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Es ist bekannt, dass Alpha-Glucosidase-Inhibitoren gegen Retroviren einschließlich HIV gerichtete antivirale Eigenschaften besitzen. In Zellkulturen hat sich der antivirale Effekt dieser Substanzklasse gegen das Visna-Virus zeigen lassen, der sich als Hemmung der durch Visna-Virus induzierten Zellzerstörung äußert. Es ist auch bekannt, dass der antivirale Wirkmechanismus auf die Hemmung von Alpha- und Beta-Glucosidasen des endoplasmatischen Reticulums der Wirtszellen zurückgeht, auf die das Virus für die Herstellung seiner Glycoproteine angewiesen ist. Die Glucosidasehemmung führt zu einer Veränderung des Glykoprotein-Trimmings, wodurch neu gebildete Viruspartikel unter dem Einfluss von Glucosidase-Inhibitoren mit veränderten Glykoproteinen ausgestattet werden. Da die Glykoproteine die Voraussetzung sind, um mit CD 4- und CCR5-Rezeptoren der Lymphozyten, Makrophagen und dendritischen Zellen zu interagieren und diese Zellen zu infizieren, entstehen unter dem Einfluss von Glucosidase-Inhibitoren nicht infektionsfähige Viren.
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Glucosidaseinhibitoren sind aufgrund dieser Wirkungsweise früher für eine systemische antivirale Therapie der HIV-Infektion untersucht worden. Die Behandlung hat im angestrebten Dosisbereich beim Menschen zu schwerer osmotischer Diarrhoe durch die gestörte Kohlenhydratverdauung im Darm geführt, deren Ursache die pharmakologische Wirkung auf die Alpha-Glucosidase des Darms ist. Diese Nebenwirkung ist bei oraler Verabreichung untrennbar mit der antiviralen Wirkung verbunden. Ein Prodrug der Firma Searle – Glycovir – ist für die systemische Anwendung am Menschen entwickelt worden, um die Entstehung einer Diarrhoe zu umgehen. Glycovir zeigte im Tierversuch eine Interferenz mit der Glycoproteinprozessierung in verschiedenen Organen (Khan et al. 2003), was ebenfalls auf die pharmakologische Wirkung zurückzuführen ist. Bei langdauernder Behandlung und unter Berücksichtigung der zentralen Rolle, die Glykoproteine für verschiedenste Körperfunktionen besitzen, kann es hier ebenfalls zu schwerwiegenden Nebenwirkungen kommen. Gerade bei HIV ist es problematisch, das Glykoproteine für dass Immunsystem wichtig sind. Zwar wurden in ersten kurzdauernden Humanstudien keine Effekte dieser Art beschrieben (Smith et al 1993), jedoch sind systemisch wirkende antivirale Glucosidase-Inhibitoren bis heute nicht auf den Markt gekommen.
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Die vorliegende Erfindung betrifft die Verwendung von Glucosidase-Inhibitoren zur Herstellung von Mitteln die lokal auf Haut und Schleimhaut sowie in Wunden beim Menschen eingesetzt werden können, mit dem Ziel, eine retrovirale Infektion wie z. B. eine HIV-Infektion zu verhindern. Da auch Herpesviren, die Wegbereiter einer HIV-Infektion sein können, Glykoproteine in ihrer Hülle tragen, könnte ein zusätzlicher Nutzen der Glucosidase-Inhibitoren darin bestehen, auch die Entstehung infektiöser Herpesviren zu verhindern.
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Glucosidase-Inhibitoren sind lokal gut verträglich, wie sich aus toxikologischen Untersuchungen und der Anwendung nicht-resorbierbarer Vertreter dieser Substanzklasse bei Diabetikern ergibt. Daher können Glucosidase-Inhibitoren in sehr hohen Konzentrationen verwendet werden, die geeignet sind, nicht infektionsfähige Viren entstehen zu lassen, ohne dass es zu lokaler Unverträglichkeit kommt. Es ist nicht zu erwarten, dass Glucosidase-Inhibitoren, die lokal appliziert werden, in den Organismus übergehen und dort wie bei der systemischen Anwendung Nebenwirkungen verursachen.
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Ein Vorteil gegenüber derzeit für die lokale Anwendung entwickelten Formulierung des invisible condom®, welches Tenofovir (Viread), einen reverse Transkriptase-Inhibitor, enthält (Karim et al. 2010), ist, dass Glucosidase-Inhibitoren nicht für die systemische Behandung einer HIV-Infektion verwendet werden. Enthalten lokale Formulierungen Substanzen, die in der systemischen Virustherapie Verwendung finden, besteht erhöhte Gefahr der Resistenzentwicklung. Gegenüber neuen Wirkprinzipien, die als Entry Inhibitors fungieren sollen und nicht für die systemische Therapie vorgesehen sind, ist der Vorteil der Glucosidase-Inhibitoren, dass ihre Effektivität sowie ihr toxisches Potential bereits gut untersucht sind.
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Insbesondere sollten solche Glucosidase-Inhibitoren lokal appliziert werden, die bereits in vitro eine gute antivirale Wirksamkeit gezeigt haben. In dem Patent
0315 017 (Europäische Patentanmeldung vom 25.7.1988) sind folgende Verbindungen genannt, die aufgrund ihrer erwiesenen Wirksamkeit insbesondere verwendet werden können:
Verbindung | IC50 – μg/ml |
1. | 30 |
2. | 100 |
3. | 50 |
4. | 250 |
5. | 50 |
6. | 30 |
7. | 10 |
8. | 10 |
9. | 10 |
10. | 20 |
- 1. N-(2-Butenyl)-1-desoxynojirimycin
- 2. N-(4-(4-Methylphenylthio)-buten-2yl)-1-desoxynojirimycin
- 3. N-Amino-1-desoxynojirimycin
- 4. 2-Hydroxymethyl-3,4,5-trihydroxy-6-butylpiperidine
- 5. N-(Prop-1-en-3yl)-1-desoxynojirimycin
- 6. N-(1-Phenyl-prop-1en-3yl)-1-desoxynojirimycin
- 7. N-Ethyl-1-desoxynojirimycin
- 8. N-Methyl-1-desoxynojirimycin
- 9. N-Butyl-1-desoxynojirimycin
- 10. N-Propyl-1-desoxynojirimycin
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Indikationsgebiete der lokal wirksamen Formulierungen sind die Verhinderung der Übertragung von HIV
- – beim Geschlechtsverkehr
- – kurz nach vermutetem Kontakt mit dem Virus (Postexpositionsprophylaxe).
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Zweck der Formulierung ist die Verhinderung einer lokalen Vermehrung von infektiösem Virus bei Kontamination von Wunden und Körperoberflächen der äußeren Haut und der Schleimhaut in verschiedenen Lokalisationen (Vagina, Darm, Auge, Mund) sowie in Wunden. Aufgrund der Verschiedenheit der lokalen Einsatzgebiete könnte die Formulierung variiert werden. Die Substanz kann z. B. in einem Gel, einem beschichteten Kondom, einem Wundverband oder in einem Flüssigkeitsfilm erfolgen. Für diese Anwendung werden die Glucosidase-Inhibitoren so formuliert, dass sie über eine längere Zeit an der betroffenen Haut – bzw. Schleimhautoberfläche haften. Im Fall von Wunden kann die Substanz in einem Hydrokolloidpflaster oder – verband enthalten sein und von diesem freigesetzt werden. Von Vorteil ist, dass mit einer solchen Formulierung eine spezifische Form der lokalen Postexpositionsprophylaxe (PEP) zur Verfügung steht, die es bisher noch nicht gibt. Bei systemischer PEP können schwere Nebenwirkungen der Präparate nicht ausgeschlossen werden, so dass in Fällen unsicherer Exposition die Abwägung gegenüber den Nachteilen der PEP zu einem Verzicht auf spezifische Maßnahmen führt und lediglich die Eintrittspforte antiseptisch behandelt wird. Mit den untoxischen Glucosidase-Inhibitoren wäre hier eine verbesserte und spezifische lokale Behandlung möglich.
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Es ist bekannt, dass lokal angewendete Formulierungen eines Polymergels mit einem Detergens, wie beim invisible condom® die Infektiosität von HIV-Viren senken. Auch die Infektiosität von Herpesviren wird gesenkt. Beispiele für Polymergele, in denen Glucosidase-Inhibitoren formuliert werden können, sind sulfatierte Polysaccharidgele wie Dextransulfat, Cellulosesulfat und sulfatierte Alginate, Pectine oder Hyaluronsäure. Weitere dickflüssige Formulierungsmittel sind Polyethylenglykol (Macrogol) und Polyvinylpyrrolidon.
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Beispiele für Detergentien (Surfactants), die geeignet sind, weil sie auch in anderen pharmazeutischen Präparaten auf auf Haut und Schleimhaut verwendet werden, sind Natrium-Laurylsulfat, Nonoxynol-9, Octoxinol-9, Natrium-dodecylsulfat, Polyoxyethylen(20)-sorbitan-monolaureat (Tween 20) und Cetyltrimethylammoniumbromid (CTAB).
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Die Glucosidase-Inhibitoren können in einer solchen Formulierung auch mit lokal desinfizierenden Stoffen kombiniert werden. Beispiele hierfür sind Chlorhexidin, Octenidin und Cetylpridiniumchlorid.
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Glucosidase-Inhibitoren können in vaginalen Lokalapplikationen auch mit Substanzen kombiniert werden, die die Schleimhaut so verändern, dass sie für HIV undurchdringlicher werden. Beispiele hierfür sind Östrogen und Steroid-Saponine, die eine Verhornung des Epithels herbeiführen.
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Schießlich können Glucosidase-Inhibitoren auch mit anderen lokal wirksamen antiviralen Substanzen kombiniert werden, zu denen z. B. Reverse-Transcriptase-Inhibitoren, Entry-Inhibitoren und Maturations-Inhibitoren gehören.
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Literatur
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- Karim QA, Salim AK, Frohlich JA et al. (2010): Effectiveness and safety of Tenofovir gel, an antiretroviral microbicide, for the prevention of HIV infection in women. Science Express 2010, Science DOI: 10.1126/science.1193748
- Khan KN, Snook SS, Semler DE, Baron DA, Alden CL (1996): Pathology of perbutylated N-butyl-1-desoxynoijrimycin (an α-glucosidase-inhibitor) in Sprague-Dawley rats. Toxicol Pathol 531–538.
- Lederman MM, Jump R, Pilch-Cooper H-A, Root M, Sieg SF (2008): Topical application of entry inhibitors as ”virustats” to prevent sexual transmission of HIV infection. Retrovirology 5: 116–124.
- Smith S, Piergies A, Smith M, Wallemark C, Karim A, Sherman J (1993): Multiple oral dose safety and pharmacokinetics of SC-49483 (N-butyl deoxynojirimycin. Program Abstr First Natl Conf Hum Retrovor Relat Infect 1st 1993 Wash DC. 1993 Dec 12–16; 160.
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ZITATE ENTHALTEN IN DER BESCHREIBUNG
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Zitierte Patentliteratur
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Zitierte Nicht-Patentliteratur
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- Khan et al. 2003 [0002]
- Smith et al 1993 [0002]
- Karim et al. 2010 [0005]