Beschreibung
VERNETZTE POLYSACCHARIDE, VERFAHREN ZU IHRER HERSTELLUNG UND
IHRE VERWENDUNG
Die Erfindung betrifft mit bifunktionellen Vernetzungsmit¬ teln vernetzte Polysaccharide, ein Verfahren zu ihrer Her¬ stellung, ihre Verwendung zur Beschichtung und Einbettung von Arzneimitteln und mit ihnen beschichtete und eingebette¬ te Arzneimittel.
Die orale Darreichungsform ist eine bevorzugte Verabreichung von Arzneimitteln. Arzneimittel, die erst im Dickdarm wir¬ ken, z.B. solche, die bei chronischen Dickdarmentzündungen oder Morbus Crohn eingesetzt werden, und Arzneimittel, die normalerweise unter den physiologischen Verhältnissen im Magen oder im Dünndarm abgebaut oder verdaut werden, müssen geschützt werden, damit sie unverändert in den Dickdarm ge¬ langen. Zu Arzneistoffen, die im Dünndarm abgebaut oder ver¬ daut werden, zählen beispielsweise die Peptidarzneistoffe.
Es besteht daher Bedarf für einen Filmüberzug und ein Ein¬ bettungsmaterial, durch die bei peroraler Applikation der applizierte Wirkstoff beim Transport durch den Körper bis in den Dickdarm geschützt und dann dort freigesetzt wird. Pep¬ tidarzneistoffe könnten so bei oraler Anwendung vor der Zer¬ setzung durch den Magensaft, wie auch vor Zersetzung durch Peptidasen geschützt werden. Da die Peptidasenaktivität im Dickdarm nur sehr geringfügig ist, die Resorption von Pepti-
den aber im Dickdarm stattfindet, wäre dies ein akzeptabler Weg für die Applikation von Peptidarzneistoffen.
Durch die natürlichen physiologischen pH-Gefälle zwischen Speichel und Magen einerseits, sowie Magen und Dünndarm an¬ dererseits ist es heute ohne besondere Schwierigkeiten mög¬ lich, Arzneiformen zu entwickeln, die ihre Wirkstoffe ge¬ zielt im Magen oder im Dünndarm freisetzen. Dies wird durch Einbetten oder Umhüllung von Arzneimitteln mit Hilfsstoffen erreicht, die bei den entsprechenden pH-Werten löslich bzw. resistent sind.
Da jedoch beim Übergang vom Dünndarm in den Dickdarm die pH- Werte nur wenig differieren, ist es erforderlich, für das Dickdarm-Targeting nach anderen brauchbaren physiologischen Unterschieden zu suchen, die sich für die Erzielung einer Dünndarmresistenz und einer Dickdarmabbaubarkeit heranziehen lassen. Mit der erfolgreichen Entwicklung neuer, dünndarmre- sistenter, aber dickdarmabbaubarer Hilfsstoffe könnten bis¬ her nicht zu verwirklichende Möglichkeiten für das Dickdarm- Targeting eröffnet werden.
In der DE 40 06 521 AI (und der ihr entsprechenden europäi¬ schen Patentanmeldung 450 176 AI) werden zuckerhaltige Poly¬ mere zur Umhüllung und Einbettung von Arzneistoffen be¬ schrieben. Diese zuckerhaltigen Polymere werden zur Umhül¬ lung und/oder Einbettung von oral applizierbaren pharmazeu¬ tischen Wirkstoffen verwendet und bewirken, daß die Wirk¬ stoffe, die in den Polymeren enthalten sind, erst im Dick¬ darm freigesetzt werden. Die in dieser Druckschrift be¬ schriebenen Polymere besitzen den Nachteil, daß sie kompli¬ ziert hergestellt v/erden müssen und mit Polyisocyanaten ver¬ netzt sind.
In letzter Zeit wurde in zahlreichen Übersichtsarbeiten auf die Resorptionsmöglichkeiten im Dickdarm hingewiesen (M.L.G. Gardner (1988): Gastrointestinal absorption of intact proteins, Ann. Rev. Nutr. 8, 329 - 350; P. Gruber, M.A. Longer and J.R. Robinson (1987): Some Biological issues in oral controlled drug delivery, Adv. Drug Deliv. Rev. 1, 1 - 18; T.T. Karrarly (1989): Gastrointestinal absorption of drugs, Crit. Rev. 6 (1), 39 - 86).
Es wurden auch Studien über Arzneistoffapplikationen in den Dickdarm publiziert, die darauf hindeuten, daß sich dieser Bereich nicht nur als Zielorgan für topisch wirksame Arznei¬ stoffe anbietet, sondern durchaus auch als Resorptionsort. So beschreibt P.R. Bieck (1987, Arzneistoffresorptionen aus dem menschlichen Dickdarm - neue Erkenntnisse, Acta Pharm. Technol. 33 (3), 109 - 114), daß mehrere über Sonden oder mittels freigabesteuernder HF-Kapseln in den Dickdarm einge¬ brachte Arzneistoffe, darunter die ß-Rezeptorenblocker Ox- prenolol und Metoprolol sowie Isosorbid-5-mononitrat, prak¬ tisch ebenso gut wie aus dem Dünndarm resorbiert werden.
Der vorliegenden Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ver¬ netzte Polysaccharide, Verfahren zu ihrer Herstellung, ihre Verwendung und Arzneimittel zur Verfügung zu stellen, mit denen ein geschützter Arzneistofftransport durch den Magen und Dünndarm mit anschließender gezielter Freisetzung des Arzneistoffs im Dickdarm möglich ist. Erfindungsgemäß soll die lokale Applikation von Arzneistoffen in den Dickdarm, z.B. im Falle von chronischen Dickdarmentzündungen oder Mor- bus Crohn, und von Wirkstoffen, die normalerweise unter den physiologischen Verhältnissen im Magen oder Dünndarm abge¬ baut oder verdaut werden, möglich werden. Durch die vorlie¬ gende Erfindung soll die Entwicklung neuer dünndarmresisten- ter, aber dickdarmabbaubarer Kilfss*cof£e für das Dickdarm- Tarcetinα eröffnet werden.
Der Anmelder hat gefunden, daß die geringe mikrobielle Be- siedelung der distalen Dünndarmabschnitte im Vergleich zur gut ausgebildeten Mikroflora im Caecum besonders geeignet ist, um Stoffe zu entwickeln, durch die die genannte Aufgabe gelöst werden kann.
Der Anmelder hat gefunden, daß bestimmte vernetzte Poly¬ saccharide aufgrund ihrer enzymatischen Abbaubarkeit durch die Mikroflora des Dickdarms für den Einsatz als Filmbildner für die Entwicklung neuer dickdarmlöslicher Arzneiformen ge¬ eignet sind. Aufgrund der enzymatischen Abbaubarkeit durch die Bakterienkulturen des Dickdarms werden die Arzneistoffe dort gezielt freigesetzt.
Gegenstand der Erfindung sind mit bifunktionellen Vernet¬ zungsmitteln vernetzte Polysaccharide, die nicht mehr wasserlöslich, aber noch bioabbaubar sind, eine Quellung zwischen 100 und 1.000 % besitzen, wobei die Quellung, die Gewichtszunahme in Prozent bedeutet, durch die folgende Gleichung bestimmt wird:
worin A die Gewichtszunahme in Prozent, G0 das Gewicht des trockenen Polymeren und Gt das Gewicht des gequollenen, mit Wasser gesättigten Polymeren bedeuten.
Die Erfindung betrifft weiterhin ein Verfahren zur Herstel¬ lung der vernetzten Polysaccharide, gemäß dem man ein Poly- saccharid mit einem Molekulargewicht von 100.000 bis 10 Millionen, und zwar:
Galacto- mannane: 100.000 - 1 Mio., vorzugsweise 500.000 - 1 Mio
Laminarin: 100.000 - 1 Mio., vorzugsweise 500.000 - 1 Mio
Glucomannan: 100.000 - 1 Mio., vorzugsweise 500.000 - 1 Mio
Dextran: 100.000 - 10 Mio., vorzugsweise 1 Mio. - 10 Mio
Pektine: 100.000 - 500.000
Arabino- galactan: 100.000 - 300.000
Xylan: 100.000 - 500.000
in einem aliphatischen Diglycidylether, einer C^-do-alipha- tischen Dicarbonsäure oder ihrem reaktiven Derivat oder einem C_,-C10-aliphatischen Dialdehyd gegebenenfalls unter Zugabe eines inerten organischen Lösungs- bzw. Quellungsmit¬ tels suspendiert, die Suspension auf eine Temperatur im Bereich von Raumtemperatur bis 80°C erhitzt, zu der Suspen¬ sion eine katalytische Menge einer Base zugibt, das Reak¬ tionsgemisch bei der genannten Temperatur während einer Zeit von 1 bis 15 Stunden rührt und anschließend das quervernetz¬ te Polysaccharid in an sich bekannter Weise abtrennt und gegebenenfalls ein oder mehrere Male mit Wasser, Methanol oder Aceton wäscht.
Die Erfindung betrifft ebenfalls die Verwendung der vernetz¬ ten Polysaccharide zur Umhüllung und/oder Einbettung von Arzneiwirkstoffen oder Arzneimittelzubereitungen und ein Arzneimittel, das einen im Dickdarm wirkenden Wirkstoff oder einen Wirkstoff, der beim Durchgang durch den Magen oder Dünndarm abgebaut wird, umhüllt mit oder eingebettet in einem der vernetzten Polysaccharide, enthält.
Der Anmelder hat überraschenderweise gefunden, daß vernetzte Polysaccharide, die im unvernetzten Zustand durch die Glyco- sidasen der Dickdarm-Mikroflora abgebaut werden und die mit bifunktionellen Vernetzungsmitteln so vernetzt worden sind, daß sie gerade nicht mehr wasserlöslich, aber noch bioabbau-
bar sind, die genannten Erfordernisse erfüllen. Bei einer zu umfangreichen Derivatisierung geht die Abbaubarkeit verlo¬ ren. Dementsprechend darf das Polysaccharid erfindungsgemäß nur so verändert werden, daß gerade die Wasserlöslichkeit unterbunden wird. Dazu werden die Polysaccharide mit ge¬ eigneten Vernetzungsmitteln vernetzt. Dabei ist zu beachten, daß durch geringe Vernetzungszelten und durch den Einsatz langkettiger Vernetzungsmittel entsprechend lockere Netz¬ werke entstehen, in die das Enzym eindringen und den Film enzymatisch abbauen kann.
Erfindungsgemäß können die in der folgenden Tabelle aufge¬ führten Polysaccharide als Ausgangspunkte für die Vernetzun¬ gen verwendet werden.
Tabelle über die erfindunqsgemäß verwendeten Polysaccharide
Polysaccharid Baustein Abbaubarkeit Abbauart
Galactomannan ( 1 , 4 ) -ß-Mannose +++ Endoenzym
( 1 , 6 ) -α-Galactose Abbauprodukte: Oligosaccharide
Laminarin ( l , 3 ) -ß-Glucose +++ Exoenzy Abbauprodukte: Oligosaccharide
Pectine (1,4)-α-Galactu- +++ Exoenzym ronsäure Abbauprodukte: (teilw. Methyl¬ Mono-, ester) Disaccharide
Glucomannan (1,4)-ß-Mannose +++ Endoenzyme (l,4)-ß-Glucose Abbauprodukte: Oligosaccharide
Arabinogalactan Arabinose +++
Galactose
Xylan (l,4)-ß-Xylo- ++ Exoenzym pyranose Abbauprodukte: Mono-, Disaccharide
Dextran verzweigte Glucane: +++ Exoenzym/ α-1,6-D-Glucose, Endoenzym α-l,3-Glucose (verzweigt)
Von den in der Tabelle aufgeführten Polysacchariden sind Ga¬ lactomannan, Glucomannan und Dextran bevorzugt. Besonders bevorzugt ist Galactomannan. Die erfindungsgemäß verwendeten Polysaccharide besitzen ein Molekulargewicht von 100.000 bis 10 Millionen. Das Molekulargewicht ist nicht besonders kri¬ tisch, solange die oben genannten Bedingungen erfüllt wer¬ den, das heißt daß die Polysaccharide im unvernetzten Zu¬ stand durch die Glycosidase der Dickdarm-Mikroflora abgebaut werden und nach der Vernetzung nicht mehr wasserlöslich sind. Im folgenden werden die bevorzugten und besonders bevorzugten Molekulargewichte für einige der Polysaccharide angegeben.
Galacto- mannane: 100.000 - 1 Mio., vorzugsweise 500.000 - 1 Mio
Laminarin: 100.000 - 1 Mio., vorzugsweise 500.000 - 1 Mio
Glucomannan: 100.000 - 1 Mio., vorzugsweise 500.000 - 1 Mio
Dextran: 100.000 - 10 Mio., vorzugsweise 1 Mio. - 10 Mio
Pektine: 100.000 - 500.000
Arabino- galactan: 100.000 - 300.000
Xylan: 100.000 - 500.000
Die geeigneten Polysaccharide werden von Enzymen abgebaut. Das Endoenzym (1,4)-ß-Mannase wird nachweislich von der menschlichen Dickdarmflora produziert.
Im menschlichen Dickdarm ist weiterhin die Bakteriengattung Bacteroides reichlich vorhanden, die ein Exo/Endoenzymsystem produziert, welches α-l,6-glycosidische Bindungen, wie sie beispielsweise in Dextran vorliegen, abbaut. Dies erklärt, warum die Dickdarm-Mikroflora nicht nur ß-1,4- sondern auch σ-l,6-glycosidische Bindungen spalten kann. Die erfindungs¬ gemäß verwendeten Polysaccharide werden durch Amylasen nicht angegriffen und sind somit dünndarmstabil.
Vorzugsweise werden solche vernetzten Polysaccharide verwen¬ det, die von Endoenzymen gespalten werden. Die Endoenzyme spalten die Polysaccharide im Inneren und relativ schnell, wodurch der Wirkstoff sofort freigesetzt wird. Mit den Exo- enzymen, die am Ende der Polysaccharide angreifen, erfolgt die Spaltung langsamer.
Die genannten Polysaccharide eignen sich in unvernetzter Form als Filmüberzug oder Einbettungsmaterial nicht, da sie wasserlöslich sind und zu schnell aufgelöst und abgebaut werden. Sie werden daher erfindungsgemäß vernetzt.
Als Vernetzungsmittel können erfindungsgemäß verschiedene Reagenzien verwendet werden. Bevorzugt werden solche Vernet¬ zungsmittel verwendet, die pharamakologisch bereits einge¬ setzt und als unbedenklich angesehen wurden. Die Vernet¬ zungsmittel müssen bifunktionell sein, und Beispiele sind: aliphatische Diglycidylether wie 1,4-Butandioldiglycidyl- ether oder 1,6-Hexandioldiglycidylether,
Dicarbonsäuren wie Bernsteinsäure, Glutarsäure, Adipinsäure oder ihre reaktionsfähigen Derivate wie die Säuredichloride oder Anhydride, C
4-C
10-aliphatische Dialdehyde wie bei¬ spielsweise Glutardialdehyd, Succindialdehyd oder Adipindi- aldehyd. Von diesen sind 1,4-Butandioldiglycidylether, 1,6- Hexandioldiglycidylether, Adipinsäure, Adipinsauredichlorid und Adipinsäuredialdehyd bevorzugt. Die Vernetzungsmittel reagieren dabei mit den OH-Gruppen der Polysaccharide, und das so erhaltene Vernetzungsprodukt ist in Wasser unlöslich, jedoch in Wasser quellbar und dispergierbar und bildet qualitativ gute Filme.
Die Wasseraufnahme des vernetzten Polysaccharids, d.h. die Quellung des vernetzten Polysaccharids, wird zur Charakteri¬ sierung verwendet. Die erfindungsgemäßen vernetzten Poly¬ saccharide besitzen eine Quellung zwischen 100 und 1.000 %, vorzugsweise zwischen 150 und 850 %. Die Quellungsbestimmung erfolgt, indem 100 mg der vernetzten Polysaccharide in Form der Polymerfilme in eine Ampulle eingewogen werden und mit 10 ml Wasser versetzt werden. Nach 1, 5, 8, 20, 48 und 73 Stunden wird der Film aus dem Wasser genommen und auf Zell¬ stoff abgetupft und gewogen. Die Gewichtszunahme kann anhand folgender Formel errechnet werden:
A = G.- - Gn x 100
worin Λ die Gewichtszunahme in Prozent, Gn das Gewicht des trockenen Polymeren und G, das Gewicht des gequollenen Poiy-
meren bedeuten. In der vorliegenden Anmeldung wird als Quel¬ lung der Wert verstanden, der erhalten wird, wenn Gt kon¬ stant ist.
Die Quellung hängt in geringfügigem Maße von dem Vernet¬ zungsmittel ab. Sie liegt, wie oben angegeben, im allgemei¬ nen im Bereich zwischen 100 und 1.000 %. Werden die Diepo¬ xide verwendet, liegt sie zwischen 100 % und 800 %, vorzugs¬ weise 200 bis 400 %. Werden Dicarbonsäuren, ihre reaktiven Derivate und Dialdehyde verwendet, liegt die Quellung zwi¬ schen 150 und 850 %, vorzugsweise bei 200 bis 550 %. Der Fachmann kann durch geeignete Vorversuche leicht feststel¬ len, welche Mengenverhältnisse zwischen dem unvernetzten Po¬ lysaccharid und dem Vernetzungsmittel verwendet werden müs¬ sen, und ob das erhaltene vernetzte Polymere die erfindungs¬ gemäßen Eigenschaften aufweist. Im folgenden werden als Bei¬ spiele die Verhältnisse bei der Vernetzung mit Diepoxiden und mit Dicarbonsäuren, Dialdehyden angegeben.
Vernetzungen mit Diepoxiden
Um beispielsweise bei der Vernetzung von Galactomannan mit 1,4-Butandioldiglycidylether und 1,6-Hexandioldiglycidyl¬ ether (Diepoxide) zu den erwünschten Vernetzungsprodukten zu gelangen, müssen folgende Stoffmengenverhältnisse eingehal¬ ten werden. Die Stoffmengenverhaltnisse sind bezogen auf die primären und sekundären OH-Gruppen der Zuckerbausteine. Die bei der Vernetzung entstehenden Produkte können aufgrund ihrer Quellung und Stabilität in Wasser und aufgrund ihrer Abbaubarkeit durch Hemicellulasen charakterisiert werden. Zu wenig vernetzte Polysaccharide zeigen zu starke Quellungen oder die Filme zerfallen. Zu stark vernetzte Polysaccharide können von den entsprechenden Enzymen nicht mehr abgebaut werden.
gebenen Verhältnisse sind Stoffmengenverhaltnisse.
Alle Vernetzungsprodukte, die eine Quellung zwischen 100 % und 800 %, vorzugsweise 200 bis 400 % besitzen, werden von Hemicellulasen abgebaut. Diese Vernetzungsprodukte sind bei der Verwendung von C4-C10-Alkandioldiglycidylethern bevor¬ zugt.
Vernetzungen mit Dicarbonsäuren und Dialdehyden
Bei der Vernetzung mit Dicarbonsäuren, ihren reaktiven Deri¬ vaten und Dialdehyden müssen folgende Stoffmengenverhältnis¬ se eingehalten werden. Die Stoffmengenverhaltnisse sind bezogen auf die primären und sekundären OH-Gruppen der Zuckerbausteine. Zur Charakterisierung der erhaltenen Pro¬ dukte können die Quellung in Wasser, die Filmbildungseigen¬ schaften, die Stabilität in Wasser und die Abbaubarkeit mit Hemicellulasen benutzt werden. Zu stark vernetzte Poly¬ saccharide können nicht mehr abgebaut werden.
DiCbscl = Dicarbonsäurechlorid, 4-DMAP = 4-Dimethylaminopγ- ridin, DCC = Dicyclohexylcarbodiimid
Das wichtigste Charakterisierungsmerkmal ist die Quellung der vernetzten Produkte und die enzymatische Abbaubarkeit. Bei den mit Dicarbonsäuren vernetzten Polysacchariden ist eine starke Esterbande bei 1740 im IR zu erkennen.
Die aus den vernetzten Polysacchariden erhaltenen Filme sind in Wasser unlöslich, haben jedoch je nach Vernetzungsgrad unterschiedliche Quellungsgrade in Wasser.
Alle diese Filme sind sowohl im Freiburger-Dickdarmmikroflo- ratest, der im folgenden beschrieben wird, als auch mit rei¬ ner ß-Mannanase oder anderen Exo-/Endoenzymsystemen, die im Dickdarm vorkommen, abbaubar. Freisetzungsversuche mit ge¬ ringfügig quellenden Filmen, die aus Galactomannan als Poly¬ saccharid und 1,4-ButandioldigIycidylether als Vernetzer hergestellt wurden, konnten zeigen, daß die Freisetzung einer FarbstoffSubstanz erst nach Zugabe von dem Enzym ß- Mannanase erfolσte.
Von M. Saffran et al. (M. Saffran, G.S. Kumar, C. Savariar, J.C. Burnham, F. Williams and D.C. Neckers (1986): A new ap- proach to the oral administration of Insulin and other pep- tide drugs, Science 233, 1081 - 1084) wurden bereits ver¬ netzte Polyacrylate zu diesem Zweck eingesetzt. Diese haben jedoch die gewünschte Wirkung nicht gezeigt. Es war daher überraschend, daß die erfindungsgemäß zur Verfügung gestell¬ ten vernetzten Polysaccharide zu dem genannten Zweck ein¬ setzbar waren. Die von M. Saffran et al. hergestellten ver¬ netzten Polysaccharide waren offensichtlich zu stark ver¬ netzt, zu wenig quellbar, so daß sie von den Reduktasen der Dickdarm-Mikroflora zu langsam abgebaut wurden.
Die Erfindung betrifft ebenfalls ein Verfahren zur Herstel¬ lung der neuen vernetzten Polysaccharide wie vorne angege¬ ben.
Bei dem erfindungsgemäßen Verfahren wird das Polysaccharid mit dem vorne angegebenen Molekulargewicht in dem Vernet¬ zungsmittel wie angegeben, gegebenenfalls unter Zugabe eines inerten Lösungs- bzw. Quellungsmittels wie eines aliphati- schen Alkohols suspendiert. Es ist bevorzugt ohne Lösungs¬ mittel zu arbeiten. Die erhaltene Suspension wird unter Rühren auf eine Temperatur im Bereich von Raumtemperatur bis 80°C, vorzugsweise bis 60°C erhitzt. Die Temperatur darf nicht so hoch gewählt werden, daß sich aus dem Polysaccharid Klumpen bilden. Zu der Suspension wird eine katalytische Menge einer Base zugegeben. Die Art der Base spielt keine besondere Rolle, und im allgemeinen werden Alkalihydroxide wie Natriumhydroxid oder Kaliumhydroxid, Alkalicarbonate oder organische Basen wie beispielsweise 4-Dimethylamino- pyridin verwendet. Es können jedoch auch andere Basen einge¬ setzt werden. Das Reaktionsgemisch wird dann bei Raumtempe¬ ratur oder bei einer Temperatur bis zu 80°C, vorzugsweise
bis 60°C, besonders bevorzugt bis 40°C, während einer Zeit von 1 bis 15 Stunden, vorzugsweise 1 bis 6 Stunden, gerührt. Anschließend wird das quervernetzte Polysaccharid in an sich bekannter Weise beispielsweise durch Zentrifugierung, Abfil¬ trieren usw. abgetrennt. Zur Reinigung wird es ein oder mehrere Male in an sich bekannter Weise mit Wasser gewa¬ schen. Das Produkt wird getrocknet und kann dann direkt ver¬ wendet werden.
Die erfindungsgemäßen neuen vernetzten Polysaccharide können zur Umhüllung oder Einbettung von Arzneiwirkstoffen oder Arzneimittelzubereitungen, die gezielt lokal im Dickdarm an¬ gewendet werden sollen, oder zum Schutz von Wirkstoffen, die normalerweise unter den physiologischen Verhältnissen im Dünndarm oder im Magen abgebaut oder verdaut werden, oder auch zur Herstellung von Folien, die diese Arzneiwirkstoffe oder Arzneimittelzubereitungen enthalten, verwendet werden. Bisher mußten in solchen Fällen die entsprechenden Arznei¬ wirkstoffe in der Regel parenteral appliziert werden.
Es war überraschend, daß die erfindungsgemäß vernetzten Polysaccharide in einem Syntheseschritt synthetisiert werden können, den Gastrointestinaltrakt unbeschadet überstehen und im Dickdarm schnell abgebaut werden können.
Die Erfindung betrifft somit weiterhin die Verwendung der erfindungsgemaßen vernetzten Polysaccharide zur Herstellung von Filmüberzügen und Einbettungen von pharmazeutischen Wirkstoffen, die oral verabreicht werden können, und bei denen eine Wirkstofffreigäbe im Dickdarm erfolgen soll. Die Arzneiwirkstoffe oder Arzneimittelzubereitungen werden mit den erfindungsgemäßen vernetzten Polysacchariden umhüllt und/oder in diese eingebettet. Die Umhüllung oder Einbettung erfolgt nach an sich bekannten Verfahren, beispielsweise für Umhüllungen in Bauer, Lehmann, Osterwald, Rothgang: Überzo-
gene Arzneiformen, Wiss. Verlagsges. Stuttgart, 1988, und für Einbettungen in Bauer, Frömming, Führer: Pharmazeut. Technologie, 3. Aufl., G. Thieme Verlag Stuttgart, 1991, Seiten 278, 353 und 358 beschrieben.
Beispielsweise können Granulate, Pellets, Tabletten usw. in an sich bekannter Weise hergestellt werden.
Als Wirkstoffe, die vorzugsweise mit den erfindungsgemäßen vernetzten Polysacchariden formuliert werden können, kommen beispielsweise solche Arzneiwirkstoffe in Frage, die im Ma¬ gen oder Dünndarm abgebaut oder verdaut werden und deshalb peroral in der Vergangenheit nicht appliziert werden konn¬ ten, und Arzneimittel, die erst im Dickdarm wirken sollen, wie Arzneimittel, die gegen Dickdarmkrankheiten wirken, und Peptidarzneimittel. Beispiele sind: Peptide, Herz-Kreislauf- Therapeutika, Antirheumatika/Analgetika, Mittel zur Therapie von Dickdarmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa, Antiasthmatika, Antifibrinolytika, Antihämorrha- gika, Antitumormittel, Enzympräparate, Antibiotika, Anti- mykotika, Substanzen mit Wirkung auf das Zentralnerven¬ system.
Beispiele für Peptidwirkstoffe sind: ACTH (Adrenocortico- tropes Hormon) , Corticostatin, Calcitonin, Insulin, Oxytocin, Somatostatin und Analoga, LHRH-Analoga, Bombesin- Analoga, Cholecystokinin und Derivate, Endothelin und Analoga, Thrombin-Inhibitoren, Peptide Growth Factors (z.B. IGF, EGF, NGF), Magainine (PGS peptides), Gastrin-Analoga, Bradykinin-Analoga, Parathormon-Analoga, Neurokinin und Analoga, VIP und Analoga, ANP (Atriales natriuretisches Peptid) und Analoga, Neokyotrophin und Analoga, Angiotensin- Analoga, Enkephaline, Dynorphine, Dermorphine, Deltorphine, Renin-inhibierende Peptide, Tumor-Growth-Factor-Peptide, MSH (Melanocyte Stimulating Hormone)-Analoga, Mitotoxine, Tyr-
phostine, Chromogranin A, Thymopentin, TRH und Analoga, Sub- stanz-P, Tuftsin, Fibronectin, und peptidische Immunmodula¬ toren wie Cyclosporin A, FK 506, Neuropeptid Y und NPK.
Erfindungsgemäß werden bevorzugt biotechnologisch herge¬ stellte Peptide, insbesondere niedrige Peptide, verwendet.
Zur Prüfung der dickdarmafabaubaren vernetzten Polysaccharide und der erhaltenen Arzneimittel wurde der Mikrofloratest von A. Sarlikiotis (A. Sarlikiotis, J. Betzing, Ch. Wohlschlegel und K.H. Bauer (1992): A new in-vitro method for testing colon targeting drug delivery Systems or excipients, im Druck: Pharmaceutical and Pharmacological Letters, Springer Verlag International) verwendet.
Die folgenden Beispiele erläutern die Erfindung.
Beispiel 1
Vernetzung von Galactomannan mit 1,4-Butandioldiglycidyl- ether
2,0 g sprühgetrocknetes Galactomannan wird in einem ver¬ schließbaren Erlenmeyerkolben in 26,7 g 1,4-Butandioldigly- cidylether suspendiert. Diese Suspension wird auf 50°C er¬ hitzt. Nach dem Erreichen dieser Temperatur (10 min) wird vorsichtig 3,5 ml 0,2 N NaOH zugetropft. Dabei sollte keine oder nur eine geringe Klumpenbildung auftreten. Dieses Reak¬ tionsgemisch läßt man bis zum Ende der Reaktionszeit bei 50°C rühren. Nach Beendigung der Reaktion wird die Suspen¬ sion zum Abtrennen des Polymers zentrifugiert. Das abzentri- fugierte quervernetzte Polysaccharid wäscht man anschließend mehrmals mit Wasser. Zur weiteren Aufreinigung spült man das Polymer mit Aceton, wobei ein längeres Rühren in Aceton von
Nutzen ist. Das so erhaltene vernetzte Galactomannan ist mit Hilfe eines Ultraturrax in Wasser dispergierbar. Aus solchen wässrigen Dispersionen lassen sich qualitativ gute Filme herstellen. Die Mindestfilmbildungstemperatur liegt bei ca. 50°C, der Quellungsgrad bei 400 bis 600 %.
Beispiel 2
Vernetzung von Galactomannan mit 1,6-Hexandioldiqlycidyl- ether
2,0 g sprühgetrocknetes Galactomannan wird in einem ver¬ schließbaren Erlenmeyerkolben in 26,7 g 1,6-Hexandioldigly- cidylether suspendiert. Diese Suspension wird auf 50°C er¬ hitzt. Nach dem Erreichen dieser Temperatur (10 min) wird vorsichtig 3,5 ml 0,2 N NaOH zugetropft. Dabei sollte keine oder nur eine geringe Klumpenbildung auftreten. Dieses Reak¬ tionsgemisch läßt man bis zum Ende der Reaktionszeit bei 50°C rühren. Nach Beendigung der Reaktion wird die Suspen¬ sion zum Abtrennen des Polymers zentrifugiert. Das abzentri- fugierte quervernetzte Polysaccharid wäscht man anschließend mehrmals mit Wasser. Zur weiteren Aufreinigung spült man das Polymer mit Aceton, wobei ein längeres Rühren in Aceton von Nutzen ist. Das so erhaltene vernetzte Galactomannan ist mit Hilfe eines Ultraturrax in Wasser dispergierbar. Aus solchen wässrigen Dispersionen lassen sich qualitativ gute Filme herstellen. Die Mindestfilmbildungstemperatur liegt bei ca. 50°C, der Quellungsgrad liegt bei 400 bis 600 %.
Beispiel 3
Vernetzung mit Adipinsäure
(a) 2,0 g sprühgetrocknetes Galactomannan wird in einem Rundkolben in 20,0 ml absolutiertem Chloroform suspen¬ diert. Zu dieser Suspension gibt man einen Unterschuß von 29,0 g Adipinsäure und 41,0 g Dicyclohexylcarbo- diimid als wasserbindendes Reagenz. Diese Dispersion kocht man unter Rückfluß bei 60°C 48 Stunden. Anschlie¬ ßend wird die Suspension mit einer Nutsche abgesaugt und im Soxhletverfahren 24 Stunden mit ca. 500 ml heißem Methanol behandelt zur Entfernung des gebildeten Harn¬ stoffderivats. Das so erhaltene Polysaccharidprodukt ist in Wasser unlöslich, aber mit Enzymlösung abbaubar. Der Quellungsgrad liegt bei ca. 400 bis 600 %.
(b) 2,0 g sprühgetrocknetes Galactomannan wird in einem Rundkolben in 20 ml Dimethylformamid suspendiert. Zu dieser Suspension gibt man 6,1 g Adipinsauredichlorid. Anschließend setzt man eine dem Säurechlorid äquivalente Menge von 8,1 g 4-Dimethylaminopyridin zu. Anschließend erhitzt man das Reaktionsgemisch auf 60°C. Bei dieser Temperatur beläßt man den Ansatz ca. 15 Stunden. Das so erhaltene Produkt saugt man mit einer Nutsche ab und reinigt es im Soxhletverfahren mit ca. 500 ml heißem Methanol über mehrere Stunden. Der Quellungsgrad beträgt 400 bis 600 %.
Beispiel 4
Vernetzung mit Succindialdehyd
2,0 g sprühgetrocknetes Galactomannan wird in einem Rundkol¬ ben in 14,19 g Succindialdehyd suspendiert. Zu dieser Sus¬ pension gibt man eine entsprechende Menge Dicyclohexylcarbo- diimid als wasserbindendes Mittel, und des weiteren als Ka¬ talysator 3,0 g Ammoniumnitrat. Als Katalysator können auch wasserfreie Mineralsäuren wie Schwefelsäure oder auch 2,4- Dinitrobenzoesäure verwendet werden. Dieser Reaktionsansatz wird bei 50°C gut verschlossen ca. 15 Stunden gerührt. Das so erhaltene Produkt wird abgenutscht und mit Hilfe eines Soxhlet 24 Stunden mit ca. 500 ml heißem Methanol behandelt. Das so gereinigte Produkt wird bei 50°C im Trockenschrank getrocknet. Der Quellungsgrad beträgt 300 bis 500 %.