Verfahren zur Bildung der Referenzgeschwindigkeit bei Mo¬ torrädern
Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Bildung einer Re¬ ferenzgeschwindigkeit bei Motorrädern mit Anti- Blockiersystem (ABS) gemäß Oberbegriff von Anspruch 1 sowie ein Computerprogrammprodukt gemäß Anspruch 9.
Das Motorrad hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte von einem einfach ausgestatteten Fortbewegungsmittel zu einem Freizeitgefährt entwickelt, bei dem auch vermehrt die Si¬ cherheit des Fahrers in den Vordergrund gerückt wird. Ähn¬ lich wie bei den Automobilen vor einigen Jahren werden zu¬ nehmend auch Motorräder mit Anti-Blockiersystemen (ABS) ausgerüstet. Aus der EP 0 548 985 Bl ist beispielsweise ei¬ ne Blockierschutzvorrichtung für Motorräder bekannt. Ferner ist aus der DE 40 00 212 Al ein Verfahren zum blockierge¬ schützten Bremsen eines Motorrades und zum Bestimmen des Haftbeiwertes bekannt.
Üblicherweise wird die Referenzgeschwindigkeit bei Fahrzeu¬ gen mit Anti-Blockiersystem (ABS) bei Beschleunigungsvor¬ gängen aus dem langsamsten nichtangetriebenen Rad bestimmt. Bei Motorrädern ist dies üblicherweise das Vorderrad. Bei extremen Beschleunigungsvorgängen von Motorrädern, kann es bei hochmotorisierten Fahrzeugen zum Abheben des Vorderra¬ des kommen. Ist das Vorderrad in der Luft, bleibt die Ge¬ schwindigkeit des Rades nahezu konstant oder fällt nur leicht ab, da die Rotation durch die Massenträgheit des Ra¬ des aufrechterhalten wird. Die Referenzgeschwindigkeit folgt der Vorderradgeschwindigkeit, das Motorrad aber be-
schleunigt weiter. Dies hat zur Folge, dass die bestimmte Referenzgeschwindigkeit deutlich kleiner wird als die tat¬ sächliche Fahrzeuggeschwindigkeit.
Kommt es nun zum Wiederaufsetzen des Vorderrades, wird die¬ ses stark auf die tatsächliche Fahrzeuggeschwindigkeit hochbeschleunigt. Die Referenzgeschwindigkeit bleibt je¬ doch, zumindest für eine gewisse Zeit, niedriger als die tatsächliche Fahrzeuggeschwindigkeit, da in dem Fall, dass der Regelalgorithmus des ABS-Steuergerätes ein Überdrehen des Vorderrades erkennt, der letzte Geschwindigkeitswert vor dem Erkennen des überdrehenden Vorderrades als Refe¬ renzgeschwindigkeit beibehalten wird, und in dem Fall, dass kein Überdrehen erkannt wird, die Referenzgeschwindigkeit mit einer vorgegebenen maximalen Steigung bis auf die Vor¬ derradgeschwindigkeit (tatsächliche Fahrzeuggeschwindig¬ keit) angehoben wird, wobei diese Anhebung eine gewisse Zeit erfordert. In dieser Zeit erfolgt eine Erkennung einer ABS-Regelung sehr unsensibel, da die Räder zum Erkennen der ABS-Regelung eine hohe Schlupfschwelle unterschreiten müs¬ sen. Bremst der Fahrer in dieser kritischen Situation ein, werden durch den Unterschied zwischen der Referenzgeschwin¬ digkeit und der tatsächlichen Fahrzeuggeschwindigkeit (Vor¬ derradgeschwindigkeit) die Schlupfschwellen zum ABS- Eintritt um diesen Betrag vergrößert. Dies hat ein sehr in¬ stabiles Bremsverhalten zur Folge, wodurch bei einem Motor¬ rad die Sturzgefahr massiv vergrößert wird.
Daher ist es die Aufgabe der Erfindung, ein Verfahren zur Bildung einer Referenzgeschwindigkeit bei Motorrädern mit Anti-Blockiersystem (ABS) bereitzustellen, welches auch im Fall eines Abhebens und Wiederaufsetzens des Vorderrades
die Referenzgeschwindigkeit in der Nähe der tatsächlichen Fahrzeuggeschwindigkeit hält.
Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß gelöst durch ein Verfah¬ ren wie in Anspruch 1 definiert.
Der Erfindung liegt der Gedanke zugrunde, dass anhand zu¬ mindest des Radgeschwindigkeitssignals des Vorderrades eine Prüfung durchgeführt wird, ob das Vorderrad abhebt und auch wieder aufsetzt, und dass im Falle eines Abhebens und an¬ schließenden Aufsetzen des Vorderrades ein Sonderermitt¬ lungsmodus zur Bildung der Referenzgeschwindigkeit einge¬ leitet wird, mit dem Ziel, die Referenzgeschwindigkeit mög¬ lichst schnell der Vorderradgeschwindigkeit, und damit der Fahrzeuggeschwindigkeit, anzugleichen.
Unter Radgeschwindigkeitssignalen sind Größen zu verstehen, welche direkt mit der Raddrehgeschwindigkeit in Zusammen¬ hang stehen, also auch z.B. Radumlaufzeiten.
Das Abheben des Vorderrades wird erfindungsgemäß bevorzugt dadurch erkannt, dass, wenn ein fahrzeugspezifischer Schwellenwert der Fahrzeugbeschleunigung überschritten ist, die Hinterradgeschwindigkeit weiter ansteigt während die Vorderradgeschwindigkeit für eine vorgegebene Zeit einen nahezu konstanten oder leicht abnehmenden Verlauf mit einer Verzögerung im Bereich von etwa -0.3g bis Og zeigt.
Das Aufsetzen des Vorderrades wird erfindungsgemäß bevor¬ zugt anhand zumindest der Radgeschwindigkeitssignale des Vorder- und Hinterrades erkannt. Ganz besonders bevorzugt wird es dadurch erkannt, dass die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Hinter- und Vorderrad größer als ein Schwellenwert
ist, während die Radbeschleunigung des Vorderrades einen Schwellenwert überschreitet.
In einer bevorzugten Ausführungsform wird im Sonderermitt¬ lungsmodus die Referenzgeschwindigkeit der Vorderradge¬ schwindigkeit mit einer vorgegebenen Steigung angeglichen. Besonders bevorzugt ist es, dass die im Sonderermittlungs¬ modus verwendete Steigung von der außerhalb des Sonderer¬ mittlungsmodus verwendeten Steigung abweicht. Dabei ist es ganz besonders bevorzugt, dass die im Sonderermittlungsmo¬ dus verwendete Steigung größer ist, um ein möglichst schnelles Angleichen von Referenzgeschwindigkeit und Vor¬ derradgeschwindigkeit zu erreichen.
In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform wird im Son¬ derermittlungsmodus die Referenzgeschwindigkeit der Vorder¬ radgeschwindigkeit sprunghaft angeglichen. Besonders bevor¬ zugt wird dies dann durchgeführt, wenn ein Beenden des Fahrzeugbeschleunigungsvorgangs erkannt wurde.
Ein Beenden des Fahrzeugbeschleunigungsvorgangs wird erfin¬ dungsgemäß durch ein Abflachen des Vorderradbeschleuni¬ gungsverlaufs nach dem Aufsetzen des Vorderrades oder durch Vorderradbeschleunigungswerte, welche denen des Hinterrades innerhalb eines Toleranzbandes entsprechen, oder durch eine zusätzliche Fahrzeuginformation, bevorzugt eine Information über das angeforderte Motormoment, erkannt.
Der mit der Erfindung erzielte Vorteil liegt darin, dass nach einem Erkennen des Abhebens und Wiederaufsetzens des Vorderrades eines Motorrades die Bildung der ABS- Referenzgeschwindigkeit derart modifiziert wird, dass die Referenzgeschwindigkeit möglichst schnell der Vorderradge-
schwindigkeit angeglichen wird. Dadurch verharrt die Refe¬ renzgeschwindigkeit nicht bei einem Wert, welcher deutlich unter der tatsächlichen Fahrzeuggeschwindigkeit liegt, und die bewährte Strategie zur Bildung der Referenzgeschwindig¬ keit, welche darauf beruht, dem langsamsten nichtangetrie- benen Rad zu folgen, wird nicht aufgegeben.
Die Erfindung betrifft auch ein Computerprogrammprodukt, welches einen Algorithmus nach dem vorstehend beschriebenen Verfahren definiert.
Weitere Merkmale und Vorteile des erfindungsgemäßen Verfah¬ rens gehen aus den Unteransprüchen hervor. Die Erfindung wird im Folgenden anhand einer Figur beschrieben.
Fig. 1 zeigt eine schematische Darstellung eines Motorra¬ des. Das Motorrad 1 bewegt sich mit einer Geschwindigkeit v in die durch den Pfeil angegebene Richtung und wird mit ei¬ ner Beschleunigung a beschleunigt. Üblicherweise wird die ABS-Referenzgeschwindigkeit bei Beschleunigungsvorgängen im Wesentlichen aus dem langsamsten nichtangetriebenen Rad, d.h. bei Motorrädern dem Vorderrad 2, bestimmt. Kommt es zum Abheben 3 des Vorderrades, d.h. verliert das Vorderrad 2 den Kontakt mit dem Boden 4, so bleibt die Geschwindig¬ keit des Rades 2 nahezu konstant bzw. fällt nur leicht ab, da die Rotation nur durch die Massenträgheit des Rades auf¬ rechterhalten wird. Die Referenzgeschwindigkeit folgt der Vorderradgeschwindigkeit, das Motorrad 1 aber beschleunigt weiter und erkennt am Hinterrad 5 ein Überdrehen, welches somit von der Bildung der Referenzgeschwindigkeit gänzlich ausgeschlossen wird.
Ein Abheben 3 des Vorderrades kann demnach beispielgemäß dadurch erkannt werden, dass anhand des bekannten Fahrzeug¬ beschleunigungssignals (VEHACC: Vehicle Acceleration) eine Beschleunigung des Fahrzeugs über einen fahrzeugspezifi¬ schen Grenzwert hinaus detektiert wird, wobei die Hinter¬ radgeschwindigkeit stetig weiter ansteigt, während die Vor¬ derradgeschwindigkeit für eine Zeit von größer 20 ms einen gering dynamischen Verlauf zeigt, d.h. die Geschwindigkeit zeigt einen nahezu gleich bleibenden oder nur leicht abneh¬ menden Verlauf (Verzögerung in einem Bereich von etwa -0.3g bis 0g) .
Kommt es nun zum Wiederaufsetzen des Vorderrades 2, wird dieses stark auf die tatsächliche Fahrzeuggeschwindigkeit hochbeschleunigt, d.h. im Moment des Aufsetzens ist am Vor¬ derrad 2 eine starke positive Radbeschleunigung zu beobach¬ ten. Am Vorderrad 2 kann, je nach Regelalgorithmus im ABS- Steuergerät, ebenfalls ein Überdrehen erkannt werden, wobei dann der letzte Vorderradgeschwindigkeitswert vor dem Er¬ kennen des überdrehenden Vorderrades als Referenzgeschwin¬ digkeit verwendet wird. Wird an dem Vorderrad 2 kein Über¬ drehen erkannt, so wird die Referenzgeschwindigkeit mit ei¬ ner vorgegebenen maximalen Steigung, z.B. +0.6g, bis auf die Vorderradgeschwindigkeit (tatsächliche Fahrzeugge¬ schwindigkeit v) angehoben. Da die Anhebung der Referenzge¬ schwindigkeit eine gewisse Zeit erfordert, erfolgt eine Er¬ kennung einer ABS-Regelung in dieser Zeit sehr unsensibel.
Überschreitet die Radbeschleunigung des Vorderrades 2 einen Schwellwert von z.B. +5g und ist die Geschwindigkeitsdiffe¬ renz zwischen Hinterradgeschwindigkeit Vmnterrad und Vorder¬ radgeschwindigkeit Vvorderrad größer als ein Grenzwert von z.B. 4 km/h, d.h.
^Hinterrad > VVorderrad + 4 km/h ,
so wird beispielgemäß ein Aufsetzen des Vorderrades er¬ kannt.
Der Sonderermittlungsmodus für die Bildung der Referenzge¬ schwindigkeit wird mit dem erkannten Aufsetzen des Vorder¬ rades gestartet. Die Referenzgeschwindigkeit wird in diesem Fall beispielgemäß mit einer Steigung von etwa 1.3g der Vorderradgeschwindigkeit nachgeführt.
Zeigt die Radbeschleunigung des Vorderrades 2 nach dem er¬ kannten Aufsetzen eine abflachende Beschleunigung, d.h. z.B. die Beschleunigung des Vorderrades nimmt ab, und/oder Beschleunigungswerte, die dem der Hinterradbeschleunigung entsprechen oder in einem Band zu der Beschleunigung des Hinterrades 5 liegen, oder es liegt zusätzlich eine Infor¬ mation über das angeforderte Motormoment vor, aus der man Erkennen oder Ableiten kann, dass der Fahrer den Beschleu¬ nigungsvorgang beendet hat, so ist ein sprunghaftes Anglei¬ chen der Referenzgeschwindigkeit auf die Vorderradgeschwin¬ digkeit möglich.
Das Verfahren stellt sicher, dass die Referenzgeschwindig¬ keit nicht (durch Ausschließen der als überdrehend erkann¬ ten Räder von der Berechnung der Referenzgeschwindigkeit) bei einem Wert der Referenzgeschwindigkeit verharrt, wel¬ cher deutlich unter der Fahrzeuggeschwindigkeit liegt. Hierdurch wird die schon angesprochene Sturzgefahr stark verringert. Ebenfalls wird die bewährte Referenzgeschwin- digkeitsbildungsstrategie, welche auf dem Folgen des lang¬ samsten Rades beruht, nicht aufgegeben, wodurch Unterbrem-
sungen aufgrund einer irrtümlich zu hoch liegenden Refe¬ renzgeschwindigkeit, beispielsweise hervorgerufen durch ei¬ ne falsch erkannte Druckabbauphase, verhindert werden.
Generell wird mit dieser Lösung der Tatsache Rechnung ge¬ tragen, dass bei einem Motorrad nur zwei Drehzahlinformati¬ onen zur Verfügung stehen, aber Situationen wie Schleuder¬ vorgänge (z.B. komplette Drehungen, bei denen die Referenz¬ geschwindigkeit nahe 0 km/h gehalten werden muss) nicht entstehen können.