DE4127536A1 - Modellgestuetztes verfahren zum regeln einer rektifikationskolonne - Google Patents
Modellgestuetztes verfahren zum regeln einer rektifikationskolonneInfo
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Description
Die Erfindung betrifft ein modellgestütztes Verfahren zum Regeln
einer Mehrkomponenten-Rektifikationskolonne mit zwei Produktströmen,
wobei das Modell die Verknüpfung zwischen den Regel- und den Stell
größen enthält.
Rektifikationskolonnen werden üblicherweise mit Temperaturen als
Hilfsregelgrößen für die interessierenden Produktkonzentrationen
geregelt. Bei Mehrkomponentensystemen bestehen jedoch keine thermo
dynamisch eindeutigen Zusammenhänge zwischen den Kolonnentempera
turen und den Produktkonzentrationen. Die Temperatursteuerung hängt
daher stark von den Arbeitsbedingungen der Kolonne ab. Höhere Pro
duktreinheiten sowie eine Verringerung des Energieeinsatzes wären
zwar erreichbar, wenn die Produktkonzentrationen selber als Regel
größen herangezogen werden. Diese sind jedoch nur in größeren Zeit
intervallen und mit einer entsprechenden Verzögerung ermittelbar,
z. B. gaschromatographisch, so daß eine kontinuierliche Regelung
nicht möglich ist.
Bei einer Mehrkomponenten-Rektifikationskolonne mit zwei Produkt
strömen, insbesondere wenn es sich um mehr als zwei Komponenten
handelt, ist die Regelung der Konzentrationen der Hauptkomponenten
beider Produktströme wichtig. Durch die starke Verkoppelung der Re
gelstrecke ist jedoch die bisher nahezu ausschließlich eingesetzte
Regelung nicht möglich, bei der eine Regelgröße mit einer Stellgröße
direkt verknüpft wird. Weitere Erschwernisse beim Entwurf eines
Reglers sind die Nichtlinearität und die Komplexität der Strecke
sowie die starke Arbeitspunktabhängigkeit der Parameter.
An die Regelung sind außerdem weitere Anforderungen zu stellen. Sie
muß für den Anlagenfahrer in ihrer Wirkung verständlich sein. Eine
wirtschaftliche Wartung der Regelung erfordert eine einfache Reali
sierung im Prozeßleitsystem. Bei der Inbetriebnahme sollten die Re
gelparameter on-line in überschaubarer Weise justierbar sein. Von
besonderer Bedeutung ist es, daß das Regelungskonzept
arbeitspunktunabhängig ist, um einen vielfältigen Einsatz zu ermög
lichen. Da die gemessenen Werte der Produktkonzentrationen nur in
größeren Zeitintervallen, etwa von einer halben Stunde, und mit der
entsprechenden Verzögerung vorliegen, muß das gewünschte Regelsystem
derart lange kombinierte Tast- und Totzeiten der Meßwerte zulassen.
Die aus dem Stand der Technik bekannten Systeme betreffen die Rege
lung der Konzentration nur eines einzigen Produktstroms, nicht aber
wie hier gefordert der Konzentrationen beider Produktströme (Oil &
Gas Journal, May 14, 1990, S. 60; Hydrocarbon Processing, June 1980,
S. 51).
Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Regelverfahren der
eingangs genannten Art zu schaffen, das zum einen die oben ange
führten Anforderungen an eine Regelung der Konzentrationen beider
Produktströme eines Mehrkomponentensystems erfüllt und zum anderen
als ein System zweier linearer Eingrößenregler arbeitet, deren
Stellgrößen jeweils nur einer einzigen Regelgröße zugeordnet ist.
Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß dadurch gelöst, daß die eine Re
gelgröße die Konzentration einer ersten Komponente im ersten Pro
duktstrom und die andere Regelgröße die Konzentration einer zweiten
Komponente oder der gleichen Komponente im zweiten Produktstrom ist,
daß man als Stellgrößen entweder Destillatstrom und Dampfstrom oder
Destillatstrom und Heizdampfstrom oder Rücklaufstrom und Sumpfpro
duktstrom wählt, daß man die aktuellen Konzentrationen bestimmt,
diese in Größen transformiert, die nach einem linearisierten Simu
lationsmodell jeweils nur von einer der beiden gewählten Stellgrößen
abhängen, und aus den Abweichungen der aktuellen transformierten
Regelgrößen von ihren Sollwerten mit dem Modell die neuen Stellgrö
ßen ermittelt.
Wie unten gezeigt wird, sind die Kombinationen der Stellgrößen so
gewählt, daß jeweils einer Stellgröße direkt entweder eine Ver
schiebung des Konzentrationsprofiles entlang der Kolonnenhöhe oder
eine Formänderung des Profiles bei im wesentlichen unveränderter
Lage zugeordnet ist. Bei anderen möglichen Stellgrößenkombinationen
findet dagegen stets eine Überlagerung beider Effekte, der Formän
derung und der Verschiebung des Profiles statt. Diese Eigenschaft
der Stellgrößenkombination erweist sich unter anderem auch bei einer
Beeinflussung der Produktkonzentrationen von Hand durch den Anlagen
operator als Vorteil, denn die Regelung wird damit erheblich über
sichtlicher.
In einer vorteilhaften Ausgestaltung der Erfindung wird das Zeit
verhalten der Regelungsstruktur dadurch berücksichtigt, daß man die
aktuellen Konzentrationen diskontinuierlich nach einer zeitlichen
Verzögerung in die transformierten Stellgrößen umrechnet, wobei das
linearisierte Simulationsmodell eine das Zeitverhalten der externen
Ströme der Kolonne beschreibende erste größere Zeitkonstante und
eine das Zeitverhalten der internen Ströme beschreibende zweite
kleinere Zeitkonstante enthält. Die genannte zeitliche Verzögerung
ergibt sich aus der Verzögerung, mit der die aktuellen Konzentrati
onswerte für die Regelung zur Verfügung stehen. Die Entkoppelung der
Stell- und Regelgrößen ist auch hier möglich, denn die stationär
exakt verschwindenden Nebendiagonalelemente der Übertragungsmatrix
des entkoppelten Prozesses können bei Berücksichtigung der Zeitab
hängigkeit vernachlässigt werden.
Um die stationäre Führungsgenauigkeit und Störungsunabhängigkeit des
geschlossenen Regelkreises auch in Anwesenheit von Modellierungs
fehlern zu gewährleisten, wird in einer weiteren Ausgestaltung vor
geschlagen, daß die neuen Stellgrößen aus den Abweichungen der ak
tuellen transformierten Regelgrößen von ihren Sollwerten mittels
eines Internal-Model-Control-Reglers ermittelt werden, wobei dieser
das Inverse der den Zusammenhang zwischen den transformierten Re
gelgrößen und den Stellgrößen beschreibenden Matrix enthält. Dies
ermöglicht eine einheitliche und überschaubare Vorgehensweise beim
Entwurf der Regelung für eine Vielzahl von Anwendungszwecken.
Vorteilhaft ist außerdem, wenn der Internal-Model-Control-Regler
einen Tiefpaß erster Ordnung enthält. Damit weist jeder der beiden
Einzelregelkreise nur je einen freien Parameter auf, dessen Größe
ohne Beeinflussung des anderen Kreises einstellbar ist.
Vorzugsweise wird die erfindungsgemäße Regelung dadurch realisiert,
daß die Ermittlung der neuen Stellgrößen aus den aktuellen Konzen
trationen mittels eines Rechners oder einer Schaltung erfolgt.
Die Erfindung betrifft außerdem eine Regeleinrichtung zum Durchfüh
ren des genannten erfindungsgemäßen Verfahrens. Die Regeleinrichtung
enthält eine Meßeinheit, z. B. einen Gaschromatographen mit
elektronischer Auswerteeinheit für die aktuellen Konzentrationen
(XD, XB), einen Rechner oder eine Schaltung zur Verarbeitung der die
Konzentrationen darstellenden Signale und Stellantriebe für die
Stellgrößen, wobei mit dem Rechner bzw. der Schaltung aus den von
der Meßeinheit gelieferten Signalen die neuen Stellgrößen
berechenbar und diese in entsprechende Steuersignale für die
Stellantriebe wandelbar sind.
Nachfolgend wird die Erfindung anhand von Zeichnungen und Ausfüh
rungsbeispielen näher erläutert. Es zeigen
Fig. 1 eine schematische Darstellung einer
Rektifikationskolonne,
Fig. 2 Diagramme zum stationären Verhalten des
Konzentrationsprofils bei einer Änderung der
Stellgrößen,
Fig. 3 Diagramme zum dynamischen Verhalten der
Produktkonzentration nach einer sprungförmigen
Änderung der Stellgrößen,
Fig. 4 Gleichungen, aus denen das der erfindungsgemäßen
Regelung zugrunde liegende Modell entwickelt werden
kann,
Fig. 5 eine schematische Darstellung einer vorteilhaften
Auslegung der erfindungsgemäßen Kombination von
Eingrößenregelungen,
Fig. 6 und 7 der Verlauf der Regel- und Stellgrößen nach einer
sprungförmigen Erhöhung der Feedkonzentration, mit
verschiedenen Taktzeiten,
Fig. 8 eine schematische Darstellung eines in der Praxis
realisierbaren Regelungskonzepts nach einem
Ausführungsbeispiel der Erfindung und
Fig. 9 den Verlauf der Regel- und Stellgrößen einer Kolonne
bei Änderungen der Konzentrationssollwerte.
In der in Fig. 1 dargestellten Rektifikationskolonne wird ein
Mehrkomponentengemisch in einen Destillatstrom und einen Sumpfpro
duktstrom zerlegt. Die Komponenten des Einsatzgemisches entstammen
einer homologen Reihe und die Feedzusammensetzung sowie die Pro
duktspezifikationen variieren, so daß sich eine Vielzahl von unter
schiedlichen Betriebspunkten der Anlage ergibt. Einer der möglichen
Betriebspunkte, von dem nachfolgend ausgegangen wird, ist in Tabelle
1 aufgeführt. Aufgabe der Kolonne ist es, die Komponenten 1 bis 3 am
Kopf der Kolonne zu gewinnen und die Komponenten 4 und 5 am Sumpf
anzureichern. Die zulässigen Verunreinigungen des Destillatstromes
durch die Komponenten 4 sowie des Sumpfproduktstromes durch die
Komponente 3 betragen jeweils 1%.
F | |
= 19,8 kmol/h (Feed) | |
qF | = 1 (thermischer Zustand des Feedstroms) |
zF (K01) | = 0,0205 kmol/kmol |
zF (K02) | = 0,1291 kmol/kmol |
zF (K03) | = 0,3885 kmol/kmol |
zF (K04) | = 0,4408 kmol/kmol |
zF (K05) | = 0,0211 kmol/kmol |
xD (K04) | = 0,00857 kmol/kmol |
xB (K03) | = 0,01115 kmol/kmol |
D/F | = 0,538 |
r | = 1,29 (Rücklaufverhältnis) |
22 Trennstufen |
In Fig. 1 ist außerdem eine mögliche Automatisierungsgrundstruktur
der Kolonne dargestellt, d. h. eine mögliche Zuordnung von Stell- und
Regelgrößen für die notwendige Regelung der Füllstände in der
Destillatvorlage sowie im Sumpf der Kolonne. Für die Beeinflussung
der Produktkonzentrationen stehen also direkt die Stellgrößen De
stillatstrom und Energieeinsatz zur Verfügung. Für das dynamische
Verhalten der Anlage ist diese Auswahl der Regelungsstruktur von
überragender Bedeutung.
Qualitative Informationen über das stationäre und dynamische Regel
verhalten lassen sich mit einer komplexen, nichtlinearen Simulation
gewinnen. Fig. 2 zeigt ein Ergebnis stationärer Simulationsuntersu
chungen. Im oberen Teil ist der Verlauf des Konzentrationsprofiles
über der Kolonnenhöhe in Abhängigkeit vom Destillatstrom ("Massen
bilanz"), einer der beiden freien Stellgrößen, dargestellt. Um für
Mehrkomponentensysteme zu einer sinnvollen, binären Problemen ana
logen Aussage zu gelangen, wird nicht die Konzentration einer Kom
ponente, sondern die Summe der Konzentrationen der am Kopf der Ko
lonne angereicherten Komponenten 1 bis 3 als sogenannte Leichtsieder
betrachtet. Die dargestellten Verläufe zeigen ein qualitativ
arbeitspunktunabhängiges Verhalten. Die Änderung der Massenbilanz
(Stellgröße D) bei konstantem Energieeinsatz bewirkt eine Verschie
bung des Konzentrationsprofiles entlang der Kolonnenhöhe. Steigende
Reinheit am Sumpf der Kolonne ist mit zunehmender Verunreinigung des
Destillatstromes verbunden und umgekehrt. Darüber hinaus ist eine
wesentliche Ursache der Nichtlinearität des Systems, seine Rich
tungsabhängigkeit, erkennbar: Gleich große positive und negative
Änderungen der Stellgrößen bewirken Änderungen stark unterschied
licher Größe in den Konzentrationen an den Kolonnenrändern.
Ein grundsätzlich anderes Verhalten zeigen die im unteren Teil der
Fig. 2 dargestellten Konzentrationsprofile. Wird bei unveränderter
Massenbilanz der Energieeinsatz 1 (Stellgröße G bzw. V) verändert,
so ändert sich bei im wesentlichen unveränderter Lage die Form des
Profiles. Eine Erhöhung des Energieeinsatzes resultiert in einer
höheren Produktreinheit sowohl am Kopf als auch am Sumpf der Kolon
ne. Darüber hinaus deuten die Profile an, daß die Auswirkung der
Veränderung dieser Stellgrößen geringer ist als diejenige des De
stillatstromes. Die Richtungsabhängigkeit ist ebenfalls geringer.
Auch diese Aussagen sind qualitativ arbeitspunktunabhängig.
In der Regelungsstruktur D-G bzw. D-V wird damit die Beeinflussung
der beiden Freiheitsgrade des Konzentrationsprofiles - Lage und Form
- jeweils einer Stellgröße direkt zugeordnet. Bei einer anderen
möglichen Stellgrößenkombination (außer R-B) findet dagegen stets
eine Überlagerung der Effekte statt. Werden die Produktkonzentrati
onen von Hand durch den Anlagenoperateur eingestellt, erweist sich
diese Eigenschaft der Massenbilanzregelungsstruktur als Vorteil,
denn sie erhöht damit die Übersichtlichkeit der Regelung entschei
dend.
Bisher wurde das Verhalten des gesamten Konzentrationsprofiles bei
einer Stellgrößenänderung stationär betrachtet. Einen weiteren Ein
blick in das Regelstreckenverhalten bietet die dynamische Simulation
des Betriebes der Kolonne. Fig. 3 zeigt das dynamische Übergangs
verhalten der zu regelnden Produktkonzentrationen nach einer
sprungförmigen Stellgrößenänderung. Eine Erhöhung des Destillat
stromes um 10% führt dabei, wie nach Fig. 2 zu erwarten ist, zu
einem Absinken der Sumpfkonzentration der Leichtsieder, die nach
etwa einer halben Stunde mit Erreichen eines neuen stabilen
Zustandes beendet ist. Bei der Kopfkonzentration ist die
dargestellte Größe nicht die Summe der Leichtsieder, sondern die
sich mit dieser zu eins ergänzende Konzentration der vierten
Komponente. Der Zeitverlauf ist erkennbar träger als derjenige am
Sumpf. Eine Totzeit spielt bei beiden Kurven keine bedeutende Rolle.
An Kopf und Sumpf ähnlich schnell verlaufen die im unteren Teil der
Figur dargestellten Konzentrationsänderungen nach einer
sprungförmigen Erhöhung des Energieeinsatzes um 10%. Eine
bedeutende Totzeit tritt ebenfalls nicht auf. Die Dynamik ist in
diesem Fall jedoch größer als bei Änderung des Destillatstromes.
Eine ähnlich einfache generelle Deutung wie im stationären Fall ist
hier nicht möglich.
Während die nichtlineare Simulation einen guten qualitativen Ein
druck vom Verhalten der Regelstrecke liefert, kann sie für den Reg
lerentwurf nicht direkt eingesetzt werden. Vielmehr ist hierzu die
Entwicklung eines hiervon unabhängigen, einfachen und möglichst li
nearen Modells erforderlich, bei dessen Parametrierung die Simula
tion allerdings erneut eingesetzt werden kann. In Fig. 4 ist die
Entwicklung des erfindungsgemäßen Regelverfahrens dargestellt. Zur
Modellierung der Mehrgrößenregelstrecke wird oben eine stationäre
Übertragungsmatrix angegeben, die die Matrix der partiellen Ablei
tungen der Regelgrößen nach den Stellgrößen in unmittelbarer Nähe
des vorgegebenen Arbeitspunktes darstellt. Aus der stationären Mas
senbilanz der gesamten Kolonne ergibt sich, daß die einzelnen Ele
mente dieser Matrix über zwei fundamentale Beziehungen voneinander
abhängen. Erfindungsgemäß wird mit einer Transformation der Regel
größen daraus ein stationär vollständig entkoppelter Zusammenhang
zwischen den Stellgrößen D und G sowie neuen Ausgangsgrößen σ und δ
erzeugt. Die Regelung kann dann als einfache Rückführung einer Aus
gangsgröße auf eine Stellgröße entworfen werden.
Zur Beschreibung der Dynamik des Prozesses werden zwei Zeitkon
stanten benutzt. Die größere Zeitkonstante T₁ beschreibt den Zusam
menhang zwischen den externen Strömen der Kolonne, hier dem Destil
latstrom D und der Regelgröße σ. Die kleinere Zeitkonstante T₂ er
gibt den Einfluß der internen Ströme, hier des Dampfstroms G auf die
Regelgröße δ wieder. Die im stationären linearen Fall exakt ver
schwindenden Nebendiagonalelemente der Übertragungsmatrix C des
entkoppelten Prozesses können, wie nachfolgend gezeigt wird, auch
hier vernachlässigt werden. Die Modellparameter werden wiederum un
ter Einsatz der Simulation bestimmt. Während zur Ermittlung des Ar
beitspunktes sowie der stationären Prozeßverstärkung die stationäre
nichtlineare Simulation verwandt wird, ist zur Ermittlung der beiden
benötigten Zeitkonstanten der Einsatz der dynamischen Simulation
erforderlich. Die hier erzeugten Sprungantworten werden mit den
Mitteln der linearen Identifikation ausgewertet. Damit sind die
Voraussetzungen für den Entwurf zweier linearer Eingrößenregler
vorhanden.
Bei der Auslegung der beiden Eingrößenregelungen wird auf die
Internal-Model-Control-Vorgehensweise zurückgegriffen, die die Zahl
der freien Regelparameter pro Regelkreis auf einen beschränkt. Die
IMC-Methode ist für das hier betrachtete zeitdiskrete Regelproblem
mit Totzeit einfach anwendbar und gestattet die Berücksichtigung von
praktisch unvermeidlichen Modellfehlern schon im Entwurf. Fig. 5
zeigt die Struktur des resultierenden Regelkreises für das vorlie
gende Problem. Im Mittelpunkt der Struktur ist die Kolonne 1 mit den
physikalischen Störgrößen 2 und Ausgangsgrößen XD und XB angeordnet.
Diese sind zwar nicht direkt meßbar, stellen jedoch die eigentlich
interessierenden Größen innerhalb des Regelkreises dar. Dahinter ist
die Dynamik der gaschromatografischen Konzentrationsmessung 3, for
mal aufgeteilt in ein Totzeitglied und einen Schalter, angeordnet.
Die am Ausgang zeitdiskret zur Verfügung stehenden Meßergebnisse
werden der Ausgangsentkopplung 4 unterzogen. Typisch für IMC ist die
Anordnung des Prozeßmodells parallel zur Regelstrecke. Im Takt der
Konzentrationsmessung werden mit dem entkoppelten Prozeßmodell 5
Ausgangsgrößen ermittelt und mit denen des Prozesses verglichen. Die
vom Bediener vorgegebenen Konzentrationssollwerte werden ebenfalls
im Takt der Konzentrationsmessung abgetastet und müssen wie die
Produktkonzentrationen der Entkopplung 6 unterzogen werden. An der
Vergleichsstelle mit der Ausgangsgrößendifferenz werden die Regler
eingangsgrößen ermittelt und dem IMC-Regler 7 zugeführt. Dieser
enthält explizit das Inverse des entkoppelten Prozeßmodells
sowie bevorzugt einen diagonalen, zeitdiskreten Tiefpaßfilter und
ist damit wie das lineare Prozeßmodell diagonal. Die vom Regler
zeitdiskret ermittelten Stellgrößen werden an die entsprechenden
Stellventile oder unterlagerten Durchflußregelkreise weitergeleitet
und für die Dauer eines Abtastintervalls konstant gehalten.
Der Entwurf des Reglers erfolgt nach bekannten Vorgaben und wird
hier nicht detailliert dargestellt. Jeder der beiden Eingrößenregler
enthält eine freie Konstante, den Filterparameter. Dessen Erhöhung
stabilisiert das System, jedoch unter Verschlechterung des Ein
schwingverhaltens des Regelkreises. Ähnlich wie für eine konventio
nell einschleifige Regelung mit Integralanteil ist durch diese
Struktur des IMC-Reglers die stationäre Führungs- und Störgenauig
keit des geschlossenen Regelkreises auch in Anwesenheit von Model
lierungsfehlern gewährleistet. Diese Eigenschaft ist für den prak
tischen Einsatz von überragender Bedeutung.
Für eine Realisierung der Regelung in einem Prozeßrechner oder
-leitsystem ist eine Programmierung des gesamten in der Figur schat
tierten Bereiches erforderlich. Vor dem praktischen Einsatz des Sy
stems bietet jedoch die dynamische Simulation die Möglichkeit, das
mit diesem System erzielbare Regelverhalten unter praxisähnlichen
Bedingungen am ursprünglich nichtlinearen System hoher Ordnung zu
testen. Zu diesem Zweck wird die Simulation der Rektifikationsko
lonne um die Dynamik der Konzentrationsmessung und das schattiert
dargestellte Regelungssystem ergänzt.
Fig. 6 zeigt auf diese Weise erhaltene Berechnungsergebnisse für die
obengenannte Mehrkomponentenrektifikation. Zum Zeitpunkt 0 wirkt
auf die am Arbeitspunkt betriebene Kolonne eine sprunghafte Störung
ein. Es handelt sich um eine relative Erhöhung der Feedkonzentration
der Komponente 3 um 5%. Die Konzentration der Komponente 4 nimmt
entsprechend ab. Die Analysentaktzeit wird in Übereinstimmung mit
dem realen Verhalten eines Prozeßgaschromatographen mit 0,5 h an
genommen. Daher können erst nach 1 h die ersten Stellgrößen D und,
in diesem Beispiel, Heizdampfstrom V berechnet werden (unteres
Teilbild). Dargestellt sind hier die nicht meßbaren Verläufe der
Produktkonzentrationen direkt in den Produktströmen (oberes Teil
bild). Die Konzentrationen haben sich innerhalb dieser Zeit bereits
sehr weit von ihren Sollwerten entfernt. Es treten trotzdem keine
Stabilitätsprobleme der Regelung auf. Mit dem totzeitkompensierenden
Regler gelingt es vielmehr, nach einer begrenzten Anzahl von Stell
eingriffen trotz der Störung die Produktspezifikationen zu errei
chen.
Wesentlichen Einfluß auf die erreichbare Regelleistung, z. B. die
quadratische Abweichung der Regelgrößen, hat die Länge der Tast- und
Totzeit der Messung. Sie ist in der Regel meßtechnisch vorgegeben
und kann nicht verändert werden. Ihr Einfluß wird in der folgenden
Fig. 7 verdeutlicht. In der gleichen Form wie in Fig. 6 ist hier das
Systemverhalten nach Auftreten der gleichen Störung dargestellt. In
diesem Fall beträgt jedoch die Taktzeit der Messung nur 10 min.
Entsprechend berechnet der analog zum ersten Fall ermittelte Regler
bereits nach 20 min die ersten Stellgrößen. Das System kehrt nach
etwa einer halben Zeit im Vergleich zu Fig. 6 zu den Sollwerten der
Produktkonzentrationen zurück. Der etwas oszillierende Verlauf der
Stellgröße Heizdampf deutet eine wachsende Abweichung des nichtli
nearen Systems vom vereinfachten Modellprozeß, der Grundlage des
Reglers ist, an. Kurzzeiteffekte sind in diesem ebensowenig wie die
mit steigender Frequenz zunehmende Verkopplung berücksichtigt. Bei
kombinierten Tast- und Totzeiten von 10 min oder länger, wie sie in
der Praxis häufig auftreten, ist dies auch nicht erforderlich.
Während sich die IMC-Struktur des Regelkreises besonders für den
systematischen Entwurf des Reglers als vorteilhaft erweist, hat die
einfachere einschleifige Struktur für eine Realisierung in der Pra
xis Vorteile. Sie enthält weniger Elemente und ist daher einfacher
im Leitsystem oder auf dem Prozeßrechner zu implementieren. Für den
Betrieb wichtige Detailfragen wie etwa die Inbetriebnahme des Reg
lers sind ebenfalls in der einschleifigen Struktur einfacher lösbar.
Im Betriebsversuch zur vollständigen Konzentrationsregelung wurde
daher der IMC-Regelkreis analytisch in einen einschleifigen Regel
kreis umgerechnet. Die entstandene Konfiguration ist schematisch in
Fig. 8 wiedergegeben. Erkennbar ist die Summierung der durch die
Gaschromatographen ermittelten Produktkonzentrationen zur Bildung
der obenerwähnten Leicht- und Schwersiederfraktion. Aus diesen so
wie dem entsprechenden Sollwert wird nach der Entkopplung 4 die Re
geldifferenz der transformierten Ausgangsgrößen σ und δ erhalten,
die jeweils in einen zeitdiskret arbeitenden Eingrößenregler 8, 9
zur Ermittlung der Stellgrößen Destillatstrom und Energieeinsatz
eingespeist werden. Zur Feineinstellung der Regelung vor Ort wird
lediglich je eine freie Reglerkonstante pro Regelkreis verwendet,
die sich aufgrund der Entkopplung nur auf diesen Regelkreis aus
wirkt. Dies ermöglicht eine einfache und überschaubare on-line-
Feinabstimmung der Regelung.
Fig. 9 zeigt das an einer Produktionskolonne erzielte Prozeßver
halten über einen Zeitraum von 12 h. Es handelt sich ebenfalls um
eine Mehrkomponententrennung. Die Taktzeit der Konzentrationsmessung
beträgt wie in der Simulation 30 min. Die Kolonne hat jedoch andere
Einbauten und einen anderen Verdampfer als in den Simulationsunter
suchungen angenommen. Die Arbeitspunkte unterscheiden sich ebenfalls
deutlich. So beträgt der Destillatanteil hier etwa 75%. Bei der
Reglerauslegung wird jedoch wie oben beschrieben vorgegangen. Die
Modellparameter wurden mit Hilfe der Simulation vorab ermittelt und
während des Versuchs vor Ort unverändert übernommen. Im oberen
Teilbild ist der Verlauf der Soll- und Istwerte des Leichtsieders an
Kopf und Sumpf der Kolonne zeitabhängig dargestellt. Die Auftragung
unterscheidet sich damit für den Destillatstrom von derjenigen für
die Simulationsergebnisse. Außerdem sind hier die Istwerte der Kon
zentrationen erst nach Durchlaufen der Meßtotzeit von 30 min zu
gänglich. Der Verlauf der Stellgrößen im unteren Teil der Fig. 9 ist
schwingungsfrei und wirft keinerlei praktische Probleme wie z. B.
abrupte Änderungen oder Stellgrößenbeschränkungen auf. Im Gegensatz
zu den Simulationsuntersuchungen stand lediglich das Ventil des
Heizkreislaufes für die Änderung des Energieeinsatzes zur Verfügung,
dessen Ventilstellung hier die eine Stellgröße ist. Das Einschwingen
der Konzentrationen nach Änderung jeweils nur eines Sollwertes zeigt
ein gutes und fast vollständig entkoppeltes Verhalten der Regelgrö
ßen. Diese ist nur mit Hilfe einer vollständigen Mehrgrößenregelung
erzielbar, wie sie mit dem hier dargestellten zusammengesetzten
Konzept aus Entkopplung und diagonaler Rückführung realisiert wird.
Bezugszeichenliste
F Feed
zF (Ki) Konzentration der Komponente i im Feed
qF thermischer Zustand des Feedstroms
LC Füllstandregelung
FC Stromregelung
QR Konzentrationsmessung
XD (Ki) Destillatkonzentration an Komponente i
XB (Ki) Sumpfkonzentration an Komponente i
zF (Ki) Konzentration der Komponente i im Feed
qF thermischer Zustand des Feedstroms
LC Füllstandregelung
FC Stromregelung
QR Konzentrationsmessung
XD (Ki) Destillatkonzentration an Komponente i
XB (Ki) Sumpfkonzentration an Komponente i
D Destillatstrom
R Rücklaufstrom
G Dampfstrom
V Heizdampfstrom
B Sumpfproduktstrom
R Rücklaufstrom
G Dampfstrom
V Heizdampfstrom
B Sumpfproduktstrom
r Rücklaufverhältnis
1 Kolonne
2 Störgrößen
3 Konzentrationsmessung
4 Entkopplung
5 Prozeßmodell
6 Entkopplung
7 IMC-Regler
8 Eingrößenregler
9 Eingrößenregler
2 Störgrößen
3 Konzentrationsmessung
4 Entkopplung
5 Prozeßmodell
6 Entkopplung
7 IMC-Regler
8 Eingrößenregler
9 Eingrößenregler
Claims (6)
1. Modellgestütztes Verfahren zum Regeln einer
Mehrkomponenten-Rektifikationskolonne mit zwei Produktströmen,
wobei das Modell die Verknüpfung zwischen den Regel- und Stell
größen enthält,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Regelgröße die Konzentration (xD) einer ersten Kompo
nente (K4) im ersten Produktstrom (D) und die andere Regelgröße
die Konzentration (xB) einer zweiten Komponente (K3) oder der
gleichen Komponente (K4) im zweiten Produktstrom (B) ist, daß
man als Stellgrößen entweder Destillatstrom (D) und Dampfstrom
(G) oder Destillatstrom (D) und Heizdampfstrom (V) oder Rück
laufstrom (R) und Sumpfproduktstrom (B) wählt, daß man die ak
tuellen Konzentrationen (xD, xB) bestimmt, diese in Größen (σ, δ)
transformiert, die nach einem linearisierten Simulationsmodell
jeweils nur von einer der beiden gewählten Stellgrößen abhängen,
und aus den Abweichungen der aktuellen transformierten Regel
größen (σ, δ) von ihren Sollwerten (σS, δS) mit dem Modell
die neuen Stellgrößen ermittelt.
2. Verfahren nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet,
daß man die aktuellen Konzentrationen (xD, xB) diskontinuierlich
nach einer zeitlichen Verzögerung in die transformierten Stell
größen (σ, γ) umrechnet, wobei das linearisierte Simulations
modell eine das Zeitverhalten der externen Ströme der Kolonne
beschreibende erste größere Zeitkonstante (T₁) und eine das
Zeitverhalten der internen Ströme beschreibende zweite kleinere
Zeitkonstante (T₂) enthält.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2,
dadurch gekennzeichnet,
daß die neuen Stellgrößen aus den Abweichungen der aktuellen
transformierten Regelgrößen von ihren Sollwerten mittels eines
Internal-Model-Control-Reglers ermittelt werden, wobei dieser
das Inverse der den Zusammenhang zwischen den transformierten
Regelgrößen und den Stellgrößen beschreibende Matrix enthält.
4. Verfahren nach Anspruch 3,
dadurch gekennzeichnet,
daß der Internal-Model-Control-Regler einen diagonalen
Tiefpaßfilter
erster Ordnung enthält.
5. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 oder 4,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Ermittlung der neuen Stellgrößen aus den aktuellen
Konzentrationen mittels eines Rechners oder einer Schaltung er
folgt.
6. Regeleinrichtung zum Durchführen des Verfahrens nach Anspruch 5,
gekennzeichnet durch
eine Meßeinheit für die aktuellen Konzentrationen (xD, xB),
einen Rechner oder eine Schaltung zur Verarbeitung der die Kon
zentrationen (xD, xB) darstellenden Signale und Stellantriebe
für die Stellgrößen, wobei mit dem Rechner bzw. der Schaltung
aus den von der Meßeinheit gelieferten Signalen die neuen
Stellgrößen berechenbar und diese in entsprechende Steuersignale
für die Stellantriebe wandelbar sind.
Priority Applications (3)
Application Number | Priority Date | Filing Date | Title |
---|---|---|---|
DE19914127536 DE4127536A1 (de) | 1991-08-21 | 1991-08-21 | Modellgestuetztes verfahren zum regeln einer rektifikationskolonne |
PCT/EP1992/001854 WO1993003811A1 (de) | 1991-08-21 | 1992-08-13 | Modellgestütztes verfahren und einrichtung zum regeln einer rektifikationskolonne |
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