Wasserformbeständiges, thermoplastisches Stärkematerial und Verfahren zu dessen Herstellung
Die Erfindung betrifft ein wasserformbeständiges, thermoplastisches Stärkematerial auf Basis nativer Stärke sowie ein Verfahren zu dessen Herstellung. Aus den erfindungsgemäßen Stärkematerialien lassen sich in Abhängigkeit von der Produktzusammensetzung auf konventionellen Thermoplast- Verarbeitungsmaschinen Spritzguß-, Tiefzieh- und Blasformteile sowie Folien herstellen.
In den letzten Jahren sind zahlreiche Verfahren zur Herstellung und Verformung von thermoplastischer Stärke (TPS) allein oder in einer Polymermischung bzw. Polymerschmelze oder Polymerblend bekannt geworden. Diese Arbeiten wurden mit dem Ziel ausgeführt, neue bzw. erweiterte Einsatzfelder für nachwachsende Rohstoffe zu erschließen.
Es ist bekannt, die körnige Struktur nativer Stärke zuerst mit definierten Anteilen an Destrukturierungsmitteln (10-30 Gew.%) Wasser oder/und niederen polyfunktionellen Alkoholen, wie Ethylenglykol, Propylenglykol, Glycerol, 1,3-Butandiol, Diglycerid, entsprechende Ether, aber auch Verbindungen wie Dimethylsulfoxid, Dimethylforma- mid, Dimethylharnstoff, Dimethylacetamid und/oder anderen Zusatzstoffen thermome- chanisch zu thermoplastischem Material mit Hilfe von konventionellen Doppelwellenextrudern im Temperaturbereich von 120-190 °C aufzuschließen. Dieser Prozess wird in der Literatur (R. L. Shogren et al: Starch/ Stärke 45 [1993] 276 . 280) als Stärkedestrukturierung bezeichnet und ist durch den Verlust der Ordnung und Kristallinität der nativen Stärke charakterisiert. Das so hergestellte reine thermoplastisch verformbare Material hat sich aber als eigenständiger Konstruktionswerkstoff wegen seiner begrenzten Verarbeitbarkeit, seiner ungenügenden Wasserformbeständigkeit und seinen klimabedingten Veränderungen bisher als technisch unbrauchbar erwiesen. Zur Verbesserung der Verarbeitbarkeit und Wasserformbeständigkeit befassen sich zahlreiche Vorschläge mit der Zumischung synthetisch gewonnener wasserfester Polymere, wie z. B. Polyethylen, Polypropylen oder aliphatische (Co-) Polyester, alipha-
tisch-aromatische Copolyester, Polyesteramide, Polyesterurethane und/oder Mischungen als Mischungskomponente für Stärke. Dabei tritt aber das Problem auf, daß die Verträglichkeit zwischen den Polymerkomponenten ungenügend ist und die biologische Ab- baubarkeit bzw. auch die Kostenstruktur ungünstig werden.
Weitere Vorschläge beinhalten die Derivatisierung der Stärke, wie z.-B. Stärkeacetat zur Herstellung eines thermoplastischen Kunststoffes (DE 19633474, EP 0603837, DE 19515477, DE 19805367, US 5,367,067). In Abhängigkeit vom Substitutionsgrad sind Plastifikatoren erforderlich bzw. die biologische Abbaubarkeit ist nicht mehr gegeben.
Der Stand der Technik ist umfassend im Schrifttum dokumentiert. Als Bezug sei auf die Publikation von R.F.T. Stepto et al. "Injection Moulding of Natural Hydrophilic Polymers in the Presence of Water" Chimia 41 (1987) Nr. 3, S. 76-81 und die dort zitierte Literatur sowie beispielhaft auf die Patente DE 4116404, EP 0327505, DE 4038732, US 5106890, US 5439953, DE 4117628, WO 94/04600, DE 4209095, DE 4122212, EP 0404723 oder EP 407350 hingewiesen.
In zahlreichen Patentanwendungen, wie z.B. DE 40 32 732, DE 195 33 800, DE 19 75 0846 werden Mischungen aus TPS mit einem wasserfesten Polymeren sowie die Herstellung einer Komponente, die als Verträglichkeitsvermittler wirkt beschrieben. Patentanmeldung DE 1993867.2 beinhaltet ein Verfahren zur Herstellung einer thermoplastischen Stärkemischung durch reaktive Extrusion einer Mischung von nativer Stärke in Gegenwart eines aciden Katalysators und wenigstens einem hydrophoben Polymer unter Zusatz einer hydrolysierten Komponente auf Polyvinylacetat-Basis und von niederen polyfunktionellen Alkoholen oder/ und Wasser, das zu einer wesentlichen Verbesserung von Produkteigenschaften und zur Erhöhung der Prozeßstabilität führt.
Wasserformbeständige Werkstoffe aus reiner Stärke mit niedermolekularen Hilfsstoffen waren bisher nicht herstellbar. Wirtschaftlich relevante Stärkeprodukte erforderten die chemische Derivatisierung der Stärke oder die Zumischung synthetischer Polymermaterialien. Die Zumischung synthetischer Polymermaterialien bedurfte zudem einer Ver- träglichkeitsvermittlung, wobei der Stärkeanteil im Gesamtprodukt einen definierten Anteil nicht überschreitet.
Ausgehend von den ökologischen Zielen, nachwachsende Rohstoffe noch stärker zu nutzen und umweltverträgliche Produkte wirtschaftlich herzustellen, ist es deshalb Aufgabe der Erfindung, ein wasserformbeständiges thermoplastisches Stärkematerial auf Basis nativer Stärke zu schaffen.
Überraschend wurde gefunden, daß ein wasserformbeständiges, thermoplastisches Stärkematerial durch Extrusion nativer Stärke mit einem Destrukturierungsmittel mit einem Anteil von 30 bis 60 Gew% bezogen auf die Einsatzmenge der nativen Stärke in einem Doppelwellenextruder im Temperaturbereich von 65 - 120°C, vorzugsweise von 75 - 105 °C und einer anschließenden Lagerung zur Retrogradation zur Ausbildung von wasserbeständigen Überstrukturen erhältlich ist.
Die nativen Stärken basieren auf Knollenstärke , wie Kartoffelstärke, auf Getreidestärke, wie z. B. Mais- oder Weizenstärke oder auf Leguminosen, wie z. B. Erbsenstärke.
Erfindungsgemäß wird das wasserformbeständige thermoplastische Stärkematerial so hergestellt, dass native Stärke mit einem Destrukturierungsmittel mit einem Anteil von 30 bis 60 Gew% bezogen auf die Einsatzmenge und unter Berücksichtigung des Feuchtegehaltes der nativen Stärke in einem Doppelschneckenextruder bei einer Zylindertemperatur von 65 - 120°C, vorzugsweise von 75 - 105 °C und einem spezifisch mechanischen Eintrag (SME) von 200 -1500, vorzugsweise 300-1000 kJ/kg zu einem Strang extrudiert und nach dessen Granulierung zur Retrogradation dicht verschlossen bis zur Weiterverarbeitung gelagert wird. Die Extrusion erfolgt dabei vorteilhaft bei einer Nerweilzeit von mindestens 2 min.
Zur Retrogradation, zur Ausbildung von wasserbeständigen Überstrukturen wird das extradierte und granulierte Stärkematerial bei hohen Luftfeuchten > 80% oder in dicht verschlossenen Räumen oder Behältern ohne Luftaustausch und Lagerzeiten von 1 bis 24h, vorzugsweise 5 -10 h gelagert.
Als Destrukturierungsmittel werden Wasser und oder niedere polyfunktionelle Alkohole, wie Ethylenglykol, Propylenglykol, Glycerol, 1,3-Butandiol, Diglycerid, entspre-
chende Ether, aber auch Verbindungen wie Dimethylsulfoxid, Dimethylformamid, Di- methylharnstoff, Dimethylacetamid eingesetzt. Bei Verwendung von Wasser als Destrukturierungsmittel wird der Wassergehalt der natürlichen Stärke bei der Berechnung des Anteiles an Destrukurierungsmittel berücksichtigt.
Als Destrukturierungsmittel eingesetztes Wasser und Glycerin reduziert in Abhängigkeit von der Konzentration die Glasübergangstemperatur der Stärke und beeinflussen die Reorganisation der Stärkebestandteile Amylose und Amylopektin.
Während des Quellprozesses im Temperaturbereich von 70 - 105 °C und z. B. 50 Gew. % Wasser bezogen auf die Einsatzmenge quillt das Stärkekorn und bildet ein verformbares Gel bestehend aus einem dreidimensionalen Netzwerk von Amylose und Amylopektin. Während des Quellvorganges diffundiert die lineare Amylose aus dem granulären Stärkekorn heraus, wird partiell angelöst und bildet an der Phasengrenze zum Amylopektin eine neue morphologische Struktureinheit. Während der Lagerung retrogra- diert das Material und erreicht einen Zustand höherer Organisation, der wasserformbeständig ist.
Anhand nachfolgender Ausführungsbeispiele wird die Erfindimg näher erläutert:
In einem Schnellmischer wurden
99,5 g native Kartoffelstärke mit einem Wassergehalt von 18 % (Superior, Ems- land-Stärke GmbH)
0,5 g gefällte Kieselsäure (Tixosil 38 AB, Rhodia GmbH)
zu einem gut rieselnden Pulver vermischt.
Die Pulvermischung und die flüssig dosierte Mischung aus 19,1 g Glycerin und 80,9 g Wasser wurden im Masseverhältnis von 63,3 : 36,7 mit einem gleichlaufenden Dop- pelschneckenextruder (ZE 25, Fa. Berstorff, L = 32xD) bei einer Zylindertemperatur von 90 °C, einer Schneckendrehzahl von 100 min ' und einem Massedurchsatz von 2,4
kg/h zu einem kompakten Strang extrudiert. Nach der Granulierung wurde das Material dicht verschlossen gelagert, um eine Veränderung des Wassergehaltes zu verhindern.
Das Granulat wurde mit dem oben beschriebenen Extruder, ausgerüstet mit einer Breitschlitzdüse nach > 24 h bei einer Zylindertemperatur von 90-110 °C reextrudiert und zu einer Flachfolie verformt.
Das so hergestellte Stärkematerial sowie in gleicher Weise hergestellte Stärkematerialien entsprechend der in Tabellen 1 bis 3 aufgeführten Rezepturen und daraus hergestellte Flachfolien wurden untersucht und bewertet.
Bestimmung der Löslichkeit/Quellbarkeit
Strangproben (Länge 30 mm, 0 3 mm) werden 24 h in Wasser bei Raumtemperatur gelagert. Nach Abtupfen des oberflächlich anhaftenden Wassers wird die Massezunahme der Probe ermittelt und unter Berücksichtigung der Trockenmasse der Probe die Quellbarkeit berechnet. Die gequollenen Probe werden anschließend 12 h bei 120 °C bis zur Gewichtskonstanz getrocknet. Aus dieser Masse wird der im Wasser gelöste Anteil der ursprünglichen Probe bestimmt.
Bestimmung der Wasserbeständigkeit der Flachfolien
Probestücke der Flachfolien (Länge = 100 mm, Breite 30 mm) werden 24 h im Wasser bei Raumtemperatur gelagert und ihr Zustand visuell eingeschätzt. Die wasserbeständigen Folien sind etwas gequollen, zeigen jedoch noch ihre ursprüngliche Form, weisen eine gewisse mechanische Festigkeit auf. Wasserunbeständige Proben quellen stark, zerfallen bei der Lagerung im Wasser und weisen keinerlei mechanische Festigkeit auf.
Folgende Bewertungskriterien sind in den Tabellen 1 bis 3 aufgeführt:
++ = Folienprobe nahezu unverändert
+ = Quellung der Folie unter Erhalt mechanischer Stabilität
- = Quellung und Zerfall der Folie (Probe kann z. B. nicht unzerstört aus dem Wasser entnommen werden)
SME = Spezifischer mechanischer Energieeintrag
Der spezifische mechanische Energieeintrag in das Extrusionsgut während der Extrusion kann bei gemessenem Drehmoment (Summe der Drehmomente beider Schnecken) nach folgender Gleichung abgeschätzt werden.
SME = (2π * M * n) / m
SME ... Spezifischer mechanischer Energieeintrag
M ... Drehmoment in Nm
n ... Schneckendrehzahl in min '
m ... Durchsatz in kg/h
Tabellen 1 und 2 beinhalten Ergebniswerte von Stärkematerial auf Basis Kartoffelstärke mit unterschiedlichen Anteilen an Stärke und Destrukturierungsmittel.
Tabelle 1 : Wasserbeständigkeit, Löslichkeit und Queilbarkeit von thermoplastischer Stärke, hergestellt aus Kartoffelstärke, Wasser und Glycerin - Variation der Anteile an Glycerin und Wasser Extrusionstemperatur = 90 °C, Durchsatz 2,4 kg/h
Tabelle 2: Wasserbeständigkeit, Löslichkeit und Queilbarkeit von thermoplastischer Stärke, hergestellt aus Kartoffelstärke, Wasser und Glycerin - Variation der Verfahrensparameter (Temperatur, Schneckendrehzahl)
Rezeptur: 51 ,7 % Kartoffelstärke (absolut) / 41 % Wasser / 7 % Glycerin /
0,3 % Tixosil 38AB
Tabelle 3 beinhaltet Ergebniswerte von Stärkematerialien auf Basis unterschiedlicher Stärkearten.
Tabelle 3: Wasserbeständigkeit, Löslichkeit und Queilbarkeit von thermoplastischer Stärke, hergestellt aus Stärke, Wasser und Glycerin - Variation der Stärkeart, Wirkung von Verarbeitungshilfsmitteln
Rezeptur: 51 ,7 % Stärke (absolut) / 41 % Wasser / 7 % Glycerin /
0,3 % Tixosil 38AB Extrusionstemperatur = 90 °C