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Die Erfindung betrifft ein Lenksystem eines Kraftfahrzeugs mit durch eine elektronische Steuereinheit im Sinne einer Vorsteuerung veränderbarer Lenkübersetzung zwischen einer Lenkhandhabe und den durch Betätigung der Lenkhandhabe lenkbaren Fahrzeug-Rädern. Zum Stand der Technik wird neben der gattungsbildenden
DE 40 31 316 C2 hinsichtlich des dem Fachmann bekannten Begriffs der Gierverstärkung beispielshalber auf die
DE 10 2009 004 772 A1 verwiesen.
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Bei den heute am meisten verbreiteten Fahrzeug-Lenksystemen ist das Lenkrad (= Lenkhandhabe) des Fahrers mit den lenkbaren Rädern mechanisch verbunden, und zwar über die sog. Lenksäule oder Lenkspindel, die in ein Lenkgetriebe mündet, von welchem aus die lenkbaren Räder des Fahrzeugs einer Lenkvorgabe des Fahrers mit seinem Lenkrad folgend entsprechend gelenkt, d.h. eingeschlagen werden. Bekannt und bei einigen Fahrzeugen bereits in Serie sind die sog. Überlagerungslenkungen, bei denen dem vom Fahrer mit seinem Lenkrad vorgegebenen Lenkwinkel über ein bspw. in der Lenkspindel vorgesehenes Überlagerungsgetriebe, bspw. in Form eines Planetengetriebes, ein gleichgerichteter oder entgegen gerichteter Zusatz-Lenkwinkel hinzugefügt werden kann. Bei einer solchen Überlagerungslenkung ist somit das Übersetzungsverhältnis (= die sog. Lenk-Übersetzung) zwischen dem Lenkrad (= der Lenkhandhabe) und den lenkbaren Fahrzeug-Rädern veränderbar. Gleiches gilt für die in Entwicklung befindlichen sog. steer-by-wire-Systeme, d.h. Lenksysteme, bei denen überhaupt keine mechanische Verbindung zwischen dem Lenkrad und den lenkbaren Rädern vorgesehen ist. In einem steer-by-wire-System werden die lenkbaren Räder durch irgendeinen Aktuator gelenkt, der von einer elektronischen Steuereinheit, die die Lenkvorgabe des Fahrers an seiner Lenkhandhabe auswertet, direkt oder indirekt angesteuert.
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Unabhängig von der Ausgestaltung eines Lenksystems mit in Abhängigkeit von aktuellen Randbedingungen veränderbarer Lenk-Übersetzung - hierzu zählt ausdrücklich nicht die bekannte, mechanisch in einem Lenkgetriebe fest vorgegebene Änderung des Übersetzungsverhältnisses in Abhängigkeit vom jeweils aktuellen Lenkwinkel - ist eine Veränderung der Lenk-Übersetzung für den Fahrer jedenfalls dann spürbar, wenn eine solche Veränderung in einer nicht kritischen Fahrsituation erfolgt. In kritischen Fahrsituationen hingegen mag der Fahrer derart angespannt sein, dass ihm eine geänderte Lenkübersetzung, die infolge einer selbsttätigen Hinzufügung eines Lenkwinkels zur Stabilisierung des Fahrverhaltens des Fahrzeugs erfolgte, nicht bewusst wird.
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Vorliegend wurde nun erkannt, dass es für den Fahrer eines Kraftfahrzeugs nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 angenehm sein kann, wenn das für ihn spürbare sog. Lenkverhalten des Fahrzeugs, wozu auch die Lenk-Übersetzung zählt, bei gleichen Fahrzuständen stets gleich ist. Bekanntlich gibt es jedoch einige Einflussgrößen, die das sog. Lenkverhalten des Fahrzeugs, d.h. die Reaktion des Fahrzeugs auf einen vom Fahrer bei einem bestimmen Fahrzustand vorgegebenen Lenkwinkel, beeinflussen. Zu diesen Einflussgrößen zählt insbesondere die Schräglaufsteifigkeit der Reifen, welche sich insbesondere bei einem Wechsel von Sommerreifen auf Winterreifen signifikant ändern kann. Auch das Gewicht des Fahrzeugs sowie die Lage des Fahrzeug-Schwerpunktes relativ zu den Achsen der Fahrzeug-Räder, welche sich insbesondere durch Änderung der Beladung des Fahrzeugs ändern können, sind solche Einflussgrößen.
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Hiermit soll nun aufgezeigt werden, wie an einem Kraftfahrzeug nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 auf möglichst einfache Weise ein von den im vorhergehenden Absatz genannten Einflussgrößen unabhängiges Lenkverhalten (vgl. Definition im vorhergehenden Absatz) dieses Kraftfahrzeugs eingestellt werden kann (= Aufgabe der vorliegenden Erfindung).
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Die Lösung dieser Aufgabe ist dadurch gekennzeichnet, dass in nicht kritischen Fahrzuständen des Kraftfahrzeugs der für den jeweiligen Fahrzustand vorgegebene Wert der Lenkübersetzung mit einem Korrekturfaktor multipliziert wird, der das Verhältnis einer aktuell ermittelten Ist-Gierverstärkung zu einer vorgegebenen Soll-Gierverstärkung wiedergibt, und dass daraufhin die solchermaßen korrigierte Lenkübersetzung (im Sinne einer Vorsteuerung) eingestellt wird. Vorzugsweise wird dabei der Wert der Ist-Gierverstärkung bei ausgewählten Fahrzuständen des Kraftfahrzeugs fortlaufend gemessen und in einem lernenden System, welches die zuletzt gemessenen Werte abspeichert und aus diesen einen geeigneten Mittelwert bildet, abgelegt.
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Es wurde erkannt, dass die dem Fachmann bekannte Gierverstärkung, welche als Quotient der Gierrate des Fahrzeugs und dem zugehörigen Lenkwinkel der lenkbaren Räder definiert ist, eine ideale Größe zur Beschreibung des Lenkverhaltens des Fahrzeugs ist. Einerseits kann die Gierverstärkung nämlich relativ einfach und genau ermittelt werden, da nicht nur der Lenkwinkel, sondern auch die Gierrate des Fahrzeugs gut messbar sind, letztere mittels eines Gierratensensors, der bekanntlich ein relativ sauberes Signal ohne hohen Rauschanteil liefert. Andererseits können über die Gierverstärkung die Auswirkungen sämtlicher der genannten Einflussgrößen erfasst werden, und zwar vorteilhafterweise eindeutig in der Gierrate, obwohl die Auswirkungen der Änderungen einzelner Einflussgrößen auf die Gierrate unterschiedlich sind. Beispielsweise kann anhand einer einfachen Berechnung mit Hilfe des dem Fachmann bekannten Einspurmodells nachgewiesen werden, dass sich bei konstanter Fahrgeschwindigkeit von bspw. 50 km/h und konstantem Lenkwinkel von bspw. 5° am Lenkrad bei einer Lenk-Übersetzung von 15 eine Veränderung jeder einzelnen der genannten Einflussgrößen Fahrzeug-Masse, Abstand des Fahrzeug-Schwerpunktes von den Fzg.-Achsen in Fzg.-Längsrichtung gemessen, Reifen-Schräglaufsteifigkeit vorne und hinten jeweils um 10% in signifikanten Änderungen der Gierrate des Fahrzeugs niederschlägt. Mit einer 10%igen Änderung der Reifenschräglaufsteifigkeit an den Vorderrädern (d.h. vorne) ergibt sich demnach eine Änderung der Gierrate von 16,5%, während eine gleiche Änderung der Reifenschräglaufsteifigkeit an den Hinterrädern (d.h. hinten) eine Änderung der Gierrate von 10,1%, bewirkt. Eine Änderung der Fahrzeugmasse um 10% verursacht eine Gierraten-Änderung um 7% und eine Veränderung des in Fahrzeug-Längsrichtung gemessenen Abstands des Fahrzeug-Schwerpunkts von der Vorderachse bzw. von der Hinterachse um jeweils 10% verändert die Gierrate um 12,4% bzw. um 15,3%. Diese Unterschiede müssen mit der erfindungsgemäß vorgeschlagenen Maßnahme jedoch nicht näher berücksichtigt werden, da die einfach messbare Gierrate die entsprechende Information bzw. Auswirkung eindeutig enthält.
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Bekanntlich stellt sich die Gierverstärkung in einem x-y-Diagramm als Kurve über der Fahrgeschwindigkeit des Fahrzeugs dar. Bekanntlich definiert das einzige Maximum dieser über zunehmenden Werten der Fahrgeschwindigkeit zunächst ansteigenden und nach dem besagten Maximum geringfügig abfallenden Kurve die sog. charakteristische Geschwindigkeit des Fahrzeugs.
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Erfindungsgemäß ist in einer elektronischen Steuereinheit eine sog. Soll-Gierverstärkung festgelegt, d.h. ein bestimmter Verlauf der im vorhergehenden Absatz genannten Kurve, welche sozusagen ein vom Fahrzeug-Hersteller bei der Entwicklung dieses Kraftfahrzeugs vorgegebenes bzw. ausgewähltes Lenkverhalten des Fahrzeugs beschreibt. Erfindungsgemäß wird im Fahrbetrieb des Fahrzeugs (beim Benutzer bzw. Kunden des Fahrzeug-Herstellers) fortlaufend oder nur zeitweise oder zustandsabhängig die aktuelle Gierverstärkung ermittelt, die vorliegend als Ist-Gierverstärkung bezeichnet wird und sich ebenfalls in einem x-y-Diagramm als Kurve über der Fahrgeschwindigkeit des Fahrzeugs darstellt. Damit kann dann entweder integral über der gesamten Kurve, d.h. über dem gesamten Fahrgeschwindigkeits-Bereich der Fahrzeugs betrachtet oder alternativ individuell für einzelne Fahrgeschwindigkeitsbereiche, wie bspw. 0 km/h - 30 km/h, 31 km/h - 120 km/h, 121 km/h und mehr, das Verhältnis von Ist-Gierverstärkung zu Soll-Gierverstärkung als Quotient dieser beiden Werte (Ist-Gierverstärkung und Soll-Gierverstärkung) gebildet werden, welches bzw. welcher üblicherweise in der Größenordnung von 0,8 bis 1,2 liegen wird. Dieser Quotient bzw. dieses Verhältnis wird danach erfindungsgemäß als Korrekturfaktor für die einzustellende Lenk-Übersetzung verwendet.
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Beispielsweise sei für einen bestimmten Fahrzustand (vorzugsweise für eine aktuelle Fahrgeschwindigkeit von bspw. 50 km/h) in der sog. Grundauslegung des Fahrzeugs, welche exakt die Soll-Gierverstärkung beinhaltet, eine Lenkübersetzung (i) von i = 15 vorgegeben. Ermittelt sich nun aufgrund anderer Reifen und/oder anderer Beladung des Fahrzeugs der Wert des genannten Korrekturfaktor als 1,1, so wird anstelle der Lenkübersetzung i = 15 die korrigierte Lenkübersetzung i* = (i / 1,1) = 13,6 im Sinne einer Vorsteuerung eingestellt. Damit stellt sich für den Fahrer dieses eine von der Soll-Gierverstärkung abweichende Ist-Gierverstärkung aufweisenden Fahrzeugs das Lenkverhalten dieses Fahrzeugs solchermaßen dar, als ob die Ist-Gierverstärkung des Fahrzeugs dessen Soll-Gierverstärkung entsprechen würde, d.h. als ob dieses Fahrzeug die Soll-Gierverstärkung besäße. Nachdem erfindungsgemäß diese beschriebene Prozedur fortlaufend durchgeführt wird, zeichnet sich ein solchermaßen arbeitendes Kraftfahrzeug unabhängig von einer Änderung der bereits mehrfach genannten Einflussgrößen Fahrzeug-Masse, Abstand des Fahrzeug-Schwerpunktes von den Fzg.-Achsen in Fzg.-Längsrichtung gemessen, Reifen-Schräglaufsteifigkeit vorne und hinten, für den Fahrer stets durch ein konstantes Lenkverhalten aus.
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Was die Bestimmung der Ist-Gierverstärkung betrifft, so wird vorzugsweise deren Wert (als Quotient von Gierrate und aktuellem Lenkwinkel der lenkbaren Räder) bei ausgewählten Fahrzuständen fortlaufend gemessen und in einem lernenden System, welches die zuletzt gemessenen Werte abspeichert und aus diesen einen geeigneten Mittelwert bildet, abgelegt. Hinsichtlich der Auswahl der Fahrzustände ist in der elektronischen Steuereinheit festgelegt, dass beispielsweise nur in bestimmten Wertebereichen der Fzg.-Fahrgeschwindigkeit und/oder der Längsbeschleunigung des Fahrzeugs und/oder des Rad-Lenkwinkels und/oder der Lenkwinkel-Änderungsgeschwindigkeit und/oder der Fahrzeug-Querbeschleunigung der aktuelle Wert der Gierverstärkung messtechnisch ermittelt wird. Diese ermittelten Werte werden in einer lernenden Speichereinheit abgelegt, wobei aus den über eine gewisse vorangegangene Zeitspanne oder dgl. abgelegten Werten jeweils ein geeigneter Mittelwert gebildet wird, der dann als aktuelle Ist-Gierverstärkung betrachtet und zur Quotientenbildung mit der Soll-Gierverstärkung zur weiter oben beschriebenen Bestimmung des Korrekturfaktors für die Lenk-Übersetzung weiter verwendet wird.
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Selbstverständlich können eine Vielzahl von Details abweichend von obigen Ausführungen gestaltet sei, ohne den Inhalt der Patentansprüche zu verlassen. Stets kann man unter Verwendung der erfindungswesentlichen Merkmale ein Lenkverhalten eines Kraftfahrzeugs erzielen, das sich über dessen Lebensdauer und insbesondere bei einer Änderung der bereits mehrfach genannten Einflussgrößen Fahrzeug-Masse, Abstand des Fahrzeug-Schwerpunktes von den Fzg.-Achsen in Fzg.-Längsrichtung gemessen, Reifen-Schräglaufsteifigkeit jedenfalls in nicht kritischen Fahrzuständen praktisch nicht ändert. Dabei sei nochmals darauf hingewiesen, dass mit der vorliegenden Erfindung keine Maßnahme zur Erhöhung der Fahrstabilität des Fahrzeugs oder zur Stabilisierung von unsicheren Fahrzuständen aufgezeigt wird, sondern dass es vorliegend darum geht, dem Fahrer ein optimales Fahrgefühl zu vermitteln, indem das Lenkverhalten des Fahrzeugs bei gleichen Fahrzuständen praktisch unverändert bleibt.