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Die vorliegende Erfindung betrifft einen Gefechtskopf.
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Gefechtskopfsysteme sind generell hohen mechanischen Lasten ausgesetzt. Aus diesem Grund werden für gewöhnlich metallische Hüllenwerkstoffe eingesetzt. Diese beanspruchen typischerweise einen Großteil der Masse des jeweiligen Gefechtskopfsystems und schränken damit die Menge an energetischem Material ein, welche von einem Effektor (z. B. einem Lenkflugkörper) getragen werden kann. Letztendlich wird hierdurch die Leistung derartiger Systeme beschränkt. Selbst bei Verwendung von innovativen ultrahochfesten Stählen oder ähnlichen metallischen Materialien liegt der Gewichtsanteil des energetischen Materials häufig unterhalb von ca. 30%, wobei mehr als die Hälfte des Gesamtgewichts durch Gehäuse und weitere Strukturkomponenten beansprucht wird.
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Mitunter werden energetische bzw. explosive Verbundwerkstoffe auf der Basis von teilmetallischen Materialkombinationen vorgeschlagen, z.B. AI-PTFE, vgl. beispielsweise die Druckschrift Gogulya et al., „Detonation-like Processes in Teflon/AI-based Explosive Mixtures,“ Proceedings of the 13th International Detonation Symposium, 2006, 167-175.
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Die Druckschrift
US 5 852 256 A beschreibt einen Gefechtskopf, der eine hochexplosive Ladung in einer Hülle aus reaktivem Metall enthält. Bei der Detonation des Sprengstoffs wird das reaktive Metall aufgewirbelt und reagiert mit der Luft, wodurch sich die Sprengwirkung des Gefechtskopfs erhöht. Die Explosivität dieses Gefechtskopfes kann noch gesteigert werden, indem die Temperatur und damit die Reaktivität des reaktiven Metalls vor oder während der Explosion erhöht wird.
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Die Druckschrift
DE 10 2011 118 462 B4 beschreibt ein Waffensystem, bei welchem ein äußerer Mantel nicht wie üblicherweise aus Metall oder einer Metalllegierung, sondern stattdessen aus einem energetischen duroplastischen und/oder thermoplastischen Polymer besteht. Durch den Einsatz dieser reaktiven Strukturmaterialien als Mantel kann unter anderem die Energiefreisetzung verbessert werden, da der übliche Totmassenanteil eines äußeren Metallmantels entfällt, wobei aufgrund der Abkehr von Metall als Material eine Radarerfassung des Systems erschwert wird.
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Vor diesem Hintergrund liegt der vorliegenden Erfindung die Aufgabe zugrunde, Lösungen für Gefechtskopfsysteme mit einem verbesserten energetischen Wirkanteil bei gleichzeitig hoher Resistenz gegenüber mechanischen Belastungen zu finden.
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Erfindungsgemäß wird diese Aufgabe gelöst durch einen Gefechtskopf mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1.
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Demgemäß ist ein Gefechtskopf vorgesehen. Der Gefechtskopf umfasst eine Wirkladung; ein energetisches Verbundgehäuse, welches die Wirkladung trägt; und einen Gefechtskopfmantel aus einem metallischen Material, welcher das energetische Verbundgehäuse einschließt; wobei das energetische Verbundgehäuse aus einem reaktiven Faserverbundmaterial gefertigt ist, welches Verstärkungsfasern aufweist, die in einem explosiven Matrixmaterial eingeschlossen sind.
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Eine der vorliegenden Erfindung zugrunde liegende Idee besteht darin, den tragenden Bestandteil eines Gefechtskopfes aus einem Verbundmaterial zu fertigen, bei welchem das Matrixmaterial, d.h. das Bindermaterial der Verstärkungsfasern, nicht wie üblich auf einem Epoxidharz oder dergleichen basiert, sondern stattdessen mit einem energetischen Bindersystem aus dem Sprengstoffbereich gebildet wird. Eine derartiges Verbundmaterial kann grundsätzlich mit vielen der üblichen aus der Faserverbundherstellung bekannten Verfahren gefertigt werden, solange zumindest die Prozesstemperatur erheblich verringert wird. Beispielsweise kann ein Faserbund-Laminat mit einem reaktiven Matrixmaterial mittels (Hand-)Laminierung und Autoklav-Aushärtung hergestellt werden.
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Im Ergebnis wird ein Faserverbundwerkstoff mit hoher Festigkeit und Steifigkeit geschaffen, der eine beachtliche Detonationsleistung bei einer gleichzeitig hohen Insensivität gegenüber mechanischen Stimuli bietet. Der Faserverbundwerkstoff dient hierbei als reaktives/energetisches Strukturmaterial für den Gefechtskopf. Die üblicherweise notwendige massive Metallhülle kann vorliegend somit durch einen sehr dünnen Metallmantel ersetzt werden, um den Gefechtskopf gegen plastische Verformungen zu stabilisieren und das explosive Verbundmaterial zu schützen. Bezogen auf die Massenbilanz eröffnet das erfindungsgemäße System die Möglichkeit, den wirksamen reaktiven Anteil der Gefechtskopfmasse deutlich zu erhöhen. Hieraus ergibt sich unmittelbar eine massive Steigerung hinsichtlich Explosionswirkung und Energieausstoß pro Gewicht. Grundsätzlich sind deutliche Gewichtsersparnisse möglich gegenüber herkömmlichen Gefechtsköpfen mit Gehäusen aus Stahl oder Titan. Zudem zersetzen sich typische Verstärkungsfasern bei einer Explosion und haben somit keine bzw. eine vernachlässigbare Splitterwirkung (z.B. verbrennen Kohlenstofffasern bei den typischerweise auftretenden Temperaturen). Daher unterliegen diese nicht der Genfer Kriegswaffenkonvention betreffend nicht per Röntgendiagnostik nachweisbarer Splittermaterialien.
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Vorteilhafte Ausgestaltungen und Weiterbildungen ergeben sich aus den weiteren Unteransprüchen sowie aus der Beschreibung unter Bezugnahme auf die Figuren.
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Gemäß einer Weiterbildung kann das explosive Matrixmaterial polymerbasiert sein. Zur Herstellung des energetischen Faserverbundwerkstoffes kann somit ein Epoxydharz-System durch ein energetisches Polymersystem ausgetauscht werden. Es ist zu erwarten, dass die Festigkeits- und Steifigkeitswerte des neuen Werkstoffes in derselben Größenordnung verbleiben, insofern die Faserdichte und -orientierung innerhalb des Herstellungsprozesses auf einem entsprechend hohen Niveau gehalten werden. Basierend auf den mechanischen Eigenschaften des Bindersystems kann hierbei ein Kompromiss zwischen Festigkeit und Zähigkeit des Verbundwerkstoffes gewählt werden.
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Gemäß einer Weiterbildung kann das explosive Matrixmaterial Glycidylazidpolymer (GAP), Glycidylnitraminpolymer (GNAP), Ammoniumdinitramid (ADN) und/oder 2,4-Dinitrochlorbenzol (DNCB) umfassen. Es versteht sich, dass der Fachmann auch weitere geeignete reaktive Bindersysteme verwenden kann, die für die Fertigung eines explosiven Faserverbundmaterials geeignet sind, z.B. Poly-NIMMO, Poly-GLYN usw. Als Leistungssteigerung für Sprengstoffe wurden in den letzten Jahren zahlreiche, meist polymerbasierte Bindersysteme identifiziert und untersucht. Industriell verfügbar sind beispielsweise GAP und ADN als Bindermaterial, die mit entsprechenden Weichmachern, Katalysatoren und/oder Härtern kombiniert werden können. Neben der detonativen bzw. energetischen Leistungen spielt in diesem Fall insbesondere die Insensitivität gegen mechanische und thermische Stimuli eine dominierende Rolle, da die Initiierung des Strukturwerkstoffes eine Boosterfunktion für die Wirkladung darstellen kann.
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Gemäß einer Weiterbildung kann das explosive Matrixmaterial einen energetischen Weichmacher umfassen. Der Einsatz eines energetischen Weichmachers ermöglicht eine weitere Steigerung der detonativen Leistung. Speziell bei Multi-Effekt-Gefechtsköpfen mit Hohlladungsliner und Penetrationsfähigkeit ist damit eine Erhöhung des energetischen Outputs um einen mittleren, zweistelligen Prozentbetrag möglich. Bei reinen Infrastruktur- oder Seeziel-Penetratoren ist neben einer massiven Gewichtseinsparung eine nochmals höhere Leistungssteigerung denkbar.
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Gemäß einer Weiterbildung kann der energetische Weichmacher Nitratoethylnitramin (NENA) aufweisen. Insbesondere kann der energetische Weichmacher Butyl-Nitratoethylnitramin (BuNENA) oder ähnliche Substanzen aufweisen.
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Gemäß einer Weiterbildung können die Verstärkungsfasern Kohlenstofffasern umfassen. Das Verbundgehäuse kann somit aus einem kohlenstofffaserverstärkten energetischen Kunststoff (CFK) gefertigt sein. Prinzipiell kommen je nach Anwendung alternativ oder zusätzlich auch weitere Fasermaterialien in Frage, z.B. Glasfasern. Die energetischen Eigenschaften werden hauptsächlich durch die Binderart sowie den Reaktivanteil dominiert. Mit einem Fokus auf die Strukturfestigkeit und Insensitivität kann z. B. von einem CFK-GAP System bei einem Faseranteil von 60% ein GAP Füllgrad von über ca. 30% erwartet werden.
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Gemäß einer Weiterbildung kann das energetische Verbundgehäuse eine Dicke von mindestens einem Zentimeter aufweisen. Beispielsweise kann ein massives Verbundgehäuse aus CFK mit Wandstärken von 5 cm bis zu 10 cm oder mehr eingesetzt werden und gewissermaßen als Inlay innerhalb eines dünnen Metallmantels beispielsweise für einen Multieffekt-Gefechtskopf, einen Penetrator oder dergleichen dienen.
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Gemäß einer Weiterbildung kann der Gefechtskopfmantel das energetische Verbundgehäuse hermetisch versiegeln.
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Gemäß einer Weiterbildung kann das metallische Material des Gefechtskopfmantels Aluminium, Stahl und/oder Titan umfassen.
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Die obigen Ausgestaltungen und Weiterbildungen lassen sich, sofern sinnvoll, beliebig miteinander kombinieren. Weitere mögliche Ausgestaltungen, Weiterbildungen und Implementierungen der Erfindung umfassen auch nicht explizit genannte Kombinationen von zuvor oder im Folgenden bezüglich der Ausführungsbeispiele beschriebenen Merkmale der Erfindung. Insbesondere wird dabei der Fachmann auch Einzelaspekte als Verbesserungen oder Ergänzungen zu der jeweiligen Grundform der vorliegenden Erfindung hinzufügen.
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Die vorliegende Erfindung wird nachfolgend anhand der in den schematischen Figuren angegebenen Ausführungsbeispiele näher erläutert. Es zeigen dabei:
- 1 schematische perspektivische Schnittansicht eines Gefechtskopfes gemäß einer Ausführungsform der Erfindung.
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Die beiliegenden Figuren sollen ein weiteres Verständnis der Ausführungsformen der Erfindung vermitteln. Sie veranschaulichen Ausführungsformen und dienen im Zusammenhang mit der Beschreibung der Erklärung von Prinzipien und Konzepten der Erfindung. Andere Ausführungsformen und viele der genannten Vorteile ergeben sich im Hinblick auf die Zeichnungen. Die Elemente der Zeichnungen sind nicht notwendigerweise maßstabsgetreu zueinander gezeigt.
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In den Figuren der Zeichnung sind gleiche, funktionsgleiche und gleich wirkende Elemente, Merkmale und Komponenten - sofern nichts anderes ausgeführt ist - jeweils mit denselben Bezugszeichen versehen.
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1 zeigt eine schematische perspektivische Schnittansicht eines Gefechtskopfes 1 gemäß einer Ausführungsform der Erfindung. Der Gefechtskopf 1 kann in Flugkörpern, z.B. Lenkflugkörper, Raketen, Granaten, Penetratoren und Geschossen aller Art verwendet werden.
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Der Gefechtskopf 1 umfasst eine Wirkladung 4, die von einem energetischen Verbundgehäuse 3 getragen wird, welches wiederum in einem Gefechtskopfmantel 2 aus einem metallischen Material, z.B. Stahl, Aluminium und/oder Titan oder dergleichen, hermetisch eingeschlossen ist. Ferner ist beispielhaft ein Zünder 5 zur Zündung der Wirkladung eingezeichnet, für den beispielsweise eine Zündkette samt Booster und Detonator vorgesehen sein kann.
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Das energetische Verbundgehäuse 3 ist aus einem reaktiven Faserverbundmaterial gefertigt, welches Kohlenstofffasern aufweist, die in einem explosiven Matrixmaterial eingeschlossen sind.
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Struktur-Faserverbundwerkstoffe werden grundsätzlich durch das Einbringen eines Kunststoffharzes in ein Fasergewebe erzeugt. Die mechanischen Eigenschaften sind dabei stark abhängig von der Orientierung der Fasern, den mechanischen Eigenschaften des Harzsystems sowie des Faseranteils (üblicherweise bis zu 60% in Abhängigkeit von dem konkreten Herstellungsprozess). Mittels konventioneller Prepreg-Wickeltechnik können beispielsweise CFK-Rohre (Ø 80 mm) mit einer Zugfestigkeit von ca. 1200 MPa hergestellt werden, was dem Festigkeitsniveau von Vergütungsstahl bei lediglich ~21 % des Gewichts entspricht. Um Diffusionsprozesse zwischen Sprengstoff bzw. anderen Polymeren und dem Verbundwerkstoff zu unterbinden ist eine PVD Beschichtung mit z. B. TiN möglich. Dies kann auch genutzt werden um z. B. die Reibung bei Penetrationsvorgängen zu verringern.
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Zur Herstellung eines energetischen Faserverbundwerkstoffes wird das Epoxydharzsystem vorliegend durch ein energetisches Polymersystem ersetzt, z. B. GAP mit einem entsprechendem Weichmacher wie NENA, insbesondere BuNENA, sowie einem Katalysator und/oder einem Härter. Die Festigkeits- und Steifigkeitswerte des hierdurch geschaffenen Werkstoffes können hierbei in derselben Größenordnung wie eines gewöhnlichen Faserverbundmaterials verbleiben. Basierend auf den mechanischen Eigenschaften des Bindersystems kann es jedoch auch zu einer Verringerung der Festigkeiten bei einer Erhöhung der Zähigkeit des Verbundwerkstoffes kommen.
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Die energetischen Eigenschaften auf der anderen Seiten werden durch die Binderart sowie den Reaktivanteil dominiert. Z.B. kann mit einem CFK-GAP System bei einem Faseranteil von 60% ein GAP Füllgrad von ca. 30% erreicht werden. Dies würde bei einem Hüllengewicht von 3 kg einer zusätzlichen Energiefreisetzung von > 1055 kJ ohne Kohlefaser-Anteil entsprechen (was wiederum einem Äquivalent von > 770 g I-RDX entspricht).
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Der Einsatz eines energetischen Weichmachers (NENA) ermöglicht hierbei eine weitere Steigerung der detonativen Leistung. Beispielsweise bei Multi-Effekt-Gefechtsköpfen ist damit die Erhöhung des energetischen Outputs um einen mittleren, zweistelligen Prozentbetrag möglich. Grundsätzlich ist bei vielen Gefechtskopfsystemen neben einer massiven Gewichtseinsparung eine nochmals höhere Leistungssteigerung denkbar. Der Einfluss auf Systemebene (Splittergeschwindigkeit, Hohlladungsleistung etc.) ist jedoch stark design- und anforderungsabhängig.
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Das energetische Verbundgehäuse erfüllt einerseits eine tragende Funktion, wobei es auch in massiver Ausbildung, z.B. 5 bis 10 cm dick, deutlich leichter ist als vergleichbare Strukturen aus Metall. Andererseits trägt es zur explosiven Masse des Gefechtskopfes bei und ergänzt somit die eigentliche Wirkladung. Im Ergebnis wir somit der energetische Massenanteil des Gefechtskopfes gegenüber herkömmlichen Systemen erheblich verbessert. Der das Verbundgehäuse umschließende metallische Gefechtskopfmantel erfüllt somit keine tragenden Aufgaben, sondern dient lediglich als dünne Metallhülle zum Schutz des explosiven Verbundmaterials gegen Umwelteinflüsse sowie abrasiven Verschleiß während eines Penetrationsvorgangs. Damit kann der Gefechtskopfmantel entsprechend dünn, z.B. im Bereich von Millimetern, ausgebildet werden. Das System bietet somit eine exzellente Wirkung für ein gegebenes Gewicht.
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In der vorangegangenen detaillierten Beschreibung sind verschiedene Merkmale zur Verbesserung der Stringenz der Darstellung in einem oder mehreren Beispielen zusammengefasst worden. Es sollte dabei jedoch klar sein, dass die obige Beschreibung lediglich illustrativer, keinesfalls jedoch beschränkender Natur ist. Sie dient der Abdeckung aller Alternativen, Modifikationen und Äquivalente der verschiedenen Merkmale und Ausführungsbeispiele. Viele andere Beispiele werden dem Fachmann aufgrund seiner fachlichen Kenntnisse in Anbetracht der obigen Beschreibung sofort und unmittelbar klar sein.
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Die Ausführungsbeispiele wurden ausgewählt und beschrieben, um die der Erfindung zugrundeliegenden Prinzipien und ihre Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis bestmöglich darstellen zu können. Dadurch können Fachleute die Erfindung und ihre verschiedenen Ausführungsbeispiele in Bezug auf den beabsichtigten Einsatzzweck optimal modifizieren und nutzen. In den Ansprüchen sowie der Beschreibung werden die Begriffe „beinhaltend“ und „aufweisend“ als neutralsprachliche Begrifflichkeiten für die entsprechenden Begriffe „umfassend“ verwendet. Weiterhin soll eine Verwendung der Begriffe „ein“, „einer“ und „eine“ eine Mehrzahl derartig beschriebener Merkmale und Komponenten nicht grundsätzlich ausschließen.
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Bezugszeichenliste
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- 1
- Gefechtskopf
- 2
- Gefechtskopfmantel
- 3
- Verbundgehäuse
- 4
- Wirkladung
- 5
- Zünder