Transfektionsverfahren
Beschreibung:
Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Einbringen von Substanzen in Zellen sensorischer Organe.
Gen- und peptidtherapeutische Verfahren werden seit längerem eingesetzt bzw. getestet, um die Behandlung einer großen Vielfalt von Krankheiten wie Krebs, virale Infektionen oder degenerative Prozesse des Herz-Kreislauf- und des Zentralnervensystems zu ermöglichen.
Die Gen- oder Peptidtherapie ist ein medizinisches Verfahren, bei welchem die Fehlfunktion oder die nicht erwünschte Funktion eines defekten Gens oder eines unerwünschten Genprodukts durch das künstliche Einbringen von gegensteuernden Genen oder Peptiden reguliert wird.
Bei der sogenannten Gentherapie kann ein Gen in die Zelle eingebracht werden, welches für ein bestimmtes Peptid oder Protein kodiert oder welches mit einer Gensequenz, deren Expression nicht gewünscht ist, interagiert und somit deren Expression verhindert (Antisense-Technik). Bei dem Verfahren der Peptidtherapie wird ein Peptid oder Protein direkt in die Zelle eingebracht, welches beispielsweise ein defektes Peptid oder Protein ersetzt oder welches mit einem Peptid oder Protein der Zelle interagiert, und somit dessen Funktion, die in diesem Falle unerwünscht ist, hemmt oder ausschaltet.
Jeder Zelltyp im Organismus ist durch sein spezifisches Genexpressionsmuster gekennzeichnet. Krankheiten, die nicht durch
Erreger verursacht werden, werden in der Regel durch die Veränderung des Genexpressionsmusters irgendeines Zelltyps ausgelöst oder sind die Folge von Mutationen funktioneil und pathophysiologisch bedeutender Proteine. Damit bieten sich mit der Gen- bzw. Peptidtherapie grundsätzlich zwei Möglichkeiten einer ursächlichen molekularen Therapie an:
(a) auf Nukleinsäureebene lassen sich mit Hilfe von gentherapeutischen Verfahren die Genexpressionsmuster von menschlichen Zellen durch Einbringen der jeweils gewünschten korrigierten Sequenz gezielt verändern, d. h. die Produktion bestimmter Proteine kann initiiert werden oder durch die bereits erwähnte Antisense-Technik unterbunden; (b) auf der Proteinebene lassen sich funktioneile Aspekte von bestimmten Proteinen dadurch beeinflussen, dass man beispielsweise mit diesen interagierende Peptide oder Proteine in die Zellen einbringt.
Von besonderem Interesse ist eine Behandlung mit gen- oder peptidtherapeutischen Verfahren bei Erkrankungen der sensorischen Organe. Derartige Erkrankungen, die beispielsweise mit einer Degeneration von Sinneszellen einhergehen können, sind bisher in der Regel nicht zu behandeln gewesen. Der besonders kritische Punkt hierbei ist, dass Sinneszellen beim Menschen in der Regel nicht zu einer Regeneration fähig sind. Mit herkömmlichen Methoden, z. B. operativen Eingriffen, ist hier relativ wenig auszurichten, so dass besonders in den Fällen von Krankheiten sensorischer Organe neuartige Behandlungsme- thoden notwendig sind.
Zu einer sehr häufigen Erkrankung von Sinnesorganen zählen Erkrankungen des Innenohres, insbesondere die Schwerhörigkeit. Schwerhörigkeit zählt zu den häufigsten Formen von chronischen Erkrankungen überhaupt. Aktuelle Schätzungen des US National Health Interview Survey von 1994 ergaben beispielsweise, dass Schwerhörigkeit dreimal häufiger vorkommt als Diabetes. Die Anzahl
von Hörstörungen ist ähnlich hoch wie die Anzahl an Herzerkrankungen oder an Bluthochdruckstörungen-.
Den meisten Fällen von sensorineuralen Hörminderungen liegt ein irreversibler Verlust von speziellen Zellen des Innenohres zugrunde. Der Verlust dieser Zellen, der Haarsinneszellen, kann durch viele Faktoren, wie z. B. durch degenerative Alterungsprozesse (Presbycusus), Schädigung durch Lärm, Infektionen, genetische Störungen, Autoimmunerkrankungen oder auch Arzneimittel (Antibiotika oder Chemotherapie) hervorgerufen werden. Alle diese Erkrankungen des Innenohres stellen Beispiele für Indikationen einer Gen- oder Peptidtherapie dar.
Eine weitere Indikation für Gen- oder Peptidtherapien sind Erkrankungen des optischen Apparates. Hierbei sind besonders degenerative Erkrankungen der Netzhaut (Retina) zu nennen. Beispielsweise altersbedingt kann es hier zu einer Degeneration der optischen Sinneszellen kommen, die mit herkömmlichen Methoden nicht behandelbar ist.
Voraussetzung für einen gen- oder peptidtherapeutischen Behandlungsansatz ist eine effektive Transfermethode, die die jeweilige Nukleinsäure oder das Peptid oder Protein in die Zielzelle bringt. Dies bereitet insbesondere bei Zellen sensorischer Organe Schwierigkeiten, da diese Zellen in einem kompakten und geordneten Verband auftreten, durch den die Gesamtfläche der von außen frei zugänglichen Zellmembranen weitgehend minimiert ist. Weiterhin haben die inneren Haarsinneszellen zwei eng aneinanderliegende Zellmembransysteme, deren Penetration durch Moleküle erschwert ist. Generell sind Zellen des Innenohres äußerst schwer zu handhaben und so in Kultur zu halten, dass die Zytoarchitektur des Cortiorgans weitgehend intakt bleibt. Das hat dazu geführt, dass bisher noch keine zuverlässigen nicht-
viralen Methoden entwickelt werden konnten, die den Transfer von Nukleinsäuren und Peptiden/Proteinen in Sinneszellen gewährleisten.
Die Erfindung stellt sich daher die Aufgabe, ein nicht-virales Verfahren zur Verfügung zu stellen, mit welchem Substanzen (Wirkstoffe), insbesondere gen- oder peptidtherapeutische Substanzen, in Zellen sensorischer Organe effektiv eingebracht werden können. Diese Aufgabe wird gelöst durch die Verwendung des Peptids Penetratin, wie sie im Anspruch 1 dargestellt ist. Bevorzugte Ausführungsformen dieser Verwendung sind in der Ansprüchen 2 bis 13 beschrieben. Der Anspruch 14 betrifft ein Verfahren zum Einbringen von Substanzen in sensorische Zellen und die Ansprüche 15 und 16 einen entsprechenden Kit. Ansprüche 17 bis 23 beziehen sich auf eine Verwendung von Penetratin zur Herstellung von Medikamenten. Der Wortlaut sämtlicher Ansprüche wird hiermit durch Bezugnahme zum Inhalt der Beschreibung gemacht.
Erfindungsgemäß wird das Peptid Penetratin oder hiervon abgeleitete Sequenzen für das Einbringen von Substanzen in Zellen sensorischer Organe (in vivo und in vitro) verwendet. Als Penetratin im engeren Sinne wird ein 16 Aminosäuren langes Peptid bezeichnet, welches sich aus der Homeodomäne des Antennapedia-Gens von Drosophila ableitet (Derossi et. al., Cell Biology 1998, 8, 84-87). Dieses Peptid ist ein Teil der Homeobox-Sequenz, welche insgesamt 60 Aminosäuren ausmacht und die Teil von vielen konservierten Homeoproteinen verschiedenen Ursprungs ist. Homeoproteine sind in der Lage, an bestimmte Bereiche der DNA, an die sog. Konsensussequenzen, zu binden. Man nimmt an, dass die natürliche Funktion von Homeoproteinen die Regulation der Genexpression ist, und dass Homeoproteine entscheidend an entwicklungsphysiologischen Vorgängen beteiligt sind.
Darüberhinaus konnte gezeigt werden, dass Penetratin in der Lage ist, in Zellen einzudringen und sich im Zellkern anzuhäufen (EP 0 485 578 B1 ). -
Überraschenderweise konnte nun gezeigt werden, dass durch die Verwendung von Penetratin das besondere Transfektionsproblem bei Zellen sensorischer Organe gelöst werden kann. Mit dieser neuen Verwendung von Penetratin ist es daher möglich, gen- oder peptidtherapeutische Ansätze zur Behandlung von Erkrankungen sensorischer Organe einzusetzen.
Die Sequenz von Penetratin im engeren Sinne umfasst die folgenden Aminosäuren:
Arginin (R) - Glutamin (Q) - Isoleucin (I) - Lysin (K) -Isoleucin (I) - Trypto- phan (W) - Phenylalanin (F) - Glutamin (Q) - Asparagin (N) - Arginin (R) - Arginin (R) - Methionin (M) - Lysin (K) - Tryptophan (W) - Lysin (K) - Lysin (K)
Weiterhin werden von der Erfindung verschiedene Abwandlungen dieser Sequenz sowie Sequenzen, die die genannten Sequenzen als einen Teil enthalten, umfasst. Diese vom Penetratin im engeren Sinne abgeleiteten Sequenzen werden unter dem "Oberbegriff Penetratin zusammengefasst. Die Verwendung solcher abgeleiteter Sequenzen ist ebenfalls von der Erfindung erfasst.
Im folgenden werden die verschiedenen abgeleiteten Sequenzen dargestellt. Hierbei werden zum einfacheren Verständnis die verschiedenen Positionen der Penetratin-Sequenz mit Xi bis Xiβ bezeichnet. Zum einen zählt zu den abgeleiteten Sequenzen die Retroform von Penetratin, d. h. also die Sequenz in umgekehrter Orientierung. Unter abgeleiteten Sequenzen sind weiterhin die
Sequenzen zu verstehen, die folgende Abweichungen von der oben dargestellten Peptidsequenz aufweisen (die verschiedenen Aminosäuren sind durch den Ein-Buchstabencode dargestellt).
1. X8-A
2. X8-P
3. X3-P, Xs-P, X12-K, X13-P
6. X
4-R, X13-R, X15-R, Xie-R
7. X
2-R, X3-W, X
4-R, X
5-R, X
7-W, X
8-R, Xg-R, X10-W, Xn-W, X12-R,
Weiterhin betrifft die Erfindung Sequenzen aus 16 -Aminosäuren, wobei 6 bis 10 Aminosäuren, vorzugsweise 6, hydrophob sind und Xβ Tryptophan ist oder X3 und X5 Valin sind. Unter hydrophoben Aminosäuren sind Alanin (A), Valin (V), Leucin (L), Isoleucin (I), Prolin (P), Phenylalanin (F), Tryptophan (W) und Methionin (M) zu verstehen. In einer bevorzugten Ausführungsform dieser Sequenzen sind X1, X2, X4, Xg, X15 und X16 nicht-hydrophobe Aminosäuren und X3, X7 und X14 hydrophobe Aminosäuren, wobei X14 vorzugsweise Tryptophan (W) oder Isoleucin (I) ist. In einer weiteren Ausführungsform ist wenigstens eine der Aminosäuren X3, X7 oder Xι4 Prolin (P).
Die erfindungsgemäße Wirkung wird weiterhin mit Peptiden erzielt, die die oben genannten Sequenzen lediglich als einen Bestandteil enthalten.
Neben diesen Sequenzen werden auch die jeweiligen Retroformen von der Erfindung umfasst. In der EP 0 485 578 B1 wird gezeigt, daß
Homeobox-Peptide prinzipiell in der Lage sind, die Membranschranken von Zellen zu durchqueren und so in die Zellen einzudringen. Dies
geschieht ohne eine spezifische und aktive Rezeptorvermittlung. Es gibt starke Hinweise dafür, dass die Membranpassage von solchen Peptiden ein rein entropisches Phänomen ist, bei dem Peptidseiten ketten mit geladenen Phosphopeptidketten der Membran interagieren. Die dadurch induzierte Destabilisierung der membranären Lipiddoppelschicht führt zum Einschluß der Peptidmoleküle in inverse Micellen, die, vergleichbar mit Liposomen ins Innere der Zelle hineinbefördert werden. Die WO 97/12912 A1 zeigt, dass nicht nur die als Penetratin bezeichnete Sequenz des Antennapedia-Gens aus Drosophila, sondern auch hiervon abgeleitete Sequenzen zum Eindringen in Zellen in der Lage sind.
Bei einer bevorzugten Ausführungsform der vorliegenden Erfindung sind die Zellen sensorischer Organe, in welche durch die Verwendung von Penetratin Substanzen eingebracht werden, Zellen des Ohres und hierbei insbesondere des Innenohres. Zellen des Innenohres, beispielsweise die Stützzellen des Cortischen Organs, sind mit herkömmlichen Methoden sehr schwer erreichbar. Außerdem ist die Kultivierung solcher Zellen außerhalb des Organismus sehr schwierig und problematisch, so dass es bisher noch nicht gelungen ist, für die Zellen des Innenohres akzeptable nicht-virale Transfektionsmethoden zu entwickeln. Erfindungsgemäß werden nun Penetratin bzw. hiervon abgeleitete Sequenzen eingesetzt, um jeweils gewünschte Substanzen in die Zellen des Innenohres einzubringen. Durch diese erfindungsgemäße Methode ist es möglich, Zellen sensorischer Organe, insbesondere des Innenohres, für gen- oder peptidtherapeutische Behandlungsansätze zugänglich zu machen.
In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform der Erfindung sind die Zellen, in welche erfindungsgemäß Substanzen eingebracht werden, Stütz- und Haarsinneszellen des Cortischen Organs, Neuronen des auditorischen Nervs, Zellen des Vestibularorgans und/oder Neuronen des Vestibularnervs. Auch diese Zellen sind bisher für das Einbringen
von Substanzen nicht zugänglich gewesen. Durch das erfindungsgemäße Verfahren ist es nun möglich, diese Zellen mit den beschriebenen therapeutischen Ansätzen zu behandeln.
In einer besonders bevorzugten Ausführungsform der Erfindung sind die Zellen sensorischer Organe, in welche Substanzen mittels Penetratin oder davon abgeleitete Sequenzen eingebracht werden, Zellen des Auges. Besonders bevorzugt sind hierbei die Zellen, insbesondere die Sinneszellen der Retina, also der Netzhaut. Besonders vorteilhaft ist die erfindungsgemäße Behandlung der sog. Müllerzellen im Auge, die den Stützzellen des Cortischen Organs im Ohr entsprechen, und/oder der Neuronen des optischen Nervs. Auch bei diesen Zellen war es bisher nicht möglich, mit herkömmlichen Methoden eine effektive Behandlung durchzuführen.
Vorteilhafterweise ist Penetratin oder die davon abgeleiteten Sequenzen an die Substanzen gekoppelt, die in die Zellen erfindungsgemäß eingebracht werden sollen. Die Kopplung kann kovalent oder nicht- kovalent sein. Besonders bevorzugt ist hierbei jedoch eine kovalente Kopplung der Substanzen an Penetratin oder die abgeleiteten Sequenzen. Dies kann beispielsweise erreicht werden durch eine lückenlose Weitersynthese von C- auf N-Terminus der beteiligten Peptidabschnitte. Weiterhin kann der C- und N-Terminus aus Cysteinen bestehen, so dass kovalente Bindungen durch Disulfidbrücken gebildet werden. Die Einkopplung verschiedener Spacer-Moleküle (ein oder mehrfach, auch in Kombination) wie z. B. epsilon-Capronsäure, beta- Alanin oder sonstige aliphatische Ketten, stellt eine weitere Möglichkeit für kovalente Kopplungen dar. Es sind jedoch auch andere, insbesondere nicht-kovalente Kopplungsmöglichkeiten mit von der Erfin- düng umfasst. Hierzu zählen beispielsweise eine Kopplung über ionische Wechselwirkungen, direkte sterische Passung (worunter
verschiedene nicht-kovalente Kraftbeiträge zu verstehen sind) sowie indirekte sterische Passung über dritte Partner.
Bei einer besonders bevorzugten Ausführungsform der Erfindung handelt es sich bei den Substanzen, die über Penetratin oder hiervon abgeleitete Sequenzen in die Zellen eingebracht werden, um Peptide und/oder Proteine. Insbesondere bei dieser Substanzklasse ist eine kovalente Kopplung bevorzugt. Die Kopplung der Substanzen an Penetratin oder die davon abgeleiteten Sequenzen erfolgt beispielsweise dadurch, dass Penetratin oder die davon abgeleiteten Sequenzen und die einzubringende Substanz (Peptid oder Protein) auf demselben rekombinanten Nukleinsäuremolekül kodiert sind, so dass durch Translation dieses Nukleinsäuremoleküls die beiden Komponenten als ein zusammenhängendes Molekül gebildet werden. Hierbei kann die Reihenfolge beider Komponenten variiert werden und es können auch weitere Bestandteile in das zusammenhängende Molekül eingefügt werden, beispielsweise verschiedene Label (Markierungsmoleküle) oder Spacerbereiche.
In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform der Erfindung sind die einzubringenden Substanzen Nukleinsäuren. Diese können dazu vorgesehen sein, ihren Effekt in der Zelle als Nukleinsäure, beispielsweise als Antisense-Sequenz auszuüben. Weiterhin können diese Nukleinsäuren dafür vorgesehen sein, in der Zelle translatiert zu werden und somit als Peptid oder Protein in der Zelle zu wirken. Die einzubringenden Nukleinsäuren können ebenfalls kovalent an Penetratin oder die davon abgeleiteten Sequenzen gekoppelt sein oder die Nukleinsäuren können anderweitig mit Penetratin oder den hiervon abgeleiteten Sequenzen assoziiert sein. Bei einer solchen anderweitigen Assoziierung ist es allerdings vorteilhaft, wenn die beiden Komponenten relativ fest miteinander assoziiert sind, so dass während des Transfers in die Zelle keine Trennung der Komponenten erfolgt.
In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform handelt es sich bei den einzubringenden Substanzen um sogenannte "small molecules", also kleine Moleküle. Hierunter sind kleine Moleküle zu verstehen, die insbesondere ein Molekülgewicht von weniger als etwa 1000 Da aufweisen. In dieser Größenordnung fallen üblicherweise die klassischen Pharmamoleküle.
In einer besonders vorteilhaften Ausführungsform der Erfindung werden mit Hilfe der erfindungsgemäßen Verwendung Substanzen in die Zelle eingebracht, die den Zellzyklus der Zelle beeinflussen. Besonders vorteilhaft ist hierbei eine Stimulierung des Zellzyklus, insbesondere bei Zellen, die sich normalerweise nicht mehr teilen würden, also terminal differenziert sind. Dies kann beispielsweise sinnvoll sein, um neue Sinneszellen im Innenohr oder in der Netzhaut zu regenerieren, die unter normalen Umständen nicht regenerierbar wären.
Vorteilhafterweise handelt es sich bei den einzubringenden Substanzen um Substanzen, die hemmend auf Zellzyklus-Inhibitoren wirken. Hierdurch kann insbesondere eine Beeinflussung des Zellzyklus, vorteilhafterweise eine Stimulierung, erreicht werden. Ein geeigneter Zellzyklus-Inhibitor, der durch die einzubringenden Substanzen gehemmt werden kann, ist beispielsweise ein Zyklinkinase-Inhibitor. Besonders bevorzugt ist hierbei der Zyklinkinase-Inhibitor p27Kιp1 als Angriffspunkt für eine Hemmung durch die einzubringende Substanz. Eine potentiell besonders geeignete Substanz zur Hemmung dieses Zyklinkinase-Inhibitors ist ein Peptid der Sequenz Tyrosin (Y) - Glutaminsäure (E) - Tryptophan (W) - Glutamin (Q) - Glutaminsäure (E) - Valin (V) - Glutaminsäure (E) - Lysin (K) - Glycin (G) oder eine dieses Peptid enthaltende Substanz bzw. eine Nukleinsäure die für dieses Peptid kodiert.
Gemäß der Erfindung ist das Penetratin oder die davon abgeleitete Sequenz in einer Konzentration zwischen 100 nm und 100 μm vorgesehen. Innerhalb dieses Konzentrationsbereiches sind Konzentrationen zwischen 10 μm und 60 μm, insbesondere zwischen 20 μm und 50 μm bevorzugt.
In einer besonders bevorzugten Ausführungsform der Erfindung wird Penetratin zusammen mit einem negativ geladenen Hilfsstoff verwendet. Gemeint sind hiermit (vorzugsweise organische) Substanzen, die zumindest in Lösung, d. h. vorzugsweise in den hier verwendbaren Applikationssystemen eine negative (Rest-/Überschuß-) Ladung aufweisen. Hierdurch können die Transfektionseigenschaften von Penetratin im System Innenohr weiter verbessert sein. Der Zugang zum Innenohr kann beispielsweise bevorzugt durch Applikation der entsprechenden Substanzen in die Scala tympani erfolgen. Dies kann entweder direkt durch eine Öffnung in der Scala tympani oder durch das runde Fenster der Cochlea. Um zu den Zielzellen zu gelangen, das heißt also insbesondere zu den Haarzellen oder Stützzellen auf der Basilarmembran in der Scala media, müssen die einzubringenden Substanzen die Basilarmembran überqueren, welche im wesentlichen eine elektrostatische Barriere darstellt. Durch den Einsatz von negativ geladenen Hilfsstoffen wird der Durchtritt der einzubringenden Moleküle durch die Basilarmembran entscheidend verbessert. Besonders bevorzugt ist der Einsatz von Sodium Dodecyl Sulfat (SDS). Als negativ geladene Hilfsstoffe kommen darüber hinaus eine Vielzahl herkömmlicher Substanzen mit entsprechenden Eigenschaften in Frage.
Ferner umfasst die Erfindung ein Verfahren zum Einbringen von Substanzen in Zellen sensorischer Organe, wobei Penetratin oder hiervon abgeleitete Sequenzen gemäß der vorhergehenden Beschreibung verwendet werden.
Weiterhin umfasst die Erfindung einen Kit zum Einbringen von Substanzen in Zellen sensorischer Organe. Ein entsprechender Kit umfasst zumindest Penetratin oder eine davon abgeleitete Sequenz und mindestens eine Substanz gemäß der obigen Beschreibung. Hierbei ist diese Substanz vorzugsweise an Penetratin oder die davon abgeleitete Sequenz gekoppelt, insbesondere kovalent gekoppelt. Weiterhin kann ein geeigneter Kit zusätzlich beispielsweise Puffersubstanzen und/oder geeignete Informationen über einzusetzende Konzentration, Inkubationszeiten oder ähnliches umfassen.
Schließlich umfasst die Erfindung die Verwendung von Penetratin oder einer davon abgeleiteten Sequenz als Transportmittel, zur Herstellung von Medikamenten für die Behandlung von Krankheiten sensorischer Organe. Vorteilhafterweise sind derartige Medikamente für die Behandlung von Krankheiten des Ohres, insbesondere des Innenohres vorgesehen. In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform sind derartige Medikamente für die Behandlung von Krankheiten des Auges, insbesondere der Netzhaut (Retina) vorgesehen. Die Zubereitung der Medikamente erfolgt nach dem Fachmann geläufigen Methoden, wobei die Medikamente im Hinblick auf eine systemische Applikation oder, besonders vorteilhaft, im Hinblick auf eine lokale Applikation, insbesondere für das Ohr oder für das Auge, formuliert und bereitgestellt werden. Bezüglich der weiteren Ausgestaltung dieses Aspektes der Erfindung wird auf die obige Beschreibung verwiesen.
Die beschriebenen Merkmale und weitere Merkmale der Erfindung ergeben sich aus der folgenden Beschreibung von Ausführungsbeispielen in Verbindung mit den Unteransprüchen, wobei jedes der individuellen Merkmale für sich oder in Kombination mit anderen verwirklicht sein kann.
Die Figuren zeigen:
- Figur 1 : Transfektion von Stützzellen des Cortischen Organs mit Penetratin-FITC (Fluorescein-Isothiocyanat). Links: Alexa 568-Färbung des Cytoskeletts; Mitte: FITC-Färbung des transfizierten Penetratins; rechts: DAPI(4,6-Diamidino-2-phenylindo)-Zellkemfärbung. In allen drei Bildern ist der gleiche Gewebeabschnitt eines Cortischen Organs dargestellt. Die Pfeile markieren eine Penetratin-transfizierte Stützzelle.
Figur 2: Transfektion von Haarzellen des Cortischen Organs in Organkulturen der Maus mit FITC-Penetratin-p27ß. FITC-Färbung des transfizierten Peptids.
Figur 3: Transfektion von Haarzellen des Cortischen Organs in Organkulturen der Maus mit FITC-Penetratin-p27ß. Alexa-Phalloidin- Färbung des Cytoskeletts der Haarzellen.
Figur 4: Transfektion von Haarzellen des Cortischen Organs in Organkulturen des Meerschweinchens, Alter 6 Wochen. (10 μM, akute Scala media Perfusion (15 min + 2h), Kryo-Schnitt (7 μm), Cortisches Organ im Bereich des Hakens, Biotin-Nachweis als Färbung, Chromogen AEC, Basilarmembran gefärbt)
Figur 5: Transfektion von Haarzellen des Cortischen Organs in Organkulturen des Meerschweinchens, Alter 6 Wochen. (25 μM, akute Scala media Perfusion (15 min + 2h), Cortisches Organ im Bereich der ersten Windung, Biotin-Nachweis als Färbung, Chromogen AEC, gefärbte Deiterszellen)
Figur 6: Transfektion von Haarzellen des Cortischen Organs in Organkulturen des Meerschweinchens, Alter 6 Wochen. (25 μM + 0,1 mM SDS, akute Scala tympani Perfusion (30 min + 2h), Cortisches
Organ im Bereich der ersten Windung, Biotin-Nachweis als Färbung, Chromogen AEC, gefärbt sind äußere und innere Haarzellen).
Figur 7: Transfektion von Haarzellen des Cortischen Organs in Organkulturen des Meerschweinchens, Alter 6 Wochen. (FITC 10 μM + 0,05 mM SDS, chronische Scala tympani Perfusion (7 Tage, 12 μl/d), Cortisches Organ im Bereich der ersten Windung, immunhistochemischer Nachweis von FITC als Färbung, Chromogen DAB, gefärbt sind Deiterszellen und eine äußere Haarzelle).
Beispiele
Beispiel 1 : Transfektion von Stützzellen des Cortischen Organs
Das Cortische Organ wird einer Maus im postnatalen Stadium P3 (postnataler Tag 3) entnommen. Die Kultivierung erfolgt zunächst über Nacht in MEM D-Val-Medium (Kulturmedium, Fa. Life Technologies), das 10 % FBS (fötales Kälberserum) und 5 mM Glutamin enthält. Am zweiten Tag nach Anlegen der Kultur wird dem Kulturmedium 48 Stunden 1 mM Neomycin hinzugefügt. Durch die Neomycingabe sterben die Haarzellen des Cortischen Organs ab. Am fünften Tag wird ein Medienwechsel durchgeführt, bei dem erneut das oben beschriebene Kulturmedium ohne Neomycin appliziert wird. Am sechsten Tag erfolgt die Transfektion mit Penetratin-FITC (Konzentration 50 μM). Die Dauer der Transfektion beträgt sechs Stunden. Die Fixierung der Kultur wird mit 4 % Paraformaldehyd durchgeführt. Nach der Fixierung werden das Cytoskelett mit einer Alexa 568-Färbung sowie die Zellkerne mit einer DAPI-Färbung dargestellt. Wie die mikroskopischen Darstellungen in Figur 1 belegen, konnten die Stützzellen erfolgreich mit dem markierten Penetratin transfiziert werden.
Beispiel 2: Transfektion von Haarzellen des Cortischen Organs mit Penetratin-p27ß
Für die Transfektion von Haarzellen des Cortischen Organs einer Maus wurde ein Peptid, welches neben dem Label FITC die Sequenz von Penetratin (RQIKI WFANR RMKWK K) sowie von p27 (YEWQ EVEKG) umfasst, synthetisch hergestellt. Als Linkermolekül zwischen beiden Abschnitten wurde beta-Alanin verwendet. Die Sequenz beider Peptidkomponenten war somit RQIKI WFANR RMKWK K-beta-Alanin- YEWQ EVEKG. Das Molekulargewicht dieses Peptids betrug 3869,3 Dalton.
Für die Herstellung des Präparates wurde die Cochlea dem Tier entnommen und das Cortische Organ anschließend durch Mikro- dissektion freigelegt. Mit Hilfe eines Zellklebers wurde das Präparat auf einem Deckglas fixiert und 24 Stunden kultiviert. Als Kultivierungsmedium wurde Neurobasalmedium mit B27 (Kulturmediumzusatz, Life Technologies) und 0,1 % Serum verwendet. Die Transfektion des Peptids erfolgte in serumfreiem Kulturmedium (3 Stunden, 50 μM). Nach der Transfektion wurde das Präparat mit 4 % Paraformaldehyd fixiert und eine Anfärbung mit dem rotorange fluoreszierenden Alexa-Phalloidin (20 mg/ml) vorgenommen.
Die in Figur 2 dargestellte mikroskopische Aufnahme zeigt die erfolgreiche Transfektion mit dem Peptid, sichtbar durch die FITC- Färbung. Im Vergleich hierzu ist in Figur 3 der gleiche Ausschnitt des Cortischen Organs nach Alexa-Phalloidin-Färbung gezeigt, welcher die Struktur des Cytoskeletts sichtbar macht.
Beispiel 3: Transfektion von Haar- und Stützzellen des Cortischen Organs mit Biotin-Penetratin in vivo unter Zuhilfenahme eines negativ geladenen Hilfsstoffes
ln Figur 4 ist ein histologischer Schnitt durch das Cortische Organ dargestellt. Hier ist eine Applikation von biotiniliertem Penetratin (Sequenz: Biotin-beta-alanin-RQIKI WFANR RMKWK K) in die Scala tympani erfolgt. Eine Markierung der Zellen ist nicht zu erkennen, biotiniliertes Penetratin (Biot-Penetratin) konnte in der Basilarmembran nachgewiesen werden. Figur 5 zeigt eine schwache Markierung der Zellen auf der Basilarmembran nach einer Applikation des markierten Peptids in die Scala media. Hierdurch wird deutlich, dass eine Transfektion der Zellen mit Penetratin erfolgt, wenn Penetratin direkt mit den Zellen auf der Basilarmembran in Kontakt gebracht wird. In Figur 6 und in Figur 5 ist eine Applikation von Biot-Penetratin in die Scala tympani gezeigt, wobei hier zusätzlich SDS verwendet wurde. Die deutlich stärkere Markierung der Zellen auf der Basilarmembran ist sichtbar. Figur 7 zeigt einen Schnitt durch eine wie oben beschrieben behandelte Basilarmembran. Hierbei ist deutlich die Markierung der Kerne der Haar- und Stützzellen zu erkennen.