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Die vorliegende Erfindung betrifft einen mikrofluidischen Chip, umfassend mindestens ein mikrofluidisches Kanalsystem, welches mindestens einen horizontalen Kanal und mindestens eine horizontale Kammer umfasst, wobei der mindestens eine Kanal und die mindestens eine Kammer durch eine Membran getrennt sind, der mindestens eine Kanal von einer zellhaltigen Flüssigkeit durchströmt werden kann, und die mindestens eine Kammer unabhängig von dem mindestens einen Kanal befüllt werden kann. Die vorliegende Erfindung betrifft weiter ein Verfahren zur in vitro Simulation biologischer Vorgänge in kleinen Blutgefäßen, umfassend das Bereitstellen und die Verwendung des erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips.
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Ein genaues Verständnis der Vorgänge in lebenden Zellen ist für die Entwicklung gezielter Behandlungsmethoden von Krankheiten unabdingbar. Besonders der systematischen Untersuchung der zeitlichen Abfolge dieser Vorgänge kommt eine große Bedeutung zu. Der menschliche Körper besteht aus etwa 1012 Zellen. Diese wachsen und teilen sich in einem geregelten Rhythmus. So ist genau festgelegt, ob eine Zelle absterben soll, um für eine neue Zelle Platz zu schaffen, oder ob sie sich teilen und vermehren soll. Erfolgt eine krankhaft erhöhte Zellteilung, kann dies zu überschießender Gewebeneubildung führen, welche zu einem gut- oder bösartigen Tumor heranwächst.
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Der bösartige Tumor heißt „Krebs”. Krebs stellt eine komplizierte Familie von Krankheiten dar, die jedes Organ im Körper befallen können. In der Statistik der häufigsten Todesursachen stehen Krebserkrankungen nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen an zweiter Stelle. Jeder vierte Todesfall in Deutschland wird durch Krebs verursacht, wobei jährlich zwischen 330.000 und 380.000 Menschen neu erkranken. Bei Frauen ist der Brustkrebs am häufigsten, bei Männern Lungenkrebs, Prostatakrebs sowie Dickdarm- und Mastdarmkrebs. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 67,2 (Frauen) bzw. 65,6 Jahren (Männer). Doch auch bei Kindern ist Krebs die zweithäufigste Todesursache. So erkranken in Deutschland jährlich rund 1.750 Kinder unter 15 Jahren.
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Krebserkrankungen sind deshalb so gefährlich, da Tumorzellen metastasieren können, d. h. sich in andere Organe des Körpers ausbreiten und dort Sekundärtumore bilden. Dabei spielt das Blutgefäßsystem eine wichtige Rolle. Gelangen Tumorzellen in die Blutbahn, können sie zu entfernten Gewebebereichen des Körpers transportiert werden, wo sie sich ansiedeln und als Metastasen andere Organe kolonisieren können. Diese sogenannte hämatogene Metastasierung beginnt mit dem Eintritt der Tumorzellen in das Blut durch Invasion von Kapillaren und kleinen Venen (Intravasation). Es folgt die hämatogene Verschleppung, Arretierung und endotheliale Haftung im Kapillarfilter des nachfolgenden Organs, die Emigration aus dem Gefäßsystem (Extravasation) und schließlich die Bildung einer Tochtergeschwulst.
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Blutgefäße versorgen Gewebe mit lebensnotwendigem Sauerstoff und Nährstoffen und transportieren Kohlenstoffoxid und Stoffwechselprodukte ab. Außerdem dienen sie unter anderem der Verteilung von Hormonen und Enzymen. Die vom Herzen wegführenden Gefäße stellen die Arterien und die kleineren Arteriolen dar, die sich schließlich in die Kapillaren verzweigen. Postkapillaren vereinigen sich wieder zu Venulen und Venen, welche das Blut wieder dem Herzen zuführen. Alle größeren Gefäße weisen einen gemeinsamen Grundbauplan auf. Die innerste Schicht ist die Tunica intima. Daran schließt sich die Tunica media an. Nach außen wird das Gefäß von der Tunica adventitia umgeben. Die Tunica intima ist in unmittelbarem Kontakt mit dem Blut. Um einen möglichst optimalen Blutfluss zu ermöglichen, sorgen abgeflachte, polygonale Endothelzellen für eine glatte innere Oberfläche. Die Tunica media besteht aus glatten Muskelzeilen, Kollagen und elastischen Bindegewebsfasern. Prinzipiell ist der Aufbau der Tunica media in Venen dem der Arterien gleich, allerdings haben Venen eine viel dünnere Muskelwand als Arterien. Die Tunica adventitia schließlich besteht aus lockerem Bindegewebe und dient der Verankerung des Gefäßes in der Umgebung.
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Die kleinsten Gefäße stellen die Kapillaren dar. Ihr Durchmesser kann weniger als 6 μm betragen, so dass Erythrozyten sie nur unter Verformung passieren können.
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Kapillaren können einen von drei verschiedenen Bautypen aufweisen. Kontinuierliche Kapillaren besitzen eine geschlossene Endothelschicht und erlauben daher nur den Durchtritt sehr kleiner Moleküle. Fenistrierte Kapillaren haben zwischen den Endothelzellen kleine, 60 bis 80 nm große Poren, durch die kleinere Proteine hindurch treten können. Sinusoide schließlich sind erweiterte Kapillaren, die ebenfalls fenestriert sind und auch eine fenestrierte Basallamina aufweisen. Die Poren der Sinusoide sind etwa 30 bis 40 μm groß und erlauben den Durchtritt von größeren Proteinen und Blutzellen.
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Das Endothel bildet die innerste Auskleidung der Blutgefäße. Endothelzellen der terminalen Strombahn, also der Arteriolen, Kapillaren und Venulen werden als mikrovaskulär, die Endothelzellen größerer Gefäße hingegen als makrovaskulär bezeichnet. Durch ihre zentrale Stellung vermitteln Endothelien zwischen dem Blutgefäßsystem und den Organen. So erfolgt beispielsweise die Verteilung von zirkulierenden Zellen wie Leukozyten oder eben Tumorzellen selektiv an bestimmte Organe und Gewebe. Dies setzt eine spezifische Erkennung der Endothelien der Zielorgane und die nachfolgende Adhäsion an diese voraus. Es wurde gezeigt, dass Endothelzellen, abhängig vom Gewebe oder Organ, dem sie entstammen, oder von ihrem Entwicklungsstadium, im Hinblick auf ihre Morphologie, immunhistochemische Markierung, Lektinbindung und Reaktion auf Angiogenesestimulierende Faktoren eine sehr heterogene Gruppe bilden.
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Tumorzellen, die in den Blutkreislauf abwandern, müssen überleben bis sie sich an die Mikrogefäßwände des Sekundärortes heften können. Die Innenwand der Gefäße wird von Endothelzellen ausgekleidet, die das Blut vom Gewebe trennen und deren Oberfläche den Blutfluss beeinflusst. Typische Durchmesser der Mikrogefäße liegen im Bereich von 10 bis 100 μm, was in der Regel eine laminare Strömung des Blutes zur Folge hat. Die dabei an der Gefäßwand entstehenden Kräfte werden durch die dort vorliegenden Seherraten charakterisiert. Diese liegen bei ca. 1000 s–1 in Kapillaren bzw. 8.000 s–1 in Arteriolen. Solche Scherraten können trotz des laminaren Flusses enorme Kräfte hervorrufen, die an der Gefäßwand einer fragilen Kapillare zu Schädigungen führen können. Die Folge sind kleine Blutungen (Petechien), die sofort gestoppt werden müssen. Dafür ist das Glykoprotein von Willebrand-Faktor (vWF) verantwortlich. VWF wird nur von Endothelzellen und von Megakaryozyten synthetisiert und besitzt als Monomer ein Molekulargewicht von 260 kDa. Bei der Tumorausbreitung könnte die Aktivierung von vWF eine wichtige Rolle spielen, da dabei Tumorzellen an der Gefäßwand unter Scherfluss haften müssen, um das Gefäßsystem verlassen zu können. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die Tumorausbreitung schneller und effektiver verläuft, wenn vWF fehlt.
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Nachdem dem Vorgang der Extravasation, also dem Auswandern von hämatogen verschleppten Tumorzellen aus dem Blutgefäßsystem, eine entscheidende Bedeutung bei der Metastasierung von Tumoren zukommt, sind in vitro Systeme, in denen die entsprechenden Vorgänge möglichst detailliert, naturgetreu und unter Flussbedingungen simuliert werden können, von großem Interesse für die medizinische Forschung. Solche Systeme könnten weiter beispielsweise in der Entzündungsforschung für die Untersuchung von Leukozyten-Endothel-Interaktionen, sowie der Prozesse des Rolling, der Adhäsion, Transmigration und Chemotaxis von Leukozyten, sowie in der Gerinnungsforschung für die Untersuchung der primären und sekundären Hämostase, der Rolle des Endothels, der Rolle der subendothelialen Matrix, und der Wechselwirkungen der beteiligten plasmatischen und zellulären Bestandteile verwendet werden.
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Ein solches System ist im Stand der Technik nicht bekannt. Lediglich die sogenannte Boyden-Kammer, die für die Untersuchung von chemotaktischen Vorgängen verwendet wird, kommt der genannten Aufgabenstellung halbwegs nahe. Die Boyden-Kammer besteht dabei aus zwei Teilgefäßen, die durch eine Membran mit Poren in der Größe von etwa 5 bis 10 μm getrennt sind. In das eine Teilgefäß kann eine zu testende Substanz in Zellkulturmedium eingebracht werden, während das andere Teilgefäß Zellen enthält. Hat die zu testende Substanz chemotaktische Eigenschaften, werden die Zellen entlang des Konzentrationsgefälles wandern und die Membran durchtreten. Nach einer gewissen Inkubationszeit werden die Zellen fixiert und ausgezählt. Dieses System ist leider nur sehr bedingt tauglich, die Vorgänge bei der Extravasation von Tumorzellen aus Mikrogefäßen zu simulieren. So fehlt insbesondere die Möglichkeit, Tumorzellen unter Flussbedingungen, also unter Einfluss von Scherkräften, einer Membran zuzuführen, die wie die Innenwände der Blutgefäße mit Endothelzellen ausgekleidet ist.
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In diesem Zusammenhang beschreibt die Druckschrift
US 2007/0161106 A1 ein Verfahren und eine Vorrichtung für die Zellkultur, wobei Zellen auf einer Oberfläche in durch physikalische Grenzen definierten Mikrokammern kultiviert werden. Weiter beschreibt die Druckschrift
DE 602 16 748 T2 inter alia eine Mikrokanalstrukturbaugruppe für mikrofluidische Systeme, welche für Flüssigkeitsströme mit relativ langsamen Geschwindigkeiten ausgelegt ist. Weiter beschreibt die Druckschrift
WO 2011/014674 A2 eine mikrofluidische Vorrichtung für die Zellkultur, mit der verschiedene Zell- oder Gewebetypen in physiologisch relevanten Umgebungen kultiviert werden können. Darüber hinaus beschreibt die Druckschrift
US 2011/0171689 A1 ein künstliches Immunsystem, mit dem in vitro die Interaktion von Zellen und Geweben mit Impfstoffen nachgebildet werden kann. Die Druckschrift
US 2006/0154361 A1 beschreibt einen mehrkammerigen Bioreaktor, in den kontrolliert Substanzen eingebracht werden können. Weiter beschreibt die Druckschrift Chaw et al. (Chaw, K. C. et al.; Multi-step microfluidic device for studying cancer metastasis; Lab Chip, 7, 2007; pp. 1041–1047) eine mikrofluidische Vorrichtung für die Untersuchung der Extravasation von Tumorzellen. Schließlich beschreibt die Druckschrift
WO 2010/009307 A2 eine Vorrichtung zur Nachbildung von Organen oder Organsystemen, wobei die Vorrichtung einen durch Membranen unterteilten Mikrokanal aufweist.
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Der vorliegenden Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, ein System für die Simulation kleiner Blutgefäße bereitzustellen, welches sowohl das Lumen des Blutgefäßes, als auch den Gewebeumgebungsbereich des simulierten Blutgefäßes, sowie die Basalmembran der Blutgefäßwand in möglichst detaillierter und naturgetreuer Weise nachbildet, und die Möglichkeit bietet, unter Flussbedingungen betrieben zu werden.
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Diese Aufgabe wird durch die in den Ansprüchen gekennzeichneten Ausführungsformen gelöst. Insbesondere wird erfindungsgemäß ein mikrofluidischer Chip bereitgestellt, der aus einem horizontalen Kanal und einer horizontalen Kammer besteht, die durch eine Membran getrennt sind. Der horizontale Kanal repräsentiert das Lumen des Blutgefäßes und lässt sich mit Medien oder auch Vollblut mit definiertem Scherfluss durchströmen. Die Membran simuliert die Basalmembran der Blutgefäßwand und kann mit Zellen der Blutgefäßwand (Endothelzellen) besät werden. Die horizontale Kammer bildet den Gewebeumgebungsbereich des simulierten Blutgefäßes und ist mit Matrixkomponenten unabhängig von dem Kanal befüllbar.
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Die Mikrofluidik ist ein multidisziplinäres Gebiet, das Bereiche der Physik, Chemie, Ingenieurwissenschaften und Biotechnologie vereint. Sie kann definiert werden als die Wissenschaft über das Verhaften von Fluiden im Mikro- und Mesometerbereich, die in künstlichen Systemen zirkulieren. Die fundamentale Physik, wie sie aus dem Makrometerbereich bekannt ist, verändert sich bei starker Abnahme der Größenordnungen. Zum Beispiel ist der Massentransport in mikrofluidischen Systemen bestimmt durch Reibungsverlust, wobei Trägheitseffekte häufig vernachlässigt werden können. Auch die Allgegenwärtigkeit laminarer Strömung und das vergrößerte Oberflächen/Volumenverhältnis sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Durch die Verwendung von mikrofluidischen Chips wird ein Flüssigkeitstransport innerhalb von Mikrokanälen ermöglicht. Mit dem Aufkommen moderner Mikrofertigungstechnologien, wie beispielsweise der Lithographie aus der Halbleiterindustrie, der Mikrobearbeitung, sowie von Ätzverfahren, wurde es möglich, Bauteile mit Abmessung im Mikrometerbereichen mit hoher Präzision zu fertigen.
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Entsprechend der vorstehend definierten Aufgabenstellung betrifft ein Gegenstand der vorliegenden Erfindung einen mikrofluidischen Chip, umfassend mindestens ein mikrofluidisches Kanalsystem, welches mindestens einen horizontalen Kanal und mindestens eine horizontale Kammer umfasst, wobei der mindestens eine Kanal und die mindestens eine Kammer durch eine Membran getrennt sind, der mindestens eine Kanal von einer zellhaltigen Flüssigkeit durchströmt werden kann, und die mindestens eine Kammer unabhängig von dem mindestens einen Kanal befüllt werden kann.
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Die relative Anordnung des horizontalen Kanals und der horizontalen Kammer unterliegt keinerlei Beschränkungen. So kann in dem mindestens einen mikrofluidischen Kanalsystem des erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips der Kanal oben und die Kammer unten, oder der Kanal unten und die Kammer oben liegen.
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Um die Eigenschaft des mindestens einen horizontalen Kanals des erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips, von einer zellhaltigen Flüssigkeit durchströmt werden zu können, zu gewährleisten, weist der Chip geeignete Ein- und Auslassbohrungen auf, an die über geeignete Pumpenadaptoren Schläuche angeschlossen werden können. Über solche Bohrungen und daran angeschlossene Schläuche lässt sich auch die mindestens eine horizontale Kammer befüllen (vgl. 1 bis 5). Der Durchmesser der Bohrungen unterliegt keinen besonderen Beschränkungen. Er kann beispielsweise 2 mm betragen. Das Durchströmen des Kanals und das Befüllen der Kammer kann dabei von Hand, beispielsweise mit Hilfe von Spritzen, oder mit geeigneten Pumpen, beispielsweise Spritzenpumpen, erfolgen.
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Weiter weist der mindestens eine horizontale Kanal geeignete Dimensionen auf, um von einer zellhaltigen Flüssigkeit durchströmt werden zu können. In Insbesondere weist der Kanal eine Breite von mindestens 10 µm und höchstens 300 µm und eine Tiefe von mindestens 10 µm und höchstens 100 µm auf. Die Länge der Kanäle unterliegt keinen besonderen Beschränkungen. Sie kann beispielsweise 30 mm betragen, um eine optische Betrachtung der gesamten Länge, beispielsweise in einem Mikroskop in einem Objektträger, sicherzustellen.
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Gemäß der vorliegenden Erfindung ist der mindestens eine horizontale Kanal, sowie dessen Ein- und Ausgangsbereich trichterförmig ausgestaltet, so dass der Kanal von der zellhaltigen Flüssigkeit laminar durchströmt werden kann. Dies gewährleistet, dass Verwirbelungen beim Eintritt in den Kanal vermieden werden (vgl. 5). Das Strömungsverhalten von Flüssigkeiten kann durch Kennzahlen wie die Trägheitskraft, die Reibungskraft, die Oberflächenkraft, die Schwerkraft und die Druckkraft abgeschätzt werden, wobei das Verhältnis von Trägheitskraft zu viskoser Reibungskraft, also die sogenannte Reynolds-Zahl, darüber entscheidet, ob eine Strömung laminar oder turbulent ist. In mikrofluidischen Systemen ist die Reynolds-Zahl im Allgemeinen sehr klein, so dass das Strömungsverhalten in den meisten mikrofluidischen Komponenten und Systemen laminar ist. Die trichterförmige Ausgestaltung des Ein- und Ausgangsbereichs des horizontalen Kanals des erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips ermöglicht das schnelle und hindernisfreie Einfließen der zellhaltigen Flüssigkeit in den Kanal. 5 zeigt eine vektorielle Darstellung der Strömungen im Eingangsbereich des horizontalen Kanals.
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Weiter ist es bevorzugt, dass der mindestens eine horizontale Kanal von der zellhaltigen Flüssigkeit mit einem definierten Scherfluss durchströmt werden kann, beispielsweise durch die Anpassung des Volumenstroms an die Viskosität der Flüssigkeit.
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In bevorzugten Ausführungsformen umfasst der erfindungsgemäße mikrofluidische Chip mehr als ein mikrofluidisches Kanalsystem, beispielsweise zwei, drei oder mehr Kanalsysteme. Weiter kann jedes Kanalsystem mehr als einen horizontalen Kanal und, unabhängig davon, mehr als eine horizontale Kammer umfassen, beispielsweise zwei, drei oder mehr Kanäle und zwei, drei oder mehr Kammern.
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Dabei ist die Anzahl der horizontalen Kanäle unabhängig von der Anzahl der horizontalen Kammern. Beispielsweise können sich mehrere Kanäle eine gemeinsame Kammer teilen. Bevorzugt können die unterschiedlichen Kanalsysteme unabhängig voneinander durchströmt bzw. befüllt werden.
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Die Membran des erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips, welche den mindestens einen horizontalen Kanal von der mindestens einen horizontalen Kammer trennt, ist bevorzugt biokompatibel, d. h. sie kann mit Zellen besät werden. Weiter weist die Membran Poren auf, beispielsweise mit Porengrößen von 4 bis 10 μm, bevorzugt 4,5 bis 5,5 μm, wodurch sie von Zellen durchwandert werden kann. Die Porendichte der Membran unterliegt dabei keinen besonderen Einschränkungen. So können die Poren beispielsweise statistisch verteilt sein, beispielsweise bei einer Porendichte von 105 Poren pro cm2. Daneben können auch regelmäßige Porenanordnungen mit örtlich unterschiedlichen Porendichten verwendet werden (vgl. 7). Dabei ist die Porendichte sehr wichtig für die spätere Analyse der Wanderungsvorgänge von Zellen. Gemäß der vorliegenden Erfindung besteht die Membran aus Polycarbonat. Entsprechende Membranen sind im Stand der Technik bekannt.
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Der erfindungsgemäße mikrofluidische Chip besteht ausschließlich aus Polycarbonat.
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Verfahren zur Herstellung von mikrofluidischen Chips sind im Stand der Technik bekannt. Sie umfassen beispielsweise die Herstellung des oberen und unteren Bauteils mittels LIGA-Technik (Lithographie, Galvanik und Abformung), Mikrozerspanung, Mikrolaserablation, Mikroerodieren, Heißprägen und/oder Ätzverfahren, bevorzugt mittels Mikrozerspanung, besonders Mikrofräsen, sowie die Verbindung der Bauteile und der Membran miteinander durch Bondingverfahren, also dem Verpressen der Bauteile bei einer bestimmten Temperatur und einem bestimmten Druck mit Hilfe einer Heizpresse. Dabei können die beiden Bauteile und die Membran in einem oder in zwei getrennten Schritten verpresst werden. Entsprechende Verfahren sind im Stand der Technik bekannt.
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Gemäß der vorliegenden Erfindung ist der erfindungsgemäße Chip herstellbar durch das in den ersten beiden Absätzen von Beispiel 1 gezeigte Verfahren. Weiter umfasst die Herstellung des Chips das Anbringen von Pumpenadaptoren, beispielsweise durch Verkleben mit geeigneten gängigen Klebstoffen.
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Ein weiterer Gegenstand der vorliegenden Erfindung betrifft ein Verfahren zur in vitro Simulation biologischer Vorgänge in kleinen Blutgefäßen, umfassend das Bereitstellen und die Verwendung des erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips.
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Dieses Verfahren umfasst bevorzugt weiter das Besäen der Membran des mikrofluidischen Chips mit Endothelzellen. Entsprechende Verfahren zum Besäen der Membran mit Zellen sind im Stand der Technik bekannt und umfassen beispielsweise das Befüllen des mindestens einen horizontalen Kanals des erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips mit Endothelzellen enthaltendem Medium, sowie das anschließende Inkubieren des so befüllten Chips bei Bedingungen, die das Anwachsen der Zellen an der Membran erlauben. Geeignete Endothelzellen oder -zelllinien sind im Stand der Technik bekannt und umfassen beispielsweise HDMEC- (human dermal microvascular endothelial cells) oder HUVEC-Zellen (human umbilical vein endothelial cells).
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Das erfindungsgemäße Verfahren umfasst weiter bevorzugt das Befüllen der mindestens einen horizontalen Kammer des erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips mit Gewebekomponenten. Verfahren zum Befüllen der Kammer sind im Stand der Technik bekannt und umfassen beispielsweise das manuelle Befüllen der Kammer mit einer Spritze über an die entsprechenden Einlassbohrungen mittels eines Pumpenadapters angeschlossene Schläuche. Die zu befüllenden Gewebekomponenten unterliegen keinen besonderen Beschränkungen und richten sich nach der jeweiligen zu untersuchenden wissenschaftlichen Fragestellung. Beispielsweise können Komponenten der extrazelluären Matrix verwendet werden, aber auch bestimmte Zelltypen.
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Weiter umfasst das erfindungsgemäße Verfahren bevorzugt das Durchströmen des mindestens einen horizontalen Kanals des erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips mit einer zellhaltigen Flüssigkeit. Verfahren zum Durchströmen des Kanals sind im Stand der Technik bekannt und umfassen beispielsweise das manuelle Durchströmen mit einer Spritze über an die entsprechenden Einlassbohrungen mittels eines Pumpenadapters angeschlossene Schläuche. Bevorzugt wird nicht manuell durchströmt, sondern mit Hilfe einer Spritzenpumpe, wodurch exakt definierte Flussraten und somit exakt definierte Scherflüsse erreicht werden können.
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Ein weiterer Gegenstand der vorliegenden Erfindung betrifft die Verwendung des erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips für die in vitro Simulation biologischer Vorgänge in kleinen Blutgefäßen. Dabei kann die Verwendung die vorstehend für das erfindungsgemäße Verfahren definierten Schritte umfassen.
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Der erfindungsgemäße mikrofluidische Chip ermöglicht die direkte mikroskopische Beobachtung der Interaktionen von im Blutstrom transportierten Zellen mit Endothelzellen der Gefäßwand, gegebenenfalls unter Einfluss von Matrixkomponenten und/oder Zellen die jenseits der Gefäßwand liegen. So kann beispielsweise die Durchwanderung von Tumorzellen aus dem Blutstrom in das Gewebe untersucht werden. Dabei ist ein wichtiges Merkmal, dass alle Prozesse unter Fluss stattfinden können. Da das physikalische Verhalten korpuskulärer Bestandteile im Strom, insbesondere das Verhältnis der das System determinierenden Kräfte ”Reibung” und ”Massenträgheit”, radikalen Veränderungen bei Modifikation des Maßstabes unterworfen ist, kann erstmals ein mikrofluidisches in vitro System zur Erforschung des Transmigrationsverhaltens in kleinen Gefäßen (Durchmesser < 100 μm) herangezogen werden. Im Bereich der kleinsten Gefäße des menschlichen Körpers mit einem solchen Durchmesser (Arteriolen, Kapillaren, Venulen) finden die untersuchungsrelevanten Vorgänge der Wechselwirkung von im Blutstrom befindlichen Zellen mit den gefäßauskleidenden Zellen statt. Erst die Fertigung des erfindungsgemäßen Flusskammersystems entsprechenden Maßstabs mit einem durch eine Membran verbundenen Kanal/Kammer-Aufbau ermöglicht die physikalisch und medizinisch adäquate Nachstellung der Vorgänge Transmigration und Extravasation unter Flussbedingungen.
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Die Figuren zeigen:
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1: Schematischer Aufbau des erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips.
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Zwischen dem oberen und unteren Bauteil ist die Membran zu erkennen. Das obere Bauteil enthält den mindestens einen horizontalen Kanal, das untere die mindestens eine horizontale Kammer.
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2: Aufsicht auf das untere Bauteil eines erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips (links), enthaltend zwei Kammern für die Befüllung mit Gewebekomponenten, und das obere Bauteil eines erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips (rechts), enthaltend zwei mikrofluidische Kanalsysteme mit jeweils drei Kanälen.
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3: Einzelteile eines erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips. Neben dem oberen und unteren Bauteil ist die Membran und zwei Pumpenadaptoren mit Bohrungen für Schlauchanschlüsse erkennbar.
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4: Mikrofluidischer Chip gemäß der vorliegenden Erfindung mit angeschlossenen Schlauchverbindungen.
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5: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen des oberen Bauteils. Im oberen Bild ist die Einlassbohrung, im unteren der Eingangsbereich der Kanäle erkennbar.
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6: Vektorielle Darstellung der Strömungen im Eingangsbereich des horizontalen Kanals.
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7: Beispiele für Bereiche mit unterschiedlichen Porendichten entlang des Kanals, sowie für eine beispielhafte Porendichteverteilung im Gesamtsystem.
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8: Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen von ausgesäten gefärbten HUVEC-Zellen (oberes Bild) und im Fluss transportierten gefärbten Melanomzellen (unteres Bild) im horizontalen Kanal.
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9: Durchlichtmikroskopische Aufnahmen des mikrofluidischen Chips.
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Schwache Melanomzellen, die durch die Membran ausgewandert sind, können an den markierten Stellen erkannt werden.
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10: Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen der horizontalen Kammer.
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Markiert sind gefärbte Melanomzellen, die durch die Membran ausgewandert sind.
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Die vorliegende Erfindung wird anhand der folgenden, nicht-einschränkenden Beispiele näher erläutert.
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Beispiel 1: Herstellung eines erfindungsgemäßen mikrofluidischen Chips.
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Zunächst wurde das obere und untere Bauteil aus Polycarbonat mit Hilfe eines zylindrischen Hartmetall-Mikrofräsers mit einschneidigen Werkzeugen mit Durchmesser 0,3 bzw. 0,5 mm hergestellt. Dabei betrug die Drehzahl 18000 Umdrehungen pro Minute bei einem Vorschub von 180 mm pro Minute. Das obere Bauteil enthielt zwei unabhängige Kanalsysteme (A und B) mit jeweils drei durchströmbaren Kanälen, das untere zwei entsprechende befüllbare Kammern (vgl. 2). Die Kanäle waren 300 μm breit, 100 μm tief und 30 mm lang.
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Anschließend wurden die beiden Bauteile und eine Polycarbonatmembran gebondet. Dabei wurde zunächst das untere Bauteil mit der Membran mit Hilfe einer Heizpresse bei einer Temperatur von 138°C und einem Druck von 0,9 bar für 10 Minuten verpresst. Nach Abkühlen dieses Bauteils wurde in einem zweiten Schritt das obere Bauteil damit bei einer Temperatur von 135°C und einem Druck von 1,5 bar für 15 Minuten verpresst.
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Danach wurden zwei Pumpenadaptoren (vgl. 3) mit einem Kapillarklebstoff (Dymax 1187-M UV/VIS) in der korrekten Position auf den Chip geklebt und der Klebstoff für zwei Minuten unter UV-Licht ausgehärtet. Zuletzt wurden PVC- bzw. PTFE-Schläuche mit ein wenig Klebstoff in den Bohrungen der Pumpenadaptoren befestigt. Der fertige Chip ist in 4 dargestellt.
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Beispiel 2: Befüllen der horizontalen Kammern
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Die horizontalen Kammern des in Beispiel 1 hergestellten Chips wurden mit 20% Gelatine befüllt. Dazu wurde der mikrofluidischen Chip in einer sterilen Petrischale in einem Brustschrank für 1 h vorinkubiert. Dann wurden die horizontalen Kammern mit 0,3 mL 20% Gelatine, die auf 50°C erhitzt wurde, mit Hilfe einer 1 mL Spritze befüllt. Aufgrund der hydrostatischen Druckdifferenz und der Kapillarkräfte befüllten sich die Kammern bis zur Ausgangschlauchseite. Anschließend wurden alle vier Schläuche am Flüssigkeitsspiegel mit einer Klemme abgeklemmt.
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Beispiel 3: Einbringen von Melanomzellen in die horizontalen Kanäle
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Zunächst wurden die horizontalen Kanäle mit Hilfe einer 1 ml Spritze langsam und gleichmäßig mit Reinstwasser durchspült. Danach wurden die Kanäle mit voräquilibriertem EGM-2 Zellkulturmedium durchspült, bis sich auf beiden Seiten der Schlauchenden Medium befand. Anschließend wurde der Chip in einer Petrischale in den Inkubator gestellt (5% CO2 bei 37°C für 24h).
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Danach wurde ein Schlauchstück am Ende schräg abgeschnitten und am anderen Ende mit einer Kanüle versehen, und mit einer 1 mL Spritze vorgewärmter Puffer in den Schlauch gespritzt bis sich am anderen Ende ein Tropfen bildete, und das angeschrägte Ende des Schlauchs in die entsprechende Einlassbohrung des Pumpenadapters eingesteckt. Die Spritze wurde entleert, um anschließend eine neue Spritze mit MV3-Melanomzellen, die mit einem Fluoreszenzfarbstoff gefärbt wurden, an die Kanüle anzustecken und in den Kanal zu füllen.
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Alternativ wurden die entsprechenden Bohrungen des Pumpenadapters des Chips fest mit 20 μL Pipettenspitzen sondiert und durch Drehbewegung mit einem Stück Schlauch versehen. Eine vorgewärmte 1 mL Spritze mit Puffer wurde mittels einer Kanüle an den Schlauch gesteckt und langsam in die horizontalen Kanäle entleert. Nach dem Durchspülen wurden über eine 1 mL Spritze gefärbte MV3-Zellen in das Kanalsystem appliziert.
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Die untere Abbildung in 8 zeigt eine fluoreszenzmikroskopische Aufnahme der gefärbten Melanomzellen im horizontalen Kanal.
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Beispiel 4: Aussaat von Endothelzellen
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Der mikrofluidische Chip wurde mit voräquilibriertem EGM-2 Zellkulturmedium im horizontalen Kanal durchspült, bis sich auf beiden Seiten der Schlauchenden Medium befand. Anschließend wurde der Chip in einer Petrischale in den Inkubator gestellt (5% CO2 bei 37°C für 24h).
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Danach wurden HUVEC-Zellen in die schlauchbesetzten Kanäle ausgesät (480.000 Zellen pro Kanal in 100 μL Medium). Dazu wurden die entsprechenden Bohrungen des Pumpenadapters des Chips mit 10 μL Pipettenspitzen fest sondiert und durch Drehbewegung mit einem Stück Schlauch versehen. Danach wurde eine vorgewärmte 1 mL Spritze (Inhalt: erst Medium zur Durchspülung, dann Medium mit Zellen) mittels einer Kanäle an den Schlauch gesteckt und langsam in die Kanäle entleert. Nachdem die Zellen bis zur Konfluenz auf der Membran angewachsen waren, wurden sie mit einem Fluoreszenzfarbstoff gefärbt.
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Die obere Abbildung in 8 zeigt eine fluoreszenzmikroskopische Aufnahme der gefärbten HUVEC-Zellen im horizontalen Kanal.
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Beispiel 5: Überspülung der ausgesäten Endothelzellen mit Tumorzellen
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MV3-Melanomzellen wurden analog zu Beispiel 3 in die horizontalen Kanäle des Chips, welche die in Beispiel 4 auf der Membran ausgesäten HUVEC-Zellen enthielten, eingebracht.
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9 zeigt lichtmikroskopische Aufnahmen von MV3-Zellen in der horizontalen Kammer des Chips, also Zellen, welche die mit HUVEC-Zellen besäte Membran durchwandert haben. 10 zeigt eine entsprechende fluoreszenzmikroskopische Aufnahme.