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Bekanntlich wird bei Kernreaktionen ein sehr energie- und intensitätsreiches
Strahlengemisch von Gammaquanten und Neutronen ausgestrahlt.
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Zur Abschirmung einer energiereichen Gammastrahlung mit Quantenenergien
über 0,5 MeV müssen die zu verwendenden Werkstoffe eine hohe Dichte oder einen hohen
Wasserstoffanteil aufweisen. So ist es bereits bekannt, zur Schwächung von Gammastrahlen
in technischen Schutzbauten Beton mit Beimischungen von Eisen oder Blei zu verwenden.
Weiterhin sind Mischungen aus Polyäthylen oder Polypropylen mit darin gleichmäßig
verteiltem Blei oder Wolfram sowie zusätzlich geringen Mengen Bor bekannt, die zur
Herstellung von Formkörpern zum Schutz gegen radioaktive Strahlung geeignet sein
sollen.
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Die Schwächung von energiereichen Neutronenstrahlen setzt voraus,
daß diese erst auf die Energie thermischer Neutronen abgebremst werden. Es sind
eine ganze Reihe von Elementen bekannt, die sehr hohe Einfangquerschnitte für thermische
Neutronen besitzen. Das beste Bremsmaterial für schnelle Neutronen ist bekanntlich
Wasserstoff. In Kunststoffen ist je nach Art ein verschieden hoher Wasserstoffanteil
vorhanden. Teilweise sind die Wasserstoffanteile, verglichen mit dem Kohlenstoff
bzw. sonstigen Elementen im Kunststoff, sehr hoch. Beim Polyäthylen z. B. verhält
sich das Verhältnis Wasserstoff zu Kohlenstoff wie 2 : 1. Die Bremswirkung des Polyäthylens
ist besser als die von Wasser, obwohl das Verhältnis Wasserstoff zu Sauerstoff ebenfalls
2 : 1 beträgt. Das erklärt sich durch die kleinere Kernmasse von Kohlenstoff im
Vergleich zum Sauerstoff.
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Die abgebremsten Neutronen werden von Elementen mit einem hohen Neutroneneinfangquerschnitt
eingefangen. Dabei werden als Neutroneneinfänger vorzugsweise Verbindungen der Elemente
Bor oder Cadmium verwendet. Beim Bor findet im wesentlichen ein (n&)-Prozeß
statt, d. h., für das in einem Borkern eingefangene Neutron sendet der Folgekern
ein energiereiches a-Teilchen einer Energie von etwa 5 MeV aus.
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Ist die Borverbindung in Polyäthylen eingelagert, so bewirkt das oc-Teilchen
infolge seiner hohen Ionisierungsdichte im umgebenden Polyäthylen eine schwere Schädigung
des Kunststoffes. Die Reichweite des a-Teilchens beträgt in Polyäthylen nur wenige
zehntel Millimeter. Es ist daher erforderlich, falls das neutroneneinfangende Element
im Kunststoff eingelagert ist, daß der beim Neutroneneinfang anstehende Prozeß ein
(nGamma)-Prozeß ist. Die entstehenden Gammaquanten einer Energie von 5 bis 6 MeV
verteilen ihre Energie auf ein sehr großes Kunststoffvolumen. Cadmium liefert zwar
einen solchen (ny)-Prozeß, ist jedoch, da es viele langlebige radioaktive Isotope
bildet, für Strahlenabschirmungen wenig geeignet.
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Erfindungsgegenstand ist die Verwendung von thermoplastischen und/oder
duroplastischen Kunststoffen, in denen das Verhältnis Kohlenstoff zu Wasserstoff
oder das Verhältnis Restatom zu Wasserstoff im Bereich von 1 : 2,1 bis 2: 1 liegt,
deren Molekulargewicht kleiner als 200 000 ist, deren Gehalt an den Elementen Chlor,
Chrom, Cobalt, Zink, Cadmium, Caesium kleiner als 0,01 Gewichtsprozent ist und die
1 bis 5 Gewichtsprozent Gadolinium und/oder Samarium enthalten, zum Herstellen von
Formkörpern zum Schutz gegen Gamma- und Neutronen strahlung.
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Derartige Kunststoffe können aus der Klasse der Hoch- und Niederdruckpolyäthylene,
der Polypropylene, der Alkylen-Propylen- bzw. Alkylen-Butylen-
Mischpolymerisate,
der Polyamide und Polyester stammen. Besonders geeignet sind Polyäthylen, Polystyrol,
Nylon, Polyester, Phenolharz, gegebenenfalls unter Zusatz von Füllstoffen. Nach
der Art der bisher verwendeten Kunststoffe war es weder bekannt noch zu erwarten,
daß allein durch Steigerung des Wasserstoffanteils das Absorptionsvermögen eines
solchen Kunststoffes für Gammastrahlen erheblich verbessert werden kann. Vielmehr
zeigen die bisher bekannten Werkstoffe, in denen zur Absorption der Gammastrahlen
stets Blei enthalten ist, daß diese Erkenntnis bisher unbekannt war.
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Wie bedeutungsvoll die richtige Auswahl der geeigneten Kunststoffe
ist, erhellt aus den Veränderungen des mit Gamma- und Neutronenstrahlen bestrahlten
Kunststoffs, wie sie am Beispiel von Polyäthylen dargestellt werden sollen. So wird
zunächst bei der Bestrahlung Wasserstoff freigesetzt. Der Wasserstoff diffundriertausdemPolyäthylen
heraus und steht damit nicht mehr für die Neutronenabbremsung zur Verfügung.
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Das Verhältnis Wasserstoff zu Kohlenstoff verringert sich nach einer
Bestrahlung mit 80 bis 100 Mrad von 2 : 1 auf etwa 1 : 5. Wegen dieses laufenden
Wasserstoffverlustes im Strahlenfeld muß ein Polyäthylen mit dem größten Wasserstoffanteil,
d. h. also niedermolekulares Polyäthylen, verwendet werden. 1 cm3 Polyäthylen enthält
bei einem Molekulargewicht von 56000 maximal 8,571.1022 Wasserstoffatome/cm3, 980000
maximal 8, l022Wasserstoffatome/cm3.
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Dabei bleibt unberücksichtigt, daß das hochmolekulare Polyäthylen
stärker verzweigt ist als das niedermolekulare und sich damit die Differenz der
beiden Werte noch vergrößert. Dieser scheinbar geringe Unterschied in der Wasserstoffkonzentration/cm3
bedeutet praktisch jedoch, daß das niedermolekulare Polyäthylen nach mehreren Monaten
Bestrahlung mit 109 bis 1010 Teilchen/cm2 sec die Wasserstoffkonzentration des hochmolekularen
Polyäthylens erreicht.
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Mit wachsender Strablendosis (rad) wächst nun die strahleninduzierte
Vernetzung des Polyäthylens. Dies wirkt sich anfangs in einer Verbesserung der mechanischen
Werte, wie z. B. der Reißfestigkeit, aus. Wird eine Strahlendosis von 10 bis 20
Mrad überschritten, so verschlechtern sich die mechanischen Werte sehr schnell,
das Polyäthylen wird gummiähnlich und dann glasartig und neigt dann zu Rissen und
Sprüngen, wobei Risse im Abschirmmaterial die Abschirmwirkung sehr stark herabsetzen.
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Die zur Erzielung des gleichen Vernetzungsgrades erforderliche Dosis
ist abhängig von dem Molekulargewicht des unbestrahlten Polyäthylens. Für niedermolekulares
Polyäthylen wird eine höhere Dosis benötigt als für hochmolekulares. Mithin ist
niedermolekulares Polyäthylen für die Abschirmung besonders geeignet. Deshalb soll
das Molekulargewicht nicht größer als 200 000 sein.
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Die in den Kunststoffen, insbesondere in Polyolefinen, von der Herstellung
noch vorhandenen Verbindungen der Elemente Chlor, Chrom, Cobalt, Zink, Cadmium,
Cäsium müssen z. B. durch Auswaschen auf einen Gehalt von weniger als 0,01 0/o verringert
werden, da ein Teil der Elemente Isotope enthält, die einen relativ großen Neutroneneinfangquerschnitt
besitzen und langlebige radioaktive Isotope bilden.
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Ferner enthält der Kunststoff Elemente, die thermische Neutronen
mit einem (ny)-Prozeß absorbieren, die einen hohen Einfangwirkungsquerschnitt aufweisen
und
die langlebige Isotope nur in einem extrem kleinen Ausmaß bilden, nämlich Gadolinium
und Samarium, die elementar oder in Form ihrer Verbindungen, z. B. als Oxyde, in
Mengen von 1 bis 5 Gewichtsprozent, bezogen auf das Gewicht des Kunststoffes, eingesetzt
werden.
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Schließlich empfiehlt es sich, den Kunststoffen Stabilisatoren, wie
fettsaure Salze von Metallen der II. Gruppe des Periodensystems, und insbesondere
Antioxydantien, wie 2-a-Methylcyclohexy1-4,6-dimethylphenol, 4,4' - Thio - bis -
(6 - tertiärbutyl - meta -kresol), in Mengen von 0,1 bis 10/o, bezogen auf die Gesamtmischung,
zuzugeben. Besonders wichtig ist der Zusatz von Antioxydantien bei Polyolefinen,
da z. B. Polyäthylen im Strahlenfeld in Gegenwart von Sauerstoff oxydiert wird.
Es bilden sich dabei niedermolekulare, wachsartige Qxydationsprodukte. Während bei
kurzen Bestrahlungszeiten die Oxydation nur an der Oberfläche des Polyäthylens stattfindet,
tritt bei jahrelanger Dauerbestrahlung die Oxydation auch im Innern der Polyäthylenplatten
auf. Da die Oxydationsprodukte die mechanische Stabilität des Werkstoffes sehr stark
herabsetzen, muß die Oxydation vermieden oder wenigstens weitestgehend herabgesetzt
werden.
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Neben der bereits erwähnten Verwendung von Antioxydantien kann man
dies dadurch gewährleisten, daß man die Oberfläche der Polyäthylenplatten mit einem
weitgehend sauerstoffundurchlässigen Schutzmantel, z. B. aus Polyester, versieht.
In manchen Fällen ist es möglich, das Absorptionsvermögen des Polyäthylens für Gammastrahlen
durch Zusätze von Blei und
Wolfram im Gewichtsverhältnis von 1 : 1 bis 1 : 30 zu
verbessern; jedoch ist dieser Zusatz bei gleichzeitiger Anwesenheit von Neutronen
strahlung nicht zweckmäßig, da Wolfram unter diesen Umständen viele unstabile Isotope
bildet und die Neutronenbremswirkung des Polyäthylens durch die hohen Zusätze von
Blei oder Wolfram sehr stark herabgesetzt wird.
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Eine Schichtdicke von z. B. 20cm Polyäthylen bremst die aus einem
Reaktor kommenden Neutronen einer maximalen Energie von 10 MeV nahezu vollständig
auf thermische Energie ab. Zum Beseitigen dieser thermischen Neutronen werden dem
Polyäthylen bestimmte neutronen abschirmende Elemente zugegeben. In der Tabelle
1 sind diese Elemente in der Reihenfolge ihrer Wirksamkeit zusammengestellt. Dabei
haben die Angaben am Kopf der Tabelle folgende Bedeutung: Spalte 1: Element und
die für einen n-Einfangprozeß geeigneten Isotope des Elementes; Spalte 2: Neutroneneinfangquerschnitte
in Barn für das Element und die Isotope des Elementes; Spalte 3: das sich durch
Neutroneneinfang aus dem Isotop der Spalte 1 bildende Isotop; Spalte 4: Halbwertzeit
des Isotops der Spalte 3; ist keine Halbwertzeit angegeben, so bedeutet dies, daß
durch einen (na)-Prozeß ein stabiles Isotop gebildet wird; das Gammaquant hat eine
Energie von 5 bis 6 MeV; Spalte 5 und 6: Energien der vom instabilen Isotop der
Spalte 3 ausgesandten Strahlung; Spalte 7: Gewichtsanteil des Isotops am Element.
Tabelle 1
1 2 3 4 5 6 7 |
Element |
Isotop |
64Gd 46 000 - 0,106/0,26 0,2 |
Gd152 125 Gd163 230 d - - 14,78 |
Gd155 61 000 Gd156 - - - 15,71 |
Gd157 240 000 Gd158 - 0,85 0,055/0,35 24,78 |
Gd158 1,1 Gd159 18 h 1,5 0,37 21,79 |
Gd160 0,7 Gdl6l 3,6 m |
62Sam 5 600 |
Sam144 <2 Sam145 400 d - 0,061 2,87 |
Sam147 87 Sam148 - - - 14,94 |
Sam149 48 800 Saml50 - - - 13,85 |
Sam151 10 000 Sam152 - - - |
Samls2 224 Sam153 47 h 0,820 0,069/0,103/0,61 26,9 |
Sam154 6 Sam155 24 m 1,8 0,105/0,246 22,8 |
In der nachfolgenden Tabelle 2 sind die Werte der Neutronenabsorption 1 cm starker
Platten aus Polyäthylen aufgeführt, das jeweils 1 Gewichtsprozent der Verbindungen
Gd2O8, Sm2O8, CdO, Hg2O und B4C enthält.
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Tabelle 2
Neutronenabsorption |
Element |
% |
Gd 100 |
Sm 50 |
Cd 30 |
Hg 17 |
B 9 |
In einem Quantenenergiebereich von 0,3 bis 10 MeV hat Polyäthylen gute Schwächungseigenschaften
für Gammastrahlen. In diesem Energiebereich erfolgt die Schwächung durch Comptonstreuung.
Der Comptonstreukoeffizient ist proportional der Dichte multipliziert mit dem Verhältnis
von Ordnungszahl Z und AtomgewichtA. Bei Polyäthylen beträgt die Dichte 0,94 bis
0,96 g/cm3, sie ist also z. B. kleiner als die von Beton. Der Faktor Z/A ist bei
Polyäthylen 0,84 (Z/A von Wasserstoff = 1, Z/A von Kohlenstoff = 0,5), bei Beton
0,5. Das bedeutet, daß der Nachteil des geringeren spezifischen Gewichtes von Polyäthylen
teilweise durch seinen höheren Z/A-Wert wieder aufgehoben wird. In praxi folgt daraus,
daß zur Erzielung der gleichen Strahlenschwächung gegenüber z. B. Beton
als
Abschirmmaterial ein größeres Polyäthylenvolumen erforderlich wird. Die Polyäthylenabschirmung
ist aber gewichtsmäßig leichter als die Betonabschirmung.
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In der Tabelle 3 sind in Abhängigkeit von der Quantenenergie (Spalte
1) die Schichtdicken von Normalbeton (Dichte 2,7 g/cm3) (Spalte 3) und Polyäthylen
(Spalte 4) eingetragen, die die gleiche Strahlenschwächung ergeben wie 10 cm Schwerbeton
(Dichte 3 g/cm3).
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Tabelle 3
1 ~ 2 3 4 5 |
Schwer- Normal- Poly- Gewichts- |
MeV beton beton äthylen ersparnis |
cm cm cm % |
5,5 10 10,8 17,5 37 |
1,5 10 10,5 17,2 38 |
0,5 10 12,5 20,1 25 |
0,4 10 16,1 25,3 6 |
Die Spalte 5 zeigt, daß mit Polyäthylen bis hinunter zu Quantenenergien von etwa
0,4 MeV bei gleicher Absorberwirkung wie Schwerbeton eine große Gewichtsersparnis
erzielt wird.
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Ein weiteres Beispiel zeigt das Absorptionsvermögen eines erfindungsgemäß
hergestellten Formkörpers auf der Basis eines Polyesters: Ein ungesättigtes, unverstärktes
Polyesterharz aus
30 Teilen Styrol und 70 Teilen Polyester vom Molekulargewicht 3000
wird mit 30 Gewichtsprozent eines Polyäthylenpulvers (Teilchengröße zwischen 50
und 200 Xu, Molekulargewicht 60 000, Dichte 0,945 g/cm3, Chlorgehalt 0,010/,) sowie
mit geringen Mengen Dimethylanilin und Benzoylperoxyd vermischt. Diese Mischung
wird unter Polymerisation zu Blöcken von 100 x 100 x 100 mm verarbeitet. Der Schwächungsfaktor
für Gammastrahlen einer 20 cm starken Absorberschicht beträgt 8,2.
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Die erfindungsgemäß hergestellten Formkörper eignen sich hervorragend
zur Abschirmung von Kernreaktoren - Neutronen und/oder Gammastrahlen -selbst unter
härtesten Bedingungen, z. B. unter mehr als zehnjähriger Dauerbestrahlung.