Sicherheitseinrichtung gegen Überdruckversagen eines Kernreaktor-Druckbehälters
Die Erfindung bezieht sich auf eine Sicherheitseinrichtung gegen Überdruckversagen eines Kernreaktor-Druckbehälters bei ungenügender Kernkühlung.
Wird bei einem Kernkraftwerk im allgemeinen und bei einem Druckwasserreaktor-Kernkraftwerk im besonderen das "äußerst unwahrscheinliche Versagen sämtlicher Kühleinrichtungen des Reaktorkerns unterstellt, so besteht die Gefahr, daß der Reaktorkern überhitzt wird. Bei einem Druckwasser- Kernkraftwerk wird ein unzulässiger Überdruck im Primär¬ kreis durch das Druckhaltesystem mit Sprüh- und Abblase- einrichtungen vermieden. Ein Abblasebehälter dient dazu, den beim Öffnen der Druckhalter-, Abblase- und Sicherheits¬ ventile und der Volumenregelsytem-Sicherheitsventile abge¬ blasenen Dampf zu kondensieren. Der Abblasebehälter ist zu etwa zwei Drittel mit Wasser gefüllt, darüber befindet sich ein Stickstoff-Polster. Bei Druckwasserreaktoren herrscht im Primärkreis ein Druck von z.B. 158 bar (Normalbetrieb).
Die Erfindung geht von der Überlegung aus, den Abblase- Ansprechdruck im Kühlkreis eines Kernreaktors, insbesondere im Primärkreis eines Druckwasserreaktors, temperaturabhän¬ gig wesentlich zu reduzieren, so daß im sehr unwahrschein¬ lichen Falle der Überhitzung des Reaktorkerns der Primär¬ kreisdruck auf Werte unter 30 bar automatisch herabgesetzt wird. Folglich ist Aufgabe der Erfindung, eine Sicherheits- einrichtung zu schaffen, die die Erfüllung dieses Kriteri¬ ums gestattet und damit eine Barriere gegen Überdruckver¬ sagen des Kernreaktor-Druckbehälters bei Kernüberhitzung bildet.
Erfindungsgemäß wird die gestellte Aufgabe bei einer
Sicherheitseinrichtung der eingangs genannten Art durch die folgenden Merkmale gelöst:
Eine in eine dem Primärdruck ausgesetzte Wand oder Rohr¬ leitung des Druckbehälters eingesetzte differenzdruck- belastete Druckentlastungsarmatur weist ein längsverschieb- lich bewegbar gelagertes Verschlußstück auf, das durch eine Schmelzlotarretierung in seiner Schließstellung abgedichtet gehalten, bei Erreichen einer oberen Grenztemperatur im Re¬ aktorinneren dagegen, die zum Aufschmelzen der Schmelzlot¬ arretierung aufgrund eines diese erreichenden Grenztempera¬ tur-Wärmeflusses führt, in seine Öffnungsstellung bewegbar ist. Das Verschlußstück ist in bevorzugter Ausführung ein Differenzdruckkolben.
Weitere vorteilhafte Weiterbildungen sind in den Ansprüchen 3 bis 11 angegeben. Die mit der Erfindung erzielbaren Vor- teile sind vor allem darin zu sehen, daß bei Erreichen ei¬ ner bestimmten Grenztemperatur im Reaktorkern, die deutlich unterhalb der Versagenstemperatur des Reaktordruckbehälters liegt, die Schmelzlotarretierung zum Aufschmelzen gebracht und so das Verschlußstück freigegeben wird. Durch den Sy- stemdruck (Reaktordruck) wird der bevorzugt verwendete Differenzdruckkolben in seinem Führungszylinder bis zu einem Kolbenanschlag verschoben. Nach Erreichen des Kolben¬ anschlages wird der Systemdruck über den dabei geöffneten Abblasequerschnitt auf Werte unter 30 bar abgebaut. Eine vorteilhafte- Ausführung der Sicherheitseinrichtung nach der Erfindung besteht in diesem Zusammenhang darin, daß die Druckentlastungsarmatur in die Wand einer Hauptkühl¬ mittelleitung nahe dem Kernreaktor- Druckbehälter einge¬ setzt ist.
Eine andere vorteilhafte Ausführungsform besteht darin, daß die Druckentlastungsarmatur in die Wand des Druckbehäl¬ ters in Höhe der Hauptkühlmittelleitungsstutzen und in Wandbereiche zwischen diese eingesetzt ist.
Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform ist die Druck¬ entlastungsarmatur an eine in einen Abblasebehälter
mündende Abblaseleitung angeschlossen. Bei entsprechend geringeren Querschnittsabmessungen der Druckentlastungs¬ armatur und der an diese angeschlossenen Leitungen kann jedoch die Druckentlastungsleitung auch als Steuerleitung für ein gesondertes Abblaseventil ausgebildet sein. Als
Schmelzlotlegierungen haben sich Silberlotlegierungen als besonders vorteilhaft erwiesen, die in einem Temperatur¬ bereich bis ca. 700" C stabil und strahlungsresistent sind.
Im folgenden wird die Erfindung anhand zweier in der
Zeichnung dargestellter Ausführungsbeispiele noch näher erläutert. Darin zeigt:
Figur 1 einen Kernreaktor-Druckbehälter im Axialschnitt mit einer Sicherheitseinrichtung nach der Erfindung, die eine in eine Hauptkühlmittelleitung eingebaute Druck¬ entlastungsarmatur umfaßt;
Figur 2 die Einzelheit II aus Figur 1 der Druckentla- stungsarmatur, vergrößert im Detail und
Figur 3 eine DampfSchaltung, bei der die Abblaseleitung der Druckentlastungsarmatur als Steuerleitung zur Ansteue- rung eines Abblaseventils dient.
Der vereinfacht im Schnitt in Figur 1 dargestellte Kern¬ reaktor-Druckbehälter 1 (im folgenden: Druckbehälter) eines Druckwasser-Kernkraftwerks ist z.B. für eine thermi¬ sche Reaktorleistung von 3765 MW, entsprechend einer elek- trischen Bruttoleistung von 1300 MW, ausgelegt. Der Reak¬ torkern 2, welcher aus Brennelementen zusammengesetzt ist, von welchen nur ein einzelnes 3 dargestellt ist, wird mit Leichtwasser gekühlt, das über Einlaßstutzen 4 eintritt und in einem Ringraum 5 abwärts strömt (vgl. Strömungs- pfeile fl) . Vom unteren Plenum 6 strömt das Kühlwasser durch den perforierten unteren Rost 7 aufwärts durch die
Kühlkanäle der Brennelemente 3, wärmt sich darin auf und fließt dann vom oberen Plenum 8 durch Auslaßstutzen 9 und die daran angeschlossene sogenannte heiße Primärkreislei¬ tung 10 zu einem nicht dargestellten Dampferzeuger, wo es seine Wärme über wärmetauschende Rohre an das Sekundärkühl¬ mittel abgibt. Die Kühlwasserströmung durch den Reaktor¬ kern 2, das obere Plenum 8 und die Austrittsstutzen ist durch Strömungspfeile f2 verdeutlicht. Vom Dampferzeuger wird das gekühlte Kühlwasser, auch als Primärkühlmittel bezeichnet, über die sogenannte kalte Primärkreisleitung
(nicht dargestellt) zum Eintrittsstutzen 4 des Druckbehäl¬ ters 1 wieder zurückgepumpt, so daß sich im Normalbetrieb ein kontinuierlicher Kreislauf einstellt. Im Normalbetrieb steht das Primärkühlmittel im Primärkreis und damit auch innerhalb des Druckbehälters 1 unter einem Druck von ca. 158 bar, die Kühlmitteltemperatur am Austrittsstutzen 9 beträgt etwa 329 βC. Der Reaktordruckbehälter 1 mit seinen Einbauten ist für diese Druck- und Temperaturbeanspruchung zuzüglich eines Sicherheitszuschlages ausgelegt. Er besteht aus einem topfförmigen Behälterunterteil 1A mit Bodenkalot¬ te 11 und Ringflansch 12 an seinem oberen Ende, mit welchem der einen Gegenflansch 13 aufweisende gewölbte Deckel IB dichtend verschraubt ist (die Deckelschrauben sind nicht dargestellt, lediglich Schraubendurchgangsöffnungen 14). Von den Einbauten seien nur die wichtigsten erwähnt: Eine untere Siebtonne 15, darüber der schon genannte untere Rost 7, welcher den Boden eines Kernbehälters 16 bildet. Letzterer ist mit einem Tragflansch 16.1 an einer Ring¬ schulter 17 des Ringflansches 12 eingehängt und nimmt in seinem unteren Teil den Kern 2 mit den einzelnen Brennele¬ menten 3 auf. Der Kern 2 ist durch eine obere Gitterplatte 18 abgedeckt, auf welcher sich ein Führungsgerüst 19 ab¬ stützt, welches eine obere Tragplatte 19.1 aufweist. In einen Teil der Brennelemente tauchen Steuerstäbe 20 ein, die von nicht näher dargestellten, oberhalb des Deckels IB angeordneten Steuerstabantrieben abgesenkt oder angehoben
werden können. Bei einer Vier-Loop-Anlage befinden sich über den Umfang des Druckbehälters 1 verteilt in der Ebene 21-21 abwechselnd vier Auslaßstutzen 9 und vier Einla߬ stutzen 4. Das unter einem überkritischen Druck gehaltene und deshalb flüssige Primärkühlmittel bedeckt im Normalbe¬ trieb nicht nur den Kern 2, sondern füllt auch das obere Plenum 8 etwa bis zur oberen Tragplatte 19.1 aus. Es ist deshalb eine wirksame Kühlung auch derjenigen Einbauten gewährleistet, die zwar selbst keine Wärme erzeugen (wie die Brennelemente 3), sondern durch Gamma-Strahlung einer sogenannten Gamma-Aufheizung unterliegen. Fällt der Wasser¬ stand im Druckbehälter aufgrund eines sehr'unwahrscheinli¬ chen Ausfalls aller Kühl- und Notkühleinrichtungen, so beginnt die Bauteiltemperatur (normalerweise ca. 400° C) zu steigen, und Wärme wird insbesondere durch Strahlung und Leitung verstärkt an den Druckbehälter 1 abgegeben, insbesondere dann, wenn der Wasserstand bis zur oberen Gitterplatte 18 oder noch etwas darunter abgefallen ist. Diese Überhitzung wird in dem noch realtiv frühen Stadium von der Sicherheitseinrichtung nach der Erfindung ausge¬ nutzt, ein Überdruckversagen des Druckbehälters 1 bei der erwähnten ungenügenden Kernkühlung mit Sicherheit zu ver¬ hindern.
Hierzu ist eine in eine Rohrleitung des Druckbehälters 1 (dargestellt ist die heiße Hauptkühlmittelleitung 10 als Rohrleitung) eingesetzte differeπzdruck-belastete Druck¬ entlastungsarmatur 22 vorgesehen. Diese weist ein längsver- schieblich beweglich gelagertes Verschlußstück, insbesonde- re einen Differenzdruckkolben 23 auf (vgl. die Darstellung nach Figur 2), der durch eine Schmelzlotarretierung 24, 25 in seiner (dargestellten) Schließstellung abdichtend gehal¬ ten wird.. Bei Erreichen einer oberen Grenztemperatur im Re¬ aktorinneren, die z.B. bei 700° C liegt, wird die Sch elz- lotarretierung 24, 25 aufgrund eines sie erreichenden
Grenztemperaturwärmeflusses aufgeschmolzen. Sie kann dann
nicht mehr den auf sie wirkenden Scherkräften widerstehen, so daß der Differenzdruckkolben 23 aufgrund der an ihm angreifenden Differenzdruckkräfte in seine Offenstellung verlagert wird. Die Druckdifferenz ergibt sich zu P = Pl - Pn, mit Pl = Innendruck, PQ = Außendruck.
Der im Innenraum des Druckbehälters 1 herrschende Druck Pl kann somit über den Anschlußrohrstutzen 26- und den geöff¬ neten Querschnitt des Ringkanals 27 in die Abblaseleitung
28 im Zuge des Abblasestromes abgebaut werden, vgl. Pfeile f3. Die Schmelzlotarretierung 24 ist zwischen Dichtflächen
23.1 des Kolbens 23 und zugehörigen Sitzflächen 29 der Druckentlastungsarmatur 22 angebracht. Diese Sitzflächen
29 sind im dargestellten Beispiel von Innenumfangsflachen des Anschlußrohrstutzens 26 gebildet, der im Bereich der Sitzflächen mit einer zusätzlichen Armierung versehen sein kann. Diese Schmelzlotarretierung ist so ausgelegt, daß sie bei Normaltemperatur einem Differenzdruck von- 160 bar leicht standhalten kann. Als zusätzliche Sicherheit ist eine weitere Schmelzlotarretierung 25 zwischen den Kolben- umfangsflachen 23.2 (am Eintauchende des Kolbens 23) und Führungsflächen 30 am Innenumfaπg eines Führungszylinders 31 angeordnet. Kolben 23 und Führungszylinder 31 sind vorzugsweise als Hohlkörper ausgebildet, weil dadurch der Wärmefluß ohne große Verluste und gezielt das Schmelzlot erreicht.
Der Führungszylinder 31 ist im Armaturengehäuse 220 zen¬ triert so gehalten, daß zwischen seinem Außenumfang und dem Innenumfang des Armaturengehäuses 220 ein Ringraum bzw. Ringkanal 27 als Überströmkanal freibleibt. Im Ring¬ raum sind den Führungszylinder 31 zentrisch halternde Leit¬ flügel 32 angeordnet und mit der Armaturengehäusewand ver¬ bunden. Der Einlaßquerschnitt des Ringraumes bzw. Über¬ strömkanals 27 wird, wie dargestellt", durch den Kolben 23 in dessen Normalstellung abgedichtet, dagegen in seiner Auslösestellung freigegeben. In der Auslösestellung ist
der Kolben 23 vollständig in den Führungszylinder 31 eingetaucht. Zur Erzeugung des Differenzdrucks am Kolben 23 und zur Erleichterung der Eintauchbewegung ist der einen Boden 33 aufweisende Führungszylinder 31 mit einer Druckentlastungsöffnung 34 in seinem Boden versehen.
Wie erwähnt, ist die Druckentlastungsarmatur 22, wie dar¬ gestellt, in die Wand der Hauptkühlmittelleitung 10, und zwar der sogenannten heißen Primärkreisleitung, nahe dem Druckbehälter 1 eingesetzt. Eine alternative Ausführungs¬ form bestünde darin, daß ein Anschlußrohrstutzen 26 der Druckentlastungsarmatur 22 in die Zylinderwand des Druck¬ behälters 1 in Höhe der Hauptkühlmittelleitungsstutzen 4, 9 (vgl. Figur 1) und zwar in einem Umfangszwischenraum zwischen diesen, eingesetzt ist (nicht dargestellt).
Die Druckentlastungsarmatur 22 kann auch als eine.Druck¬ steuerarmatur 22' (vgl. Figur 3) ausgebildet sein. Diese hat entsprechend geringere Querschnittsabmessungen, und anstelle der Druckentlastungsleitung 28 ist eine Druck¬ steuerleitung 28' vorgesehen, welche an eine Steuerkolben¬ einheit 35 eines Abblaseveπtils 36 angeschlossen ist. Dieses Abblaseventil 36 ist eingangsseitig an den System¬ druck Pl angeschlossen, welchen es normalerweise von einer zu einem nicht näher dargestellten Abblasebehälter führen¬ den Leitung 37 absperrt. Erst bei Ansprechen der Steuer¬ armatur 22' im Falle einer Überhitzung des Druckbehälters 1 würde das Abblaseventil 36 geöffnet. Bei diesem Abblase¬ ventil kann es sich um das bei konventionellen Kernreaktor- anlagen ohnehin in der Nähe des Druckhalters an die Primär¬ kreisleitung angeschlossenes Abblaseventil handeln.
Die Armatur 22' (in ihrer verkleinerten Ausführung als Drucksteuerarmatur) kann auch im Inneren des Druckbehälters 1 installiert sein, z.B. im Bereich des unteren Rostes 7 oder der oberen Gitterplatte 18, so daß sie noch näher zu
eventuellen Heißstellen angeordnet ist und damit noch schneller anspricht. Die zugehörige Drucksteuerleitung 28' würde dann nach Art einer schlanken Meßleitung durch den Deckel IB oder an einer Stelle zwischen den Ein- und Aus- laßstutzen 4, 9 druckdicht nach außen hindurchgeführt.
Ob nun eine direkte Abblasefunktion (Figuren 1 und 2) oder eine indirekte Abblasefunktion im Überhitzungsfalle ver¬ wirklicht wird, beides bedeutet einen Sicherheitsgewinn, weil der Druck im Inneren des Druckbehälters 1 auf Werte kleiner als 30 bar abgesenkt wird. Dadurch wird garantiert, daß selbst im Falle des sogenannten Kernsch elzens und eines darauf unter Umständen folgenden Abschmelzens des Druckbehälterbodens die Trag- und Haltestruktur des Druck- behälters 1 wie auch die übrige Kernreaktor-Geb udestruktur lediglich höchstens Auslegungskräften ausgesetzt werden. Da ein Kernschmelz-Störfall bei der Standard-Druckwasser¬ reaktorbauform zu einer höchst unwahrscheinlichen Ereignis zählt, so kann die Abblasearmatur 22 bzw. 22' in den Lei- tungsstutzen 10 bzw. die Druckbehälterwand eingeschweißt sein. Es kann jedoch auch eine druckfeste Flanschverbindunq vorgesehen sein, welche eine Inspektion der Schmelzlotstel¬ len in bestimmten Zeitabständen (wenn der Druckbehälter wegen eines Brennelementwechsels ohnehin drucklos gemacht ist) gestattet.