Es dürfte unmittelbar einleuchtend
sein, daß ein
dringender Bedarf für
Behandlungsmöglichkeiten funktionell
beeinträchtigter
neuronaler Zellen, beispielsweise nach Rückenmarksverletzungen oder bei
Gehirnschädigungen,
besteht. Chirugische Maßnahmen
wie das Zusammennähen
durchtrennter Nervenbahnen sind zeitaufwendig und erfordern großes Geschick.
Zudem besteht insbesondere bei Eingriffen am Gehirn oder Rückenmark
ein hohes Risiko für
den Patienten. Transplantiertes körperfremdes Nervengewebe unterliegt
Abstoßungsreaktionen, und
selbst die Verwendung von körpereigenem
Nervengewebe ist problematisch, weil keine funktionellen Verbindungen
hergestellt werden. Ähnliche
Probleme treten auf, wenn neuronale Zellen auf einer extrakorporalen
Oberfläche
angesiedelt werden, beispielsweise zur Herstellung eines Neurochips.
Die Zellen haften schlecht oder nicht an der Oberfläche und
bilden keine Verbindungen untereinander aus, so daß kein funktionsfähiger Verbund
entsteht.
Überraschenderweise
wurde gefunden, daß sich
diese Probleme durch eine Behandlung neuronaler Zellen unter Verwendung
von glykosidasehaltigen Lösungen
beseitigen lassen. Hierauf beruht die Erfindung.
Die Erfindung gibt somit die Verwendung
von glycosidasehaltigen Lösungen
(Glykosidasen sind polysaccharidabbauende Exo- und Endoenzyme) zur Regeneration (z.B.
nach einer Schädigung) und/oder Verbesserung
des Zell-Zell-Kontaktes zwischen neuronalen Zellen oder zwischen
neuronalen und nicht-neuronalen Zellen (z.B. Muskelzellen), zur
Regeneration und/oder Verbesserung des Zell-Oberflächen-Kontaktes
von neuronalen Zellen (z.B. zwischen neuronalen Zellen und körperfremden
Oberflächen
wie auf Neurochips) und zur Regeneration und/oder Förderung
des Wachstums von neuronalen Zellen an.
Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich die
erfindungsgemäße Verwendung
sowohl auf gesunde als auch auf beeinträchtigte bzw. geschädigte neuronale
Zellen bezieht. Unter neuronalen Zellen werden Neuronen und Gliazellen
verstanden, beispielsweise solche des Gehirns und des Rückenmarks
(die zusammen das Zentralnervensystem bilden) oder des peripheren
Nervensystems. Der Entwicklungsstand bzw. Differenzierungszustand
der neuronalen Zellen unterliegt keinen besonderen Beschränkungen,
beispielsweise kann es sich um embryonale, juvenile oder adulte
neuronale Zellen handeln.
Der Begriff "Regeneration" ist hier nicht so zu verstehen, daß lediglich
eine Normalisierung oder Wiederherstellung einer beeinträchtigten
Funktion erfolgt, sondern es können
auch Verbesserungen auftreten, die über den Normalzustand hinausgehen.
Vorteilhafte und/oder bevorzugte
Ausführungsformen
der Erfindung sind Gegenstand der Unteransprüche.
Nach einer Ausführungsform der Erfindung enthalten
die verwendeten glykosidasehaltigen Lösungen mindestens eine Sialidase
wie eine Neuraminidase. Es können
beliebige Glykosidasen miteinander kombiniert werden, wenn dies
zweckmäßig ist. Der Typ
der erfindungsgemäß geeigneten
Glykosidasen unterliegt keinen besonderen Beschränkungen. Es kommt auch nicht
auf bestimmte Mengenanteile an.
Die erfindungsgemäße Verwendung bezieht sich
nicht nur auf neuronale Zellen im Körper, beispielsweise im Bereich
einer Rückenmarksschädigung oder
einer Muskel-Nervenverbindung, sondern auch auf solche in Kulturen,
Neuroimplantaten oder Neurotransplantaten oder auf solche auf beliebigen Oberflächen, z.B.
auch körperfremden
technischen Oberflächen
wie Neuroprothesen, Neurosonden oder Neurochips. Die neuronalen
Zellen können
sich natürlich
auch auf körpereigenem
nichtneuronalen Gewebe befinden, beispielsweise auf Muskelgewebe, das
innerviert werden soll. Neurochips können beispielsweise extrakorporal
mit neuronalen Zellen besiedelt und dann in den Körper eingesetzt
werden, oder die Besiedelung findet direkt im Körper statt. Durch die erfindungsgemäße Behandlung
wird nicht nur der Kontakt zwischen den neuronalen Zellen verbessert,
sondern auch der Kontakt an die jeweilige Besiedelungsoberfläche, im
Falle von Neurochips beispielsweise aus Silicium, Gold oder Kunststoffen. Vorzugsweise
werden als technische Oberflächen solche
verwendet, die unter physiologischen Bedingungen körperverträglich sind,
also beispielsweise nicht abgestoßen oder abgebaut werden.
Die erfindungsgemäße Verwendung bezieht sich
insbesondere auf die Behandlung von funktionell beeinträchtigten
neuronalen Zellen und/oder funktionell beeinträchtigten axonalen, dendritisch-synaptischen
und nicht-synaptische Verbindungen und/oder beeinträchtigten
funktionellen Interaktionen mit anderen Zellen mit glykosidasehaltigen
Lösungen.
Der Begriff "beeinträchtigt" ist im breitesten Sinne zu verstehen
und umfasst beispielsweise Beeinträchtigungen durch Noxen, Läsionen und
Degenerationen aller Arten.
Beispiele für konkrete Noxen, Läsionen und Degenerationen
sind Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson, Chorea Huntington, Schlaganfall,
Multiple Sklerose, Rückenmarksverletzungen,
Ischämie
und Tumoren. Die erfindungsgemäß angegebene
Verwendung ist aber nicht hierauf beschränkt.
Fakultativ können die erfindungsgemäß verwendeten
glykosidasehaltigen Lösungen
zum Schutz, zur Stabilisierung, zur Förderung des Wachstums und zur
Differenzierung außerdem
mindestens einen weiteren unter Lyasen wie Chondroitinasen, Antiphlogistika,
Antioxidantien, Radikalfängern
und Wachstumsfaktoren ausgewählten
Wirkstoff enthalten.
Beispielsweise können die Antiphlogistika unter
antünflammatorischen
Steroiden wie Methylprednisolon und Tirilazad und nicht-steroidalen
antünflammatorischen
Substanzen wie Salicylaten, Modulene (Acetyl-Leu-Ala-His-Phe-Arg-Trp)
und Thiole enthaltenden Aminosäuren
wie N-Acetyl-L-Cystein ausgewählt
werden.
Die Antioxidantien und Radikalfänger können zum
Beispiel unter Thiole enthaltenden Aminosäuren wie N-Acetyl-L-Cystein,
Polyaminen wie Spermin, Putrescin, Spermidin, Ascorbinsäure, Ascorbylphosphat,
Carotinoiden, Tocopherolen und die Wachstumsfaktoren unter Neurotrophinen
wie Nervenwachstumsfaktor (NGF)(im folgenden werden die englischsprachigen
Bezeichnungen angegeben, weil die betreffenden Faktoren unter der
jeweiligen Abkürzung
bekannter sind als unter der vollen Be- Bezeichnung und die Abkürzungen
sich wiederum am Englischen orientieren), brain derived growth factor
(BDNF), ciliary neurotrophic factor (CNTF), glial cell line-derived
neurotrophic factor (GDNF), Neurotrophin-3 (NT-3), Neurotrophin-4
(NT-4), bone morphogenic protein 4 (BMP4), leukemia inhibiting factor (LIF),
insulin-like growth factor 1, acidic fibroblast growth factor (aFGF),
basic fibroblast growth factor (bFGF), epidermal growth factor (EGF),
transforming growth factor-β (TGF-β), platelet
derived growth factor (PDGF) und dem Peptid E. T. F. Thymulene (Acetyl-Lys-Asp-Val-Tyr)
ausgewählt
werden.
Die erfindungsgemäße Verwendung ist nicht auf
eine bestimmte Verabreichungsform der glykosidasehaltigen Lösungen festgelegt.
Die Verabreichung kann sowohl direkt als auch indirekt erfolgen, beispielsweise
durch intrathekale Infusion des Rückenmarks oder durch Einbringen
eines mit einer gykosidasehaltigen Lösung imprägnierten Schwammmaterials in
einen geschädigten
Rückenmarksbereich.
Bei Individuen mit Morbus Parkinson oder Chorea Huntington kann
die Verabreichung der glykosidasehaltigen Lösungen z.B. in das Striatum
erfolgen. Grundsätzlich
kann jede Verabreichungsform gewählt
werden, die zweckmäßig erscheint
oder angebracht ist.
Darüber hinaus können die
erfindungsgemäß verwendeten
glykosidasehaltigen Lösungen auch
noch zusätzlich
embryonale Stammzellen oder andere zur Transplantation geeignete
neuronale oder nicht-neuronale Zellen wie autologe oder heterologe Zellen,
geeignete adulte (differenzierte) Zellen, embryonale Stammzellen,
fötale
Mesencephalon-Zellen, andere progenitorische Zellen oder Knochenmarkszellen
enthalten oder zusammen mit diesen in einen beeinträchtigten
Bereich eingebracht wer den. Auf die Reihenfolge kommt es dabei nicht
an, es kann also zuerst eine glykosidasehaltige Lösung verwendet
werden und dann die vorstehend genannten Zellen eingebracht werden
oder auch umgekehrt.
Zusammengefasst wird in der vorliegenden Erfindung
primär
von der Tatsache Gebrauch gemacht, dass sich an der Oberfläche von
neuronalen Zellen verschiedene, gebundene Polysaccharide befinden,
welche für
die zelluläre
Signaltransduktion, Zell-Zell-Erkennung,
Zell-Oberflächen-Interaktion, Zellintegration,
die Differenzierung, das Wachstum bzw. die Proliferation, die Regeneration
und das Überleben
neuronaler Zellen von essentieller Bedeutung sind.
Die enzymatische Behandlung von neuronalen
Zellen mit Glycosidasen (polysaccharidabbauenden Exo- und Endoenzymen)
führt zu
Veränderungen
der Zelloberflächen
mit Implikationen für
den Zell-Zellkontakt, wodurch Zellwachstum, Differenzierung und
Wegfindung beeinflusst werden: Die neuronalen Zellen verändern ihre
Adhäsionseigenschaften und
runden sich innerhalb weniger Stunden ab, d.h. es bilden sich Sphäroide. Im
weiteren Verlauf nehmen sie jedoch durch Neuritenwachstum (axonales und
dendritisches Wachstum) erneut Kontakt miteinander auf und bilden
im weiteren axonale und dendritische synaptische und nichtsysnaptische
Verbindungen.
Die erfindungsgemäß verwendeten glycosidasehaltigen
Lösungen,
gegebenenfalls auch in Kombination mit Lyasen wie Chondroitinasen,
können
zur Behandlung von neuronalen Zellen im Gehirn, Rückenmark,
peripheren Nervensystem und in technischen Systemen (Neurochips,
Neuroimplantaten, Kulturen) eingesetzt werden.
Normale neuronale Zellen, transplantierte oder
durch Noxen geschädigte
neuronale Zellen können
hierbei durch gegebenenfalls zusätzlich
in den glycosidasehaltigen Lösungen
enthaltene antiinflammatorisch wirksame Substanzen und/oder Antioxidantien/Radikalfänger und/oder
Wachstumsfaktoren geschützt,
stabilisiert und/oder zu Wachstum und/oder Differenzierung und/oder
Regeneration/Aufnahme der Normalfunktion angeregt werden, oder diese
Normalfunktion wird dadurch erst vollständig ermöglicht, oder die Adhäsion an
eine Oberfläche (biologisch
oder technisch) wird dadurch erst ermöglicht oder verbessert.
Die Behandlung neuronaler Zellen
mit diesen glycosidasehaltigen Lösungen
kann in situ, in vivo, ex vivo oder in vitro durchgeführt werden
und soll die funktionelle Interaktion/-Funktionswiederkehr mit neuronalen Zellen,
anderen Zellen (z.B. Muskelzellen) und/oder biokompatiblen Materialien
(Neurochips, Neuroprothesen) ermöglichen.
Im folgenden wird die Erfindung nun
ohne Beschränkung
detaillierter erläutert.
Ein Verzeichnis der zitierten Literaturstellen mit
genauen bibliographischen Angaben befindet sich am Ende dieser Beschreibung.
Noxen
Die Expression von Zelloberflächen- und Zelladhäsionsmolekülen und
ihrer Rezeptoren auf Axonen und Gliazellen sind wichtige Voraussetzungen
für das
Wachstum von Nervenfasern. Dazu gehören verschiedene Klassen von
Zelladhäsionsmolekülen, von
denen speziell N-CAM (neurales Zelladhäsionsmolekül, neural cell adhesion molecule), N-Cadherin
und Laminin von mesenchymalen und neuroepithelialen Zellen während der
frühen
Entwicklung gebildet werden. (Durbec et al.) Es finden Interaktionen
durch homophile oder heterophile Bindung zwischen den einzelnen
Adhäsionsmolekülen statt.
Nur solche Nervenzellen, die ihre Zielzelle gefunden und sich mit
ihr synaptisch verschaltet haben, bekommen von dieser Zelle überlebenswichtige
neurotrophe Faktoren, Nervenwachstumsfaktor (NGF), aus Gehirngewebe
isolierbarem Nervenwachstumsfaktor (BDNF) oder auch Neurotrophin
3 und 4/5 (NT-3, NT-4/5) geliefert oder andere Faktoren, die die Zellen überleben
lassen. (von Bartheld et al., Skaper et al.)
Neuronen können durch verschiedene Faktoren
wie beispielsweise Glucose- oder Sauerstoffmangel und andere Noxen
und Läsionen
in einen labilen Zustand geraten, der es ihnen nicht mehr erlaubt,
freie Radikale in ausreichendem Masse zu entfernen, so dass diese
in zu hoher lokaler Konzentration vermehrt zur enzymatischen oder
peroxidativen Hydrolyse mit Schädigung
der Zellmembran/cytosolischer Systeme beitragen. Gleichzeitig können durch Öffnung spannungsabhängiger Calciumkanäle nach oxidativem
Stress ebenfalls vermehrt Calciumionen in das Zellinnere strömen und
diese autodestruktive Kaskade über
Induktion Calcium-abhängiger
Enzyme weiter unterhalten.
Exzitatorische Aminosäuren (EAAs)
Glutamat oder Aspartat können
von geschädigten
Zellen in grossen Mengen freigesetzt werden und dadurch die sekundäre, autodestruktive
nervenzellschädigende Kaskaden
in Gang setzen, die zum Teil durch eine Calciumüberladung der Neuronen vermittelt
werden. (Lenzlinger et al., Sattler et al., Yakovlev et al.)
Umgekehrt sind Zellen, die Enzyme
synthetisieren, die die Fähigkeit
haben, freie Radikale zu eliminieren (zum Beispiel Superoxid-Dismutase),
weitgehend resistent gegen die schädigende Wirkung von Glutamat.
Wichtigstes Ziel der Frühphase nach
Noxen und Läsionen
muss es daher sein, den Schaden zu begrenzen und den neuronalen
Zelltod, der oft erst verzögert
einsetzt, zu verhindern. Um nach einer axonalen Läsion zu überleben
und auch wieder ein Axon zu regenerieren, müssen die betroffenen Neuronen
Gene aktivieren, die auch während
der Entwicklung exprimiert wurden.
Im peripheren Nervensystem können Axone nach
Axonotmesis oder Neurotmesis wieder regenerieren. Im optimalen Fall
kommt es zu einer restitutio ad integrum. Adulte Nervenzellen im
Gehirn von Mammaliern können
ihre Axone wieder regenerieren, wenn inhibitorische Einflüsse eliminiert
oder neutralisiert werden und wachstumspermissive Bedingungen vorliegen
oder experimentell erzeugt werden.
Sind Schaltkreise oder Projektionen
an bestimmten Punkten unterbrochen, stellt sich die Frage, ob man – wie beispielsweise
bei der Querschnittslähmung
nach Rückenmarkstrauma – eine axonale
Regeneration über
die Läsionsstelle
hinweg ermöglichen
kann. Im peripheren Nervensystem ist dies durch die wachstumsförderliche
Wirkung von Schwann-Zellen möglich,
so dass hier alle Versuche unternommen werden, nach einer Nervendurchtrennung
baldmöglichst
eine Rekonnektion durch pri märe
Nervennaht oder Transplantation eines Nervs (beispielsweise durch
ein Suralis-Transplantat) zu erzielen. Die Frage der axonalen Regeneration
ist eng mit dem Problem der Re-Expression
von geeigneten Lenkungsmolekülen
und reaktiven Veränderungen der
deafferentierten Zielzellen verbunden. Damit eine Verbindungsbahn
wieder effektiv regeneriert werden kann, müssen Entwicklungsprogramme
in der Zelle reaktiviert werden. Erst wenn dies geschieht, kann
im günstigen
Fall eine funktionelle Restitution mit Wiederherstellung der physiologischen
Parameter erfolgen. Im peripheren Nervensystem sind solche Voraussetzungen
gegeben, so dass prinzipiell eine funktionelle Restitution möglich ist.
Im Gehirn ist die Situation viel
komplexer. Hier dominieren inhibitorische Faktoren, welche eine axonale
Regeneration verhindern. Alternativ zur (manchmal nicht möglichen)
Neuroprotektion und axonalen Regeneration kann man auch Ersatzzellen für untergegangene
Neuronen einbringen. So können
durch Transplantation von unreifen Nervenzellen oder genetisch modifizierten
Zellen die verlorengegangenen Neuronen zumindest teilweise ersetzt
werden. Sobald diese Zellen transplantiert werden, stellt sich jedoch
erneut die Frage nach ihrer Integration in komplexe Schaltkreise.
Um sich funktional verschalten zu können, müssen die neuen Zellen ebenfalls genetische
Programme aktivieren, welche während der
Entwicklung des Nervensystems die weg- und Zielfindung sowie die
Synaptogenese steuern. Weiterhin müssen deafferentierte Zielzellen
verfügbar sein,
die auch als solche erkannt werden müssen. Die Reifung eines regenerierten
Systems erfordert dann eine Reihe weiterer, aktivitätsabhängiger Schritte,
bei denen fehlerhafte Verschaltungen eliminiert werden. Kurzum,
es müssen
die wesentlichen Schritte der Bildung von Verschal tungen während der Entwicklung
rekapituliert werden. (Strittmatter et al.)
Neben der zellulären Reaktion auf eine Läsion wurden
in den vergangenen Jahren auch zunehmend Mechanismen der molekularen
Regulation der Zellkörper-Reaktion
untersucht. Um nach einer axonalen Läsion im Gehirn zu überleben
und auch wieder ein Axon zu regenerieren, müssen die betroffenen Neuronen
Gene aktivieren, die auch während der
Entwicklung exprimiert wurden.
Soweit bislang untersucht, können Neuronen,
die den Weg in Richtung Regeneration einschlagen, alle wesentlichen
Zelloberflächen
und Adhäsionsmoleküle reexprimieren,
die sie auch während der
Entwicklung gebildet hatten.
Rückenmark
Nach einer Verletzung im Rückenmark kommt
es zu ausgeprägten
Veränderungen,
vor allem im distalen Nervstumpf (Wallersche Degeneration), aber
auch im proximalen Anteil des durchtrennten Nervs. Die Axone im
distalen Teil des Nervs haben keine Verbindung zum Zellkörper mehr
und werden innerhalb kurzer Zeit samt ihrer Myelinhüllen von Schwann-Zellen
und einwandernden Makrophagen abgebaut und für die Wiederverwertung prozessiert. Der
grössere
Anteil der Phagocytose wird dabei von Makrophagen geleistet. Werden
diese künstlich
am Einwandern in den geschädigten
Nerven gehindert, kommt es nur zu einem sehr langsamen, unvollständigem Abbau
des Myelins durch Schwann-Zellen. Durch den Verlust des Axonkontakts
dedifferenzieren die Schwann-Zellen im distalen Nervstumpf und reduzieren
die Expression von Myelinproteinen. Die Schwann-Zellen proliferieren, wahrscheinlich
stimuliert durch Axon membranen und Myelindebris, innerhalb der ursprünglichen
Basallamina-Hülle,
den Büngnerschen
Bändern.
Umgekehrt produzieren Schwann-Zellen zahlreiche Proteine, die das
Axonwachstum fördern.
Die wichtigsten bekannten sind die neurotrophen Faktoren NGF und
BDNF, NGF-Rezeptor, das Adhäsionsmolekül L1 und
das ECM-Protein Laminin.
Im Bereich der denervierten Synapse
werden, meist in ihrer Zusammensetzung und molekularen Struktur
noch nicht charakterisierte Moleküle, freigesetzt, die sowohl
die Aktivierung und Proliferation der terminalen Schwann-Zellen
auslösen,
aber auch die Axone direkt zur Region ihrer früheren Synapse lenken. Dabei
ist neben N-CAM, ein dem Laminin verwandtes Molekül, das s-Laminin
involviert, das in der Endplattenregion exprimiert wird. Entgegen der
Wirkung von Laminin bremst s-Laminin das Wachstum von motorischen
Axonen. Dadurch wird, zusammen mit anderen Kofaktoren die differentielle Termination
der Axone im Bereich der früheren
Endplattenregion gesteuert.
Werden wachstumsinhibitorische Moleküle eliminiert,
in dem beispielsweise Myelin assoziierten Inhibitoren in vivo durch
spezifische Antikörper
neutralisiert werden, führt
das ebenfalls zu einer signifikanten Verbesserung des regenerativen
Axonwachstums nach Rückenmarkstrauma
mit Durchtrennung des corticospinalen Traktes. (Caroni & Schwab). Hier konnten
in den vergangenen Jahren erhebliche Erfolge erzielt werden. Durch
Einsatz von spezifischen Antikörpern
gegen Myelin-assoziierte Inhibitoren und von neurotrophen Faktoren
konnte gezeigt werden, dass auch im Rückenmark erwachsener Ratten
eine axonale Regeneration über
lange Strecken möglich ist.
Die Antikörper
gegen die Myelin-assoziierten Inhibitoren scheinen die Erkennung
von spezifischen Lenkungsmolekülen
nicht zu beeinflussen, so dass die regenerierenden Axone ihre ursprünglichen
Zielzellen wiederzufinden scheinen, und sich dort synaptisch verschalten.
Mit dieser experimentellen Therapiestrategie war es möglich, das
Laufverhalten von Ratten mit Rückenmarksläsionen signifikant
zu verbessern, was zeigt, dass die axonale Regeneration auch zu
einer partiellen funktionellen Restitution führt. (Bregman et al.)
Um der Narbenbildung vorzubeugen
wurden im Tierversuch bei experimentell rückenmarksverletzten Ratten
Chondroitinase ABC appliziert. Es konnte eine bemerkenswerte Wiederherstellung
des Laufverhaltens erreicht werden. Dabei blieben aber die sensorischen
Funktionen (Bemerken eines Klebebands an der Pfote) hinter den motorischen
zurück.
(Bradbury et al.). Weitere experimentelle Ansätze betreffenen die Applikation
von No Go-Antikörpern,
No Go-Peptid, CAMP, Fampride oder Methylprednisolon. (Wickelgren).
Gehirn
Nach einer Verletzung des Gehirns
beobachtet man eine Aktivierung von Astrocyten, die sogenannte reaktive
Gliose. Dabei kommt es zu einer verstärkten Expression des Intermediärfilaments
GFAP (glial fibrillary acidic protein) sowie zur Vergrösserung von
Zellkörpern
und Fortsätzen
der Astrocyten im Verletzungsbereich. Es bildet sich dort eine Glianarbe,
ein Gewebe aus Astrocyten und Meningealzellen, welches die Wunde
verschliesst und das Einwachsen von regenerierenden Nervenfortsätzen verhindert.
Als das Axonwachstum inhibierende
Komponenten der Proteoglylykane müssen Monomere und Polymere
von Chondroitin-Sulfat,
Dermatan-Sulfat, Keratan-Sulfat und Hyaluronsäure angesehen werden. Diese
können
bemerkenswerterweise in den Narbengeweben des Gehirns nachgewiesen
werden, in denen eine sogenannte reaktive Gliose vorliegt. In Zellkulturen
gut permissiver Astrocyten findet man sowohl für das Neuritenwachstum günstige als
auch ungünstige
Proteoglykane. Dies lässt
vermuten, dass auch hier nicht die An- oder Abwesenheit einzelner Proteoglykane,
sondern die Mischung der verschiedenen Komponenten im Gewebe und
die Expression entsprechender Rezeptoren auf den Axonen über die Permissivität entscheiden.
Es gibt jedoch einige Hinweise darauf,
dass nach einer Läsion
auch gliale Zellen Faktoren freisetzen, die möglicherweise an den reaktiven
Vorgängen nach
einer Verletzung beteiligt sind: CNTF (ciliary neurotrophic factor,
aus Ciliarganglien gereinigter neurotropher Faktor, ein nicht sezerniertes
Protein), wurde in reaktiven Astrocyten in vivo nachgewiesen. In
Astrocyten-Kulturen fand man ausserdem NGF (nerve growth factor)
NT-3 (Neurotrophin 3) und FGF. Astrocyten besitzen Rezeptoren für neurotrophe
Faktoren.
Durch verschieden Adaptationsvorgänge ist nach
Läsion
im Gehirn in begrenztem Umfang eine Funktionswiederkehr möglich. Zentrale
Projektionsgebiete können
restrukturiert, zuvor supprimierte Bahnsysteme aktiviert und auf
zellulärer
Ebene Reorganisationsvorgänge
in Gang gesetzt werden. Welcher dieser Vorgänge allein oder in Kombination
nach einer Verletzung einsetzt, ist auch von der Grösse und
Lokalisation der Schädigung
abhängig.
Im normalen adulten Gehirn von Mammaliern
scheint unter physiologischen Bedingungen ein Gleichgewicht zwischen
wachstumsfördemden
und -hemmenden Mechanismen zu herrschen. So werden plastische Veränderungen
auf synaptisches Remodeling und sogenanntes Sprouting beschränkt. Axonales
Wachstum findet daher in der Regel – wenn überhaupt – nur über sehr geringe Entfernungen statt.
Damit unterscheidet sich das Mammalier-Gehirn von dem niederer Vertebraten,
bei denen auch im adulten Nervensystem unter normalen Bedingungen
kontinuierlich ein Wachstum stattfindet und nach Läsion die überwiegende
Mehrzahl der geschädigten Neuronen
durch Neurogenese ersetzt, beziehungsweise durchtrennte Projektionsbahnen
regeneriert werden können.
Toxische Schädigungen durch Medikamente (Abusus,
Nebenwirkungen), Hypoxämie
und Erkrankungen können
zu Schädigungen
und Ausfällen
neuronaler Zellen mit erheblichen Konsequenzen für die Betroffenen führen.
Erkrankungen der Basalganglien umfassen idiopathische
(zum Beispiel die Parkinson-Krankheit) und hereditäre (zum
Beispiel die Huntington-Krankheit) Erkrankungen mit selektivem Zelluntergang
in unterschiedlichen Kerngebieten und Neuronen der Basalganglien.
Erkrankungen der Basalganglien zeichnen sich
klinisch durch unwillkürliche
Bewegungen, Verlangsamung und Armut von Bewegungen und Veränderungen
von Muskeltonus und posturalen Reflexen aus.
Zu diesen pathologischen Bewegungen
zählen:
Tremor:
Rhythmische, regelmässige,
oszillierende, unwillkürliche
Bewegungen
eines Körperteils
infolge einer alternierenden oder synchronen Kontraktion reziprok
innervierter agonistischer und antagonistischer Muskeln.
Dystonie:
Unwillkürliche,
anhaltende Muskelkontraktionen, die aufgrund ihrer Dauer zu teilweise
bizarren Bewegungen (Verdrehungen) und auch zu abnormen Haltungen
führen,
gelegentlich auch zu repetitiven Bewegungen, insbesondere wenn der
Patient aktiv gegen die dystone Muskelkontraktion arbeitet.
Chorea:
Kurzzeitige, zufällig
verteilte, nicht repetitive, unwillkürliche, unregelmässige Muskelkontraktionen mit
Bewegungseffekt, die von einer Körperregion
zur anderen wandern können.
Ballismus:
Grossamplitudige, schleudernde Bewegungen zumeist proximaler Muskelgruppen,
die überwiegend
halbseitig als Hemiballismus auftreten.
Akinesie: Bewegungsarmut,
Hemmung oder Verzögerung
des Bewegungsstarts.
Rigor: Wachsartiger, während des gesamten aktiven oder
passiven Bewegungsablaufs erhöhter
Muskeltonus. (Löschmann & Schulz).
Zur Sanierung verlorengegangener
neuronaler Netzwerke, die bei vielen degenerativen Erkrankungen
wie Morbus Parkinson oder Chorea Huntington auftreten, bietet sich
die Implanta tion geeigneter Zellen als Bioprothese an. Erfolgreiche
klinische Anwendung hat seit einigen Jahren die Implantation dopamin-produzierender
fötaler
Neurone ins Gehirn von Parkinson-Patienten gefunden. Die mangelhafte dopaminerge
Neurotransmission im motorischen System der behandelten Parkinson-Patienten konnte durch
die fötalen
Neurone positiv beeinflusst werden. Die Besserung der klinischen
Symptomatik hält
in manchen Fällen
bereits seit über
10 Jahren an. Zur Behandlung eines Patienten ist das Zellmaterial
von mehreren Föten
notwendig und somit ist dieses Verfahren nicht für alle Parkinson-Patienten
anwendbar. Daher erhofft man sich aus der Stammzellenforschung neue
Therapiemöglichkeiten
für neurodegenerative
Erkrankungen.
Weitere denkbare Ansätze sind
sogenannte transdifferenzierbare Zellen z.B aus dem hämopoetischen
System (Knochenmark), denen man auch die Fähigkeit zur Differenzierung
in neuronale Zellen zuschreibt.: Embryonale Stammzellen oder z.T.
auch adulte aus dem hämopoietischen
System lassen sich in Kultur unbegrenzt vermehren und aufgrund ihrer Omnipotenz
können
sie sich theoretisch in jeden Zelltyp differenzieren. Wenn es gelänge, die
Mechanismen aufzuklären
und nachzuahmen, die zu einer bestimmten Differenzierung führen, liesse
sich ein unbegrenztes Reservoir an Reparaturzellen heranzüchten, die
auch bei M. Parkinson etc. als Bioprothese dienen könnten. Bereits
jetzt existieren verschiedene Ansätze, die Differenzierung von
embryonalen Stammzellinien in bestimmte Nervenzellen in vitro hervorzurufen.
Allerdings muss die molekulare Identität der jeweiligen Induktionsfaktoren
gelöst
werden, da nicht alle neuronale Zellen wie gewünscht einwachsen (atypische
Integration) und es auch zu Hyperplasien kommen kann. (Zheng et
al.). Der Vorteil von Stammzellen liegt darin, dass sie vor der
Implantation in gewünschter
Weisemanipuliert werden können:
So z.B. durch Transfektion mit Trägern bestimmter Merkmale, die
für Immortalisierung
und für
dauerhafte Produktion von gewünschten
Substanzen sorgen. Pluripotente Stammzellen aus frühembryonalen Stadien
sind eine denkbare aber noch zu etablierende weitere Möglichkeit.
Eine andere Möglichkeit
wären adulte
Stammzellen aus dem Gehirn, die nach Reinigung, Aufzucht und Transfektion
in ähnlicher Weise
zur Pluripotenz gebracht werden. Auch dieser Ansatz ist allerdings
noch zu verifizieren, da diese Zellen noch keinesfalls als Ersatz
für Hirnzellen
in Betracht kommen.
Neuromedizin - neurotechnologischer
Kontakt mit transplantierten Neuronen
Bei einer neurotechnologischen Kontaktierung
soll die natürliche
Eigenschaft von Neuronen, mittels axonaler Sprossung synaptischen
Kontakt zu Neuronen herstellen zu können, ausgenutzt werden, um
synaptischen Kontakt zu einem Neurochip und/oder dort bereits haftenden
Neuronen herzustellen. Diese Neurochips könnten dann zu Forschungszwecken
verwendet oder implaniert werden. Ein grundsätzliches und bislang nicht
geklärtes
Problem stellt allerdings die Immunverträglichkeit solcher transplantierter
Neurone und Neurochips dar.
Bei der Herstellung eines neurotechnologischen
Kontaktes mit Hilfe gezüchteter
Neuronen auf Siliciumträgern
ergeben sich folgende Vorteile: Keine Gewebstraumatisierung durch
Elektroden; ein funktionsfähiges
Zellkultursystem ist bereits vorhanden; dem biologischen System
weitgehend adaptierte axonale Kontaktierung in Form synaptischen
Kontaktes. Schwer überwindbare
biologische Hindernisse könnten
sein: Immunverträglichkeit
und/oder Langzeitüberlebensfähigkeit.
1. Mikrostrukturen
zur Aufnahme von Nervenzellen
Kultivierte, embryonale Nervenzellen
können gerichtet
in Gräben
mit einer Tiefe von 2 μm
wachsen. Das Substrat bestand aus einem 2 mm dünnen Plastikmaterial (Perspex)
und war mit Poly L-Lysin beschichtet. Einen geringeren Einfluss
als die Tiefe der Strukturen hatte ihre Periodizität. Untersuchungen
deuten auch an, dass ein wesentlicher Faktor die Organisation des
Cytoskeletts ist. Je höher
das Cytoskelett organisiert ist, desto stärker ist ein gerichtetes Zellwachstum
zu beobachten. Fromherz et al. und Weis et al. konnten das gerichtete
Wachstum von Nervenzellen des Blutegels (Retzius-Zellen) entlang einer
quadratischen oder hexagonalen Gitterstruktur zeigen. Dieser Forschergruppe
gelang es, eine Kopplung zwischen einem einzelnen Neuron und einer
oxidierten Siliciumschicht des Gates eines Feldeffekttransistors
(FET) herzustellen. Aktionspotentiale der Retziuszelle modulierten
den Source-Drain-Strom des Transistors. Da Arrays aus vielzähligen eng
gepackten FETs auf einem Siliciumwafer hergestellt werden können, kann
Multikontaktierung von Nervenzelden mittels FETs angestrebt werden.
weiterhin konnte eine funktionelle Verbindung von Hirnschnitten
mit Planaren elektronische Kontakten hergestellt werden. (Fromherz).
Mit FET-Kontaktierung
können
allerdings nur Neuronensignale empfangen, nicht aber stimuliert
werden.
Ein bidirektionaler Informationsaustausch mit
Nervenstrukturen kann z.B. mittels metallischer Mikroelektroden
auf pla naren Glassubstraten realisiert werden. Gross & Kowalski leiteten
simultan in einem Areal (Durchmesser: 1 mm) die elektrischen Aktivitäten von
embryonalen Rückenmarkszellen
der Maus über
64 Indium-Zinnoxid-Elektroden (indium-tin oxide = ITO)ab. Die einlagige
Nervenzellkultur wuchs auf Poly-D-Lysin, das an einem mit Flamme vorbehandelten
Photoresist haftete. Der Photoresist isolierte die Nervenzellen
gegenüber
dem Elektrodenpotential. An den Elektrodenspitzen war zuvor der
Photoresist mit einem Laser abgetragen worden.
Jimbo et al. stellten in eine Anordnung
von 4 × 4
Elektroden aus Indium-Zinnoxid vor, die in 10 μm hohes Polyimid eingebettet
waren. Das Polyimid wurde strukturiert, so dass Kanäle zwischen
den Elektroden ausgebildet wurden. Das gerichtete Zellenwachstum
wurde dadurch unterstützt,
dass der Kanalboden mit Aluminiumoxid ausgelegt war. Aluminiumoxid
bewirkt ein selektives Wachstum von Axonen. So konnte ein gerichtetes
Wachstum von embryonalen Rattenzellen (cortical tissue) in der Elektrodenanordnung
bewirkt werden. Über
die Elektroden konnten die elektrischen Aktivitäten der Zellen registriert
und aufgezeichnet werden. Von Jerome Pine und seiner Gruppe wurde
eine Neuronenmikrosonde entwickelt, die in das intakte Nervensystem implantiert
werden soll. Die Gruppe entwickelte einen Neurochip aus Silicium,
der es erlaubt, kultivierte neuronale Netzwerke extracellulär zu stimulieren
und abzuleiten. Ein grosser Vorteil des Siliciumchips ist die geringe
Grösse
sowie die gute Biokompatibilität. Der
Neurochip besteht aus einer 9 mm langen, 3 mm breiten und 20 μm dicken
Siliciummembran, mit einem zentralen 4 × 4 Array aus Kompartimenten.
Am Boden eines jeden Kompartiments befindet sich eine runde Goldelektrode.
Bedeckt wird das Kompartiment von einem bordotierten Siliciumgitterwerk.
Damit zeigt eine Seite der Membran ein 4 × 4 Array aus Goldelektroden,
die andere Seite ein korrespondierendes Array aus Silziumgitterwerk.
Der Gruppe von Pine gelang es als erste, dissoziierte, embryonale Nervenzellen
aus dem Hippocampus sowie dem Sympathicus der Ratte in eine solche
dreidimensionale Siliciumstruktur zu verpflanzen. Die Neurone werden
in relativ hoher Dichte auf die Mikrostruktur aufgebracht. Nach
ca. 10 Minuten werden einzelne, noch nicht adhärierte Neurone mit Hilfe einer
Pipette durch die Gitterstruktur hindurch in das Kompartiment gepflanzt.
Während
der Wachstums- und Differenzierungsphase können Neuriten aus dem Kompartiment
herauswachsen und ein neuronales Netzwerk bilden. Der Zellkörper des
wachsenden Neurons wird durch die Gitterstruktur im Kompartiment festgehalten.
Dadurch können
mittels der Goldelektroden am Boden des Kompartiments Aktionspotentiale
extracellulär
direkt vom Zellkörper
abgeleitet bzw. das Neuron stimuliert werden. (Pine)
2. Kulturbedingungen
für Nervenzellwachstum
auf der Mikrostruktur
Damit Nervenzellen auf Mikrostrukturen
unter Kulturbedingungen optimal wachsen und sich differenzieren
können,
müssen
geeignete Grenzflächen gefunden
werden, die eine gute Adhäsion
der Zellen an der anorganischen Struktur ermöglichen. Komponenten, die die
Zelladhäsion
fördern,
beeinflussen allerdings auch eine Vielzahl cellulärer Funktionen,
wie Wachstum, Differenzierung und Zellbewegungen. Neuronale Zellen
adhärieren
und wachsen besonders gut auf Komponenten der extracellulären Matrix, wie
z.B. auf Kollagen oder den Glycoproteinen Fibronectin und Laminin.
Die Zellen binden an diese Komponenten durch spezifische Rezeptoren
der Zelloberfläche.
Für
Mikrostrukturen aus Silicium oder Glas wurde eine gute Adhäsion der
wachsenden Neurone (Pyramidenzellen des Hippocampus, Rückenmarkszellen)
erzielt, wenn die Mikrostruktur zunächst mit Poly-D-Lysin, anschliessend
mit Laminin beschichtet wurde. Damit wird die Adhäsionsschicht über einen langen
Zeitraum aufrechterhalten. Wachstum und Entwicklung der Neurone
in vitro sind umso besser, je mehr das Substrat den in-vivo-Bedingungen ähnelt. Das
Wachstum neuronaler Zellen wird durch Laminin und Fibronectin gefördert. Beide
Komponenten bewirken gemeinsam ein starkes Auswachsen der Neuriten.
Wachsen Neurone aus dem peripheren Nervensystem, z.B. aus den Spinalganglien,
auf Laminin, produzieren die mit kultivierten Schwann-Zellen kein
Myelin. Wird dagegen eine rekonstituierte Basalmembran (Hauptkomponenten:
Kollagen, Proteoglykane, Laminin und Entactin) als Substrat verwendet, so
umgeben die Schwann-Zellen die Neurone und produzieren Myelin.
Das Neuronenwachstum in Mikrostrukturen kann
molekular begünstigt
oder unterstützt
werden. Die Myelinscheide des zentralen Nervensystems, die aus der
das Axon umwickelnden Membran des Oligodendrozyten besteht, enthält Membranproteine,
die das Nervenwachstum inhibieren. Werden die Oligodendrozyten durch
Röntgenbestrahlung
entfernt oder ein monoklonaler Antikörper zur Neutralisation der
inhibitorischen Eigenschaften verwendet, werden ein (ungerichtetes)
Nervenwachstum, z. B. im Rückenmark,
und entsprechende Synapsenbildung begünstigt. Obwohl dieser Effekt
im Rückenmark
unerwünscht
ist (absteigende Nervenfasern des Corticospinaltraktes mischen sich
mit aufsteigenden sensorischen Fasern), scheint eine molekulare
Konditionierung der Nervenzelle oder des extracellulären Milieus zukünftig zunehmend
an Bedeutung zu gewinnen. In Abhängigkeit
von der verwendeten Adhärenz
muss die Mikrostruktur ausserdem so beschaffen sein, dass keine
Migration der Neurone erfolgen kann. Untersuchungen von Liang & Crutcher zeigten,
dass Neurone auf Laminin sowie auf mit Laminin beschichtetem Poly-D,L-Ornithin
oder Poly-L-Lysin migrierten. Dagegen wurde keine Migration der
Neurone beobachtet, wenn die Kulturschalen lediglich mit Poly-D,L-Ornithin oder Poly-L-Lysin
behandelt worden waren. (Eckmiller)
Zur Herstellung von glykosidasehaltigen
Lösungen
zur Behandlung humaner neuronaler Zellen werden in der Erfindung
verschiedene Stoffgruppen angegeben. Hierbei können neben der Stoffgruppe Enzyme
weitere Substanzen aus den Stoffgruppen Antiphlogistika, Antioxidantien/Radikalfänger oder Wachstumsfaktoren
alleine oder in Kombination zugefügt werden. Die genannten Substanzen
aus diesen Stoffgruppen sind lediglich beispielhaft. Die Substanzen
können
gentechnologisch, biotechnologisch oder durch chemische Synthese
oder andere technische Verfahren, aus biologischen oder anderem
natürlichen
Material hergestellt oder gewonnen werden. Alle verwendeten Enzyme
und weiteren Substanzen sind frei von anderen Enzymen (im Besonderen
Proteasen, Nucleasen, Lipasen). Die Behandlung der neuronalen Zellen
mit den glycosidasehaltigen Lösungen
kann jeden Zeitraum im Bereich von wenigen Sekunden bis mehrere
Monate oder Jahre umfassen. Die Behandlung kann ohne Begrenzung
wiederholt werden. Alle Substanzen aus den verschiedenen Stoffgruppen
und weitere Stoffe (z.B. Wasser, Salze) werden in physiologisch-pharmakologisch
wirksamen oder verträglichen
Konzentrationen (fM – mM) eingesetzt
und nach GLP/GMP-Richtlinien für
den Gebrauch am Menschen zubereitet (μ. a. Filtration durch 0,2-μm-Filter).
Stoffgruppe
Enzyme
In den glycosidasehaltigen Lösungen werden
stets polysaccharidabbauende Glycosidasen (Hydrolasen), E. C. Nomenklatur
3.2.1.1 ff, im besonderen Sialidasen (Neuraminidasen) E. C. 3.2.1.18., geeignet
zur Veränderung
der Oberfächeneigenschaften
von neuronalen Zellen, verwendet.
Optional können erfindungsgemäss zusätzlich Lyasen
E. C. 4.1.1. 23 ff, im besonderen Chondroitinasen E. C. 4.2.2. 4
ff., verwendet werden. Werden Lyasen verwendet, so werden diese
in sinnvollen Kombinationen mit Substanzen aus der eigenen oder den
anderen Stoffgruppen verwendet.
Stoffgruppe
Antiphlogistika
Zur Vermeidung und/oder Reduzierung
inflammatorischer Prozesse können
die glycosidasehaltigen Lösungen
erfindungsgemäss
antiinflammatorische Steroide und nicht-steroide Substanzen zur Protektion
enthalten: Verwendet werden können
die eigentlichen Steroide; hierbei kommen dem Methylprednisolon
und dem Tirilazad eine besondere Rolle zu. Auch Salicylate kommen
als gut dokumentierte Inflammationssuppressoren in Frage. Als nicht-steroide
antiinflammatorische Substanzen (NSAIDs) verfügen sie über ein hohes Potential bei
der Reduktion der proinflammatorischer Cytokine auf der Ebene der Transkriptionsfaktoren
NFκB und
AP1 für
TNFα und IL-1
sowie durch Hemmung der Cycloxigenasen (COX-1, COX-2) von PGE2 und anderen Prostaglandinen.
Des Weiteren können verwendet werden: Modulene
(Acetyl-Leu-Ala-His-Phe-Arg-Trp),
ein synthetisches biomimetisches Peptid, mit den antünflammatorischen
und anti-allergischen Eigenschaften der C-terminalen Sequenz des α-Melanotrophins. Weiterhin
können
erfindungsgemäss
Thiole, bevorzugt, wegen seiner guten antiinflammatorische Wirkung,
N-Acetyl-L-Cystein (N-AC), verwendet werden.
Stoffgruppe Antioxidantien/Radikalfänger
Zur Verhinderung von und Protektion
vor zellschädigenden
Oxidationsprodukten und/oder Radikalen können erfindungsgemäss Antioxidanten und/oder
Radikalfänger
(scavengers) eingesetzt werden.
Bevorzugt werden: Thiole enthaltende
Aminosäuren,
wie N-Acetyl-L-Cystein,
welches, ausser seinem indirekten Beitrag (Einbau in Gluthation) auch
als direkter Radikalfänger
verwendet werden kann, wobei seine Thiogruppe von wesentlicher Bedeutung
ist. Polyamine, insbesondere Spermin, mit Zell- und DNA-protektiven
Eigenschaften. Ascorbinsäure/Ascorbylphosphat übt einen
stabilisierenden Effekt auf Atmungskettenenzyme aus und trägt so zur
Verringerung des electron leakage aus der Atmungskette und dem nachgeschalteten
Entstehen von Sauerstoffradikalen bei. α-Tocopherol hat eine starke
Wirkung bei der Inhibition der Oxidation von Lipiden, wobei es selbst
einer Oxidation zu Tocopherylchinonen unterliegt. Dabei wird es
schneller oxydiert als γ-
und δ-Tocopherole.
Spermin ist, wie die anderen biogenen Polyamine, Putrescin und Spermidin, ein
aliphatisches Amin, welches in organischen Lösemitteln und in Wasser löslich ist.
Im besonderen wird Spermin als Chelator der bei der UV-Exposition freigesetzten
Eisenionen diskutiert, wodurch es das Entstehen von Superoxidanionen,
dadurch den Ablauf der Fentonreaktion und das Entstehen von Hydroxylradikalen,
verhindert. Von besonderer Bedeutung ist die Assoziation von Spermin
mit der DNA, wodurch das dort vorhandene Fe2+-Spermin-Chelat gebildet,
und somit die Fentonreaktion nahe der DNA verhindert wird. Spermin
besitzt aber auch selbst Radikalfänger-Eigenschaften und schützt die
DNA vor direkten Radikalangriffen.
Von besonderer Bedeutung ist die
Kombination von Antioxidantienten/Radikalfänger wegen des gleichzeitigen
Schutzes hydrophiler und hydrophober Zellkompartimente, der Interaktion
mit unterschiedlichen Radikalen, aber auch wegen ihrer unterschiedlichen
Redoxpotentiale, wodurch es zu Regenerationseffekten kommt.
Stoffgruppe
Wachstumsfaktoren
Zur Förderung der Proliferation,
Regeneration/Differenzierung neuronaler Zellen können erfindungsgemäss neuronale
(Neutrophine) und nicht-neuronale Wachstumsfaktoren eingesetzt werden:
Nervenwachstumsfaktor (NGF), brain derived growth factor (BDNF),
ciliary neurotrophic factor (CNTF), glial cell linederived neurotrophic
factor (GDNF), Neurotrophin-3 (NT-3), Neurotrophin-4 (NT-4), leukemia
inhibiting factor (LIF), insulin-like growth factor 1, acidic fibroblast
Growth Factor (aFGF), basic fibroblast growth factor (bFGF), epidermal growth
factor (EGF), transforming growth factor-β (TGF-β), platelet derived growth factor
(PDGF), etc. Auch indirekte Stimulatoren des/der Zellwachstums/Proliferation,
wie das Peptid E. T. F. Thymulene (Acetyl-Lys-Asp-Val-Tyr) können erfindungsgemäss verwendet
werden.