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Die Erfindung betrifft gaserzeugende Zusammensetzungen zur Verwendung in Sicherheitseinrichtungen für Fahrzeuge. Ferner betrifft die Erfindung die Verwendung von gaserzeugenden Zusammensetzungen in einer Sicherheitseinrichtung für ein Fahrzeug, insbesondere in einem Gasgenerator.
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Gaserzeugende Zusammensetzungen f der Grundlage von Guanidiniumnitrat oder Nitroguanidin sind ausgiebig im Stand der Technik beschrieben. Nahezu alle Hersteller von Fahrzeuginsassen-Rückhaltesystemen setzen derartige Zusammensetzungen in der Serienfertigung von pyrotechnischen Gasgeneratoren für Gassackmodule von Insassenschutzeinrichtungen ein, insbesondere für Fahrer- und Beifahrerairbags.
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Die für diese Anwendungen üblicherweise verwendeten Zusammensetzungen mit Guanidiniumnitrat oder Nitroguanidin als Brennstoff weisen eine massenbezogene Gasausbeute von etwa 65 bis 75 % und Verbrennungstemperaturen von etwa 1900 bis 2300 K auf. Der Anteil von Guanidiniumnitrat oder Nitroguanidin in diesen Zusammensetzungen liegt häufig im Bereich von 40 bis 50 Gew.-%.
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Für die Verwendung von Gassackmodulen im Fahrzeuginnenraum gelten erhöhte Anforderungen an das erzeugte Treibgas, da dieses beispielsweise über Abströmöffnungen im Gassack in den Fahrgastraum gelangen kann. Die in den Spezifikationen der Automobilhersteller geforderten Grenzwerte von Gasbestandteilen wie CO, NH3 und NOx lassen sich jedoch nur durch Treibstoffgemische mit einer im Wesentlichen ausgeglichenen Sauerstoffbilanz erreichen.
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Guanidiniumnitrat und Nitroguanidin weisen eine Sauerstoffbilanz im Bereich von etwa -31 % bis etwa -27 % auf. Unter der Sauerstoffbilanz ist diejenige Sauerstoffmenge in Gewichtsprozent zu verstehen, die bei vollständiger Umsetzung einer Verbindung oder eines Gemischs zu CO2, H2O, N2, Al2O3, B2O3, etc. frei wird (Sauerstoffüberbilanzierung). Reicht der vorhandene Sauerstoff hierzu nicht aus, so wird die zum vollständigen Umsatz notwendige Fehlmenge mit negativem Vorzeichen angegeben (Sauerstoffunterbilanzierung).
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Zum Ausgleich der Sauerstoffbilanz ist daher die Zugabe von erheblichen Anteilen an Oxidationsmitteln und/oder die Verwendung von sauerstoffreichen Bindemitteln notwendig. Dadurch ist der Anteil an Guanidiniumnitrat und/oder Nitroguanidin in den gaserzeugenden Zusammensetzungen für Gassackmodule auf etwa 65 Gew.-% begrenzt, und es müssen neben Guanidiniumnitrat oder Nitroguanidin noch weitere Oxidationsmittel eingesetzt werden. Da die Oxidationsmittel üblicherweise nicht vollständig zur Gaserzeugung beitragen, ist die mögliche Gasausbeute solcher Zusammensetzungen reduziert.
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Auch für Zusammensetzungen mit niedrigen Abbrandtemperaturen, die sich günstig auf die Schwadenzusammensetzung, also den Schadgasanteil im Abgas, auswirken können, muss ein höherer Anteil an nicht gasbildenden Zusätzen in Kauf genommen werden, was sich ebenfalls negativ auf die Gasausbeute auswirkt.
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Die Aufgabe der Erfindung ist die Bereitstellung von gaserzeugenden Zusammensetzungen, die eine höhere Gasausbeute erzielen und sich für Sicherheitseinrichtungen in Fahrzeugen eignen.
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Die Aufgabe wird gelöst durch eine gaserzeugende Zusammensetzung zur Verwendung in Sicherheitseinrichtungen für Fahrzeuge, wobei die Zusammensetzung mindestens einen Brennstoff umfasst, der aus einem Doppelsalz mit mindestens zwei verschiedenen Salzkomponenten gebildet ist, wobei jede der Salzkomponenten einen harnstoffbasierten Explosivstoff umfasst.
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Der Begriff Doppelsalz bezeichnet allgemein Salze mit mehreren verschiedenen Kationen oder verschiedenen Anionen, die in einer gemeinsamen Kristallstruktur vorliegen.
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Als harnstoffbasierte Explosivstoffe werden Verbindungen angesehen, deren chemische Grundstruktur von Harnstoff abgeleitet werden kann, beispielsweise durch Substitution der stickstoffgebundenen Wasserstoffatome und/oder Substitution der Carboxylgruppe. Beispiele für harnstoffbasierte Explosivstoffe sind insbesondere Salze von Guanidin und dessen Derivate. Bevorzugt ist der Brennstoff ein Doppelsalz, dessen Salzkomponenten ausgewählt sind aus der Gruppe bestehend aus Harnstoffnitrat, Guanylharnstoffnitrat, Nitroguanidiniumnitrat, Guanidiniumnitrat, Aminonitroguanidiniumnitrat und Kombinationen davon.
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Bevorzugt ist das Doppelsalz aus den folgenden Salzkomponenten gebildet:
- Guanidiniumnitrat/Nitroguanidiniumnitrat
- Guanylharnstoffnitrat/Nitroguanidiniumnitrat,
- Amino-nitroguanidiniumnitrat/Guanidniumnitrat.
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Besonders bevorzugt besteht das Doppelsalz aus den Salzkomponenten Nitroguanidiniumnitrat und Guanidiniumnitrat.
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Ein Doppelsalz aus Nitroguanidiniumnitrat und Guanidiniumnitrat weist Nitroguanidinium- und Guanidinium-Kationen sowie Nitrat-Anionen in einer gemeinsamen Kristallstruktur auf. In diesem Fall kann das Doppelsalz mit der Formel CH5N4O2 + · CH6N3 + · 2 NO3 - beschrieben werden.
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Das Doppelsalz kristallisiert insbesondere im monoklinen Kristallsystem in der Raumgruppe Cc. Die Kristallstruktur weist in diesem Fall beispielsweise alternierende Schichten aus Nitroguanidinium- und Guanidinium-Kationen auf, wobei die Kationen innerhalb der jeweiligen Schicht parallel zueinander und zwischen den Schichten senkrecht zueinander angeordnet sind. Die einzelnen Schichten sind über Wasserstoffbrücken zwischen den Aminogruppen der Kationen und den Sauerstoffatomen der Nitrat-Anionen miteinander verbunden.
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Entsprechend handelt es sich bei dem Doppelsalz von harnstoffbasierten Explosivstoffen gerade nicht um eine lediglich physikalische Mischung der einzelnen Salzkomponenten, beispielsweise nicht um eine lediglich physikalische Mischung von Nitroguanidiniumnitrat und Guanidiniumnitrat, sondern um eine eigene Verbindung mit physikalischen und chemischen Eigenschaften, die sich von denen der physikalischen Mischung der Salzkomponenten unterscheiden.
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Das Doppelsalz von harnstoffbasierten Explosivstoffen kann als Nebenprodukt der Synthese der einzelnen Salzkomponenten anfallen. Beispielsweise fällt das Doppelsalz aus Nitroguanidiniumnitrat und Guanidiniumnitrat als Nebenprodukt bei der Synthese von Nitroguanidin und Guanidiniumnitrat an. Die Erfinder haben erkannt, dass derartige bisher lediglich als ungewünschte Nebenprodukte eingestufte Doppelsalze ebenfalls zum Einsatz als Brennstoff in gaserzeugenden Zusammensetzungen in Sicherheitseinrichtungen für Fahrzeuge geeignet sind und überraschenderweise sogar vorteilhafte Eigenschaften im Vergleich mit Nitroguanidin oder Guanidiniumnitrat aufweisen.
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In einer Ausführungsform umfasst der Brennstoff zusätzlich Guanidiniumnitrat; Nitroguanidin oder Kombinationen davon. Somit kann das Doppelsalz von harnstoffbasierten Explosivstoffen als Zusatz zu bestehenden Formulierungen für gaserzeugende Zusammensetzungen beigefügt werden. Auf diese Weise wird eine gezielte Verbesserung beziehungsweise Anpassung der Eigenschaften der jeweiligen gaserzeugenden Zusammensetzung ermöglicht. In solchen Brennstoffmischungen liegt das Doppelsalz bevorzugt in einem Anteil von mindestens 10 Gew.-% vor, bezogen auf das Gesamtgewicht des Brennstoffs.
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Auch kann ein aus einer Synthese von Guanidiniumnitrat oder Nitroguanidin erhaltenes Gemisch aus dem Doppelsalz und Guanidiniumnitrat, Nitroguanidin oder Kombinationen davon als Brennstoff in einer gaserzeugenden Zusammensetzung eingesetzt werden. Somit können aufwändige und kostenintensive Nachbehandlungs- und Aufreinigungsschritte bei der Synthese reduziert werden oder entfallen.
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In einer weiteren Ausführungsform besteht der Brennstoff aus dem Doppelsalz von harnstoffbasierten Explosivstoffen. In dieser Ausführungsform können die vorteilhaften Eigenschaften des Doppelsalzes in vollem Umfang genutzt werden, sodass eine Abstimmung weiterer Komponenten der gaserzeugenden Zusammensetzung lediglich in Bezug auf das Doppelsalz notwendig ist.
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Der Brennstoff kann eine Sauerstoffbilanz im Bereich von -8 % bis -15 % aufweisen, insbesondere im Bereich von -8 % bis -9 %. Entsprechend weist bereits der Brennstoff selbst eine höhere Sauerstoffbilanz auf, als es bei Verwendung eines Brennstoffes möglich ist, der lediglich Guanidiniumnitrat und/oder Nitroguanidin enthält. Somit kann der Anteil an Oxidationsmittel in der gaserzeugenden Zusammensetzung reduziert werden, wodurch die Gasausbeute gesteigert wird.
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Das reine Doppelsalz von Nitroguanidiniumnitrat und Guanidiniumnitrat weist eine Sauerstoffbilanz im Bereich von -8 % bis -8,5 % auf, sodass auch in Mischungen mit anderen Bestandteilen des Brennstoffs, insbesondere mit Guanidiniumnitrat und/oder Nitroguanidin, eine verbesserte Sauerstoffbilanz des Brennstoffes erzielt wird.
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Die gaserzeugende Zusammensetzung kann ferner ein Oxidationsmittel umfassen, das ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus Nitraten, Oxiden und/oder Mischoxiden der Alkalimetalle, Erdalkalimetalle und Übergangsmetalle, Übergangsmetallnitrathydroxiden, Chloraten, Perchloraten, Ammoniumnitrat, Sulfaten, Phosphaten, Oxalaten, Dinitramiden, Peroxiden, Wasser, Sauerstoff und/oder Kombinationen davon. Grundsätzlich sind auch alle Allotrope und alle Isotrope der entsprechenden Verbindungen inbegriffen.
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Das Oxidationsmittel dient dazu, eine ausgeglichene Sauerstoffbilanz der gaserzeugenden Zusammensetzung zu erreichen. Entsprechend wird der Anteil von Oxidationsmittel an der gaserzeugenden Zusammensetzung so ausgewählt, dass eine gewünschte Sauerstoffbilanz erreicht wird.
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Grundsätzlich ist es auch möglich, über den Gehalt an Oxidationsmittel eine Sauerstoffüberbilanzierung der gaserzeugenden Zusammensetzung einzustellen. Auf diese Weise kann ein vollständiger Abbrand gewährleistet und die Entstehung von potentiellen Schadstoffen, wie beispielsweise Kohlenstoffmonoxid, verhindert werden.
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Bevorzugt enthält die gaserzeugende Zusammensetzung 10 bis 60 Gew.-% des Oxidationsmittels.
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Die gaserzeugende Zusammensetzung kann zusätzlich 5 Gew.-% oder weniger eines Verarbeitungshilfsmittels umfassen, insbesondere 1 bis 5 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der gaserzeugenden Zusammensetzung. Verarbeitungshilfsmittel sind beispielsweise Presshilfsmittel, Rieselhilfen und/oder Gleitmittel, die sich in der angegebenen Menge nicht wesentlich auf die Abbrandgeschwindigkeit der Zusammensetzung auswirken
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Beispiele für geeignete Verarbeitungshilfsmittel sind Polyethylenglykol, Zellulose, Methylzellulose, Graphit, Wachs, Calciumstearat, Magnesiumstearat, Zinkstearat, Bornitrid, Talkum, Bentonit, Kieselsäure und Molybdänsulfid sowie deren Gemische.
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Zusätzlich kann die erfindungsgemäße gaserzeugende Zusammensetzung 5 Gew.-% oder weniger an Abbrandmoderatoren und/oder Kühlmitteln enthalten, insbesondere 1 bis 5 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der gaserzeugenden Zusammensetzung. Die genannten Zusätze wirken sich stabilisierend auf den Abbrand aus und halten die Verbrennungstemperatur niedrig. Gleichzeitig wird die Verschlackung der Verbrennungsrückstände verbessert, wodurch das Verstäuben der Rückstände verhindert wird.
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Beispiele für geeignete Abbrandmoderatoren und/oder Kühlmittel sind B2O3, Al2O3, MgO, CuO, SiO2, Mg(OH)2, basisches Magnesiumcarbonat, CaCO3 und deren Gemische.
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Ferner kann die gaserzeugende Zusammensetzung zusätzlich 5 Gew.-% oder weniger eines weiteren Additivs umfassen, insbesondere 1 bis 5 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der gaserzeugenden Zusammensetzung. Die weiteren Additive dienen insbesondere zur Verbesserung der Anzündbarkeit sowie der mechanischen Eigenschaften der gaserzeugenden Zusammensetzung.
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Die Abbrandtemperatur des Treibstoffs liegt bevorzugt in einem Bereich von 1900 K bis 2800 K.
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Die Aufgabe der Erfindung wird des Weiteren gelöst durch die Verwendung der gaserzeugenden Zusammensetzung der zuvor beschriebenen Art in einer Sicherheitseinrichtung für ein Fahrzeug, beispielsweise in einem Gasgenerator.
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Beispielhafte Anwendungen sind Gassackmodule für Landfahrzeuge und Notfall-Auftauchsysteme in Unterwasserfahrzeugen.
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Weitere Vorteile und Eigenschaften ergeben sich aus der nachfolgenden Beschreibung und den darin aufgeführten beispielhaften Ausführungsformen.
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In Tabelle 1 sind beispielhafte Formulierungen von erfindungsgemäßen gaserzeugenden Zusammensetzungen aufgeführt.
Tabelle 1: Erfindungsgemäße gaserzeugende Zusammensetzungen
Beispiel | Komponenten [Gew.-%] |
| Brennstoffe | Oxidationsmittel | Verarbeitungshilfsmittel | Abbrandmoderatoren |
Doppelsalz | GuNi | bCN | Ca-Stearat | Aerosil | Fe2O3 |
1 | 68 | | 28 | 1 | | 3 |
2 | 70 | | 29 | | 1 | |
3 | 5 | 44 | 50 | 1 | | |
Referenz | | 46 | 50 | 1 | | 3 |
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Die in Tabelle 1 verwendeten Abkürzungen bedeuten:
- GuNi
- = Guanidiniumnitrat
- bCN
- = basisches Kupfernitrat
Tabelle 2: Eigenschaften der Zusammensetzungen aus Tabelle 1 Beispiel | Eigenschaften |
| T [K] | GA [%] | O2-Bilanz [%] |
1 | 2380 | 82.0 | 0,02 |
2 | 2350 | 81 | 2,89 |
3 | 1750 | 81 | 0,32 |
Referenz | 1870 | 71 | 0,02 |
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Die in Tabelle 2 verwendeten Abkürzungen bedeuten:
- T
- = Verbrennungstemperatur, berechnet in Kelvin
- GA [%]
- = massenbezogene Gasausbeute
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Das Doppelsalz ist in den in den Tabellen 1 und 2 aufgeführten Beispielen ein Doppelsalz aus Nitroguanidiniumnitrat und Guanidiniumnitrat.
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Aus den in Tabelle 1 und 2 aufgeführten Beispielen wird deutlich, dass mit der erfindungsgemäßen gaserzeugenden Zusammensetzung, die das Doppelsalz enthält, höhere Gasausbeuten sowie eine positivere Sauerstoffbilanz erzielen lassen als mit dem Referenzbeispiel, das lediglich Guanidiniumnitrat enthält wie aus dem Stand der Technik bekannt. Bereits geringe Anteile des Doppelsalzes erhöhen die Gasausbeute entsprechend, wie durch Beispiel 3 im Vergleich zu den Beispielen 1 und 2 deutlich wird. Durch die Verwendung höherer Anteile des Doppelsalzes lässt sich zusätzlich die Abbrandtemperatur der gaserzeugenden Zusammensetzung erhöhen.