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Gebiet der Erfindung
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Die vorliegende Erfindung betrifft ein Verfahren zum Regeln eines auf ein Hinterrad eines Motorrads wirkenden Beschleunigungsmoments sowie ein Steuergerät und ein Motorrad, welche zum Ausführen eines solchen Verfahrens ausgelegt sind.
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Stand der Technik
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Motorräder unterliegen aufgrund ihrer Fähigkeit, eine seitliche Neigung, das heißt eine Schräglage, einnehmen zu können, besonderen Unfallrisiken. Unter einem Motorrad soll in diesem Zusammenhang allgemein ein beliebiges Kraftfahrzeug verstanden werden, das durch einen Motor angetrieben wird und das in der Lage ist, eine Schräglage einzunehmen, wie beispielsweise durch Verbrennungsmotoren oder Elektromotoren angetriebene Zweiräder oder neigungsfähige Dreiräder. Beispielsweise haben Studien ergeben, dass Motorradfahren bezogen auf gefahrene Kilometer etwa 20 Mal gefährlicher ist als Autofahren. Unfälle passieren hierbei häufig während einer Kurvenfahrt, bei der es bei beispielsweise durch nicht angepasste Geschwindigkeit und/oder andere Fahrfehler oder Fahrbahnreibwertänderungen, beispielsweise aufgrund von nassem Laub, Öl oder Fahrbahnmarkierungen, zu einem Wegrutschen eines oder beider Räder kommt.
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Es sind insbesondere zwei Unfallszenarien bekannt, die als „Lowsider“ und „Highsider“ bezeichnet werden. Beide Unfallszenarien beginnen im Allgemeinen damit, dass ein Motorradfahrer typischerweise mit zu hoher Geschwindigkeit in eine Kurve einfährt oder zu früh vor dem Ausfahren aus der Kurve Gas gibt, so dass das Hinterrad Griff mit der Fahrbahn (im Englischen: „grip“) verliert. Infolgedessen kommt es meist zu einem sogenannten Schwimmen des Fahrzeugs, wobei unter dem Schwimmwinkel ein Winkel zwischen der Bewegungsrichtung des Fahrzeugs im Schwerpunkt und der Fahrzeuglängsachse verstanden wird. Ein solches Schwimmen wird teilweise, insbesondere wenn es gezielt herbeigeführt wird, auch als Driften bezeichnet. Eine im Normalbetrieb vorherrschende Haftreibung bzw. Rollreibung zwischen dem Hinterrad und einer Fahrbahn wird hierbei durch eine betragsmäßig in der Regel geringere Gleitreibung ersetzt. Bei einem Motorrad entspricht der Schwimmwinkel dem Winkel zwischen der Bewegungsrichtung, d.h. dem Geschwindigkeitsvektor, des Motorrads im Schwerpunkt und der Längsachse des Fahrzeugs. Insbesondere bei Einspurfahrzeugen ist der Hinterachsschräglaufwinkel bzw. der Reifenschräglaufwinkel des Hinterrads typischerweise definiert als der Winkel zwischen dem Geschwindigkeitsvektor des Reifenaufstandspunkts und einer Längsachse des Hinterrads. Der Hinterachsschräglaufwinkel kann durch Transformation des Schwimmwinkels auf die Hinterachse berechnet werden.
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Ein Driften in einer Kurve ist allenfalls von sehr geübten Motorradfahrern und bei idealen Straßenbedingungen beherrschbar und führt im Alltag häufig zu Stürzen mit schweren Verletzungen.
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Offenbarung der Erfindung
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Mithilfe von Ausführungsformen der vorliegenden Erfindung kann in vorteilhafter Weise das Risiko von Stürzen bei Kurvenfahrten mit einem Motorrad und insbesondere das Risiko von schwerwiegenden Verletzungen aufgrund solcher Stürze verringert werden.
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Gemäß einem Aspekt der vorliegenden Erfindung wird ein Verfahren zum Regeln eines auf ein Hinterrad eines Motorrads wirkenden Beschleunigungsmoments beschrieben. Zunächst wird ein aktueller Reifenlängsschlupf Δ zwischen dem Hinterrad des Motorrads und einer Fahrbahn sowie ein Reifenschräglaufwinkel α des Hinterrads ermittelt. Anschließend wird der ermittelte aktuelle Reifenlängsschlupf Δ mit einem Reifenlängsschlupf-Grenzwert ΔGrenz verglichen und der ermittelte aktuelle Reifenschräglaufwinkel α wird mit einem Reifenschräglaufwinkel-Grenzwert αGrenz verglichen. Falls erkannt wird, dass sowohl der Reifenlängsschlupf größer als der entsprechende Grenzwert, das heißt Δ > ΔGrenz, als auch der Reifenschräglaufwinkel größer als der entsprechende Grenzwert, das heißt, α > αGrenz, ist, wird das auf das Hinterrad des Motorrads wirkende Beschleunigungsmoment derart geregelt, dass der aktuelle Reifenlängsschlupf Δ oberhalb eines ersten Reifenlängsschlupf-Mindestwerts Δmin1 bleibt, wobei Δmin1 > 0 sein soll.
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Ideen zu Ausführungsformen der vorliegenden Erfindung können als auf den nachfolgend beschriebenen Gedanken und Erkenntnissen basierend angesehen werden. Es wurde erkannt, dass bei einem Unfall vom Typ eines Highsiders das Risiko schwerer Verletzungen wesentlich höher ist als bei einem Lowsider. Beide Unfalltypen beginnen mit einem Ausbrechen des Hinterrads während einer Kurvenfahrt, das heißt, mit einem Schwimmen oder Driften des Motorrads.
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Beim Highsider erhält das Hinterrad jedoch nach einer Phase des Driftens plötzlich wieder Griff, beispielsweise deswegen, weil ein Fahrer bei zu starkem Beschleunigen wieder Gas wegnimmt oder bei einem überbremsten Hinterrad eine Bremsenbetätigung lockert. Aufgrund des großen Schwimmwinkels wird bei einem solchen plötzlichen Wiedererlangen von Haftreibung bzw. Rollreibung die Federung des Motorrads zusammengedrückt. Sobald das Motorrad im Wesentlichen wieder die korrekte Fahrrichtung erlangt hat, das heißt, nicht mehr driftet, wird die Federung entlastet und der Rahmen des Motorrads federt nach oben aus. Hierdurch kann der Fahrer die Kontrolle über das Motorrad verlieren und im schlimmsten Fall aus dem Sattel des Motorrads herauskatapultiert werden und den Kontakt zum Fahrzeug verlieren. Der Fahrer wird in diesem Fall häufig kurvenaußenseitig des Motorrads geschleudert, so dass das Risiko besteht, dass das Motorrad den gestürzten Fahrer aufgrund niedrigerer Reibungswerte mit der Fahrbahn einholt und schwer verletzt.
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Im Gegensatz hierzu erlangt das Hinterrad beim Lowsider den korrekten Griff mit der Fahrbahn nicht wieder. Das Motorrad kippt somit samt Fahrer hin zur kurveninneren Seite und rutscht dann aufgrund seiner geringeren Reibung mit der Fahrbahn vom Fahrer weg hin zur kurvenäußeren Seite. Ein Risiko, von dem gestürzten Motorrad verletzt zu werden, ist somit beim Lowsider wesentlich geringer als beim Highsider.
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Es wurden Möglichkeiten beschrieben, den Schwimmwinkel eines Motorrads zu ermitteln, wodurch beispielsweise über Transformation vom Fahrzeugschwerpunkt auf die Hinterachse auch ein Hinterachsschräglaufwinkel, das heißt ein Reifenschräglaufwinkel des Hinterrads, ermittelt werden kann.
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Ferner sind bereits seit Langem Verfahren bekannt, mithilfe derer ein Reifenlängsschlupf eines Kraftfahrzeugrades ermittelt werden kann, wie sie beispielsweise in ABS-Systemen (Antiblockiersystem) oder ASR-Systemen (Antischlupfregelung) eingesetzt werden. Dabei werden Signale von mehreren Beschleunigungssensoren und Drehratensensoren des Fahrzeugs ausgewertet, um den aktuellen Reifenlängsschlupf sowie den aktuellen Reifenschräglaufwinkel eines Fahrzeugrades zu bestimmen.
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Es wird darauf hingewiesen, dass Lowsider und Highsider sowohl im Antriebsfall, beispielsweise beim Herausbeschleunigen aus einer Kurve, als auch im Bremsfall, beispielsweise durch hartes Zurückschalten oder undosierte Hinterradbremsung, auftreten können. Die hierin dargelegten Ausführungen sollen sich deshalb sowohl auf Antriebsschlupf als auch auf Bremsschlupf mit allen zur Verfügung stehenden Eingriffsmöglichkeiten wie zum Beispiel ASR, MSR (Motorschleppmomentregelung), und ABS, einschließlich der Möglichkeit zum aktiven Druckaufbau, beziehen.
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Es wird nun vorgeschlagen, die Möglichkeit der Ermittlung des Reifenlängsschlupfs und des Reifenschräglaufwinkels dazu zu nutzen, kritische Fahrsituationen bei einer Kurvenfahrt mit einem Motorrad zu erkennen und einem Sturz gezielt entgegenzuwirken bzw., wenn erkannt wird, dass ein Sturz unvermeidbar erscheint, zumindest Maßnahmen zu treffen, um einen verletzungsträchtigen Highsider zu verhindern und stattdessen einen Lowsider zu bewirken.
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Hierzu werden der ermittelte aktuelle Reifenlängsschlupf Δ sowie der ermittelte aktuelle Reifenschräglaufwinkel α mit entsprechenden Grenzwerten ΔGrenz, αGrenz verglichen. Ein solcher Vergleich kann wiederholt durchgeführt werden. Beispielsweise können die Vergleiche während des Fahrens des Motorrads permanent in kurzen Zeitabständen von beispielsweise 10 ms durchgeführt werden.
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Falls erkannt wird, dass sowohl der Reifenlängsschlupf Δ als auch der Reifenschräglaufwinkel α größer als der entsprechende Grenzwert ist, das heißt, dass das Motorrad bereits einen erheblichen Reifenlängsschlupf von beispielsweise mehr als 3% erfährt und gleichzeitig auch bereits erheblich driftet, das heißt einen Reifenschräglaufwinkel von beispielsweise mehr als 2° erreicht hat, wird rückgeschlossen, dass sich das Motorrad in einer kritischen Fahrsituation befindet, bei der es nachteilig wäre, wenn das Hinterrad plötzlich wieder Griff erlangen würde, da hierdurch ein erhebliches Risiko eines Highsiders entstehen würde.
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Bei Erkennen einer solchen kritischen Gefahrsituation wird dann gezielt auf das auf das Hinterrad des Motorrads wirkende Beschleunigungsmoment Einfluss genommen, indem dieses derart geregelt wird, dass der aktuelle Reifenlängsschlupf oberhalb eines ersten Reifenlängsschlupf-Mindestwerts Δmin1 bleibt. Mit anderen Worten greift eine Regelung gezielt derart ein, dass der Reifenlängsschlupf nicht unter ein gewisses Mindestmaß hin absinkt, wie dies ansonsten geschehen könnte, beispielsweise wenn der Fahrer beim Beschleunigen Gas wegnimmt oder beim Überbremsen die Bremse lockert oder sich die Beschaffenheit des Fahrbahnbelags plötzlich ändert.
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Unter Beschleunigungsmomenten können dabei sowohl Momente verstanden werden, die zu einer positiven Beschleunigung, d.h. einer Geschwindigkeitszunahme des Motorrads führen, als auch Momente, die zu einer negativen Beschleunigung, d.h. einer Geschwindigkeitsabnahme oder Abbremsung des Motorrads führen. Allgemein betreffen Beschleunigungsmomente Reifenlängskräfte, die z.B. von Antriebs- oder Bremsschlupfreglern geregelt werden können.
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Dadurch, dass der Reifenlängsschlupf über einem vorgegebenen Mindestmaß Δmin1 > 0 gehalten wird, kann das Motorrad beispielsweise bei Lastwechseln oder sich verändernder Fahrbahn bestenfalls in einem driftenden Zustand gehalten werden. Zumindest wird jedoch verhindert, dass das Hinterrad plötzlich wieder Griff erlangt und es somit zu einem Highsider kommen kann.
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In einer vorteilhaften Ausgestaltung des vorgeschlagenen Verfahrens wird das auf das Hinterrad des Motorrads wirkende Beschleunigungsmoment derart geregelt, dass der aktuelle Reifenlängsschlupf innerhalb eines bestimmten Reifenlängsschlupf-Sollbereichs bleibt, wobei dieser Sollbereich sich mit einer Varianz Δvar um einen als ideal angesehenen Sollwert Δsoll herum erstrecken kann, das heißt, von Δsoll – Δvar bis Δsoll + Δvar reichen kann. Der Sollbereich soll dabei insgesamt oberhalb des ersten Reifenlängsschlupf-Mindestwerts Δmin1 liegen, das heißt Δsoll – Δvar ≥ Δmin1.
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Wenn der Reifenlängsschlupf innerhalb eines solchen Reifenlängsschlupf-Sollbereichs gehalten wird, kann das Motorrad in einem näherungsweise stabilen Driftzustand gehalten werden und somit auch von einem wenig geübten Fahrer noch beherrscht werden. Δsoll kann hierbei beispielsweise Werte zwischen 4% und 10% annehmen, wobei Δvar im Bereich von 1% bis 2% liegen kann.
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Es können jedoch Situationen auftreten, in denen eine ausreichend präzise Regelung des Reifenlängsschlupfs während einer kritischen Fahrsituation nicht erreicht werden kann. Beispielsweise kann eine Regelung zu langsam sein oder Stellgrößenbeschränkungen für zu regelnde Größen, die das Beschleunigungsmoment bewirken, können eine ausreichende Regelung verhindern. Alternativ können sich auch Fahrbahnverhältnisse derart schnell verändern, dass eine Regelung nicht ausreichend zeitnah reagieren kann.
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Für einen solchen Fall kann vorgesehen sein, dass der aktuelle Reifenlängsschlupf Δ während des Regelns des auf das Hinterrad des Motorrads wirkenden Beschleunigungsmoments weiter überwacht wird. Falls dabei erkannt wird, dass trotz des Regelns der ermittelte aktuelle Reifenlängsschlupf Δ kleiner als der erste Reifenlängsschlupf-Mindestwert Δmin1, das heißt, Δ < Δmin1, wird und gleichzeitig aber der aktuelle Reifenschräglaufwinkel α größer als der entsprechende Grenzwert ist, das heißt, α > αGrenz, wird das auf das Hinterrad des Motorrads wirkende Beschleunigungsmoment derart erhöht, dass der aktuelle Reifenlängsschlupf Δ auf einen Wert oberhalb eines zweiten Reifenlängsschlupf-Mindestwerts Δmin2 ansteigt. Δmin2 soll hierbei größer sein als Δmin1.
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Mit anderen Worten soll für den Fall, dass erkannt wird, dass ein stabiles Driften durch ein gezieltes Regeln des Beschleunigungsmoments, um den Reifenlängsschlupf beispielsweise innerhalb eines tolerierbaren Bereichs zu halten, nicht erreicht werden kann, das wirkende Beschleunigungsmoment gezielt derart erhöht werden, dass ein vergrößerter Reifenlängsschlupf bewirkt wird. Damit kann in Situationen, in denen erkannt wird, dass ein stabiles Driften nicht erreicht werden kann und ein Sturz unvermeidbar erscheint, ein Reifenlängsschlupf durch ein erhöhtes wirkendes Beschleunigungsmoments gesteigert werden, um auf diese Weise zumindest zu verhindern, dass das Hinterrad plötzlich wieder Griff erlangt. Anders ausgedrückt wird bei einem unvermeidbar erscheinenden Sturz das Hinterrad gezielt beschleunigt, um auf diese Weise einen Lowsider zu bewirken und dadurch zumindest einen gefährlichen Highsider zu verhindern.
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Bei einer vorteilhaften Ausgestaltung des beschriebenen Verfahrens kann zusätzlich eine aktuelle Schräglage des Motorrads ermittelt werden und der Reifenschräglaufwinkel-Grenzwert αGrenz und/oder der Reifenlängsschlupf-Grenzwert ΔGrenz in Abhängigkeit von der ermittelten Schräglage verändert werden.
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Mit anderen Worte soll die aktuelle Schräglage des Motorrads ermittelt werden und in auch Abhängigkeit von der aktuellen Schräglage entschieden werden, ob durch Regeln des auf das Hinterrad wirkenden Beschleunigungsmoments aktiv in eine Fahrdynamik des Motorrads eingegriffen werden soll. Beispielsweise kann es vorteilhaft sein, bei starker Schräglage des Motorrads bereits bei geringfügig erhöhtem Reifenschlupf bzw. schwachem Driften gezielt in die Fahrdynamik einzugreifen, da bei solch hohen Schräglagen ein Highsider besonders gefährlich sein kann, wohingegen bei geringeren Schräglagen höhere Abweichungen von einem driftfreien Durchfahren der Kurve toleriert werden können. Außerdem kann eine Längsschlupfregelung beispielsweise mit zunehmender Schräglage durch niedrigere Grenzwerte ΔGrenz und/oder verringerte (PID-)Reglerverstärkung feinfühliger eingreifen.
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In einer weiteren Ausgestaltung des vorgeschlagenen Verfahrens wird unterstützend eine Lenkbeeinflussungsvorrichtung genutzt, die auf einen Lenkwinkel des Vorderrads des Motorrads Einfluss nehmen kann. Eine solche Lenkbeeinflussungsvorrichtung kann beispielsweise ein Lenkmomentsteller oder ein adaptiver Lenkungsdämpfer sein. Für den Fall, dass eine kritische Kurvenfahrsituation erkannt wird, das heißt, Δ > ΔGrenz und α > αGrenz ist, kann die Lenkbeeinflussungsvorrichtung derart angesteuert werden, dass sie einen aktuellen Lenkwinkel um einen Wert β gegenlenkend verändert, wobei der Wert β größer als 0 und kleiner als der Reifenschräglaufwinkel-Grenzwert αGrenz sein soll, das heißt, 0 < β < αGrenz.
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Durch ein solches Ansteuern der Lenkbeeinflussungsvorrichtung kann der Fahrer in der eventuell für ihn ungewohnten Fahrsituation des gezielten Driftens beim Gegenlenken unterstützt werden. Um auf einer ursprünglichen Trajektorie der Kurve zu bleiben, sollte der Fahrer möglichst genau um den Wert gegenlenken, der am Hinterrad als zusätzlicher Schräglaufwinkel, das heißt als Driftwinkel, zugelassen wird.
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Gemäß einem weiteren Aspekt der vorliegenden Erfindung wird ein Steuergerät für ein Motorrad vorgeschlagen, das dazu ausgelegt ist, das vorangehend beschriebene Verfahren durchzuführen. Das Steuergerät kann hierzu beispielsweise über eine prozessorgesteuerte Regelungsschaltung verfügen und entweder integrierte Beschleunigungssensoren und Drehratensensoren aufweisen oder Anschlüsse aufweisen, über die Signale von externen Sensoren eingespeist werden können. Außerdem sollte das Steuergerät zum Beispiel mit Bremsen und/oder einem Antrieb des Motorrads korrespondieren können, um über diese das auf das Hinterrad wirkende Beschleunigungsmoment bewirken zu können.
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Gemäß einem weiteren Aspekt der Erfindung wird ein Motorrad vorgeschlagen, das mehrere Beschleunigungssensoren, mehrere Drehratensensoren und das zuvor beschriebene Steuergerät aufweist, wobei das Steuergerät dazu ausgelegt ist, aus Messsignalen der Beschleunigungs- und Drehratensensoren den aktuellen Reifenlängsschlupf Δ sowie den aktuellen Reifenschräglaufwinkel α zu ermitteln.
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Gemäß weiteren Aspekten der Erfindung wird ein Computerprogrammprodukt beispielsweise in Form einer Software vorgeschlagen, welches Anweisungen enthält, die ein programmierbares Steuergerät dazu anweisen, das oben beschriebene Verfahren durchzuführen bzw. zu kontrollieren. Es wird auch ein computerlesbares Medium, beispielsweise in Form einer CD, DVD oder eines Flashspeichers, vorgeschlagen, auf dem ein derartiges Computerprogrammprodukt gespeichert ist.
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Es wird angemerkt, dass mögliche Merkmale und Vorteile von Ausführungsformen der Erfindung hierin teilweise mit Bezug auf ein erfindungsgemäßes Regelungsverfahren und teilweise mit Bezug auf entsprechend ausgestaltete Steuergeräte oder Motorräder beschrieben sind. Ein Fachmann erkennt, dass die Merkmale in geeigneter Weise kombiniert bzw. ausgetauscht werden können, um zu weiteren Ausführungsformen und gegebenenfalls Synergieeffekten gelangen zu können.
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Kurze Beschreibung der Zeichnungen
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Nachfolgend werden Ausführungsformen der Erfindung unter Bezugnahme auf die beigefügten Zeichnungen beschrieben, wobei weder die Beschreibung noch die Zeichnungen als die Erfindung einschränkend auszulegen sind.
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1 zeigt ein Motorrad mit einem Steuergerät, das zur Durchführung eines erfindungsgemäßen Verfahrens ausgelegt ist.
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2a und 2b zeigen Graphen zur Veranschaulichung des Schräglaufwinkels bzw. des Längsschlupfs während einer kritischen Kurvenfahrsituation ohne und mit einer Regelung des auf ein Hinterrad des Motorrads wirkenden Beschleunigungsmoments gemäß einem erfindungsgemäßen Verfahren.
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Die Figuren sind lediglich schematisch und nicht maßstabsgetreu.
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Ausführungsformen der Erfindung
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1 zeigt ein Motorrad 1 mit einem Steuergerät 3, das zur Durchführung eines nachfolgend beschriebenen Verfahrens zum Regeln eines auf ein Hinterrad 5 des Motorrads 1 wirkenden Beschleunigungsmoments ausgelegt ist.
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Das Motorrad weist Sensorik 7 auf, die beispielsweise drei Beschleunigungssensoren 9 und zwei oder drei Drehratensensoren 11 beinhaltet. Die Sensoren 9, 11 liefern Messsignale an das Steuergerät 3. Anhand dieser Messsignale kann in dem Steuergerät 3 sowohl ein aktueller Reifenlängsschlupf Δ an dem Hinterrad 5 als auch ein Reifenschräglaufwinkel α des Hinterrads 5 bestimmt werden.
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Falls diese beiden Werte jeweils über Grenzwerten ΔGrenz, αGrenz liegen, wird auf eine kritische Kurvenfahrsituation rückgeschlossen. Je nach Fahrsituation wird dann ein geeignetes Beschleunigungsmoment auf das Hinterrad 5 bewirkt. Wird das Motorrad 1 beispielsweise vom Fahrer gerade abgebremst, kann über ein ABS-Steuergerät 13 ein geeignetes zusätzliches abbremsendes Beschleunigungsmoment durch Bremsen 15 auf das Hinterrad 5 bewirkt werden. Alternativ kann, wenn der Fahrer das Motorrad 1 gerade aus der Kurve heraus beschleunigt, über ein Motorsteuergerät 17 der Motor 19 zur Abgabe eines zusätzlichen Beschleunigungsmoments angesteuert werden.
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Mit Bezug auf die 2(a), (b) wird nun die Wirkweise eines erfindungsgemäßen Verfahrens beschrieben.
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Beim gradlinigen Fahren wirken auf das Hinterrad 5 des Motorrads 1 im Allgemeinen Beschleunigungskräfte in Richtung der Längsachse des Motorrads 1, welche stets einen gewissen Längsschlupf Δ zwischen dem Hinterrad 5 und der Fahrbahn mit sich bringen. Wird eine Kurve gefahren, kommen zu den Längsbeschleunigungen Querbeschleunigungen hinzu, welche im Allgemeinen bewirken, dass ein gesamter Schlupf des Hinterrads 5 ansteigt, da die insgesamt zwischen dem Hinterrad 5 und der Fahrbahn wirkenden Kräfte ansteigen.
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In einer ersten Phase A kommt es dabei sowohl zu einem Ansteigen des Längsschlupfs Δ als auch damit einhergehend zu einem Ansteigen eines Schräglaufwinkels α.
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Wenn die Kurve zu schnell gefahren wird bzw. sich eine Reibung zwischen dem Hinterrad 5 und der Fahrbahn beispielsweise durch geänderte Fahrbahnverhältnisse verringert, kann in einer Phase B der Längsschlupf Δ einen Grenzwert ΔGrenz übersteigen und gleichzeitig oder zeitversetzt der Schräglaufwinkel α über einen Grenzwert αGrenz ansteigen. In einem solchen Fall beginnt das Motorrad 1 übermäßig zu driften und das Hinterrad 5 droht unkontrolliert auszubrechen.
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Die Kurven 21 und 25 stellen einen typischen Verlauf des Schräglaufwinkels α bzw. des Längsschlupfs Δ während einer Kurvenfahrt dar, wenn das auf das Hinterrad 5 des Motorrads 1 wirkende Beschleunigungsmoment beispielsweise mittels einer herkömmlichen Antriebsschlupfregelung oder einem herkömmlichen ABS-System geregelt wird. In diesem Fall erkennt die Antriebsschlupfregelung bzw. das ABS-System, dass der Längsschlupf 25 eine kritische Grenze überschreitet und verringert ein bewirktes Beschleunigungsmoment, beispielsweise durch Reduzieren des Antriebsmoments durch den Motor 19 bzw. durch Verringern des Bremsmoments durch die Bremsen 15. Hierdurch verringert sich in einer Phase C der Längsschlupf Δ derart stark, dass das Hinterrad 5 mit hoher Wahrscheinlichkeit plötzlich wieder vollen Griff erlangt. Da gleichzeitig aber der Schräglaufwinkel, wie durch die Kurve 21 in 2(a) dargestellt, zunimmt, besteht ein hohes Risiko, dass es durch das plötzlich wieder Griff erlangende Hinterrad 5 zu einem Highsider kommt.
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Die Kurven 23 und 27 veranschaulichen den Reifenschräglaufwinkel α sowie den Reifenlängsschlupf Δ, wenn das auf das Hinterrad 5 wirkende Beschleunigungsmoment erfindungsgemäß geregelt wird. Wird erkannt, dass die beiden Werte entsprechende Grenzwerte αGrenz, ΔGrenz übersteigen und somit eine kritische Kurvenfahrsituation vorliegt, kann zwar auch in diesem Fall das auf das Hinterrad 5 wirkende Beschleunigungsmoment reduziert werden, um eine gewisse Stabilisierung des Fahrzustands zu ermöglichen.
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Bei einer Regelung des Beschleunigungsmoments wird jedoch darauf geachtet, dass sich das Beschleunigungsmoment nicht derart stark reduziert, dass ein Reifenlängsschlupf-Mindestwert Δmin1 unterschritten würde und somit ein Risiko bestünde, dass der Hinterreifen plötzlich wieder vollen Griff erlangt. Stattdessen versucht das Steuergerät 3, den Motor 19 bzw. die Bremsen 15 derart anzusteuern, dass der Reifenlängsschlupf Δ des Hinterrads 5 auf einem gewissen Niveau Δsoll oberhalb des Mindestwerts Δmin1 bleibt.
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Durch Erhalten eines solchen Mindestschlupfs kann im Idealfall auch der Reifenschräglaufwinkel α, wie mit der Kurve 23 gezeigt, stabilisiert werden, beispielsweise im Bereich des Grenzwerts αGrenz. Zumindest kann jedoch verhindert werden, dass ein Schlupf am Hinterrad 5 zu stark reduziert wird und somit die auf das Hinterrad wirkende Seitenkraft sich nicht schlagartig erhöht, wenn dieses wieder vollen Griff erlangen würde.
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Falls hierbei kein von einem Fahrer beherrschbarer leichter Drift erreicht werden kann, weil beispielsweise die Regelung zu langsam ist oder die Fahrbahnbeschaffenheiten sich zu schnell ändern, so kann doch zumindest ein Highsider verhindert werden und stattdessen ein Lowsider provoziert werden.
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Um den Fahrer eventuell beim Driften unterstützen zu können, kann die Steuerung 3 zusätzlich eine Lenkbeeinflussungsvorrichtung 29 in Form eines Lenkmomentstellers oder eines adaptiven Lenkungsdämpfers geeignet ansteuern, um gezielt einen zusätzlichen Lenkwinkel des Vorderrads zu bewirken und dadurch den Fahrer beim Gegenlenken zu unterstützen.