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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Herstellen eines gut umformbaren, einen C-Gehalt von 0,1–0,4 Gew.-% aufweisenden Stahlflachprodukts, bei dem das Stahlflachprodukt in einem Durchlaufofen einer Glühbehandlung unterzogen wird.
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Darüber hinaus betrifft die Erfindung ein entsprechend hergestelltes Stahlflachprodukt sowie Verfahren zum Herstellen von Bauteilen aus einem solchen Stahlflachprodukt.
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Stahlflachprodukte der hier in Rede stehenden Art werden insbesondere zur Herstellung von Karosserie- und Fahrwerksteilen für Automobile benötigt. Dabei werden an die Stahlflachprodukte hinsichtlich ihrer Umformeigenschaften höchste Anforderungen gestellt. Dies betrifft sowohl die Kalt- als auch die Warmumformbarkeit.
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Eine besondere Schwierigkeit stellt die Warmumformung von verzinkten Stahlflachprodukten zu hoch- bzw. höchstfesten Stahlbauteilen dar. Bei solchen Stahlbauteilen gewährleistet die in der Regel auf Zink oder einer Zinklegierung basierende Schutzbeschichtung einen ausreichenden kathodischen Korrosionsschutz.
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Muss jedoch ein mit einer metallischen Korrosionsschutzbeschichtung versehenes Stahlblech für die Warmumformung und ein gegebenenfalls anschließend oder in Kombination mit der Warmumformung durchgeführtes Härten auf eine Temperatur erwärmt werden, die oberhalb der Schmelztemperatur des Metalls der Schutzbeschichtung liegt, so besteht die Gefahr der so genannten ”Flüssigmetallversprödung”. Zu dieser Versprödung des Stahls kommt es, wenn schmelzflüssiges Metall des Überzugs in die sich bei der Verformung an der Oberfläche des jeweiligen Stahlflachproduktes bildenden Kerben eindringt. Das in das Stahlsubstrat gelangende flüssige Metall lagert sich dort an den Korngrenzen ab und reduziert so die maximal aufnehmbaren Zug- und Druckspannungen.
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Besonders kritisch erweist sich die Gefahr der Flüssigmetallversprödung bei höher- und hochfesten Stählen, die nur eine begrenzte Duktilität aufweisen und die infolgedessen bei ihrer Umformung zur Bildung von oberflächennahen Rissen neigen.
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Aus der
JP 60-159120 A ist es allgemein bekannt, dass sich die Biegeeigenschaften eines Stahlblechs durch eine Entkohlungsbehandlung verbessern lassen, durch die eine oberflächennahe, 20–100 μm dicke Randschicht mit einem gegenüber dem Kernbereich des Stahlblechs vermindertem C-Gehalt erzeugt wird. Jedoch steht diese Maßnahme bei diesem Stand der Technik weder im Zusammenhang mit Stahlblechen, die mit einer metallischen Schutzschicht überzogen sind, noch betrifft sie höher- oder hochfeste Stähle mit C-Gehalten von mindestens 0,1 Gew.-%.
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Die Entkohlungsneigung einer kohlenstoffhaltigen Stahllegierung ergibt sich aus dem Oxidationsverhalten des gelösten Kohlenstoffs. Auf Grund seiner großen Beweglichkeit neigt der im Gitter gelöste Kohlenstoff bei einer Wärmebehandlung zur Effusion. Die je nach C-Potenzial der Gasphase, unter der die Wärmebehandlung stattfindet, mit oder ohne gleichzeitige Verzunderung auftretende Entkohlung stellt deshalb eines der ältesten Probleme bei der Herstellung und Verarbeitung von Stahl dar.
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Prinzipiell erfolgt eine Entkohlung gemäß den Boudouard-Gleichgewichtsreaktionen gemäß den folgenden Reaktionsprozessen: [C] + 1/2O2 <-> CO [C] + O2 <-> CO2 [C] + CO2 <-> CO2 [C] + H2 <-> CH4 mit [C] = gelöster Kohlenstoff
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In großtechnischen Glühanlagen mit einer typischen Schutzgasatmosphäre, welche sowohl Wasserstoff, Stickstoff als auch Wasserdampf enthält, bildet sich folgende Gleichgewichtsreaktion aus: H2 + 1/2O2 <-> H2O
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Wasserhaltige Gasatmosphären erweisen sich dabei besonders reaktiv gegenüber Kohlenstoff. Deshalb tritt zu den erwähnten Entkohlungsreaktionen noch eine weitere und für die Praxis besonders bedeutsame heterogene Gleichgewichtsreaktion hinzu: [C] + H2O <-> CO + H2
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Gezielt angewandt, können durch eine Entkohlung bestimmte Eigenschaften eines Stahlproduktes verbessert werden.
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Um diese Erkenntnis in der Praxis effektiv nutzen zu können, ist in der
GB 1 189 464 das ”Open-Coil”-Verfahren vorgeschlagen. Bei diesem Verfahren wird ein walzhartes, kaltgewalztes Band so lose zu einem Coil gewickelt, dass zwischen den einzelnen Wickellagen des Coils jeweils ein Freiraum vorhanden ist. Das bei der anschließenden Glühbehandlung in einem Haubenofen durch die Freiräume strömende Glühgas überstreicht dann die gesamte Stahloberfläche gleichmäßig, so dass ein gleichmäßiges Entkohlungsergebnis über die gesamte Länge des behandelten Stahlbands erzielt wird. Die so durchgeführte Glühbehandlung benötigt jedoch mehrere Stunden.
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Ein wirtschaftlicher durchführbares Verfahren zum Entkohlungsglühen von Stahlband in einem Durchlaufofen unter einer reduzierenden Glühatmosphäre ist in der
DE-OS 2 105 218 beschrieben. Gemäß diesem bekannten Verfahren wird das jeweilige Stahlband bei einer Glühtemperatur von weniger als 780°C über eine ausreichend lange Glühdauer so lange geglüht, bis der Kohlenstoffgehalt im Stahlband beim Austritt aus dem Durchlaufofen weniger als 0,01% beträgt. Anschließend kann das Stahlband mit einer Schmelztauchbeschichtung versehen werden, um seine Korrosionsbeständigkeit zu verbessern. Das auf diese Weise erhaltene Stahlblech weist eine besonders gute Verformbarkeit auf. Jedoch entsprechen seine Festigkeitswerte nicht den Anforderungen, die heute regelmäßig an Stahlflachprodukte gestellt werden, aus denen Bauteile für Automobilkarosserien geformt werden sollen.
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Ebenfalls auf das ”Open Coil”-Verfahren ist bei einem aus der
WO 2009/024472 A1 bekannten Vorschlag zurückgegriffen worden, gemäß dem für ein aus einem Werkzeugstahl bestehendes Stahlband, das insbesondere für die Herstellung von Schneidwerkzeugen und desgleichen bestimmt ist und einen C-Gehalt von mindestens 0,4 Gew.-% aufweist, eine Randschichtentkohlung vorgeschlagen worden ist, um eine hohe Härte mit einer guten Verformbarkeit zu kombinieren. Im Bereich der entkohlten Randschicht weist das entsprechend behandelte Stahlband eine gegenüber dem Grundwerkstoff erhöhte Verformbarkeit auf, wodurch die Gefahr eines Sprödbruchs unter hoher äußerer Last verringert ist.
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Im Gegensatz zu den in der
WO 2009/024472 A1 betrachteten Anwendungen ist der Fachmann im Allgemeinen bemüht, bei hoch- und höchstfesten Stählen, die für die Herstellung von hochfesten Bauteilen bestimmt sind, die glühbedingte Entkohlung bzw. Randentkohlung möglichst zu vermeiden. Nach allgemeiner Auffassung beeinflusst die Entkohlung die für diese Anwendungen wichtigen mechanischen Werkstoffeigenschaften negativ.
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Dieser Vorstellung folgend, ist in der
DE 10 2007 061 489 A1 ein Verfahren vorgeschlagen worden, bei dem an einem Stahlblech eine für die Umformung vorteilhafte duktile Randschicht erzeugt wird, indem eine selektive Oxidation der verfestigenden Legierungselemente durchgeführt wird. Dabei wird gezielt jeder Entkohlung entgegengewirkt.
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Vor dem Hintergrund des voranstehend erläuterten Standes der Technik bestand die Aufgabe der Erfindung darin, ein Verfahren anzugeben, das es auf wirtschaftliche Weise erlaubt, ein gut umformbares, hoch- bzw. höchstfestes Stahlflachprodukt zu erzeugen. Darüber hinaus sollte ein für die Warm- oder Kaltumformung besonders geeignetes Stahlflachprodukt und Verfahren zur Herstellung von Bauteilen aus einem solchen Stahlflachprodukt angegeben werden.
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In Bezug auf das Herstellverfahren ist die voranstehend angegebene Aufgabe erfindungsgemäß dadurch gelöst worden, dass bei der Herstellung eines Stahlflachproduktes die in Anspruch 1 angegebenen Arbeitsschritte absolviert werden.
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In Bezug auf das Produkt ist die oben angegebene Aufgabe erfindungsgemäß durch das in Anspruch 9 angegebene Stahlflachprodukt gelöst worden.
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In Bezug auf die Verfahren zur Herstellung eines Bauteils ist die oben genannte Aufgabe schließlich erfindungsgemäß durch die in den Ansprüchen 12 und 14 angegebenen Verfahren gelöst worden.
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Vorteilhafte Ausgestaltungen der Erfindung sind in den von den jeweiligen unabhängigen Ansprüchen abhängigen Ansprüchen angegeben und werden nachfolgend erläutert.
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Das erfindungsgemäße Verfahren zum Herstellen eines gut umformbaren Stahlflachprodukts, das einen C-Gehalt von 0,1–0,4 Gew.-%, insbesondere weniger als 0,4 Gew.-%, aufweist, geht aus von dem Gedanken, das betreffende Stahlflachprodukt in einem Durchlaufofen einer Glühbehandlung zu unterziehen, bei der es zu einer Randschichtentkohlung kommt. Dazu wird die Glühbehandlung erfindungsgemäß unter einer Glühatmosphäre durchgeführt, die 0,1–25 Vol.-% H2, H2O und als Rest N2 sowie technisch bedingt unvermeidbare Verunreinigungen enthält. Der Taupunkt der Glühatmosphäre liegt dabei im Bereich von –20°C und +60°C. Gleichzeitig ist in der Glühatmosphäre das Verhältnis H2O/H2 höchstens gleich 0,957 einzustellen, um eine optimal entkohlende Wirkung zu erreichen.
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Das Stahlflachprodukt wird des Weiteren erfindungsgemäß im Zuge der Glühbehandlung auf eine 600–1100°C betragende Haltetemperatur erwärmt, bei der es für eine 10–360 s dauernde Haltezeit unter der erfindungsgemäß zusammengesetzten Atmosphäre gehalten wird.
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Im Ergebnis weist das nach der erfindungsgemäßen Glühbehandlung erhaltene Stahlflachprodukt eine 10–200 μm dicke, an seine freie Oberfläche angrenzende duktile Randschicht mit einer Duktilität auf, die größer ist als die Duktilität der innenliegenden, von der Randschicht bedeckten Kernschicht des Stahlflachprodukts.
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Entgegen der im Stand der Technik bestehenden Überzeugung gelingt es mit der Erfindung, die gewünschte Eigenschaftskombination aus hoher Festigkeit und guter Verformbarkeit bei einem Stahlblech, das 0,1–0,38 Gew.-%, Kohlenstoff enthält, durch eine Glühbehandlung einzustellen, welche zu einer Randentkohlung des Stahlwerkstoffs führt. Diese Randentkohlung bewirkt eine Duktilisierung des oberflächennahen Gefügebereichs, welche dem andernfalls umformbedingten Rissversagen des Werkstoffs entgegenwirkt.
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Die Erfindung basiert somit auf dem Gedanken, eine Randentkohlung von walzharten, für die Kalt- oder Warmumformung vorgesehenen Stahlflachprodukten, d. h. Stahlbändern oder -blechen, so durchzuführen, dass das nach der Glühbehandlung erhaltene Flachprodukt einen duktilen, typischerweise ferritischen, oberflächennahen Randbereich bestimmter Dicke auf den ersten Kornlagen aufweist, welcher die Umformeigenschaften des Stahlprodukts sowohl für die Kalt- als auch für die Warmumformung verbessert. Insbesondere ist die Gefahr einer Riss- oder Kerbbildung an der Oberfläche des Stahlprodukts bei dessen Umformung minimiert.
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Für das erfindungsgemäße Verfahren wesentlich ist dabei, dass die Randentkohlung des oberflächennahen Gefüges zwar zeitgleich zu einer Glühkonditionierung der Stahloberfläche für einen nachfolgenden Auftrag einer Korrosionsschutzschicht ablaufen kann, jedoch einen entkoppelten Reaktionsmechanismus besitzt.
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So erfolgt die Randentkohlung des oberflächennahen Gefügebereichs nach folgendem Zusammenhang: [C] + H2O <-> CO + H2 mit [C] = gelöster Kohlenstoff,
wogegen die Oxidations-/Reduktionsreaktion der Oberfläche wie folgt abläuft: x[Me] + yH2O <-> [MexOy] + yH2 mit [Me] = jeweiliges Metall
x, y = stöchiometrische Koeffizienten.
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Überraschenderweise gelingt es bei Anwendung der erfindungsgemäß vorgegebenen Glühbedingungen, die gewünschte Entkohlungstiefe auch bei sehr kurzen Konditionierungszeiten zu erzielen. So zeichnet sich das erfindungsgemäße Verfahren insbesondere dadurch aus, dass es auf besonders wirtschaftliche Weise unter Verwendung eines Durchlaufofens durchgeführt werden kann. Dies ermöglicht es, das erfindungsgemäße Verfahren in kontinuierlich ablaufende Herstellungsprozesse einzubinden, die hohe Bandgeschwindigkeiten voraussetzen, wie es beispielsweise in Feuerbeschichtungsanlagen der Fall ist, in denen im kontinuierlichen Durchlauf Stahlbänder wärmebehandelt und mit einem Korrosionsschutzüberzug schmelztauchbeschichtet werden.
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Dementsprechend sieht eine besonders vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung vor, dass das Stahlflachprodukt nach der Glühbehandlung mit einer metallischen Schutzschicht beschichtet wird. Die Erfindung macht sich insbesondere bei dieser Variante des erfindungsgemäßen Verfahrens die Erkenntnis zu Nutze, dass sich die Gefahr einer Flüssigmetallversprödung dadurch minimieren lässt, dass durch eine gezielte Modifikation des oberflächennahen Bereiches des Stahlflachproduktes der für die Flüssigmetallversprödung anfällige Temperaturbereich so verschoben werden kann, dass dieser sich nicht mit dem für die Warmumformung typischen Temperaturintervall deckt.
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Im Fall, dass das erfindungsgemäße Herstellverfahren einer nachfolgenden Schmelztauchbeschichtung vorgelagert ist, erfolgt die erfindungsgemäß durchgeführte Glühbehandlung zeitgleich zur Oberflächenkonditionierung für die nachgeschaltete Oberflächenveredelung durch Kontrolle der oberflächennahen Kohlenstoffeffusion über eine heterogene Glühgas-Metall-Reaktion.
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Dabei ist es besonders vorteilhaft, das erfindungsgemäße Verfahren in einer Feuerbeschichtungsanlage anzuwenden, da die Glühbehandlung in diesem Fall die Randentkohlung, Oberflächenkonditionierung und Rekristallisation des Grundwerkstoffs umfassen kann und anschließend die Schmelztauchbeschichtung in einem kontinuierlichen Verfahrensablauf in-line auf die Glühbehandlung folgend durchgeführt werden kann.
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Im Zuge der bevorzugt durch Schmelztauchbeschichten durchgeführten Oberflächenveredelung eines erfindungsgemäß erzeugten Stahlflachproduktes können auf dem Stahlsubstrat an sich bekannte Überzugssysteme aufgebracht werden, die auf Zn, Al, Zn-Al, Zn-Mg, Zn-Ni, Al-Mg, Al-Si oder Zn-Al-Mg basieren.
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Alternativ oder ergänzend zur in-line erfolgenden Schmelztauchveredelung kann ein Stahlband, welches in erfindungsgemäßer Weise in einer Durchlaufglühe mit einer duktilen entkohlten Randschicht versehen wurde, nachträglich einen metallischen, einen metallisch-anorganischen oder einen metallisch-organischen Überzug erhalten, indem es elektrolytisch z. B. mit einem Zn-, einem ZnNi- oder einem ZnFe-Überzug, per PVD- oder CVD-Abscheidung oder mittels eines anderen metall-organischen oder metall-anorganischen Überzugsverfahrens beschichtet wird.
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Gemäß einer für die Praxis besonders wichtigen Verfahrensvariante sieht die Erfindung somit vor, dass das Stahlflachprodukt in einem kontinuierlich auf die Glühbehandlung folgend durchgeführten Arbeitsschritt schmelztauchbeschichtet wird. Dabei kann die Schmelztauchbeschichtung in an sich bekannter Weise als Feuerbeschichtung, insbesondere Feuerverzinkung, durchgeführt werden. Um dabei eine optimale Haftung der Beschichtung auf dem Stahlsubstrat zu sichern, kann vor der Feuerbeschichtung eine Oxidation der Oberfläche des Stahlflachprodukts durchgeführt werden.
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Um die mechanischen Eigenschaften weiter zu optimieren, kann sich an die erfindungsgemäße Glühbehandlung eine in konventioneller Weise durchgeführte Überalterungsbehandlung anschließen.
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Dem voranstehend Erläutertem entsprechend weist ein Stahlflachprodukt, das durch Anwendung eines erfindungsgemäßen Verfahrens hergestellt ist, einen C-Gehalt von 0,1–0,4 Gew.-% und eine 10–200 μm dicke duktile Randschicht auf, die eine gegenüber der Kernschicht des Stahlflachprodukts erhöhte Duktilität besitzt.
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Die Dicke der duktilen Schicht lässt sich in üblicher Weise gemäß der in der DIN EN ISO 3887 festgelegten Vorgehensweise bestimmen. Demnach ist die Gesamtentkohlungstiefe der Abstand von der Oberfläche bis zu dem Punkt, an dem der Gehalt an Kohlenstoff dem des unbeeinflussten Kernbereichs entspricht. Auf diese Weise stellt sich im oberflächennahen Bereich eine Härte im entkohlten Randschichtbereich ein, die nicht höher ist als 75% der Härte des Kernbereichs, d. h. Hv(entkohlt)/Hv(Kernbereich) = 3/4.
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Die duktile Randschicht eines erfindungsgemäßen Stahlflachproduktes zeichnet sich mindestens nahe seiner freien Oberfläche typischerweise durch ein ferritisches Gefüge aus. Dies gilt für einen mehrphasigen Grundwerkstoff, bei dem sich im Bereich der erfindungsgemäß entkohlten Randschicht ein ferritisches oberflächennahes Gefüge einstellt, genauso wie für einen einphasigen, typischerweise ferritischen Stahl, bei dem die erfindungsgemäße Entkohlung in einer Duktilisierung des oberflächennahen Ferrits resultiert.
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Ein erfindungsgemäß erzeugtes Stahlflachprodukt eignet sich in gleicher Weise zur Kalt- und Warmformgebung, wobei sich seine besonderen Vorzüge insbesondere bei der Warmumformung von mit einer metallischen Schutzschicht, insbesondere einer Verzinkung, versehenen Stahlblechen oder -bändern zeigen. Die erfindungsgemäß für die Kaltumformung vorgesehenen Stähle weisen typischerweise eine Zugfestigkeit von 500–1500 MPa auf. Für die Warmumformung lassen sich erfindungsgemäß Stähle einsetzen, die nach der Warmumformung eine Zugfestigkeit von 900–200 MPa besitzen.
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Im Fall, dass ein erfindungsgemäßes Stahlflachprodukt durch Warmumformung zu einem Bauteil geformt werden soll, kann das erfindungsgemäße Stahlflachprodukt gemäß der Erfindung zunächst auf eine oberhalb seiner Ac1-Temperatur liegende Erwärmungstemperatur erwärmt und dann zu dem Bauteil warmumgeformt werden.
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Soll sich der Warmumformung beispielsweise eine Härtung anschließen, kann das erfindungsgemäße Stahlflachprodukt problemlos auch auf eine Erwärmungstemperatur erwärmt werden, die mindestens gleich der Ac3-Temperatur des Stahlflachprodukts ist. Selbst bei einer so hohen Erwärmungstemperatur ist bei einem erfindungsgemäß erzeugten Stahlflachprodukt auch dann die Gefahr einer Versprödung minimiert, wenn das Stahlflachprodukt mit einer metallischen Beschichtung versehen ist, deren Schmelztemperatur kleiner oder gleich der Erwärmungstemperatur ist. Die durch die erfindungsgemäße Randschichtentkohlung erzielte Duktilität der Randschicht verhindert eine Rissbildung und stellt so sicher, dass kein geschmolzenes Metall der Beschichtung in den Kernbereich des Stahlsubstrats eindringen kann.
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Das erfindungsgemäße Verfahren verbessert somit insbesondere die Umformeigenschaften von oberflächenveredelten hoch-/höchstfesten Stahlflachprodukten sowohl für die Kalt- als auch für die Warmumformung, wobei erfindungsgemäße, mit einem metallischen Schutzüberzug beschichtete Stahlflachprodukte sich besonders vorteilhaft für die Warmumformung eignen. Dies wird dadurch erreicht, dass erfindungsgemäß durch eine gezielte Glühgas-Metall-Reaktion in einem Durchlaufofen eine Randentkohlung induziert wird, durch die sich eine duktile, typischerweise ferritische Randschicht bildet. Diese schirmt den festen, spröden Stahl-Grundwerkstoff gegen einen von der Oberfläche ausgehenden Rissfortschritt während der Umformung ab.
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Nachfolgend wird die Erfindung anhand von Ausführungsbeispielen näher erläutert. Es zeigen:
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1 einen senkrechten Anschliff einer erfindungsgemäß randschichtentkohlten Stahlprobe;
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2 einen senkrechten Anschliff einer konventionell geglühten Vergleichsprobe;
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3 GDOES-Tiefenprofile des Kohlenstoffgehaltes der in den 1 und 2 dargestellten Proben;
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4 die Ergebnisse von Drei-Punkt-Biegeversuchen mit den in 1 und 2 dargestellten Proben.
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Zur Überprüfung der durch das erfindungsgemäße Verfahren erzielten Effekte sind jeweils walzharte Kaltbandproben eines Mehrphasenstahls ”MP” sowie eines üblicherweise für die Warmumformung eingesetzten Stahls ”WU” erzeugt worden. Die Zusammensetzungen der Stähle MP und WU sind in Tabelle 1 angegeben.
Stahl | C | Mn | P | Si | V | Al | Cr | Ti | B | Nb |
[Gew-%] |
MP | 0,22 | 1,7 | 0,02 | 0,1 | 0,00 | 1,7 | 0,06 | 0,1 | 0,00 | 0,001 |
WU | 0,22 | 1,22 | 0,01 | 0,25 | 0,00 | 0,02 | 0,13 | 0,03 | 0,00 | 0,003 |
Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen Tabelle 1
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Zwei aus den Stählen MP und WU gefertigte Proben sind in einem Durchlaufofen für eine Randschichtentkohlung einer erfindungsgemäßen Glühbehandlung unterzogen worden. Die dabei angewendeten Glühparameter sind in der Spalte ”Erfindungsgemäß” der nachfolgenden Tabelle 2 angegeben.
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Zum Vergleich sind zwei weitere aus den Stählen MP und WU gefertigte Proben in dem Durchlaufofen einer konventionellen Glühung unterzogen worden, wie sie üblicherweise zur Vorbereitung einer Schmelztauchverzinkung durchgeführt wird.
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Um die mechanischen Eigenschaften der Proben zu optimieren, ist zusätzlich eine Überalterungsbehandlung durchgeführt worden. Diese hat keinen Einfluss auf die Ausbildung der entkohlten Randschicht, sondern erfolgte lediglich optional zur Verbesserung der Eigenschaften des Bandes.
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Die bei der Überalterungsbehandlung angewendeten, für beide Versuche gleichen Parameter sind ebenfalls in Tabelle 2 angegeben.
Arbeitsschritt | Erfindungsgemäß | Konventionell |
Glühbehandlung |
Aufheizrate | 10 K/s | 10 K/s |
Haltetemperatur | 800°C | 800°C |
Haltezeit | 120 s | 60 s |
Glühatmosphäre Taupunkt | 5% H2
95% N2
+5°C | 5% H2
95% N2
–30°C |
Abkühlrate nach dem Halten | 20 K/s | 20 K/s |
Überalterungsbehandlung |
Temperatur der Überalterungsbehandlung | 480°C | 480°C |
Dauer der Überalterungsbehandlung | 20 s | 20 s |
Atmosphäre der Überalterungsbehandlung Taupunkt | 5% H2
95% N2
+5°C | 5% H2
95% N2
–30°C |
Abkühlung auf Raumtemperatur |
Tabelle 2
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In 1 ist das Schliffbild der aus dem Stahl MP erzeugten und erfindungsgemäß glühbehandelten Probe dargestellt. Es ist deutlich zu erkennen, dass sich in Folge der erfindungsgemäßen Vorgehensweise ein entkohlter oberflächennaher Gefügebereich (Randschicht ”R”) eingestellt hat.
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Das Schliffbild der ebenfalls aus dem Stahl MP erzeugten, jedoch einer konventionellen Glühbehandlung unterzogenen Probe zeigt dagegen keinen entkohlten Bereich (2).
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An den erfindungsgemäß und konventionell glühbehandelten, aus dem Stahl MP erzeugten Proben sind zusätzlich GDOES-Messungen des Kohlenstoffgehaltes durchgeführt worden. Bei dem GDOES-Messverfahren (”GDOES” = Glow Discharge Optical Emission Spectrometre) handelt es sich um ein Standartverfahren zum schnellen Erfassen eines Konzentrationsprofils von Beschichtungen. Es ist beispielsweise im VDI-Lexikon Werkstofftechnik, hrsg. von Hubert Gräfen, VDI-Verlag GmbH, Düsseldorf 1993 beschrieben.
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Das Ergebnis der GDOES-Messungen ist in 3 zusammengefasst, wobei die gestrichelte Linie die Kohlenstoffverteilung der konventionell behandelten Probe und die durchgezogene Linie die Kohlenstoffverteilung der erfindungsgemäß behandelten Probe wiedergibt.
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Auch 3 zeigt deutlich, dass die erfindungsgemäß behandelte Probe eine ausgeprägte entkohlte Randschicht R aufweist, deren Dicke ca. 40 μm beträgt. Dagegen liegt eine solche Randschicht bei der konventionell behandelten Probe nicht vor.
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Anhand von Mikrohärte-Messungen konnte nachgewiesen werden, dass der bei der aus dem Stahl MP erzeugten, erfindungsgemäß wärmebehandelten Probe entkohlte Randbereich R eine Mikrohärte von 163 HV und der nicht entkohlte Kernbereich K eine Härte von 255 HV aufweist. Das %-Verhältnis HvR/HvK aus Härte HvR des entkohlten Randbereichs R zu Härte HvK des Kernbereichs K betrug somit 64% und lag damit deutlich unter dem erfindungsgemäß für dieses Verhältnis vorgegebenen Wert von 75%.
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Im Anschluss an die Glühung erfolgte eine Oberflächenveredelung der Proben, bei der Zink elektrolytisch auf die Proben aufgebracht worden ist.
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Anschließend ist ein Drei-Punkt-Biegeversuch an den beschichteten Proben sowohl vor als auch nach einer Presshärtung durchgeführt worden. Die Ergebnisse der Versuche sind für die aus dem Stahl MP gefertigten Proben in 4 zusammengefasst. Der Biegewinkel Bw der erfindungsgemäß erzeugten Probe ist darin durch den schwarzen und der Biegewinkel Bw der konventionell erzeugten Probe durch den weißen Balken symbolisiert. Auch hier wird deutlich, dass die erfindungsgemäß erzeugten und behandelten Proben deutlich. bessere Umform- und Biegeeigenschaften aufweisen als die konventionell verarbeiteten Proben.
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Für die aus dem Stahl WU erzeugten, glühbehandelten, verzinkten und verformten Proben konnten für die erfindungsgemäß und die konventionell glühbehandelten Proben vergleichbare Ergebnisse nachgewiesen werden.