feder oder, im Falle eines Pendels, infolge von Gravitationskräften. Die Dämpfungswirkung eines Tilgers stellt sich nur ein, wenn dieser auf das Schwingungsverhalten der Konstruktion abgestimmt ist. Insbesondere muss die Eigenfrequenz des Tilgers der Frequenz der zu dämpfenden Schwingung, dies ist in der Regel eine der niedrigsten Eigenfrequenzen der Konstruktion, hinreichend nahe sein.
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Feder- und Pendeltilger sind bei einer Vielzahl von Konstruktionen zum Einsatz gekommen (hinsichtlich Anwendungen im Bauwesen, siehe: C. Petersen: Dynamik der Baukonstruktionen. Vieweg + Teubner, Sept. 2014). Zur Schwingungsdämpfung von Hochhäusern und anderen Konstruktionen mit tiefen Eigenfrequenzen sind Pendeltilger gegenüber Federtilgern im Vorteil, da sich die erforderliche Abstimmung auf diese tiefen Eigenfrequenzen leichter bewerkstelligen lässt (P. Irwin, J. Kilpatrick, J. Robinson, A. Frisque: Wind and tall buildings: negatives and positives. Struct. Design Tall Spec. Build. 17, 915–928, 2008).
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Dem Problem der Schwingungsdämpfung ähnlich, aber hiervon verschieden, ist das Problem der Schwingungsisolierung. Werden bei Ersterem zusätzliche Kräfte in die Konstruktion eingeleitet um schwingungsanregende Einwirkungen zu kompensieren, zielt Letzteres darauf ab, schwingungsanregende Einwirkungen, d. h. insbesondere von außen eingeprägte dynamische Verschiebungen, von der Konstruktion fernzuhalten. Zu den sonstigen Anwendungen tritt hier die Schwingungsisolierung empfindlicher Messinstrumente. Das Erfordernis der Abschirmung gegen niederfrequente Umgebungsschwingungen (Baugrundschwingungen) besteht etwa bei Gravitationswellendetektoren. Diese Aufgabe kann vorteilhaft durch niederfrequente pendelartige Aufhängungen geleistet werden (J. Winterflood, G. Losurdo, D. G. Blair: Initial results from a long-period conical pendulum vibration isolator with application for gravitational wave detection, Physics Letters A 263, 9–14, 1999).
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Zusätzlich zu Anwendungen als Schwingungsdämpfer und Schwingungsisolierung sind niederfrequente Pendel für die Auslegung von Seismographen und zur Messung der Gravitationsfeldstärke von Bedeutung.
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Die Eigenfrequenz eines einfachen Pendels ist umgekehrt proportional zur Quadratwurzel der Pendellänge (sofern die Schwingungsamplituden hinreichend klein bleiben). Die Wahl einer großen Pendellänge ist bei Einsatz als Schwingungsdämpfer in einem Hochhaus prinzipiell möglich und die erforderliche kleine Eigenfrequenz somit erreichbar. Bei anderen Konstruktionen und Anwendungen, bei denen kleine Eigenfrequenzen erforderlich sind, steht die für große Pendellängen erforderliche Bauhöhe nicht zur Verfügung. In diesem Fall können Pendelmechanismen eingesetzt werden, bei denen die dynamischen Rückstellkräfte auf die Tilgermasse (Pendelmasse) zwar weiterhin gravitationsbedingt sind, die Pendelmasse (oder Pendelmassen) aber so geführt wird, dass sich das Verhältnis von Trägheitskräften zu Rückstellkräften in geeigneter Weise verändert und somit auch bei kleinen Abmessungen der Vorrichtung kleine Eigenfrequenzen erreichbar sind (P. Irwin, J. Kilpatrick, J. Robinson, A. Frisque: op. cit.).
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Kombiniert man beispielsweise ein einfaches Pendel mit einem umgekehrten Pendel, so lassen sich bei Annäherung beider Pendellängen beliebig kleine Eigenfrequenzen einstellen (J. Liu, L. Ju, D. G. Blair: Vibration isolation performance of an ultra-low frequency folded pendulum resonator. Physics Letters A 228, 243–249, 1997). Ein weiteres Beispiel ist das Scott-Russel-Pendel, bei dem die Pendelmasse mittels einer kinematischen Führung auf einer elliptischen Bahn geführt wird, deren Radius im Bereich des Arbeitspunktes größer ist als die Pendellänge. Der Bahnradius kann durch Wahl der Führungslängen beliebig groß und die gravitationsbedingten Rückstellkräfte und die Eigenfrequenz somit beliebig klein gemacht werden (J. Winterflood, D. G. Blair: A long-period conical pendulum for vibration isolation. Physics Letters A 222, 141–147, 1996).
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Einfache Pendel und die bisher bekannten Pendelmechanismen eignen sich zur Dämpfung horizontaler Schwingungen oder zur Isolierung gegen horizontale Umgebungsschwingungen. Sie eignen sich nicht zur Dämpfung von oder Isolierung gegen vertikale Schwingungen oder Rotationsschwingungen um eine horizontale Achse. Eine weitere Gemeinsamkeit einfacher Pendel und der bisher bekannten Pendelmechanismen ist das Erfordernis der Abstimmung der Pendelfrequenz auf die Frequenz der zu dämpfenden oder zu isolierenden Schwingung. Insbesondere bei Einsatz als Schwingungsdämpfer muss diese Abstimmung sehr genau und, bei Änderung der Systemkonfiguration, wiederholt erfolgen. Das Erfordernis einer genauen Abstimmung besteht gleichermaßen bei Federtilgern.
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Aufgabe der Erfindung ist es, eine Vorrichtung zur Schwingungsdämpfung oder Schwingungsisolierung einer Konstruktion oder zur Auslegung von Seismographen oder zur Messung der Gravitationsfeldstärke zur Verfügung zu stellen, bei der die im Vorabsatz genannten Probleme überwunden und die bestehenden Anforderungen besser als durch bekannte Vorrichtungen erfüllt werden.
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Diese Aufgabe wird gelöst durch die Vorrichtung
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Pendelmechanismus zur Schwingungskontrolle einer Konstruktion mit den Merkmalen der Ansprüche 1 und 9. Vorteilhafte Ausgestaltungen sind Gegenstand der Unteransprüche.
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Die erfindungsgemäße Vorrichtung besteht aus
- • einem äußeren starren Stützrahmen,
- • einer Pendelstange der Länge H, die an ihrem einen Ende am Stützrahmen gelenkig befestigt ist (oberes Gelenk),
- • einem Balken, der am anderen Ende der Pendelstange gelenkig befestigt ist (unteres Gelenk), wobei das untere Gelenk vom oberen Gelenk in der Ruhelage einen horizontalen Abstand e aufweist,
- • zwei Massenkörpern m1 bzw. m2, die in Abständen L1 bzw. L2 vom unteren Gelenk fest mit dem Balken verbunden sind,
- • einer am Stützrahmen befestigten gleitenden oder rollenden Führung des Balkens, die einer vorgegebenen Führungskurve relativ zum Stützrahmen folgt, wobei der zwischen Führung und Gelenk befindliche Balkenabschnitt eine Länge l hat, die kleiner oder größer als L1 oder L2 oder gleich L1 oder L2 ist.
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Bei Einsatz der Vorrichtung als Schwingungsdämpfer ist der Stützrahmen starr mit der Konstruktion verbunden, deren Schwingung es zu dämpfen gilt, oder Teil dieser Konstruktion. Bei Einsatz als Schwingungsisolator oder zur Messung der Gravitationsfeldstärke oder bei Verwendung als Teil eines Seismographen ist der Stützrahmen starr mit einer Unterkonstruktion oder dem Erdboden verbunden. Statt einer Pendelstange kann auch ein Seil oder ein Faden verwendet werden.
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Die Vorrichtung befindet sich in einem Gravitationsfeld. Als vertikale Richtung wird hier die Richtung der Gravitationsbeschleunigung, mit horizontaler Richtung eine dazu orthogonale Richtung bezeichnet. Die Systemachsen der Vorrichtung und die Schwerpunkte der beiden Massen liegen in der durch die vertikale und horizontale Richtungen aufgespannten Ebene.
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Für die erfindungsgemäße Vorrichtung wird hier die Bezeichnung Infrapendel geprägt und verwendet.
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In einer bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung ist der horizontale Abstand e zwischen den beiden Gelenken gleich null, so dass die Pendelstange in Ruhelage vertikal orientiert ist. Außderdem werden die Längen L1 und L2 sowie die Massen m1 und m2 so gewählt, dass der Balken in Ruhelage horizontal orientiert ist. Weiterhin folgt die Führung des Balkens einer bei Ruhelage des Stützrahmens vertikalen Geraden. Die Wirkungsweise des Infrapendels wird im Folgenden anhand dieser bevorzugten Ausgestaltung erläutert. Die Erläuterung gilt im Wesentlichen auch dann, wenn die besonderen Bedingungen dieser bevorzugten Ausgestaltung nicht gegeben sind.
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Der innere Teil der Vorrichtung, bestehend aus Pendelstange, Balken, unterem Gelenk und Massenkörpern, wird im Weiteren als die innere Vorrichtung bezeichnet.
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Die innere Vorrichtung hat einen Freiheitsgrad relativ zum Stützrahmen. Der Balken wird am Stützrahmen geführt. Eine Drehung des Balkens nach rechts oder links aus der Ruhelage heraus geht deshalb mit einer kinematisch erzwungenen Drehung der Pendelstange in Richtung der Führung einher. Dabei hebt sich das untere Gelenk. Um den gleichen Betrag wird der Schwerpunkt der beiden Massenkörper gehoben, dessen Lage identisch mit der Lage des unteren Gelenks ist. Wird nun die innere Vorrichtung aus einer verschobenen Lage losgelassen, so schwingt der Balken um seine horizontale Ruhelage, wogegen die Pendelstange nur zwischen ihrer in Richtung der Führung verdrehten Lage und der vertikalen Ruhelage, aber nicht darüber hinaus, schwingt. Ein Schwingungszyklus des Balkens geht somit einher mit zwei Schwingungszyklen der Pendelstange.
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Die besonderen Eigenschaften der Vorrichtung beruhen auf dem kinematisch erzwungenen Verhältnis zwischen den individuellen Verschiebungswegen der beiden Massenpunkte und der Hebung ihres gemeinsamen Schwerpunktes. Die individuellen Verschiebungswege der Massenpunkte sind näherungsweise proportional zur Balkendrehung – ähnlich wie die Verschiebung der Masse eines einfachen Pendels proportional zur Drehung der Pendelstange ist. Die Hebung des gemeinsamen Schwerpunktes der Massenpunkte dagegen ist näherungsweise proportional zur vierten Potenz der Balkendrehung (U. Starossek: A low-frequency pendulum mechanism. Unveröffentlichtes Manuskript) – anders als die Hebung des Schwerpunktes eines einfachen Pendels, die proportional zum Quadrat der Drehung der Pendelstange ist. Im Falle kleiner Balkendrehungen, d. h. Drehungen deutlich kleiner als eins, ist die Hebung des Schwerpunkts deshalb, im Vergleich zum einfachen Pendel, erheblich kleiner als die individuellen Verschiebungswege der beiden Massenpunkte. Die Hebung des Schwerpunkts geht einher mit einer Veränderung der Lageenergie. Die Bewegungsenergie dagegen ist verknüpft mit den individuellen Verschiebungswegen der Massenpunkte und der Schwingungsfrequenz. Die Forderung nach Konstanz der Gesamtenergie ist deshalb nur bei kleiner Schwingungsfrequenz erfüllbar. Das niederfrequente Eigenschwingungsverhalten der erfindungsgemäßen Vorrichtung ist damit zum Teil erklärt.
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Hinzu tritt eine weitere wichtige Eigenschaft. Während die Bewegungsgleichung der freien Schwingung eines idealen einfachen Pendels für kleine Verschiebungen eine lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung ist, erhält man für die entsprechende Bewegungsgleichung des Infrapendels eine nichtlineare Differentialgleichung zweiter Ordnung (U. Starossek: A low-frequency pendulum mechanism. Unveröffentlichtes Manuskript). Für das Infrapendel in der oben beschriebenen bevorzugten Ausgestaltung ist der die Rückstellkräfte beschreibende Term der Differentialgleichung eine rein kubische Funktion der Verschiebungsvariablen. Im allgemeineren Fall entsprechend Anspruch 1 können weitere Terme hinzutreten (etwa ein linear von der Verschiebungsvariablen abhängiger Term), wobei aber der kubische Term für das Verhalten der Vorrichtung maßgeblich bleiben kann. Hängen nun die Rückstellkräfte allein kubisch von der Verschiebungsvariablen ab, so ergibt sich die Eigenfrequenz als lineare Funktion der Verschiebungsamplitude. Das Infrapendel zeigt damit ein grundsätzlich anderes Verhalten als einfache Pendel und die bisher bekannten Pendelmechanismen, deren Eigenfrequenzen weitgehend unabhängig von der Verschiebungsamplitude sind.
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Aus letzterer Eigenschaft ergeben sich neue technische Möglichkeiten und Vorteile der erfindungsgemäßen Vorrichtung gegenüber dem Stand der Technik. Anders als bei bekannten Federtilgern und Pendeltilgern genügt eine näherungsweise Abstimmung der Eigenfrequenz des Infrapendels auf die Zielfrequenz, d. h. eine Eigenfrequenz der Konstruktion oder die Frequenz einer anregenden Schwingung. Weiterhin macht eine bau- oder betriebsbedingte Änderung der Zielfrequenz mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine Neuabstimmung des Infrapendels erforderlich. Etwaige Diskrepanzen zwischen Eigenfrequenz und Zielfrequenz werden durch selbsttätige Anpassung der Schwingungsamplitude des Infrapendels aufgehoben.
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Ein weiterer Vorteil des Infrapendels gegenüber dem Stand der Technik betrifft die Richtung der Wirksamkeit. Anders als einfache Pendel und die bisher bekannten Pendelmechanismen eignet sich die erfindungsgemäße Vorrichtung auch zur Dämpfung von oder Isolierung gegen Rotationsschwingungen um eine horizontale Achse und vertikale Schwingungen. In der oben beschriebenen bevorzugten Ausgestaltung ist das Infrapendel besonders zur Dämpfung von Rotationsschwingungen, und zur Isolierung gegen Rotationsschwingungen der Umgebung, um eine horizontale Achse geeignet. In Verbindung mit seinem niederfrequenten Eigenschwingungsverhalten ist das Infrapendel damit beispielsweise zur Dämpfung der Torsionsschwingungen weitgespannter Brücken geeignet. Diese Dämpfungsaufgabe kann weder von bisher bekannten Pendeltilgern, da diese keine Torsionsschwingungen dämpfen, noch von Federtilgern, da diese für die hier auftretenden niedrigen Schwingungsfrequenzen ungeeignet sind, zufriedenstellend gelöst werden.
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In einer bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung ist Dämpfung vorhanden. Planmäßige Dämpfung kann insbesondere durch Reibung innerhalb der Führung des Balkens, durch Reibung im unteren Gelenk oder durch ein zwischen Balken und Stützrahmen angeordnetes diskretes Dämpfungselement bereitgestellt werden.
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In einer weiteren bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung ist die Dämpfung einstellbar oder steuerbar. Eine steuerbare Dämpfung kann durch einen elektrischen Aktuator im Bereich der Führung des Balkens oder des unteren Gelenks oder durch ein zwischen Balken und Stützrahmen angeordnetes magnetorheologisches Dämpfungselement bereitgestellt werden.
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In einer weiteren bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung ist die Dämpfung regelbar. Die erfindungsgemäße Vorrichtung wird damit zu einem semi-aktiven Dämpfer oder semi-aktiven Schwingungsisolator. Zur Regelung der Dämpfung weist die Vorrichtung einen Sensor auf, der eine Umgebungsbedingung oder einen Systemzustand erfasst. Es können auch mehrere Sensoren vorhanden sein, die unterschiedliche Umgebungsbedingungen und Systemzustände erfassen. Erfasste Umgebungsbedingungen oder Systemzustände können Verschiebungen, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen der Umgebung, der Konstruktion oder der Vorrichtung sein oder sonstige Bedingungen wie beispielsweise, im Falle der Dämpfung winderregter Brückenschwingungen, eine Windgeschwindigkeit. Zur Regelung der Dämpfung sind weiterhin eine Datenverarbeitungsanlage und ein hierauf betriebener Regelungsalgorithmus vorhanden.
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In einer bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung folgt die Führung des Balkens entlang des Stützrahmens einer wohldefinierten Führungskurve zur Erzielung gewünschter Eigenschaften. Die Führungskurve ist beispielsweise durch die Bedingung definiert, dass die Verschiebungsvariable im Falle der Eigenschwingung einer bestimmten Zeitfunktion folgt oder dass die der Auslegung der Vorrichtung zugrunde gelegte Bewegungsgleichung exakt gültig ist und somit auch für große Verschiebungen gilt. Letztere Maßnahme verhindert unvorhergesehenes und unerwünschtes Verhalten im Falle großer Verschiebungen.
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In einer bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung sind die erfindungsgemäß wirksamen Rückstellkräfte der Vorrichtung nicht oder nicht ausschließlich durch ein Gravitationsfeld bedingt, sondern ausschließlich oder zusätzlich durch eine Beschleunigung des Stützrahmens. Im Falle einer ausschließlich oder zusätzlich vorhandenen konstanten linearen Beschleunigung wirkt die Vorrichtung so wie in einem Gravitationsfeld. Die Vorrichtung lässt sich in gleicher Weise wie zuvor, aber beispielsweise auch zur Messung der Beschleunigung einsetzen.
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In einer weiteren bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung handelt es sich bei der das Gravitationsfeld ersetzenden oder ergänzenden Beschleunigung um eine Zentrifugalbeschleunigung. Die Vorrichtung lässt sich in ähnlicher Weise wie zuvor, also insbesondere zur Schwingungsdämpfung oder Schwingungsisolierung, einsetzen. Horizontale einfache Pendel zur Dämpfung von Rotorschwingungen sind bereits bekannt (C. Shi, R. G. Parker: Highly structured modal properties of centrifugal pendulum vibration absorber systems with multiple absorber groups. 15th Asia Pacific Vibration Conference, Jeju, Korea, 2–6 June, 2013). Die erfindungsgemäße Vorrichtung ist demgegenüber vorteilhaft zur Dämpfung niederfrequenter Rotorschwingungen.
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In einer weiteren bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung ist eine Vielzahl von erfindungsgemäßen Vorrichtungen über die Konstruktion verteilt angeordnet. Insbesondere bei großen Konstruktionen wie z. B. einer Brücke kann dadurch eine wirksame Schwingungskontrolle erreicht werden.
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Die Erfindung wird nachfolgend anhand von in drei Figuren dargestellten Ausführungsbeispielen näher erläutert. Es zeigen:
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1: eine schematische Darstellung des Infrapendels nach der Erfindung (Grundprinzip) in Ruhelage;
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2: eine schematische Darstellung eines weiteren Ausführungsbeispiels der Erfindung in Ruhelage;
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3: eine schematische Darstellung des in 2 gezeigten Ausführungsbeispiels der Erfindung in einer aus der Ruhelage heraus verschobenen Lage.
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Wie 1 zeigt, besteht die erfindungsgemäße Vorrichtung aus einem äußeren starren Stützrahmen 10, einer Pendelstange 20 der Länge H, die an ihrem einen Ende am Stützrahmen 10 mittels eines Gelenks 30 befestigt ist, einem Balken 40, der am anderen Ende der Pendelstange mittels eines Gelenks 50 befestigt ist, wobei das Gelenk 50 vom Gelenk 30 in Ruhelage einen horizontalen Abstand e aufweist, zwei Massenkörpern 60 (m1) bzw. 70 (m2), die in Abständen L1 bzw. L2 vom Gelenk 50 fest mit dem Balken verbunden sind, und einer am Stützrahmen befestigten gleitenden oder rollenden Führung 80 des Balkens 40, die einer vorgegebenen Führungskurve 90 relativ zum Stützrahmen folgt, wobei der zwischen Führung 80 und Gelenk 50 befindliche Balkenabschnitt eine Länge l hat, die kleiner oder größer als L1 oder L2 oder gleich L1 oder L2 sein kann. Statt einer Pendelstange kann auch ein Seil oder ein Faden vorhanden sein.
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Die Vorrichtung befindet sich in einem Gravitationsfeld der Größe g. Der mit g bezeichnete vertikale Pfeil in 1 bis 3 zeigt die Richtung der Gravitation, die im Weiteren als vertikale Richtung bezeichnet wird. Mit horizontaler Richtung wird eine dazu orthogonale Richtung bezeichnet. Die Systemachsen der Vorrichtung und die Schwerpunkte der Massen liegen in der durch die vertikale und horizontale Richtungen aufgespannten Ebene. Ausschließlich Verschiebungen in dieser Ebene werden erfindungsgemäß ermöglicht.
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Der innere Teil der Vorrichtung, bestehend aus Pendelstange 20, Balken 40, Gelenk 50 und Massenkörpern 60 und 70, wird hier als die innere Vorrichtung bezeichnet. Der Stützrahmen 10 vermittelt den Übergang von der inneren Vorrichtung zur Umgebung. Bei Einsatz der Vorrichtung als Schwingungsdämpfer ist der Stützrahmen starr mit der Konstruktion verbunden, deren Schwingung es zu dämpfen gilt, oder Teil dieser Konstruktion. Bei Einsatz als Schwingungsisolator oder zur Messung der Gravitationsfeldstärke oder bei Verwendung als Teil eines Seismographen ist der Stützrahmen auf einer Unterkonstruktion (Fundament, weitere Schwingungsisolatoren) oder dem Erdboden gelagert. In allen Fällen kann der Stützrahmen aus seiner Ruhelage heraus Starrkörperbewegungen unterworfen sein.
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Der Stützrahmen ist in Ruhelage, wenn auch die Konstruktion bzw. die Unterkonstruktion oder der Erdboden in Ruhe ist. Die innere Vorrichtung wird, bei Annahme beliebig kleiner aber vorhandener Dämpfung, ihre Ruhelage zu einem gewissen Zeitpunkt, nachdem der Stützrahmen zur Ruhe gekommen ist, einnehmen.
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Die Größen H, e, m1, m2, L1, L2, l können weitgehend beliebig und unabhängig voneinander festgelegt werden. Je nach Wahl dieser Größen wird die Vorrichtung ein entsprechendes Verhalten aufweisen und eine entsprechende, ebenfalls weitgehend beliebig orientierte statische Gleichgewichtslage (Ruhelage) einnehmen.
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In dem in 2 dargestellten Ausführungsbeispiel liegt der Sonderfall vor, dass die Pendelstange 20 in Ruhelage vertikal orientiert ist und der Balken 40 in Ruhelage horizontal orientiert ist. Dies ist der Fall, wenn der horizontale Abstand e zu null gewählt wird und die Bedingung m1L1 = m2L2 erfüllt ist. In diesem Fall ist die Führung in der Ruhelage kraftfrei. Die Bedingung m1L1 = m2L2 ist insbesondere auch bei symmetrischer Auslegung, d. h. mit m1 = m2 und L2 = L1, erfüllt.
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Wie zeigt, kann die mit dem Stützrahmen verbundene Führung 80 des Balkens 40 einer im Allgemeinen beliebig gewählten Führungskurve 90 folgen. Der Balken ist an dieser Stelle, d. h. in einem Abstand l vom unteren Gelenk 50, gleitend oder rollend in der Führung am Stützrahmen gelagert. Im Falle reibungsfreien Gleitens oder Rollens wirkt die Reaktionskraft zwischen Stützrahmen und Balken orthogonal zur Führungskurve.
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In dem in 2 und 3 dargestellten Ausführungsbeispiel liegt weiterhin der Sonderfall vor, dass die Führungskurve 90 eine Gerade ist, die in der Ruhelage des Stützrahmens vertikal orientiert ist.
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3 zeigt die innere Vorrichtung in einer aus der Ruhelage heraus verschobenen Lage. Die hier eingeführten Symbole haben die folgende Bedeutung: α ist der Winkel der Drehung des Balkens 40 aus seiner Ruhelage; β ist der Winkel der Drehung der Pendelstange 20 aus ihrer Ruhelage nach rechts (d. h., genauer, in Richtung der Führung); x ist die horizontale Verschiebung des Gelenks 50 aus seiner Ruhelage nach rechts; y ist die vertikale Verschiebung des Gelenks 50 aus seiner Ruhelage nach oben (d. h. in Richtung des Gelenks 30); v ist die vertikale Verschiebung des Balkens 50 an der Stelle der Führung 80 aus der Ruhelage nach oben abzüglich y. Für das in 2 und 3 dargestellte Ausführungsbeispiel sind x und y gleichzeitig die entsprechenden Verschiebungen des Schwerpunktes der beiden Massenpunkte aus der Ruhelage.
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Die innere Vorrichtung hat einen kinematischen Freiheitsgrad relativ zum Stützrahmen, der wahlweise mit einer der beiden Verschiebungsvariablen α oder v verknüpft werden kann. Beide können sowohl positive als auch negative Werte annehmen. Die Verschiebungsvariablen β, x und y sind abhängige Variablen. Sie können nur positive Werte annehmen.
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Wird die innere Vorrichtung aus einer verschobenen Lage losgelassen, so schwingt der Balken um seine horizontale Ruhelage, wogegen die Pendelstange nur zwischen ihrer in Richtung der Führung verdrehten Lage und der vertikalen Ruhelage, aber nicht darüber hinaus, schwingt. Ein Schwingungszyklus des Balkens geht also einher mit zwei Schwingungszyklen der Pendelstange.
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Der Stützrahmen wird für die folgenden Erklärungen zunächst als in seiner Ruhelage arretiert angenommen.
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Die Bewegungsgleichung der freien ungedämpften Schwingung der inneren Vorrichtung ist eine nichtlineare Differentialgleichung zweiter Ordnung. Für das in 2 und 3 dargestellte Ausführungsbeispiel unter Beschränkung auf kleine Verschiebungen und mit den idealen Voraussetzungen von Punktmassen m1 und m2 und masseloser starrer Pendelstange und Balken ist diese Gleichung von einfacher Form und lässt sich geschlossen lösen. Insbesondere besteht der die Rückstellkräfte beschreibende Teil der Differentialgleichung aus einem einzigen Term, der rein kubisch von der Verschiebungsvariablen abhängt. Die Lösung ist eine periodische Jacobi-Elliptische-Funktion. Die zugehörige Eigenfrequenz lässt sich formelmäßig angeben und ist im Wesentlichen das Produkt zweier Faktoren: 1) die Eigenfrequenz eines einfachen Pendels der Pendellänge H im Falle kleiner Verschiebungen und 2) das Verhältnis der Verschiebungsamplitude max v zum Abstand der beiden Massenpunkte, wenn m1 = m2 und L2 = L1 = L gewählt wird (U. Starossek: A low-frequency pendulum mechanism. Unveröffentlichtes Manuskript).
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Die Eigenfrequenz des Infrapendels unterscheidet sich von der Eigenfrequenz des einfachen Pendels im Wesentlichen also um den Faktor max vl2L. Dieses Verhältnis ist normalerweise klein, womit die Eigenfrequenz des Infrapendels ebenfalls klein ist.
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Weiterhin zeigt sich, dass die Eigenfrequenz des Infrapendels linear von der Verschiebungsamplitude abhängt.
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Zur weiteren Erläuterung der Ausführungsbeispiele wird im Folgenden eine Anwendung der Vorrichtung als Schwingungsdämpfer beschrieben.
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Die Konstruktion sei beispielsweise eine weitgespannte Hängebrücke und die zu dämpfenden Schwingungen seien Torsionsschwingungen des Brückenträgers. Der Brückenträger einer weitgespannten Hängebrücke weist üblicherweise einen geschlossenen Kastenquerschnitt auf. Die Vorrichtung wird im Bereich der größten auftretenden Torsionsschwingungen innerhalb des Kastenträgers in Querrichtung orientiert eingebaut. Der Stützrahmen 10 wird dabei fest mit dem Kastenträger verbunden oder ist bereits Teil des inneren Aufbaus des Kastenträgers. Torsionsschwingungen des Kastenträgers gehen einher mit identischen Drehschwingungen des Stützrahmens. Die innere Vorrichtung wird hierdurch zu Schwingungen angeregt. Dies bedingt dynamische Reaktionskräfte im Gelenk 30 und in der Führung 80, die auf den Stützrahmen und das Brückendeck zurückwirken. Weitere Untersuchungen zeigen, dass diese Reaktionskräfte geeignet sind, die Torsionsschwingungen der Brücke zu verringern. Diese Wirkung kann durch planmäßiges Bereitstellen von Dämpfung innerhalb der Vorrichtung gesteigert werden.
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In diesem Anwendungsbeispiel ist das Infrapendel anderen bekannten passiven mechanischen Dämpfungsvorrichtungen überlegen. Einfache Pendel und bekannte Pendelmechanismen sind ungeeignet, da sie auf Dreh- oder Torsionsschwingungen nicht ansprechen und diese somit nicht dämpfen. Federtilger sind ungeeignet, da die Frequenzen der zu dämpfenden Schwingungen zu niedrig liegen (etwa 0,1 Hz bis 0,3 Hz), als dass eine sinnvolle Auslegung möglich wäre. Die Tilgermasse oder die Amplituden der Tilgerschwingungen wären zu groß.
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Die Vorteile der erfindungsgemäßen Vorrichtung gegenüber dem Stand der Technik werden folgendermaßen zusammengefasst.
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Anders als bei bekannten Tilgern (passive mechanische Dämpfungsvorrichtungen) genügt eine näherungsweise Abstimmung der Eigenfrequenz des Infrapendels auf die Zielfrequenz. Etwaige Diskrepanzen zwischen Eigenfrequenz und Zielfrequenz werden durch selbsttätige Anpassung der Schwingungsamplitude des Infrapendels aufgehoben. Dies ist besonders dann von Vorteil, wenn die Zielfrequenz nicht genau bekannt oder veränderlich ist.
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Anders als bekannte Pendeltilger eignet sich die erfindungsgemäße Vorrichtung auch zur Dämpfung von oder Isolierung gegen Rotationsschwingungen um eine horizontale Achse und vertikale Schwingungen.
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In Verbindung mit seinem niederfrequenten Eigenschwingungsverhalten eröffnen sich dem Infrapendel damit Anwendungen, die anderen Tilgern verschlossen sind, wie beispielsweise die Dämpfung der Torsionsschwingungen weitgespannter Brücken.