Neigungswinkelermittlung für ein Motorrad
Stand der Technik
Die Erfindung betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Ermittlung wenigstens eines Neigungswinkels eines einspurigen Kraftfahrzeugs
Bisher enthalten Motorräder keinen Neigungswinkelsensor. Damit fehlt diese Information für mögliche zukünftige Applikationen. Zur Messung des Neigungswinkels können theoretisch kamerabasierte Systeme oder konventionelle Neigungsmesser verwendet werden. Diese sind jedoch als Labormessgeräte konzipiert und damit viel zu groß und teuer für einen Serieneinsatz in einem Motorrad. Hinzu kommt bei mechanischen Messverfahren der fälschende Einfluss infolge von auftretenden Fliehkräften bei
Motorradfahrten.
Aus der DE 102 35 378 Al sind ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Bremsenregelung bei einem einspurigen Kraftfahrzeug bekannt. Dabei wird mittels eines Gierratensensors eine Seitenneigung des Kraftfahrzeugs erfasst. Abhängig von der
Seitenneigung erfolgt eine Bremsenregelung.
Vorteile der Erfindung
Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Ermittlung wenigstens eines Neigungswinkels eines einspurigen Kraftfahrzeugs, bei dem mittels wenigstens zweier Drehratensensoren wenigstens zwei Drehraten des Kraftfahrzeugs um zwei verschiedene Achsen ermittelt werden und
aus den wenigstens zwei Drehraten der Wankwinkel und/oder der Nickwinkel des Kraftfahrzeugs ermittelt wird.
Dabei sind die beiden Drehratensensoren vorzugsweise so angeordnet, dass ihre Messrichtungen orthogonal zueinander sind.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, dass in die Ermittlung des Wankwinkel und die Ermittlung des Nickwinkels jeweils beide Drehraten eingehen. Dadurch wird eine höhere Genauigkeit bei der Ermittlung der Winkel erreicht.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, dass aus den wenigstens zwei Drehraten die Wankrate und/oder die Nickrate des
Kraftfahrzeugs ermittelt wird und dass daraus der Wankwinkel bzw. der Nickwinkel des Kraftfahrzeugs ermittelt wird.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, dass mittels wenigstens zweier Drehratensensoren Rohwerte für die Wankrate und/oder die Nickrate ermittelt werden, dass mittels einer Filterung des Rohwertes der Wankrate die Wankrate ermittelt wird bzw. dass mittels einer Filterung des Rohwertes der Nickrate die Nickrate ermittelt wird und dass der Wankwinkel bzw. der Nickwinkel durch eine zeitlichen Integration der Wankrate bzw. der Nickrate des Kraftfahrzeugs erfolgt. Durch die Filterung werden Störanteile der Signale ausgeblendet.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, dass durch die zeitliche Integration Rohwerte für den Wankwinkel und/den Nickwinkel des Kraftfahrzeugs ermittelt werden und dass durch eine Filterung des Rohwertes des Wankwinkels der Wankwinkel bzw. durch eine Filterung des Rohwertes des Nickwinkels der Nickwinkel ermittelt wird. Die Reihenfolge von Filterung und Integration ist in den beiden letztgenannten
Ausgestaltungen vertauscht.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich bei der Filterung um eine Bandpassfilterung handelt.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich um eine Bandpassfilterung 2. Ordnung handelt.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, dass die
Ermittlung der Wankrate und/oder Nickrate durch numerische Lösung eines Systems von Differentialgleichungen, insbesondere gekoppelten Differentialgleichungen erfolgt. Durch die in den Differentialgleichungen enthaltenen Sinus- und Kosinusfunktionen handelt es sich um nichtlineare Differentialgleichungen. Weiter handelt es sich um Differentialgleichungen erster Ordnung.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, dass mittels der wenigstens zwei Drehratensensoren die Wankrate und die Nickrate erfasst werden.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, dass durch drei Drehratensensoren drei Drehraten des Kraftfahrzeugs um drei verschiedene Achsen ermittelt werden und aus den drei Drehraten der Wankwinkel und/oder der Nickwinkel des Kraftfahrzeugs ermittelt wird. Dadurch wird eine noch höhere Präzision des Verfahrens gegenüber der Verwendung von nur zwei Sensoren erreicht.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, dass mittels der drei Drehratensensoren die Wankrate und die Nickrate und die Gierrate erfasst werden.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet,
- dass ein Offsetabgleich des ermittelten Wankwinkels bei Vorliegen einer Geradeausfahrt stattfindet.
Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, dass das Vorliegen einer Geradeausfahrt erkannt wird, wenn wenigstens
- der Lenkwinkel des Motorrads einen vorgegebenen niedrigen Lenkwinkelschwellenwert unterschreitet und
- A -
- die Geschwindigkeit des Motorrads einen vorgegebenen Geschwindigkeitsschwellenwert überschreitet.
Der Lenkwinkelschwellenwert ist so gewählt, dass damit ein Lenkwinkelwert Null bzw. nahezu Null erkannt werden kann.
Weiter umfasst die Erfindung eine Vorrichtung zur Ermittlung wenigstens eines Neigungswinkels eines einspurigen Kraftfahrzeugs, enthaltend wenigstens zwei (insbesondere bzgl. ihrer Messrichtung senkrecht zueinander angeordnete) Drehratensensoren zur Ermittlung wenigstens zweier Drehraten des Kraftfahrzeugs um verschiedene Achsen sowie
Rechenmittel, mit denen aus den wenigstens zwei Drehraten der Wankwinkel und/oder der Nickwinkel des Kraftfahrzeugs ermittelt wird.
Die vorteilhaften Ausgestaltungen des erfindungsgemäßen Verfahrens äußern sich auch als vorteilhafte Ausgestaltungen der erfindungsgemäßen Vorrichtung und umgekehrt.
Zeichnung
Die Zeichnung besteht aus den Figuren 1 und 2.
Figur 1 zeigt den Ablauf einer Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens.
Figur 2 zeigt den Aufbau der erfindungsgemäßen Vorrichtung.
Ausführungsbeispiele
Die Genauigkeit des in der DE 102 35 378 Al beschriebenen Verfahrens soll durch die vorliegende Erfindung erhöht werden. Dies gilt insbesondere bei Motorrädern mit großen Einfederwegen (wie z.B. Geländemotorräder) und bei mit starken Nickbewegungen verbundenen Fahrsituationen.
Der Hintergrund dafür ist, dass alleine aus der Messung der Wankrate des Motorrads nicht zwangsläufig in allen Fahrsituationen der Wankwinkel des Motorrads mit höchster
Genauigkeit ermittelt werden kann. Dies hängt damit zusammen, dass sich bei einem Motorrad Nick-, Wank- und Gierbewegungen überlagern. Insbesondere bei Geländemotorrädern mit großem Federweg macht sich auch die Nickbewegung (Einfederung des Motorrads beim Bremsvorgang) bemerkbar. Als Beispiel für eine zusätzliche große Gierbewegung sei das plötzliche Ausweichen des Motorrads vor einem
Hindernis erwähnt. In der vorliegenden Erfindung wird die Nickbewegung und optional dazu noch die Gierbewegung des Motorrads durch zusätzliche Drehratensensoren erfasst und deren Ausgangssignale werden im Auswertealgorithmus mitverwendet. Bei der Verwendung dreier Sensoren (Wankrate, Nickrate, Gierrate) sind die der Fahrphysik zugrunde liegenden kinematischen Beziehungen vollständig berücksichtigt. Bei
Verwendung von nur zwei Sensoren (Wankrate, Nickrate) werden Abweichungen infolge der Hochachsendynamik (enge Kurvenfahrt) nicht berücksichtigt. Bei Verwendung nur eines Sensors (Wankrate) werden sowohl die Nickdynamik als auch die Hochachsendynamik nicht berücksichtigt.
Erfindungsgemäß werden mittels mikromechanischer Sensoren Drehratensignale gemessen und daraus der Neigungswinkel des Motorrads errechnet. Der Neigungswinkel ist eine nützliche Größe für zukünftige Motorradsysteme, aber auch zur Verbesserung derzeitiger Systeme. Ergänzend oder alternativ dazu kann auch noch der Nickwinkel ermittelt werden.
Im folgenden wird die Erfindung anhand von zwei Ausführungsbeispielen erläutert. Das erste Ausführungsbeispiel basiert auf der Verwendung der Ausgangssignale dreier Drehratensensoren, das zweite Ausführungsbeispiel auf der Verwendung von zwei Drehratensensoren.
Erstes Ausführungsbeispiel:
Die drei Drehratensensoren messen die Komponenten ωx, ωy und ωz der Drehrate.
Daraus lässt sich in Verbindung mit kinematischen Algorithmen, eines numerischen Integrators und eines Bandpassfilters 2. Ordnung der Neigungswinkel abschätzen.
Mit dem Motorrad sind drei orthogonal montierte mikromechanische Drehratensensoren fest verbunden. Die x- Achse des Motorrads zeigt in Fahrtrichtung, die y- Achse ist die Querachse und die z- Achse ist die Hochachse. Die Achsrichtungen sind so anzuordnen,
dass als Motorradkoordinatensystem ein Rechtssystem entsteht. Die Drehwinkel sind im mathematisch positiven Sinne definiert. Dabei messen die drei Sensoren die folgenden Motorradbewegungen: der erste Sensor (ωx-Sensor) misst die Drehung um die x-Achse des Motorrads, d.h. die Wankbewegung bzw. Wankrate der zweite Sensor (ωy-Sensor) misst die Drehung um die y- Achse des Motorrads, d.h. die Nickbewegung bzw. Nickrate der dritte Sensor (coz-Sensor) misst die Drehung um die z-Achse des Motorrads, d.h. die Gierbewegung bzw. Gierrate
Eine Addition der drei ermittelten Drehgeschwindigkeiten ωx, ωy und ωz ist jedoch nicht möglich,
- da durch jede Rotation um eine Achse eine Drehung des Koordinatensystems stattfindet und - die nächste Drehgeschwindigkeit im gedrehten Koordinatensystem (d.h. mit einem gedrehten Sensor) ermittelt wird.
Deshalb werden im folgenden die beiden Elementardrehgeschwindigkeiten OC und ß betrachtet, welche sich auf ein feststehendes Koordinatensystem (Inertialsystem) beziehen. Dabei kennzeichnet GC die Drehgeschwindigkeit um die Längsachse des
Motorrads (α= Wankwinkel) und ß die Drehgeschwindigkeit um die Querachse des Motorrads (ß = Nickwinkel).
Für die Elementardrehgeschwindigkeiten OC und ß gelten die in Matrixform geschriebenen gekoppelten Differentialgleichungen
und daraus ergeben sich durch Einsetzen der gemessenen Werte ωx, ωy und ωz und numerische Integration die Elementardrehungen α und ß. Die Reihenfolge der Drehungen
wurde gegenüber der Beschreibung mit Kardanwinkeln etwas modifiziert. Dies hat neben numerischen Vorteilen (keine Singularität in den kinematischen Gleichungen bei üblichen Motorradfahrten) auch noch den weiteren Vorteil, dass α direkt den Wankwinkel angibt. Damit ist durch numerische Lösung des obigen Differentialgleichungssystems die Berechnung des Wankwinkels prinzipiell möglich.
Aufgrund von Messungenauigkeiten (z.B. Off setfehler) ist es vorteilhaft, eine Signalverarbeitung nachzuschalten. Hier werden die Winkelgeschwindigkeitssignale
OC und ß mit einem Bandpassfilter 2. Ordnung gefiltert. Dadurch wird die Tatsache berücksichtigt, dass reale Nick- und Wankbewegungen nicht beliebig schnell möglich sind. Die Bestimmung der unteren und oberen Grenzfrequenz des Bandpasses kann fahrzeugabhängig z.B. durch Versuche bestimmt werden. Hochfrequente Störungen des Messsignals oberhalb der oberen Grenzfrequenz werden herausgefiltert. Offsetfehler machen sich unterhalb der unteren Grenzfrequenz bemerkbar und können so ebenfalls eliminiert werden. Die so berechneten Nick- und Wankwinkel werden zur Berechnung der neuen Elementardrehgeschwindigkeiten Gt und ß wieder benötigt. Dies äußert sich in der Rückkoppelschleife von Fig. 1.
Zweites Ausführungsbeispiel:
Alternativ zum ersten Ausführungsbeispiel, bei dem alle drei Drehratensignale ωx, ωy und ωz vorliegen, ist auch ein nur auf den Drehratensignalen ωx und ωy basierender
Algorithmus denkbar. Aufgrund der fehlenden Werte von ωz entfällt die dritte Spalte der Matrix des ersten Ausführungsbeispiels. Damit ergibt sich
λ
Die Genauigkeit der Berechnung ist natürlich leicht reduziert, denn es fehlt der aus Drehung um die Hochachse stammende Beitrag ωz.
Der Ablauf des erfindungsgemäßen Verfahrens ist in Fig. 1 dargestellt. Im Block 100 werden die Sensorsignale ωx, ωy und ωz ermittelt. Alternativ können gemäß dem
zweiten Ausführungsbeispiel auch nur die Signale ωx und ωy ermittelt werden. In Block 101 läuft anschließend der numerische Algorithmus zur Lösung des Systems gekoppelter Differentialgleichungen ab und es werden die Elementardrehgeschwindigkeiten OC und ß ermittelt. Anschließend findet in Block 102 eine zeitliche Integration statt, welche die ungefilterten Elementardrehwinkel („Rohsignale") liefert. Bei den Elementardrehwinkeln handelt es sich um Drehwinkel um feststehende Achsen im Inertialsystem. Diese Elementardrehungen stehen über kinematische Beziehungen mit den Drehungen im Motorradkoordinatensystem in Beziehung. Die kinematischen Beziehungen ergeben sich durch die Anwendung der Gesetzmäßigkeiten für Drehbewegungen starrer Körper in Relativkoordinatensystemen.
Anschließend findet in Block 103 eine Bandpassfilterung statt. Dadurch werden Offsetwerte und hochfrequente Störungen der Elementardrehwinkel eliminiert. Als Ausgangssignale von Block 103 stehen die Elementardrehwinkel α (= Wankwinkel) und ß (= Nickwinkel) zur Verfügung. Diese werden zugleich auch an Block 101 rückgekoppelt, da sie in die dortigen Matrizen eingehen.
Alternativ zum dem in Fig.l gezeigten Ablauf kann die Bandpassfilterung auch vor der Integration erfolgen. Damit werden mögliche Offsetfehler nicht mit aufintegriert.
Falls weitere Sensormittel im Motorrad zur Verfügung stehen, kann der Offsetwert in der Neigungsmessung (d.h. der Offsetwert des Wankwinkels) auch ergänzend oder alternativ zur Bandpassfilterung mittels anderer Verfahren ermittelt und eliminiert werden.
Bei vierrädrigen Kraftfahrzeugen gibt es beispielsweise zur Kalibrierung des
Drehratensensors (Gierbewegung) ein Rücksetzen bzw. einen Reset beim Starten des Fahrzeugs. In den meisten Fällen kann dabei von einem ruhenden Fahrzeug und damit von einem Gierratenwert Null ausgegangen werden. Diese Information kann während der gesamten Lebensdauer des Sensors von einer zusätzlichen Reset-Funktion zur Offset- Kalibrierung genutzt werden. Dieser Sachverhalt ist bei einem Motorrad verschieden.
Beim Startvorgang des Motorrads ist der Seitenneigungswinkel Undefiniert, weil sich das Motorrad beispielsweise noch auf dem Seitenständer in Schräglage befinden kann. Damit ist dieser Zeitpunkt für einen zusätzlichen Reset zur Kalibrierung des
Seitenneigungswinkels ungeeignet. Ein günstiger Zeitpunkt für einen zusätzlichen Reset ist jedoch bei stabiler Geradausfahrt gegeben.
Dabei kann z.B. die Eigenschaft ausgenutzt werden, dass bei einer stabilen Geradeausfahrt das Motorrad senkrecht steht. Damit verlagert sich das Problem der Offsetkompensation auf die Erkennung einer Geradeausfahrt. Bei Geradeausfahrt ist der
Lenkwinkel Null. Falls ein Lenkwinkelsensor vorhanden ist, kann damit eine vorliegende Geradeausfahrt erkannt werden. Zusätzlich kann auch noch die Raddrehzahl ausgewertet werden. Eine Geradeausfahrt liegt dann vor, wenn der Lenkwinkel Null ist und - die Geschwindigkeit größer als eine noch zu definierende Geschwindigkeit ist.
Damit ist das Vorliegen einer stabilen Geradeausfahrt sichergestellt, in welcher das Motorrad seitlich nicht geneigt ist. Somit kann jetzt der Offsetabgleich der Neigungsmessung erfolgen.
Der Aufbau der erfindungsgemäßen Vorrichtung ist in Fig. 2 dargestellt. Die Sensoren
200, 201 und 202 ermitteln die Drehgeschwindigkeiten ωx, ωy und ωz und leiten diese Informationen an ein Steuergerät bzw. Rechenmittel 203 weiter, welches daraus den Wankwinkel und/oder den Nickwinkel des Motorrads berechnet. Abhängig von diesen nunmehr bekannten Winkeln kann beispielsweise eine Aktorik 204 angesteuert oder beeinflusst werden. Dies kann z.B. im Rahmen einer Antiblockierregelung für
Motorräder erfolgen.