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Das orofaziale System (Engelke, W. 2007) ist ein komplexes Gebilde, das den Vitalfunktionen Atmen, Kauen und Schlucken dient und des Weiteren als Kommunikationsorgan fungiert. Es befindet sich in seiner geschlossenen Ruhelage in einem Zustand, der geeignet ist, seine Morphologie in einem stabilen Gleichgewicht zu halten. Aus diesem Grunde ist es das Ziel verschiedener therapeutischer Geräte, diesen Ruhezustand zu unterstützen. Ein Beruhigungssauger für Säuglinge ist bedingt geeignet, einen stabilen Ruhezustand während des Saugens zu unterstützen. Er hat jedoch den erheblichen Nachteil, dass seine Form einen anatomischen Schluss des Systems nicht angemessen unterstützt, da der Saugkörper eine längsgerichtete, anatomisch nicht vorgesehene Verbindung zwischen der Außenwelt und dem Mundinnenraum darstellt. Die vielfältigen pathologischen Wirkungen auf die Entwicklung des dentoalveolären Systems und der gestörte Gleichgewichtszustand zwischen äußeren und inneren Komponenten der orofazialen Weichgewebe bei Kindern, die Beruhigungssauger tragen, sind hinlänglich bekannt. Zahnstellungsanomalien, Wachstumsanomalien der Kiefer und Funktionsstörungen des orofazialen Systems können die Folge sein.
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Demgegenüber ist die therapeutische Wirkung von saugerähnlichen Hilfsmitteln (z. B. so genannte Schnarchschnuller) mit dem Konzept des Schlusses funktioneller Räume des orofazialen Systems hinlänglich erklärbar und grundsätzlich auch bei Erwachsenen nutzbar.
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Ziel der Erfindung ist es, einen allgemein anwendbaren Beruhigungssauger zu beschreiben, der die Voraussetzungen einer biofunktionell adäquaten Form, insbesondere die Herstellung des geschlossenen Ruhezustandes und die Vermeidung interdentaler Störungen im Frontzähnbereich schafft und somit auch als Therapiegerät von Störungen der orofazialen Biofunktionen im Erwachsenenalter einsetzbar ist. Dazu sind zunächst die anatomischen Voraussetzungen zu definieren ( ).
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Der anteriore Mundschluss ist in Projektion auf die Mediosagittalebene keine längsgerichtete einfache Öffnung sondern ist schematisierend grafisch nach der Formel „H7” zu beschreiben. Die Lippenkontur bildet im Querschnitt ein H, die daran anschließende Begrenzung des Kieferkammes und der Mundhöhle hat die Form einer 7. In der Mediosagittalebene findet sich im geschlossenen Ruhezustand das „H” durch folgende Ebenen gekennzeichnet: (1) die äußere Lippentangente, (2) die Ebene der Mundspalte, (3) die Ebene des Vestibulums. Der Übergang über die Zahnreihe kann als oberer Querstrich einer „7” und als Tangente and den Kontaktpunkt der Schneidezähne (4) verstanden werden, deren Verlängerung auf die Mitte des subpalatinalen Raumes (6) gerichtet ist. Die vordere Begrenzung des Zungenraumes (5), gleichzeitig anatomische Begrenzung des cavum oris durch die Zahnreihe, kann schematisch als der vertikale Strich einer „7” verstanden werden und verläuft im wesentlichen parallel zur Ebene des Vestibulums.
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Konventionelle Beruhigungssauger liegen mit ihrer Lippenplatte an der äußeren Gesichtskontur (1) an, der Übergang zum Saugkörper ist gleichzeitig Lippenübergang und im Wesentlichen senkrecht auf der Lippenplattenebene stehend. Konventionelle Sauger weisen also keine Strukturen auf, die geeignet sind, im Vestibulum anatomisch gerecht gelagert zu werden wie dies z. B. von Mundvorhofplatten bekannt ist. Stattdessen bieten sie dem Kind Gelegenheit, entlang des Saugkörpers sagittale gleitende Bewegungen der Zunge durch eine geöffnete Frontzahnreihe auszuführen, die geeignet sind mit der sich entwickelnden bleibenden Dentition zu interferieren und den Mundinnenraum durch nach außen und unten gerichtete Volumenverlagerung der Zunge zu verkleinern, was zu Störungen der transversalen Kieferrelation und einer transversalen Enge des Oberkiefers führen kann.
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Ziel der Entwicklung des biofunktionellen Beruhigungssaugers ist es, durch eine anatomische Ausformung des Gerätes die Gebissentwicklung so wenig wie möglich zu stören und gleichzeitig zur Stabilisierung des orofazialen Systems beizutragen, was wiederum zu einer Verbesserung der nächtlichen Atmung führen kann. In einer besonderen Ausführungsform sollen die biofunktionellen Vorteile eines Schlusses des orofazialen Systems im Sinne der geschlossenen Ruhelage auch für erwachsene Personen, z. B. Schnarchern als Trainingsgerät verfügbar gemacht werden.
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Ziel der Erfindung ist es, ein möglichst einfaches Design vorzuhalten, das den Übergang über den Zahnbogen weitestgehend interferenzfrei zulasst ohne die Grundfunktion, d. h. die Positionierung des Lutschobjektes im Mundraum aufzugeben.
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Der erfindungsgemäße Beruhigungssauger wurde deshalb abweichend von bisherigen handelsüblichen Geraten derartig gestaltet, dass statt eines Überganges über die Zahnreihe zwei oder mehrere Übergänge vorgesehen sind ( , , , , ). Auf diese Weise ist bei gleicher Sicherheit für die Position des Lutschkörpers ein anatomisch korrekter Übergang über die Zahnreihe möglich, wobei sich der Lutschkörper verhältnismäßig frei bewegen kann und die Abknickung des Überganges aufgrund der geringeren Dimension der einzelnen Teilübergänge im Vergleich zu einem einzelnen Übergang größerer Dimension wesentlich leichter erfolgt. Vorzugsweise werden die Zahnreihenübergänge dabei in Zonen verlagert, in denen der Überbiss geringer ist als im Bereich der mittleren Schneidezähne, so z. B. im Bereich der seitlichen Schneidezähne, der Prämolaren oder der vorderen Molaren. Beim Lutschvorgang bleibt die Zunge in Kontakt mit dem Lutschkörper, dieser kann sich unabhängig vom Übergang dreidimensional im Mundraum bewegen ohne eine sagittale Einlagerung der Zunge im interokklusalen Raum zu provozieren. Es kommen ansonsten die Prinzipien des vorbeschriebenen biofunktionellen Beruhigungssaugers (Gebrauchsmuster Engelke 2009) hinsichtlich Gestaltung in der mediosagittalen Ebene zum Tragen. Der erfindungsgemäße Beruhigungssauger ist folgendermaßen gestaltet ( – ): Die äußere Lippenplatte (7) besteht aus einem i. d. R. formstabilen, biologisch unbedenklichen Kunststoff. Nach oral anschließend findet sich ein elastischer horizontaler Anteil (Lippenübergang) für die Mundspalte (8), der variabel breit stegförmig, ggf. auch hohl ausgeführt sein kann. Dieser Anteil geht über in einen aus einem oder mehreren einzelnen Strängen bestehenden Zahnreihenübergang mit möglichst geringer Bauhöhe. Durch seine hohe Elastizität erlaubt der Zahnreihenübergang (9) eine große Bewegungsfreiheit des Lutschkörpers (10), der sich daran anschließt. Der Lutschkörper ist i. d. R. der Gaumenkontur nachempfunden, auch er kann geteilt sein. In einer für Erwachsene geeigneten Ausführungsform ( – ) wird auf die typische äußere Lippenplatte (7) zugunsten einer rein intraoralen Anordnung verzichtet, wobei diese Ausführungsform mit einem oder mehreren Lippenclips (14) lagegesichert werden kann.
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Die Erfindung wird an Ausführungsbeispielen dargestellt:
Die zeigt die Grundzüge der mediosagittalen Projektion des orofazialen Sytems wie sie von Engelke (2007) beschrieben wurde.
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Die zeigt die Grundkomponenten:
- – Äußere Lippenplatte (7)
- – Lippenübergang (8) flach, aus mindestens einem Stück
- – Zahnreihenübergang (9): Zur besseren Flexibilität bei erhaltener Raumorientierung des Lutschkörpers kann der Zahnreihenübergang (9) aus mehreren Strängen, elastisch und flexibel gestaltet als Verbindung zum Lutschkörper (10) dienen. Im vorliegenden Beispiel wird er aus zwei Strängen gebildet
- – Lutschkörper (10): Er ist in der Regel konvex zum Gaumen gestaltet, ggf aus mehreren Teilen bestehend.
- – Lippenübergang (8), Zahnreihenübergang (9) und Lutschkörper (10) können hohl gestaltet sein.
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Die zeigt zwei verschiedene Ausführungsformen des Beruhigungssaugers (12, 13): Die Ausführung (12) weist die Unterscheidung in Lippenübergang und Zahnreihenübergang (9) mit unterschiedlicher Struktur auf. Die Ausführung 13 hat in vereinfachter Weise nur einen flexiblen aus zwei Strängen bestehenden Lippen- und Zahnreihenübergang (9) aufzuweisen.
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Die zeigt eine perspektivische Darstellung einer Ausführungsform mit 2 strangförmigen Übergängen (9)
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In den – sind Ausführungsformen vorzugsweise für Erwachsene dargestellt: Die lasst erkennen, dass durch die Verlagerung der Zahnreihenübergänge (20) in die seitlichen Bereiche der Zahnreihe, wie in erkennbar, in der Mediosagittalebene überhaupt keine Störung des Zahnreihenschlusses mehr auftritt. Hier befinden sich lediglich im Vorhof eine Vestibulärplatte (15) sowie der Lutschkörper (10). Die Vestibulärplatte kann mit Clips, die über den freien Rand der Lippe geführt werden an der Oberlippe oder andernorts, z. B. seitlich des Mundwinkels befestigt werden Diese Ausführungsform eignet sich insbesondere für die Kombination mit einer nasalen Atemmaske.
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Die zeigt eine Ausführungsform für Erwachsene und Kinder mit einer zusätzlichen Lingualplatte (17). Die Lingualplatte verhindert die Einlagerung der Zunge in den Funktionsraum 1. Der Lutschkörper kann bei Erwachsenen kleiner als bei der Kinderausführung gestaltet sein. Er kann zur Aufnahme von Tabletten mit verschiedenster Funktion dienen, deren Inhalt durch Lutschen ausgespült werden kann. Auf diese Weise kann eine protrahierte gesteuerte Medikamentenapplikation erfolgen.
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In der wird der Übergang über die Zahnreihe im Querschnitt durch die Prämolarenregion dargestellt: Die Vestibulärplatte (15), kann vorzugsweise etwas kräftigere Ränder aufweisen, ggf. auch ausschließlich aus ihren Rändern mit zentralen Freiräumen bestehen, sie kann hohl gestaltet sein zur Aufnahme verschiedenster Verbindungen der Funktionsräume nach außen oder untereinander. Die posterioren Übergänge über die Zahnreihe (20) liegen nicht mittleren Schneidezahnabschnitt, sondern seitlich davon. Ein der Gaumenkontur nachempfundenes Gaumenstück (18) reicht von den posterioren Übergängen (20) zum Lutschkörper (10), der an typischer Stelle im subpalatinalen Funktionsraum (6) liegt. Der Lutschkörper (10) kann hohl und ggf. zur Mundhöhle offen sein. Seine Form kann erheblich variieren, er kann ebenso wie der gesamte Beruhigungssauger mit elektronischen Bauteilen zur Funktionskontrolle und Funktionssteuerung beschickt sein.
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Die zeigt die Ausführungsform in perspektivischer Ansicht von anterior: In dieser Variante ist zusätzlich zur Vestibulärplatte (15) eine Lingualplattte (17) angeordnet. Lingualplatte (17) und Vestibulärplatte (15) können miteinander kraftschlüssig gekoppelt sein, sie können aus unterschiedlichen Materialien gefertigt sein und kommunizierende Hohlräume enthalten. Die Verbindung der Vestibulärplatte (15) und der Lingualplatte (17) erfolgt vermittels eines oder mehrerer Zahnreihenübergänge (20). Lippenclip (14), Vestibulärplatte (15), Lingualplatte (17), Gaumenstück (18), und Lutschkörper (10) können ein System kommunizierender Hohlräume enthalten mit dem Ziel des Anschlusses medizinischer Gerate.
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stellt eine Ausführungsform dar bestehend aus Vestibulärplatte (15), Lippenclip (14), Gaumenstück (18) und Lutschkörper (10). Die Lippenclips können in ihrer Positionierung variieren (s. o.), so dass die Oberlippe frei bleibt und die Verankerung seitlich oder an der Unterlippe erfolgt. Der Lutschkörper kann ebenfalls innerhalb weiter Grenzen formvariant gefertigt sein, ggf. polypenartig am Gaumenstück ansetzen und geeignete Hohlkörper zur Aufnahme von Geschmacksträgern, Tabletten, Medikamententrägern, Sensoren und anderen elektronischen Bauteilen insbesondere Sensoren zur Detektion von Druck, Temperatur, chemischen Konzentrationsgradienten, pH, Sauerstoffsättigung, Medikamentenkonzentrationen im Speichel sowie Systeme zur drahtlosen Datenübertragung, ferner Spielgeräte oder ähnlicher Komponenten enthalten. Eine skelettierte Vestibulärplatte kann vorgesehen sein, um eine freie Mundöffnung zu gestatten.
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entspricht einer Aufsicht auf einen Beruhigungssauger mit Vestibulär- und Lingualplatte: Vestibulärplatte (15) und Lingualplatte (17) weisen im anterioren und seitlichen Bereich unterschiedliche Abstände zueinander auf, die der vestibulooralen Zahnbreite entsprechen. Die Zahnreihenübergänge (20) zwischen beiden Platten sind posterior vorgesehen, so dass die gesamte Front hierdurch nicht beeinträchtigt werden kann.
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Abbildungsverzeichnis
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Orofaziale Funktionsdeterminanten
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Beruhigungssauger Grundform
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Beruhigungssauger weitere Ausführungsformen
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Beruhigungssauger perspektivische Gesamtansicht
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Beruhigungssauger intra-extraorale Variante in sagittaler Ansicht
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Ausführungsform mit Lingualplatte in sagittaler Ansicht
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Transversalschnitt mit Zahnreihenübergängen
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Perspektivische Ansicht Variante mit Lingualplatte
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Perspektivische Ansicht Variante mit Lippenclip
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Aufsicht auf Variante mit Lingualplatte
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Bezugszeichenliste
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- 1
- Vertikale Tangente an die äußere Lippenkontur
- 2
- Ebene der Mundspalte
- 3
- Vestibulumebene
- 4
- Tangente an interinzisalen Kontaktpunkt
- 5
- Anteriore Zungenraumbegrenzung
- 6
- Subpalatinaler Raum
- 7
- Äußere Lippenplatte
- 8
- Lippenübergang
- 9
- Zahnreihenübergang
- 10
- Lutschkörper
- 11
- Perforationen der Lippenplatte
- 12
- Ausführungsform mit gesondertem Lippenübergang
- 13
- Ausführungsform ohne gesondertem Lippenübergang
- 14
- Lippenclip
- 15
- Vestibulärplatte
- 16
- Randverstärkungen
- 17
- Lingualplatte
- 18
- Gaumenstück
- 19
- Hohlräume
- 20
- posteriore Zahnreihenübergänge