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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Betreiben einer sandsturmgefährdeten Eisenbahnstrecke sowie ein Zugbeeinflussungssystem, insbesondere ETCS – European Train Control System –, mit gleisseitigen Zugbeeinflussungselementen, insbesondere Balisen.
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Das Verfahren und das Zugbeeinflussungssystem sind darauf gerichtet, sandsturmbedingte Unfälle zu verhindern. Bisher entgleisen häufig Züge in Wüstengebieten, wenn sie mit ihrer fahrplanmäßigen Geschwindigkeit auf einen Schienenbereich fahren, welcher von Wüstensand und Geröll überweht wurde. Derartige Sandverwehungen durch Wüstenstürme entstehen häufig sehr plötzlich. Aufgrund bestimmter Klimabedingungen treten extreme Sandstürme vorzugsweise in relativ genau begrenzbaren Gebieten auf. Die Länge der querenden Eisenbahnstrecken beträgt dabei bis ca. 80 km.
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Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und ein Zugbeeinflussungssystem der gattungsgemäßen Art anzugeben, welche eine sofortige Reaktion auf plötzliche Sandstürme ermöglichen.
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Verfahrensgemäß wird die Aufgabe dadurch gelöst, dass mittels gleisnaher Sandsturmsensoren ermittelte Gefahrenzustände über ein Funksystem, insbesondere GSM-R – Global Positioning System for Mobile Communications at Railways –, und/oder über gleisseitige Zugbeeinflussungselemente, insbesondere Balisen, an Schienenfahrzeuge übermittelt werden.
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Auf diese Weise kann rechtzeitig vor Einfahrt in das Sandsturmgebiet automatisch oder durch den Triebfahrzeugführer eine Herabsetzung der Geschwindigkeit eingeleitet werden. Ein Bremsweg von überwiegend mehreren Kilometern Länge kann dabei berücksichtigt werden. Bei geringer Geschwindigkeit, beispielsweise 30 km/h oder 60 k,/h ist die Entgleisungsgefahr durch versandete Schienen wesentlich geringer als bei einer Geschwindigkeit von beispielsweise 180 km/h. Der Sandsturmsensor in der Nähe des Schienenweges kann sein Sensorsignal oder ein abgeleitetes Warnsignal entweder direkt an das herannahende Schienenfahrzeug übermitteln oder indirekt über eine Auswerteeinrichtung in einer Überwachungszentrale. Über ein GSM-R-Funksystem kann beispielsweise eine entsprechende SMS-Short Message Service-Nachricht an das Schienenfahrzeug übermittelt werden. Für die Bestromung des Sandsturmsensors sollte in diesem Fall die Stromversorgung einer nahegelegenen GSM-R-Basisstation mitbenutzt werden. Die SMS- oder Sprachkommunikation bietet im Fall der indirekten, über eine Überwachungszentrale vorgesehenen Informationsübertragung zwischen dem Sandsturmsensor und dem Schienenfahrzeug zusätzlich die Möglichkeit, dass auch in die Rückrichtung Informationen übertragen werden können. Beispielsweise kann der Triebfahrzeugführer zusätzlich zu den Sandsturmsensoren Informationen über die aktuelle Sturmlage an die Überwachungszentrale weitergeben.
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Alternativ oder zusätzlich zu dem Funksystem können sensorisch ermittelte Gefahrenzustände auch mittels punktförmiger Zugbeeinflussungselemente, beispielsweise Balisen, an das Schienenfahrzeug übertragen werden. Die Balise wird dabei direkt durch das Sensorsignal des Sandsturmsensors oder bei der indirekten Variante durch die Überwachungszentrale derart angesteuert, dass bei Überfahrt eines Schienenfahrzeugs in Richtung auf den sandsturmgefährdeten Streckenabschnitt ein Datentelegramm mit einer von der Intensität des detektierten Sandsturmes abhängigen Maximalgeschwindigkeit an das Schienenfahrzeug übertragen wird.
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Die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe wird auch mit einem gattungsgemäßen Zugbeeinflussungssystem, insbesondere ETCS, gelöst, bei dem gleisnahe Sandsturmsensoren zur Ansteuerung der Zugbeeinflussungselemente, insbesondere Balisen, vorgesehen sind.
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Es kommt nur darauf an, die Sandsturmsensoren an einem geeigneten Ort, möglichst in der Nähe der Bahnstrecke, zu positionieren und die relevanten Messwerte direkt oder vermittelts einer Überwachungszentrale an das herannahende Schienenfahrzeug zu übertragen. Das Zugbeeinflussungssystem auf der Basis von Sandsturmsensorik arbeitet vorzugsweise vollkommen autark und unabhängig von anderen Systemen für die Zugbeeinflussung und Zugsicherung. Dadurch wird die nachträgliche Ausrüstung bestehender Eisenbahnstrecken mit Sandsturmsensorik wesentlich erleichtert.
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Die Sandsturmsensoren sind gemäß Anspruch 3 zur Erzeugung eines Sensorsignals in Abhängigkeit von der Windgeschwindigkeit und/oder der Windrichtung und/oder der Umgebungstemperatur und/oder der Sandpartikeldichte der Umgebungsluft ausgebildet und mit einer Überwachungszentrale zur Auswertung der Sensorsignale verbunden. Natürlich muss der Sandsturmsensor selbst sandsturmresistent sein und in einer Höhe angebracht sein, beispielsweise ca. 3 m über den Boden, bei der ein für die Gefahrenwarnung von Schienenfahrzeugen verwertbares Sensorsignal erzeugt wird.
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Gemäß Anspruch 4 ist in der Überwachungszentrale mindestens ein Display zur Visualisierung der Sensorsignale und/oder ein Alarmsystem zur visuellen und/oder akustischen Gefahrenwarnung bei Überschreitung vorgegebener Grenzwerte vorgesehen. Das spezielle Display kann dabei nach Art eines Achsen-Heißläufer-Melders designed sein, wobei die Ausdehnung und die Stärke eines Sandsturmes auf einem Gleisbild dargestellt werden. Dabei kann die Hardware anderer Systeme zumindest teilweise mitbenutzt werden. Das Sandsturmdetektionssystem sollte verschiedene manuelle Einflussnahmemöglichkeiten bieten, beispielsweise bezüglich der Alarmgrenzen für Windgeschwindigkeit und/oder Windrichtung und/oder Umgebungstemperatur und/oder Sandpartikeldichte in der Umgebungsluft. Außerdem sollte es möglich sein, aufgrund funkübermittelter aktueller Informationen durch Triebfahrzeugführer eine noch bestehende Gefahrenwarnung zu beenden, zu beginnen oder durch Verschärfung oder Entschärfung zu verändern. Alle manuellen Aktionen und die Sandsturmverläufe sollten gespeichert werden.
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Gemäß Anspruch 5 ist vorgesehen, dass die Auswerteeinrichtung der Überwachungszentrale mit, insbesondere redundant angeordneten, Balisen zur Vorgabe sensorsignalabhängiger Maximalgeschwindigkeiten für die Balisen überfahrende Schienenfahrzeuge verbunden ist. Balisen als Bestandteile von ETCS-Systemen werden häufig gruppenweise angeordnet. Beispielsweise können zwei Festdatenbalisen für Ortungszwecke und zwei mit den Sturminformationen ansteuerbare Balisen eine Balisengruppe bilden, wobei keine Verlinkung der Balisengruppen untereinander vorgesehen ist. Die sensorsignalabhängigen Maximalgeschwindigkeiten können z. B. in 10 km/h-Schritten zwischen 30 km/h und 100 km/h durch Auswahl eines zugeordneten Balisentelegrammes vorgegeben werden. Übliche Balisen enthalten ein Register für 10 oder auch ganz erheblich mehr verschiedene Telegramme. Neben den Geschwindigkeitsvorgaben können in den Balisenregistern auch verschiedene Fehlerzustände gespeichert werden. Dadurch und durch die Redundanz ergibt sich eine hohe Sicherheit und Zuverlässigkeit des Gesamtsystems.
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Bei der Vorgabe der sturmbedingten Maximalgeschwindigkeit können auch Besonderheiten des detektierten Sandsturmes, beispielsweise die Windrichtung, berücksichtigt werden. Bei in beiden Richtungen befahrenen Eisenbahnstrecken können somit einfahrtrichtungsspezifische Geschwindigkeitsvorgaben gelten.
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Vorzugsweise ist gemäß Anspruch 5 vorgesehen, dass die Balise mindestens in Bremswegabstand vor einem sandsturmgefährdeten Streckenabschnitt und in diesem Streckenabschnitt mindestens ein Sandsturmsensor angeordnet sind. Der Bremswegabstand liegt bei Personenzügen, die von ca. 180 km/h auf ca. 30 km/h abgebremst werden sollen, in der Größenordnung von 2 km. Wenn zwei Sandsturmsensoren in den sandsturmgefährdeten Streckenabschnitt angeordnet sind, kann die Geschwindigkeitsreduzierung ggf. auch nur für die Umgebung eines der beiden Sandsturmsensoren gelten. In diesem Fall übermittelt die Balise einen zusätzlichen Parameter, anhand dessen der Triebfahrzeugführer oder ein automatisches System erkennen kann, in welchem Teilbereich des sandsturmgefährdeten Streckenabschnittes tatsächlich Sandsturm herrscht und deshalb die Geschwindigkeit reduziert werden muss.
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Wenn der sandsturmgefährdete Streckenabschnitt jedoch eine sehr große Ausdehnung hat, beispielsweise ab 30 km Länge, ist gemäß Anspruch 7 vorgesehen, dass der sandsturmgefährdete Streckenabschnitt in mehrere durch Balisen begrenzte Unterabschnitte aufgeteilt ist. Durch diese zusätzlichen Balisen mitten im Sturmgebiet kann die Geschwindigkeitsreduzierung stufiger gestaltet werden und auf möglichst kurze Teilstrecken begrenzt werden, so dass die Fahrplanabweichung so gering wie möglich ist. In Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten und von der Sendeleistung der Balise müssen Vorkehrungen getroffen werden, durch die eine Versandung der Balise verhindert wird.
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Zur Informationsübertragung von den Sandsturmsensoren zur Überwachungszentrale und von der Überwachungszentrale zu den Balisen ist gemäß Anspruch 8 ein Glasfaserkabel vorgesehen. Häufig sind Bahnstrecken in Wüstengebieten bereits für andere Zwecke mit Glasfaserkabeln ausgestattet. Als Datenübertragungsprotokoll ist Ethernet weit verbreitet.
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Dabei ist das Glasfaserkabel gemäß Anspruch 9 über Balisenspeisebaugruppen mit den Balisen verbunden, wobei die Balisenspeisebaugruppen ein LEU – Lineside Electronic Unit – zur Auswahl von ETCS-Telegramme für die Balise umfasst. Die Balisenspeisebaugruppe sollte möglichst in der Nähe anderer Energieverbraucher, beispielsweise GSM-R-Basisstationen, angeordnet sein, um deren Stromversorgung mitbenutzen zu können. Allerdings sollte die Balisenspeisebaugruppe nicht mehr als ca. 300 m von der anzusteuernden Balisengruppe entfernt sein. Ein Ethernet-Relais-Ausgang der Balisenspeisebaugruppe ist mit der LEU verbunden, welche die Relais-Ausgänge liest und das zugeordnete ETCS-Telegramm zur Ansteuerung der Balise auswählt.
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Die Erfindung wird nachfolgend anhand figürlicher Darstellungen näher erläutert. Es zeigen:
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1 die wesentlichen Komponenten eines erfindungsgemäßen Zugbeeinflussungssystems,
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2 eine Ausführungsform in Anlehnung an 1,
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3 eine weitere Ausführungsform in Anlehnung an 1 und
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4 wesentliche Komponenten einer Balisenspeisebaugruppe.
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1 zeigt ein auf Sandstürme orientiertes Zugbeeinflussungssystem für einen relativ kurzen sandsturmgefährdeten Streckenabschnitt 1 in einem sandsturmgefährdeten Gebiet 2. Ungefähr in der Mitte dieses Streckenabschnittes 1 ist ein Sandsturmsensor 3 angeordnet, der über ein Glasfaserkabel 4 mit einer Auswerteeinrichtung 5 in einer Überwachungszentrale verbunden ist. Die Auswerteeinrichtung 5 generiert aus dem Sensorsignal ein Ansteuersignal für zwei Balisenspeisebaugruppen 6.1 und 6.2, welches ebenfalls über das Glasfaserkabel 4 übertragen wird. Jede Balisenspeisebaugruppe 6.1 und 6.2 erzeugt ETCS-Telegramme für zwei gleichartige redundante Balisen 7a und 7b. Die Balisen 7a und 7b gehören zu einer Balisengruppe, die außerdem zwei Festdatenbalisen 8a und 8b für Ortungszwecke umfasst.
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Wenn der Sandsturmsensor 3 einen Sandsturm detektiert, wird dieses Sensorsignal über die Auswerteeinrichtung 5 in der Überwachungszentrale und die Balisenspeisebaugruppen 6.1 und 6.2 an die Balisen 7a und 7b weitergeleitet, wodurch diese an ein überfahrendes Schienenfahrzeug ein Datentelegramm übertragen, welches zum Abbremsen auf eine niedrigere Geschwindigkeit auffordert. In dem in 1 veranschaulichten Beispiel wird die Streckengeschwindigkeit von 180 km/h bei Sandsturm einer durch den Sandsturmsensor 3 festgestellten bestimmten Ausprägung auf 30 km/h herabgesetzt. Die Balisen 7a und 7b befinden sich ca. 2 km von der Einfahrt in das sandsturmgefährdete Gebiet 2 entfernt. Dieser Abstand entspricht mindestens dem Bremswegabstand, damit das Schienenfahrzeug mit der maximal zulässigen Geschwindigkeit in das Sandsturmgebiet 2 einfahren kann. Durch die verminderte Geschwindigkeit, die bei dem Ausführungsbeispiel auf einem 3 km langen Streckenabschnitt 1 durch das Sandsturmgebiet 2 gilt, wird die Entgleisungsgefahr infolge versandeter Schienen ganz erheblich reduziert.
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Wenn der Streckenabschnitt 1 in dem sandsturmgefährdeten Gebiet 2 länger als 20 km ist, sind in dem sandsturmgefährdeten Gebiet 2 zwei Sandsturmsensoren 3 angeordnet, wie 2 zeigt. In diesem Fall übertragen die Balisen 7a und 7b zusätzlich die Information, in welchem der beiden den Sandsturmsensoren 3.1 und 3.2 zugeordneten Streckenabschnitte 1.1 und 1.2 ein Sandsturm festgestellt wurde beziehungsweise ob beide Streckenabschnitte 1.1 und 1.2 betroffen sind. Es ist ersichtlich, dass in dem dargestellten Beispiel nur in dem Streckenabschnitt 1.2 eine Geschwindigkeitsreduzierung von 180 km/h auf 60 km/h erforderlich ist.
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Bei einem sehr langen, ein sandsturmgefährdetes Gebiet 2 durchquerenden Streckenabschnitt 1 ist in der Mitte dieses Streckenabschnittes 1 eine weitere Balisenspeisebaugruppe 6.3 mit anzusteuernden Balisen 7a und 7b angeordnet, wie in 3 dargestellt. Diese Balisenspeisebaugruppe 6.3 unterteilt den Streckenabschnitt 1 in Unterabschnitte 1a und 1b. Die mittlere Balisenspeisebaugruppe 6.3 verarbeitet Informationen der beiden Sandsturmsensoren 3.1 und 3.2 in analoger Weise wie die Balisenspeisebaugruppen 6.1 und 6.2 in 2. In dem Beispiel gemäß 3 ist nur in dem dem Sandsturmsensor 3.1 zugeordneten Überwachungsbereich eine Geschwindigkeitsreduzierung erforderlich.
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Den prinzipiellen Aufbau einer Balisenspeisebaugruppe 6.1, 6.2, 6.3 veranschaulicht 4. Das Glasfaserkabel 4 ist an bestimmten Stellen mit Auskoppelmodulen 9 versehen. Als Übertragungsprotokoll wird üblicherweise Ethernet verwendet. Das Auskoppelmodul 9 ist mit einem Ethernet-Relais-Ausgang 10 verbunden. Die verschiedenen Relaisausgänge werden von der Auswerteeinrichtung 5 der Überwachungszentrale und damit letztlich von dem Sensorsignal des Sandsturmsensors 3, 3.1, 3.2 angesteuert. Ein LEU – Lineside Electronic Unit – 11 liest den Ethernet-Relais-Ausgang 10 und erzeugt daraus ETCS-Telegramme zur Ansteuerung der beiden zugeordneten Balisen 7a und 7b. Eine Stromversorgungseinrichtung 12 für das Auskoppelmodul 9 wird von der Balisenspeisebaugruppe 6.1, 6.2, 6.3 mitbenutzt.