DE4002840A1 - Verfahren zur bekaempfung stressinduzierter dysregulationen - Google Patents

Verfahren zur bekaempfung stressinduzierter dysregulationen

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Description

Das erfindungsgemäße Verfahren zur Bekämpfung streßinduzier­ ter Dysregulationen ist dadurch gekennzeichnet, daß am Orga­ nismus eine streßauslösende Manipulation und, im Anschluß daran, eine Applikation des vorgesehenen Therapeutikums erst nach Beginn und noch vor Beendigung einer ausgeprägten Streß­ reaktion vorgenommen wird.
Eine der Folgeerscheinungen der wissenschaftlich-technischen Revolution besteht im verstärkten Auftreten chronisch-degene­ rativer "systemischer" Schädigungen des Organismus. Es häufen sich Schädigungen einzelner Bereiche des menschlichen und des tierischen Organismus, z. B. des Herz-Kreislauf-Systems, des gastrointestinalen, des neuromuskulären oder des Reproduk­ tionssystems, die ihrerseits häufig auf Regulationsstörungen im nervalen, endokrinen und im Immunbereich verweisen. In vielen Fällen sind es Umwelteinflüsse (nicht nur die bekann­ ten Noxen, sondern zentralnervös vermittelte Einflüsse), die diese Regulationsstörungen auslösen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei Streßreaktionen, die durch ihr ständig wieder­ holtes und vom Organismus nicht adäquat verarbeitetes Auftre­ ten im Laufe der Zeit zu o. g. Schädigungen führen können (be­ kannt als streßinduzierte Dysregulationen).
Die Erfolge bei der Bekämpfung streßinduzierter Dysregulationen sind zwar, besonders in letzter Zeit, durch den Einsatz neuer Substanzen (z. B. Neuropeptide oder andere neuro­ trope Wirkstoffe, Rezeptorenblocker) nicht zu übersehen. Sie sind insgesamt jedoch nicht ausreichend, um einer Zunahme derartiger Adaptionsstörungen und den sich daraus ergeben­ den Konsequenzen für das Einzelindividuum und für die Gesell­ schaft wirksam begegnen zu können. So starben z. B. im Jahr 1984 mehr als 135 000 Einwohner der DDR (=59% Mortalitäts­ rate) an Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder deren Folgen (Heine, H. und M. Weiss: Life stress and hypertension. European Heart Journal 8, 45-49, Suppl. B. 1987). Die nach­ folgenden statistischen Jahrbücher der DDR und der meisten industrialisierten Länder lassen diesbezüglich keine größere Trendwendung erkennen. Berücksichtigt man nun, daß bei einem Großteil dieser Erkrankungen, speziell bei der essentiellen Hypertonie, streßinduzierte Dysregulationen als eine der Hauptursachen vorlagen, so wird allein an diesem Beispiel er­ sichtlich, welche gesundheitspolitische und ökonomische Bedeu­ tung einem Verfahren zur Bekämpfung streßinduzierter Dysregulationen zukommt.
Für einige Formen der Hypertonie des Menschen, die als Vor­ stufe für schwerwiegende Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachgewie­ sen sind, wird als tierexperimenteller Modellfall eine streß­ induzierte Hypertonie bei Primaten angesehen. Am Beispiel die­ ses Hypertoniemodells sollen die Vorteile erläutert werden, die daraus resultieren, daß am Organismus eine streßauslösende Manipulation und, im Anschluß daran, eine Applikation des vor­ gesehenen Therapeutikums erst nach Beginn und noch vor Been­ digung einer ausgeprägten Streßreaktion vorgenommen wird.
Als Auslöser einer arteriellen Hypertonie dient bei Prima­ ten ein seit 2 Jahrzehnten erfolgreich praktiziertes Streß­ modell: das Hunting-Immobilization-Model (5 min Jagen im Einzelkäfig mit nachfolgender Immobilisation über 3 h, an 5-10 Tagen täglich 1× durchgeführt). Mit Hilfe dieses Mo­ dells läßt sich bei jedem Versuchstier innerhalb von kurzer Zeit und ohne weitere Bekräftigung eine vorerst manifest diastolische, dann jedoch systolisch/diastolische Hypertonie mit protahiertem Verlauf provozieren, deren Entwicklung über mindestens 10 Jahre verfolgt werden kann.
Es konnte nachgewiesen werden, daß Herausbildung und Mani­ festierung dieses Primaten-Hypertoniemodells durch Applika­ tion neurotroper Wirkstoffe wie des Neuropeptids Substanz P (SP) oder den Alpha-, Beta-Adenoblocker Butiroxan (BR) unter­ bunden werden kann. Genannte Wirkstoffe, nach dem gleichen Applikationsmodus je 1× täglich an vier aufeinanderfolgenden Tagen als Bolus intravenös injiziert (2,5 µg SP/kg KM bzw. 1,0 mg BR/kg KM), blieben nach Manifestierung des Hypertonus ohne Einfluß auf die weitere Entwicklung der Hypertonie. Da­ gegen führte eine Wiederholung der modellauslösenden Situa­ tion bei manifest hypertonen Primaten zu einer massiven Blut­ druckerhöhung (Stechmesser, G., V. G. Starzev, P. Oehme, S. Nitschkoff und A. Brattström: Biomed. Biochim Acta 47, 265-271, 1988 sowie Modellbeschreibung Starzev, V. G.: Primate models of human neurogenic disorders, John Willey & sons, New York, Toronto, London, Sydney, 1976).
Auf der Basis dieser Ergebnisse wurde dem grundsätzlichen Problem nachgegangen, warum Therapeutika wie die neurotropen Wirkstoffe SP oder BR nur während der Entstehungsphase einer streßinduzierten Dysregulation, z. B. der beschriebenen Hypertonie bei Primaten, wirkt und nicht mehr nach deren Manife­ stierung.
Es wurde die Hypothese aufgestellt, daß bei der Behandlung streßinduzierter Dysregulationen die Wirkqualität der appli­ zierten neurotropen Wirkstoffe entscheidend von der Stabili­ tät des pathologisch verstellten neurohumoralen Regelsystems abhängt: im Frühstadium derartiger Dysregulationen können z. B. genannte Wirkstoffe ein noch labil verstelltes Regel­ system sofort "reparieren". Dagegen muß das steady state eines manifest ausgelenkten Regelsystems durch Provozierung einer Streßreaktion erst destabilisiert, gleichsam "aufge­ brochen" werden, um es in dem nun wieder labilen Zustand unter Einfluß applizierter neurotroper Wirkstoffe wie z. B. SP oder BR auf ein neues Niveau einschwingen zu lassen ("stress" + "drug": SD-Verfahren).
Die experimentelle Bestätigung dieser Hypothese, die das Fun­ dament des erfindungsgemäßen Verfahrens zur Bekämpfung streß­ induzierter Dysregulationen bildet, konnte in Untersuchungen an 12 männlichen Primaten mit o. g. Hypertonie erbracht wer­ den - in einer Pilotstudie über 6 Monate an 7 Rhesusaffen sowie in einer Einzeltier-Verlaufsstudie über 3 Jahre an 5 Mantelpavianen. In diesen Versuchen wurde an 5 Versuchstagen jeweils 20 min nach Beginn der 3stündigen Streßexposition (Hunting-Immobilization) und damit während einer dadurch aus­ gelösten ausgeprägten Streßreaktion ein i. v. Bolus gesetzt: am 1. Versuchstag als Kontrolle physiologische Kochsalzlösung und vom 2.-5. Versuchstag die Testsubstanz (SP bzw. äquimolar SP1-4 und BR).
Die Vorteile einer Anwendung des SD-Verfahrens werden in den Ergebnissen ersichtlich, die in den Abbildungen 1-3 zusammen­ gefaßt sind. Dabei zeigt:
Abb. 1 den Einfluß von unter akutem Streß applizierter SP sowie BR auf die täglichen Blutdruckwerte von Rhesusaffen mit manifester streßinduzierter Hypertonie (Dauer 5 Jahre) - Kennzeichnung einer mindestens 25%igen Senkung der Werte. Blutdruckmessung nach Riva-Rocci/Korotkoff am rechten Arm.
Abb. 2 den Blutdruckverlauf nach Auslösung und Manifestierung einer streßinduzierten Hypertonie bei Mantelpavianen sowie nach mehrmaliger Anwendung des SD-Verfahrens (Tiere A-E). Obere Kurve: systolischer Blutdruck, untere Kurve: diasto­ lischer Blutdruck.
Schattiert: Streß I, schraffiert: Streß II, Ziffer im Kreis: Rangstellungsplatz.
Abb. 3 die Verlaufskontrolle der Blutdruckwerte nach Auslösung und Manifestierung einer streßinduzierten Hypertonie bei Mantelpavianen als prozentuale Abweichung vom normotonen Ausgangsniveau (n=10 Tage).
a) Hypertonieentwicklung ohne Intervention bei den Tieren 1-5
b) Hypertonieentwicklung nach mehrmaliger SD-Intervention bei den Tieren A-E aus Abb. 2.
∎ systolische Blutdruckwerte (100%)
 diastolische Blutdruckwerte (100%)
p<0,05 (Rangfolgetest nach Wilcoxon)
In allen SD-Experimenten (2 Interventionsstufen bei der Pilot­ studie. Abb. 1 sowie 3 Interventionsstufen bei der Verlaufs­ studie, Abb. 2 und 3) wurde ein hypotensiver Langzeiteffekt nachgewiesen, unabhängig vom getesteten Wirkstoff und von der Art des Stressors - physisch ausgelöster Streß durch Hunting- Immobilization (Streß I), emotional ausgelöster Streß durch indirektes Miterleben der Modellsituation (Streß II), pharma­ kologisch ausgelöster Streß (durch ein M-Cholinolytikum). Der Therapieeffekt verstärkte sich nach mehrmaliger Anwendung des SD-Verfahrens und führte schließlich bei den Tieren der Ver­ laufsstudie zur Heilung der vorliegenden Hypertonie. Aus dem Versuchsansatz der Verlaufsstudie ergab sich zusätzlich eine protektive Wirkung des SD-Verfahrens hinsichtlich einer er­ höhten Streßresistenz bei einer mehrere Monate danach erfolg­ ten Streßexposition ohne Wirkstoffapplikation (siehe Tiere D und E in Abb. 2).
Im Detail lassen die Befunde eine deutliche Abhängigkeit des SD-Effekts von der sozialen Rangstellung der Tiere und von der Art des Stressors erkennen: bei Hunting-Immobilization als Aus­ löser einer Situation der Hilflosigkeit und des Kontrollver­ lustes auf der Basis einer vorangegangenen Cannon'schen Be­ reitstellungsreaktion sind ranghöhere Tiere die relativ "non­ responder", bei Auslösung nur der Cannon'schen Bereitstellungs­ reaktion durch indirektes Miterleben der Modellsituation da­ gegen die rangniederen Tiere. Diese Ergebnisse verweisen auf eine differenzierte Anwendung des SD-Verfahrens.
Das Verfahren ergibt, daß die Wirkqualität eines applizierten Stoffes erhöht werden kann, wenn am Organismus eine streß­ auslösende Manipulation und, im Anschluß daran, eine Appli­ kation des vorgesehenen Therapeutikums erst nach Beginn und noch vor Beendigung einer ausgeprägten Streßreaktion vorge­ nommen wird. Als streßauslösende Manipulation werden solche Methoden angewandt, die im Organismus durch externe Stimula­ tion eine Streßreaktion auslösen. Dazu sind alle Methoden zur Provozierung eines Emotionalstresses geeignet, z. B. psy­ chophysiologische Provokationstests beim Menschen oder tier­ experimentelle Streßmodelle auf der Basis gestörten Aggres­ sions-, Aversions-, Sexual- u. a. Verhaltens. Zur pharmakolo­ gischen Auslösung einer Streßreaktion werden z. B. M-Choli­ nolytika, CRF, ACTH, Cortisol, GABA u. a. angewandt. Bei der Auswahl von Art und Intensität der Stressoren wird allerdings vorausgesetzt, daß die Modalitäten einer den SD-Effekt auslö­ senden Streßreaktion mit ethisch-moralischen Erfordernissen der Human- und Veterinärmedizin in Einklang gebracht werden. Diese Modalitäten sind für jedes Inidividuum durchaus noch vor einer Anwendung des SD-Verfahrens abzuschätzen, da die Effek­ tivität des Verfahrens von der Rangstellung des Tieres bzw. vom Reaktionstyp A/B des Menschen abhängt sowie von der Art des Stressors und der Zeitdauer, die zwischen den einzelnen Interventionsstufen liegt (Abb. 1, 2).
Das grundsätzlich Neue des erfindungsgemäßen Verfahrens be­ steht darin, das steady state eines manifest ausgelenkten humoralen Regelsystems durch Provozierung einer Streßreak­ tion erst zu destabilisieren, um es in dem nun wieder labilen Zustand unter Einfluß applizierter Therapeutika auf ein neues Niveau einschwingen zu lassen.
Vorteile des erfindungsgemäßen Verfahrens sind - mit Hilfe des SD-Verfahrens läßt sich im Vergleich zur traditionellen Vorgehensweise, bei der allein durch Applikation des Wirk­ stoffs und unter Ruhebedingungen ein Therapieerfolg angestrebt wird, eine deutliche Erhöhung bzw. Erweiterung der Wirkquali­ tät des applizierten Stoffes erreichen. In Konsequenz dessen eröffnen sich für das SD-Verfahren umfangreiche Anwendungs­ möglichkeiten für eine effektive Bekämpfung streßinduzierter Dysregulationen, z. B. mit folgenden Schwerpunkten: Einsatz als leistungsfähiges Testverfahren zur Aufdeckung neuer Wirkqua­ litäten von Stoffen, Verbesserung der Wirkqualitäten gebräuch­ licher Pharmaka zur Prophylaxe und Therapie, protektiver Ein­ satz (als "stress-fitness-training") zur Erhöhung der Streß­ resistenz, Optimierung bestehender Prophylaxe- und Therapie­ konzeptionen. Für die Humanmedizin betrifft das solche Adap­ tationsstörungen wie essentielle Hypertonie, Schlafstörungen, Alkoholstörungen, vegetative Dystonie, psychonervale Erkran­ kungen u. a. Aber auch für die Veterinärmedizin kann die An­ wendung des SD-Verfahrens von großer Bedeutung sein. Beson­ ders in der Tierproduktion haben streßinduzierte Dysregulationen in Form einer allgemein erhöhten Streßsensibilität der Tiere eine besondere, speziell volkswirtschaftliche Be­ deutung, z. B. durch eine hohe Sterblichkeit infolge akuter Belastungen (Massenhysterie bei Geflügel in Batteriehaltung, während des Treibens bestimmter Hausschweinrassen zum Schlacht­ hof u. a.). Diese erhöhte Streßsensibilität tritt aber auch bei Zoo- oder Tiergartentieren auf, insbesondere bei den ohnehin schon seltenen und vom Aussterben bedrohten Tierarten. Auch hier kommt es durch akuten Streß (operative Eingriffe wie z. B. Endoskopie, Fang, Transport und Eingewöhnung, Auswilde­ rung, Verpaarung sehr wehrhafter Arten) zu Verlusten, die durch eine Anwendung des SD-Verfahrens ebenso zu reduzieren sind wie in der Tierproduktion.

Claims (2)

1. Verfahren zur Bekämpfung streßinduzierter Dysregulationen, dadurch gekennzeichnet, daß am Organismus eine streßauslö­ sende Manipulation und, im Anschluß daran, eine Applikation des vorgesehenen Therapeutikums erst nach Beginn und noch vor Beendigung einer ausgeprägten Streßreaktion vorgenommen wird.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß als streßauslösende Manipulation solche Methoden einzeln oder in Kombination eingesetzt werden, die eine Streßreaktion infolge physischer, emotionaler oder pharmakologischer Intervention auslösen.
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Cited By (2)

* Cited by examiner, † Cited by third party
Publication number Priority date Publication date Assignee Title
WO1998024440A1 (en) * 1996-12-02 1998-06-11 Merck Sharp & Dohme Limited Use of nk-1 receptor antagonists for treating stress disorders
US6087348A (en) * 1997-12-01 2000-07-11 Merck Sharp & Dohme Ltd. Use of NK-1 receptor antagonists for treating stress disorders

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